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Die nackte Katze
Ich trinke. Jeden morgen muss ich mir dies aufs Neue eingestehen. Leider immer nur am Morgen, da es mir den ganzen Tag einigermaßen gut geht und ich mich auf den Abend freue, der für mich eine Art Ummantelung meiner Selbst darstellt. Im Alltag kaufe ich mir meist eine Flasche Wein und zwei oder drei Bier vor dem Abendbrot. Ab acht Uhr fange ich an zu trinken. Warum? Es gibt keinen negativen Grund dafür. Natürlich gab es Schmerzen und einige Trennungen, die mich immer zum Trinken ermutigt haben. Dennoch ging es weiter und so ist mir einfach langweilig. Meine Grundbedürfnisse sind gedeckt. Eine Wohnung, Wärme und Essen habe ich und bin auch zufrieden mit meinen Lebensumständen.
Aber das soll nur zur Beschreibung meiner Person dienen, da der Alkohol keinen Einfluss auf die Dinge hatte, die ich in letzten Tagen erlebt habe. Wenn ich ehrlich bin und das möchte ich unbedingt sein, war gerade der Alkohol Anlass für diese Erlebnisse. Ein alter Schulfreund lud mich zu sich in seine WG ein, damit wir uns das ganze Wochenende die Kante geben konnten. Normalerweise trinke ich allein und sehe auch keinen Sinn darin es mit anderen Menschen zu tun. Dieses ständige Reden über deren Probleme kann ich einfach nicht mehr hören. Jeder meckert oder ist dagegen. Man muss doch für etwas einstehen. Warum auch nicht? Seine Seele kann man jeden Tag wieder verkaufen; nach der morgendlichen Reue wohlgemerkt. Aber ich schweife ab. Ich kam also in diese herrliche Stadt und wir öffneten einen guten Wein und hörten seine beschissene Musik. Nach einer Weile erschien seine Mitbewohnerin im Zimmer und fragte, was wir essen wollten. Sofort ergriff ich das Wort. Mich erregte ihr sehr eng geschnittener Schlafanzug so unbeschreiblich, dass ich nicht anders konnte und sie zum Essen einlud. Wer läuft denn am Nachmittag mit einem Schlafanzug herum? So etwas ist auch nur in einer WG möglich.
Der Umstand, dass ich absolut pleite war, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Zum Glück war ich nicht unbegabt im Kochen und so schlug ich später vor, dass wir doch alle miteinander kochen könnten. Wir schnappten unsere Jacken und liefen zum nächsten Supermarkt. Mein Freund sprach mich auf meine Aktion an. Ich wusste, dass er mit ihr geschlafen hatte, denn er versuchte mir diese Person auszureden. Zudem kam noch, dass er einen riesen Schwanz sein Eigen nannte und ich nicht wusste, ob sie darauf Wert legte. Verrückt sei sie und ein männerfressendes Ungeheuer, versuchte er mir in den Kopf zu pflanzen, wobei er sehr viele Wörter aus dem Sprachgebrauch der Fantasy-Liebhaber benutzte. Wir waren schon in der Schule die Außenseiter gewesen. Leider hatte er sich nicht verändert und es wunderte mich, dass er es geschafft hatte, diese Person ins Bett zu kriegen, auch wenn es ihr und nicht sein Bett war.
Während wir aßen, kam ich mit ihr ins Gespräch. Leider war sie keine Studentin, das hörte man sofort an ihrer naiven Sprache. Lehrling für das Schneiderhandwerk schien mir aber auch interessant genug, um meine Gedanken um ihre Person kreisen zu lassen. Sie sah perfekt aus, jedenfalls für mich. Ich stehe auf Frauen mit einem markantem Gesicht, dass mich immer an die Klassik des 18. Jahrhundert erinnert: Große Nase, ein kräftiges Kinn und ein durchdringender Blick aus traurigen Augen. Außerdem war ihr Hintern rund und sagte mir die ganze Zeit: „Gib mir einen Klaps!“ Noch drei Stunden und ein paar Gläser Wein, dachte ich, und ich werde dir einen Klaps verpassen. Während sie mir auf dem Balkon, wo wir nach dem Essen eine Zigarette rauchten, von ihrer schweren Jugend und ihrer verlassenen Mutter erzählte, malte ich mir aus, was sie mit diesen Lippen alles machen konnte und was mein Mund mit ihr anstellen könnte. Wieder im Warmen zog sie ihre Ärmel zurück und gab mir ihre zerschnittenen Arme Preis. Da ich den Ablauf dieser Provokation aus meinen früheren Verhältnissen zu diesem Typ Frau kenne, ignorierte ich ihre Andeutung. Ich sah es mir an und kämpfte allerdings heftig gegen meine Helfernatur. Ich wollte doch nur Sex und keine Nacht mit Geheul. Außerdem konnte sich mein Freund mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Probleme auch schon anhören und auch der Typ vor ihm. Dieses ständige Gerede über ihre Probleme hätte sie in diesem Moment wohl genossen, wenn ich angebissen hätte, aber da ich wusste, dass ich am nächsten Morgen für sie uninteressant wäre, da sie meine Ratschläge nicht in sich aufgenommen hätte, sagte ich nichts. Dafür war ich mir in diesem Moment einfach zu Schade. Außerdem machte mich eine hilflose Person, die ich benutzen konnte, einfach mehr an, als das Gefühl, jemandem geholfen zu haben.
