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Die Nervensäge
Als Peter sich die Hände wusch, zitterte er so stark, dass er überall Wasser verspritzte. Das Waschbecken, die Fliesen und der Spiegel waren mit feinen, vom Blut leicht rötlich gefärbten Spritzern gesprenkelt. Er vermied den Blick in den Spiegel, als er sich die Hände abtrocknete und danach das Handtuch zusammenknüllte, um die beschmutzten Flächen abzutupfen. Nachdem er das komplette Bad mit Bleiche geputzt hatte, machte er sich einen Beruhigungstee. Dank des Gewitters hatten die Nachbarn nichts mitbekommen. Wahrscheinlich. Hoffentlich.
Während er an seinem Tee nippte, stützte er sich an den Rahmen der Balkontür, starrte durch das Fenster und konzentrierte sich auf das Klopfen der Regentropfen und die Muster, die sie an die Scheibe malten. Unter seinem Daumennagel bemerkte er etwas Rotes. Mist. Zum ersten Mal war es nicht nach Plan verlaufen. Warum hatte diese dumme Gans in gerade diesem Augenblick hochsehen müssen? Irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund. Welcher Arsch sperrte bei dem Wetter seinen Hund aus? Peter trank einen weiteren Schluck Tee.
Sie war gar nicht dumm gewesen. Arbeitete beim Jugendamt in Teilzeit, damit sie freitags ehrenamtlich im Tierheim helfen konnte. Peter hatte während des Dates in Gedanken alle schlechten Dinge an ihr aufgelistet: Schiefer Schneidezahn, zu lange Nase, zu viel Zahnfleisch beim Lächeln, Twilight-Fan.
„Tut mir leid“, schluchzte er und legte die Stirn an die Scheibe. Ein Blitz erhellte die Umgebung. Peter hob den Kopf, begaffte den Fettfleck, den er auf der Scheibe hinterlassen hatte und nippte noch einmal an seinem Tee. Sie war bestimmt noch am Leben gewesen. Die Nervensäge wollte keine toten Frauen. Er schaute noch einmal auf die Nachricht auf seinem Handy: „Bring sie runter. Jetzt.“
Sie musste am Leben gewesen sein, denn sonst hätte er den Keller nicht lebend verlassen, da war er sich sicher. Er ging durchs Wohnzimmer, am Esszimmer vorbei und hielt im Flur vor der Kellertür. Eine unscheinbare Tür aus alten Holzplanken mit einem altmodischen Schloss und geschmiedeter Türklinke, die sich wahrscheinlich schon hier befunden hatte, als sein Großvater das Haus gekauft hatte. Der Anblick bereitete ihm pures Entsetzen. Der Keller war ein geschlossener Raum. Es gab keinen zweiten Eingang, keine Falltür und keine geheimen Verschläge aus Kriegszeiten. Was immer die Nervensäge auch war, sie lebte dort unten, und was immer sie mit den Frauen tat, das tat sie dort unten. Seine Aufgabe war simpel: Er brachte die Frauen runter und ging. Wenn er wiederkam, waren sie verschwunden und der Keller sah aus wie frisch geputzt. Die Nervensäge war sehr reinlich. Einmal hatte Peter etwas Öl auf den Boden gekleckert. Als er den Keller das nächste mal betreten hatte, war der Fleck verschwunden gewesen, doch dafür hatte er eine tote Maus in seiner Sporttasche gefunden. Peter ging näher an die Tür, roch würziges Holz und öliges Metall. Die Tür war für ihn zu einer Art Symbol geworden, einem Gesicht. Dachte er an die Nervensäge, dachte er an die Tür. Er hatte schon versucht, das Haus niederzubrennen, aber der Scheißkerl da unten hatte das jedes Mal verhindert: Einmal waren alle Feuerzeuge im Haus verschwunden gewesen. Als Peter sich anziehen wollte, um neue zu besorgen, waren seine Schuhe mit Glasscherben gefüllt gewesen. Ein anderes mal hatten seine Bremsen versagt, als er Brennspiritus kaufen wollte, und er hatte um ein Haar einen kleinen Jungen überfahren. Am schlimmsten waren aber die Nachrichten. Nachdem er sein Gesicht aus dem Airbag geschält hatte, hatte er einen kleinen gelben Zettel auf dem Beifahrersitz bemerkt, auf dem in ätzend kindlicher Krakelschrift geschrieben stand: „Nicht!“ Narben und ein leichtes Humpeln waren Erinnerungen an andere Lektionen. Oh ja, die Nervensäge behielt ihn im Auge. Er durfte sich nicht einmal umbringen: Als er sich vor einigen Tagen die Pulsadern aufschneiden wollte, waren plötzlich alle scharfen Gegenstände im Haus stumpf gewesen oder schon bei geringem Druck zerbrochen. Über Flucht nachzudenken traute Peter sich garnicht erst.
