Die Naht der Puppen und des Lebens
Unweit der Stadtgrenzen, wo wintermüde Luft zaghafte Spuren von Rauch und Schornsteinruß auf das Geäst der kahlen Bäume wehte, saß Herr Göldner auf einer zerfransten, jedoch gewissenhaft reparierten Couch, deren Stoff so fleckig war, dass man meinen konnte, ein Maler habe sich darin verwirklicht. Die Fenster seines kleinen Hauses – ein schiefstehender Bau – waren von einer dünnen Eisschicht überzogen, sodass die Welt dahinter wie durch Milchglas hindurchschimmerte. Es war zwei Tage vor Weihnachten, und wie jedes Jahr begann Herr Göldner an diesem Morgen sein Ritual. Er stapfte durch die Stadt, mit einem Handkarren im Schlepptau. Der Wind wehte an diesem Vormittag durch sein graues Haar, als er den belebtesten Teil der Stadt erreichte, wo die Menschen in wogenden Strömen über den Weihnachtsmarkt schoben, eingehüllt in schwere Mäntel und noch schwerere Gedanken. Herr Göldner blieb immer wieder stehen, hob ein Ding auf, das von anderen achtlos liegengelassen worden war: ein einzelner Handschuh, dessen Naht entlang des Daumens aufgeplatzt war; ein zersprungener Christbaumschmuck, dessen Bruchkanten das Licht in einem merkwürdig schönen Winkel einfingen. Jedes Fundstück wurde von ihm wie ein kleiner Schatz betrachtet, bevor er es sorgsam in seinen Handkarren legte.
Am Rande des Marktes kam er an den bunt gestrichenen Stand einer jungen Frau, die handgestrickte Puppen feilbot. Ihre Hände zitterten vor Kälte, doch in ihrem Gesicht lag eine seltsame Ruhe. Herr Göldner blieb stehen, betrachtete die Puppen und wählte eine aus, die ein kleines Loch in ihrer Naht hatte. Er bot der Frau zwei Münzen an, die sie lächelnd entgegennahm. „Eine gute Wahl“, sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu ihm, bevor sie sich wieder den Puppen zuwandte.
In einer stillen Seitengasse, fern des Trubels, stieß Herr Göldner auf einen Mann, der mit verschmutztem Gesicht und geschwollenen Händen in einem Haufen von Lumpen kauerte. Der Mann hob den Blick, als er die näherkommenden Schritte hörte, und murmelte kaum hörbar: „Hast du etwas Brot?“ Herr Göldner blieb stehen, zog einen zerknitterten Kanten aus seiner Tasche und reichte ihn dem Mann. Dieser betrachtete das Brot für einen Moment wie etwas Fremdes, bevor er es wortlos nahm.
Danach sah Herr Göldner einen Jungen, der verzweifelt versuchte, seinen Hut vor einer Böe zu retten. Der Hut, eine ausgeleierte Filzkappe, flog davon und blieb an einem Zaun hängen. Herr Göldner eilte hinüber, nahm den Hut ab und reichte ihn dem Jungen. „Danke, Herr!“, sagte der Junge, dessen Wangen von der Kälte gerötet waren. In einem Anflug von Schüchternheit drückte er Herrn Göldner ein kleines Päckchen in die Hand, bevor er davonlief. Das Päckchen war in grobes Papier gewickelt und enthielt einen winzigen Stern aus Stroh, kunstvoll verflochten. Herr Göldner betrachtete den Stern lange und legte ihn behutsam in seinen Karren. Es gehörte zu den wertvollsten Dingen, die er an diesem Tag gefunden hatte.
An einer Stelle, wo die Kälte die vereisten Straßen zu glatten Flächen poliert hatte, fand Herr Göldner schließlich eine kleine Schneekugel. Ihr Glas war blind geworden, und das Wasser im Inneren war leicht gelblich getrübt. Der Sockel aus Holz war abgesplittert, und die Szenerie im Inneren – ein winziges Haus mit einem Baum daneben – war durch den Schmutz kaum mehr zu erkennen. Er nahm sie in die Hand, spürte das kalte Glas und bemerkte, wie sich die winzigen Partikel, die einst Schnee hatten darstellen sollen, träge bewegten, als er die Kugel leicht schüttelte.
Als der Nachmittag dunkler wurde und die Straßen sich zu leeren begannen, machte sich auch Herr Göldner auf den Heimweg. Zurück in seinem Haus begann er wie jedes Jahr, die Fundstücke zu ordnen, sie zu reinigen und zu reparieren. Es war eine Art Meditation, durch die er für kurze Zeit eine Aufgabe hatte, die Welt für sich wiederherzustellen – wenigstens ein kleines Stück davon. Die Schneekugel nahm er zuletzt in die Hand. Mit einer alten Zahnbürste schrubbte er das Glas, polierte es mit einem Stoff, den er aus einem alten Hemd geschnitten hatte. Auf der Unterseite des Sockels war eine Gravur, die im ersten Moment unlesbar schien. Also nahm er eine Lupe zur Hand und entzifferte mit Mühe die eingeritzten Worte: „Für meinen geliebten Sohn. Weihnachten 1981.“
Zwei Tage später, am heiligen Abend, wunderten sich die Anwohner über allerlei Kleinigkeiten, die, in grobes Papier gewickelt, als Geschenke in ihren Briefkästen, auf ihren Fensterbänken, Treppenabsätzen oder an den Gartenzäunen ihrer Grundstücke zu finden waren: Aufgearbeitetes, Repariertes, Wiederhergestelltes – Dinge, denen die Liebe, mit der sie einst übergeben wurden, zurückgegeben war.