Im Laufe des Abends landeten wir in ihrem Zimmer, in dem vier Katzen lebten, darunter eine vollkommen nackte, die aussah wie eine riesige Ratte. Widerlich! Dieses Zimmer war voll von Popkultur-Mist. Poster von angesagten Plastik-Pop-Stars versteckten die rot gestrichenen Wände. Wozu hatte sie ihrem Zimmer überhaupt eine Farbe verpasst? Es gab wenig Bücher, aber ein großes Bett, auf dem irgendeine Bettwäsche mit chinesischen Symbolen war. Leider kannte ich diese Atmosphäre schon von anderen Frauen mit diesen „Problemchen“. Alle waren sehr vielseitig interessiert, aber nie tiefgründig in die Materie gegangen. Eine schöne Parallele zu ihren Männergeschichten.
Ich zerbrach ein Glas und Schnitt mir in den Finger. Der Alkohol hat es mir aus der Hand gerissen. Sofort holte sie Verbandszeug und versorgte meine Schnittwunde. Mein Freund lag schon in seinem Zimmer auf einem feuchten Kissen; ich hatte keine Lust ihn ins Bad zu schleppen. Er hätte eben nicht so viel saufen sollen. Ich nutzte die Situation und meine lockere Zunge, um sie auf ihre „Probleme“ anzusprechen. Es kam sofort ein gut gelernter, ausbalancierter und dramaturgisch perfekter Schwall von Belanglosigkeiten. Dinge, die man nur in Ländern als Probleme definiert, welche fette Menschen beherbergen. Wenn jeder für seine Grundbedürfnisse sorgen müsste, hätte man keine Zeit über einen Sinn oder gar über die Frage nachzudenken, ob man fettarme oder Vollmilch kaufen soll. Nach einer Stunde des Nickens und Traurig-Drein-Schauens nervte sie mich. Ich gab ihr keinen Rat und versuchte ihr auch nicht zu helfen, sondern gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Zum Glück suchte sie auch jemanden fürs Bett. Ich war zu betrunken, um mir eine Wertung dieses Aktes erlauben zu können. Aber ich glaube ich kann mich an ein schönes Erlebnis erinnern. Der Alkohol riss mich auf ihrem Bett nieder und ich schlief ein.
Eine kalte Hand weckte mich so sanft es ging. Es begann bereits Tag zu werden und etwas mürrisch fragte ich, was los sei. Sie weinte ganz sanft und fragte mich, warum ich nicht versucht habe ihr helfen zu wollen. Ich bin ein ehrlicher Mensch und beschrieb ihr meine Meinung über Personen mit dieser Krankheit. Ich beschrieb ihr auch die Erfahrung mit einem bestellten Krankenwagen, aufgrund eines Suizidversuchs, der sich als Eifersuchtsattacke herausgestellt hatte, was sich in meinen früheren Beziehungen des Öfteren wiederholte. Ich beschrieb die Feigheit eines Menschen sich selbst zu verletzen und doch nicht dem Tod ins Gesicht sehen zu können. Dann sagte ich, dass es besser wäre mich als keinen guten Menschen zu sehen und mich endlich schlafen zu lassen.
Als ich erwachte, lag ihre nackte Katze auf mir. Ich stieß sie unsanft herunter und bemerkte eine große Leere in diesem Bett. Ich quälte mich aus dem Bett und wankte ins Badezimmer. Mir dröhnte der Schädel und meine Gedanken fixierten sich auf das Pinkeln, was mir bevor stand. Es war bitter kalt in diesem Badezimmer…typisch WG. Während ich mich hoffentlich vor der Toilette erleichterte, verschwand der Film vor meinen Augen und ich sah neben mir jemanden in der Duschkabine sitzen. Sofort steckte ich mein bestes Stück wieder in meine Unterhose, die daraufhin sofort nass wurde. Ich konnte nur ein zerkratztes „Entschuldigung“ herausbringen. Auf dem Weg nach Draußen arbeitete mein Verstand plötzlich auf Hochtouren und gab mir zu verstehen, dass kein Wasser in der Dusche lief. Ich öffnete die Schiebetür und sah eine bleiche Gestallt in einem engen Schlafanzug. Zwei Schnitte hatten ihr genügt, um ein Stück Aufmerksamkeit von mir zu bekommen. Panik kroch in mir hoch und ich rannte aus dem Badezimmer in das Zimmer meines Freundes, schnappte meine Sachen und rannte schlampig angezogen zum Bahnhof.
Seit drei Tagen liege ich in meinem Bett und betrinke mich bis zur Besinnungslosigkeit. Zur morgendlichen Reue gesellt sich nun noch die Erinnerung an meine eigenen Worte an diesem Morgen. Denn ich bin der Feigling. Das muss ich mir sogar im Rausch eingestehen.