„Hoffentlich bist du jetzt für eine lange Zeit zufrieden“, flüsterte er, bevor er sich zur Treppe wandte und ins Bett ging.
Es hatte über eine Woche gedauert, bis er wieder eine Nacht durchschlafen konnte, ohne eine zweite Tavor zu nehmen. Nach dem ersten Mal hatte es doppelt so lange gedauert, und angesichts der Brutalität des letzten Vorfalls war dies wohl eine Art Rekord. Den Blick fest auf den Boden vor ihm geheftet, die Hände tief in den Taschen, stapfte er durch das Großraumbüro zu seinem Schreibtisch, schmiss seinen Mantel über die Stuhllehne und musterte genervt den Aktenstapel in seiner Ablage, bevor er seine Tasse nahm und zur Kaffeemaschine schlenderte.
„Morgen, Peter“, sagte ein Kollege mit abwertendem Ton, während er sich Zucker in den Kaffee schüttete und Peter dabei abwertend musterte.
„Morgen“, murmelte Peter, während er sich das selbe zerknitterte Hemd, das er schon in der Woche zuvor getragen hatte, mit einer Hand in die Hose stopfte und sich mit der Anderen einen Pot Kaffee einschenkte. Als er sich zum Gehen wandte blieb sein Blick an seiner Reflektion in der Mikrowelle hängen. Selbst in dem schwarzen Glas sah er alt und verbraucht aus: Dicke Augenringe, schlecht rasiert - und hatte er sich heute früh nicht gekämmt? Er leckte sich über die Hand und versuchte, ein paar abstehende Strähnen niederzukämpfen. „Peter!“ schallte sein Name durch das Büro. Mit einer Mischung aus Überraschung und Schrecken im Gesicht drehte er sich um.
„Wer ... was?“, stammelte er, während eine junge Frau mit festen Schritten auf ihn zukam und ihm die Hände auf die Schultern legte.
„Man, du auch hier?“
Er starrte sie an, ein Auge fragend zusammengekniffen, den Mund zu einem dümmlichen Grinsen verzogen. Nach ein paar Sekunden wusste er, wen er da vor sich hatte:
„Lisa? Was ... wie ...“
„Ich arbeite jetzt auch hier.“ Die Enttäuschung über seine Reaktion war ihr anzumerken.
„Toll ... echt“, murmelte er, sich am Kopf kratzend, bevor er sich Richtung Schreibtisch in Bewegung setzte. „Wir quatschen nachher, ja? Ich hab einen riesen Stapel Akten auf dem Schreibtisch“, sagte er noch im Gehen und war bemüht, so freundlich und normal wie möglich zu klingen. Lisa. Hier. Das war nicht gut. Ein schneller Blick über den Schreibtisch: Keine gelben Klebezettel, keine zerknüllten Notizen. Er setzte sich und öffnete Outlook. Elf neue Mails: Vier waren von Kollegen, sechs von Kunden und die letzte war der wöchentliche Firmen-Newsletter. Keine unbekannten Adressen, keine Nachrichten ohne Absender. Noch gestattete Peter sich nicht, sich erleichtert zu fühlen. Was hatte er vergessen? Notizen, E-Mails, Handy ... richtig, das Handy. Er griff nach hinten in die Manteltasche und fingerte es heraus, nur um es sofort fallen zu lassen. Seine Hände zitterten zu stark. Jetzt lag es zwischen seinen Füßen, das Display nach oben zeigend. Keine neuen Nachrichten. Er atmete hörbar aus, lehnte sich zurück und trank einen Schluck Kaffee. Hätte die Nervensäge Interesse an Lisa, hätte sie sich schon bemerkbar gemacht. Gott sei Dank.
„Du siehst beschissen aus, weißt du das? Und vorhin, da standest du doch total neben dir. Zockst du immer noch die Nächte durch?“, fragte Lisa, während sie mit der Gabel einen Shrimp aus ihrem Salat pickte.
„Nein, ich habe seit einiger Zeit Schlafprobleme“, antwortete Peter, während er ein Pommes Frites erst in Ketchup und dann in Mayonnaise tunkte.
„Keine Ahnung, woran das liegt. Meist dämmer ich gegen vier Uhr oder so weg, aber richtig schlafen tue ich nie.“
„Oh, das ist scheiße. Und ich dachte, Ogerpimp69 streift noch bis vier Uhr morgens durch Azeroth“, stichelte Lisa und grinste ihn an. Eine rote Locke hing ihr in die Stirn. Sie sah toll aus. Zum ersten Mal seit Wochen lächelte Peter.
„Aus dem Alter bin ich raus, Bondageelfe83“, neckte er zurück. „Ich hab jetzt ein richtiges Leben.“ Dann schob er hinterher: „Was hat dich eigentlich wieder in die Heimat verschlagen?“
„Naja, ...“, begann sie, machte aber eine Pause um die Gabel drei mal schnell in den Salat fahren zu lassen um mit gierigem Blick eine Olive und Käse aufzuspießen.
Kauend fuhr sie fort: „meine kleine Schwester, du kennst noch Anja? Na, jedenfalls braucht sie meine Hilfe, darum bin ich hergezogen. Der Job hier war das Erstbeste, was ich kriegen konnte.“ Sie hielt kurz inne, zuckte mit den Schultern und machte sich wieder über ihren Salat her.
„Klar kenne ich Anja noch. Ist sie irgendwie krank?“, fragte Peter, während er sich ein Stück Schnitzel abschnitt. Lisa schüttelte nur den Kopf. Sorge und Kummer huschten für einen Moment über ihr Gesicht, doch nur einen Wimpernschlag später war sie wieder die alte fröhliche Lisa, Peters beste Freundin und heimlicher Schwarm auf der Uni.
Sie schaute auf ihre Uhr und verzog das Gesicht.
„Shit, die Pause ist fast vorbei und ich wollte noch zur Sparkasse! Alles deine Schuld, Ogerpimp!“
Auf dem Rückweg überprüfte Peter noch einmal sein Handy. Keine neuen Nachrichten.
Mit einem Sechserpack Bier in der einen und einem Pizzakarton in der anderen Hand stapfte Peter die Treppe hinauf. Lisa wartete schon in der Wohnungstür und empfing ihn mit breitem Lächeln und einer Umarmung, bevor sie Ihm die Pizza abnahm und ins Wohnzimmer stürmte, dabei einen gierigen gedehnten Laut von sich gebend, der wahrscheinlich „Pizza!“ bedeutete. Sie setzte sich im Schneidersitz in den abgewetzten Ohrensessel, den Peter noch aus der alten WG kannte. Auf der Couch saß Anja. Als Peter den Raum betrat, stand die zierliche Blondine auf und streckte ihm die Hand entgegen.
„Hi!“
„Hallo!“, sagte Peter, während er die zarte Hand ergriff und vorsichtig schüttelte. Im Vergleich zu Anjas Kätzchenpfoten hatte er Tigerpranken.
„Okay,“ sagte Lisa, bereits auf einem Stück Pizza kauend, „wir haben Tabu, Activity und Monopoly!“
„Ich hasse Monopoly“, sagte Anja genervt.
„Ich wäre ja für Tabu. Monopoly ist böse, es zerstört Familien und so“, sagte Peter mit schiefem Lächeln und zwinkerte Anja zu.
„Tze, ihr habt nur Angst, gegen mich abzulosen“, schimpfte Lisa im Spaß, während sie alle Kartons außer den mit Tabu wieder in einen Umzugskarton räumte.
„Wir können ja nachher noch Game of Thrones schauen“, schlug Peter vor.
„Ne, geht nicht, die haben mein Internet noch nicht freigeschaltet. Ich muss ganz normal fernsehen wie irgendein Höhlenmensch.“
Der Fernseher wurde nicht gebraucht. Lisa war früher die unangefochtene Tabu-Meisterin gewesen, doch Anja war diesmal sogar noch besser als sie.
„So, Mädels,“ sagte Peter, „ich muss mal das Bier wegschaffen.“
„Im Flur, die zweite Tür rechts“, sagte Lisa während sie ein Stück Pizzarand von Peters Teller klaute. So gut hatte sich Peter schon lange nicht mehr gefühlt. Dieser Abend ließ ihn für kurze Zeit alles andere vergessen. Seit einigen Tagen konnte er sogar wieder schlafen. Bevor er sich die Hände waschen konnte vibrierte das Telefon in seiner Hosentasche. Es war plötzlich still im Raum: Das Lachen im Wohnzimmer war verstummt, der Wasserhahn tropfte lautlos vor sich hin - sogar das Geräusch seines eigenen Atems war verstummt.
Er nahm das Handy aus der Tasche. Aktivierte das Display. Darauf die Nachricht: „Sie. Anja.“
Die Geräusche kehrten zurück - und mit ihnen das Gefühl von Erschöpfung und tiefem Entsetzen, dass er in den letzten Tagen so erfolgreich verdrängt hatte. Irgendwo hinter der alten Holztür, in dem makellos sauber gehaltenen Keller, hatte die Nervensäge Lust bekommen.
„Nein ...“
Das Handy vibrierte: „Doch“
Peters Hand schloss sich so fest um das Gerät, dass seine Knöchel weiß hervortraten und das Gehäuse besorgniserregend knackte.
„Fick dich! Fick dich, du blödes Arschloch!“
Vibration. Neue Nachricht: „Vorsicht“
„Bitte nicht!“, flehte er.
Vibration. Neue Nachricht: „Doch“
Resigniert drehte er das Wasser auf um sich die Hände zu waschen. Mit Mühe konnte er einen Schmerzensschrei unterdrücken. Das Wasser war siedend heiß.
„Nochmal großes Sorry wegen neulich! Das ist noch nie passiert“, sagte Lisa entschuldigend, als sie sich auf Peters Couch niederließ.
„Tut kaum noch weh“, entgegnete Peter und wedelte mit der verbundenen Hand wie zum Beweis herum. Anja hielt zwei Sixpacks in die Höhe.
„Hey! Ich stell das einfach auf den Tisch. Geht’s wieder mit der Hand?“
„Ja“, sagte Peter und ging in die Küche, um das Essen zu holen. Als er zurückkehrte, hatten die Frauen bereits das Tabu-Spiel aufgebaut und jede ein Bier in der Hand.
„Ach, endlich! Her damit!“, rief Anja freudig aus und riss ihm das Tablett aus der Hand.
„Hey, vielleicht können wir ja heute Game of Thrones gucken?“, fragte Lisa.
„Klar, ähm, habt ihr alle Gabeln, oder ...“
„Ja, haben wir“, schnitt Anja ihm das Wort ab. "Los jetzt, der Meisterin dürstet nach einem weiterem Sieg!"
Während sie spielten, nebenbei aßen und über ihren Tag redeten war Peter nicht da. Zwar saß er in seinem Sessel, scherzte, lachte, erzählte - doch er lief auf Autopilot. Sein Verstand schaute sich das Schauspiel auf einer Leinwand an und schrie den Frauen zu, sie sollen machen, dass sie wegkamen.
„Ich muss mal auf die Toilette“, sagte Anja plötzlich.
„Geh in den Flur zur Treppe und vor der Kellertür nach links. Es ist die blaue Tür.“
„Anja!“, sagte Lisa warnend.
„Ich will echt nur pinkeln! Reg dich ab, Sis!“
Lisa schaute ihr besorgt hinterher, dann nahm sie sich einen Stapel Tabu-Karten vom Tisch um sie zu studieren. Irgendwann sagte sie gedankenverloren: „Wie zum Teufel soll man Iglu ohne die Worte Eis und Haus beschreiben?“
Peter gab nur ein „Hm“ von sich. Nach weiteren Minuten der Stille sagte sie schließlich:
„Du ich ... ich glaub das Essen war schlecht ...“
„Ja, ich merke es auch“, antwortete Peter. Das war gelogen. In seiner Portion war kein Schlafmittel gewesen.
„Anja braucht echt ... lange.“
Er schaute auf die Uhr. Sie war seit zehn Minuten fort. Hoffentlich war sie nicht mit dem Kopf aufgeschlagen.
„Weisst du, ich hab Angst um ...“
Peter setzte sich neben Lisa und nahm sie in den Arm.
„Shh, ruhig.“
„Sie ... magersüchtig ...“
„Ist okay, Lisa. Schlaf.“
Er fuhr mit den Fingern über ihr Gesicht, strich ihr eine ihrer entzückenden roten Locken aus der Stirn. Dann legte er sie behutsam auf das Sofa. Das war es also: Das Ende ihrer Freundschaft. So sehr er auch wollte, er konnte sie nicht mehr gehen lassen. Grade als er nach einem Kissen greifen wollte drehte Lisa sich murmelnd auf die Seite. Etwas regte sich ihn ihm, als er die perfekt geformten Beine bestaunte. Mit dem Zeigefinger folgte er der Naht ihrer Jeans. Als er auf den Gürtel traf hielt er kurz inne. Er wollte sie nicht ausnutzen. Er war nicht einer von diesen Typen ... aber wer würde es denn erfahren? War es überhaupt noch wichtig, was er jetzt mit Lisa tat? Zitternd schob er erst den Finger, dann schließlich die ganze Hand unter Lisas Shirt. Mit der freien Hand drehte er sie wieder auf den Rücken, dann streichelte er ihr über den Bauch, wanderte höher und fand schließlich eine Brust. Als er begann, sie zärtlich zu massieren hörte er, wie Anja wieder ins Wohnzimmer kam.
„Was ist denn hier ...“, sagte sie verwundert. Erkenntnis huschte über ihr Gesicht: Sie wusste es. Er sah es in ihren Augen. Er wusste nicht, warum sie noch stehen konnte, aber in der selben Sekunde, in der sie sich umdrehte und losrannte, sprang er über den Tisch und packte sie an den Haaren. Sie griff sein Handgelenk mit beiden Händen und drehte sich ruckartig herum. Der plötzliche Schmerz ließ ihn aufschreien und er musste sich beinahe übergeben. Sie hatte die Tür fast erreicht. Er nahm eine Blumenvase von der Anrichte und warf. Volltreffer. Er hatte sie am Hinterkopf erwischt. Sie stürzte mit dem Gesicht voran gegen die Haustür und drehte sich benommen um. Er packte sie am Fuß und zog sie Richtung Kellertür. Ein scharfer Schmerz zuckte von seinem Bein aus durch seinen Körper, als er in die Knie ging. Sie hatte ihn mit den Absätzen in die Kniekehle getreten. Er stürzte sich auf sie, schaffte es, seine Hände um ihren Hals zu legen. Sie schlug ihm ins Gesicht, kratzte ihn, doch richtete kaum Schaden aus. Sie war zu zierlich. Zu schwach. Peter sah ihr in die Augen, sah das Leben aus ihr entweichen, während ihre Schläge schwächer wurden und das Trampeln ihrer Füße nachließ. Weinend ließ er von ihr ab; krümmte sich heulend zusammen, während er eine Hand ausstreckte um ihren Puls zu fühlen: Nichts.
„Scheiße“, schluchzte er.
„Scheiße!“, schrie er aus tiefster Seele.
Er hob sie hoch und legte sie sich über die Schulter. Sie war leicht wie eine Amsel. Peter öffnete die Kellertür. Er spürte das kalte, ölige Eisen der Klinke, als er sie herunterdrückte. Hörte das schabende Geräusch von Holz, das über die Auslegware des Flurs strich. Mit der freien Hand schaltete er das Licht an, dann stieg er hinab in die Eingeweide seines Quälgeistes.
„Tut mir leid“, sagte er mit erstickter Stimme, als er sie auf den Metalltisch in der Raummitte legte. Als er wieder im Wohnzimmer war, nahm er ein Kissen und setzte sich neben Lisa.
„Du ... du ...“
Er wusste nicht, was er sagen sollte, darum wischte er sich die Tränen aus den Augen und drückte ihr das Kissen ins Gesicht. Irgendwann ließen die Zuckungen und unkontrollierten Schläge nach. Irgendwann war es vorbei. Peter brach zusammen, legte heulend das Gesicht in beide Hände.
„Ich kann nicht mehr ... kann das nicht mehr ...“
Er griff sich eine der Plastikgabeln und drückte sie sich an den Hals, erhöhte langsam den Druck, spürte den Schmerz, spürte das Blut über seinen Hals und unter sein T-Shirt rinnen. Plötzlich verpasste er sich unwillentlich einen Faustschlag, als die Gabel zerbrach. Der Verstand setzte ein. Er musste Lisa verstecken. Ihr Auto loswerden. Herausfinden, was die Nachbarn gesehen hatten. Er musste ... das Handy vibrierte. Peter hielt inne, starrte auf das kleine schwarze Gerät auf dem Tisch. Es vibrierte erneut und tanzte dabei ein kleines Stück nach rechts. Er nahm es, schaltete es ein und las die Nachricht. Peter las sie wieder und wieder, mal in Gedanken, mal laut. Er heulte und lachte gleichzeitig, als er sich aufrappelte und auf den Weg machte. Das Handy ließ er im Wohnzimmer liegen, das Display noch eingeschaltet. Darauf die Nachricht: „Komm runter. Allein.“