Die Nacht, in der mich verliebte
Es war eine warme Sommernacht, kurz vor zwei Uhr, als ich Mascha kennenlernte. Ich war bei Kumpels auf einer Party gewesen und fuhr mit der S-Bahn nach Hause. Die Batterien von meinem Walkman waren leer und ich war müde, deshalb versuchte ich ein bisschen zu schlafen, ich musste ja erst bei der Endstation raus.
In der S-Bahn waren fast keine Leute mehr: ein paar Studenten, drei Frauen mit verrutschtem Make-up, so um die 30, und zwei besoffene Fussballfans, deren Verein wahrscheinlich verloren hatte.
Ein Mädchen mit roten Kringellocken stieg ein. Sie sah nicht älter aus als ich und ich wunderte mich, warum sie um diese Zeit allein unterwegs war.
Sie hockte sich in der Nähe von mir auf einen Platz am Fenster und schaute in die klare Sternennacht hinaus.
Nach ein paar Minuten kam einer der Besoffenen in meine Richtung getorkelt. Sogar von meinem Platz aus roch ich seine Fahne, dass der noch laufen konnte, war ein Wunder.
Der Typ ließ sich neben das Mädchen fallen und lallte irgendwas von "süße Maus" und "ne Nummer schieben".
Sie sagte laut: "Lassen Sie mich in Ruhe."
Ihre Stimme klang selbstsicher, aber an ihrem Blick sah ich, dass sie Angst hatte. Der Typ lachte nur und berührte ihre Haare. Sie wollte aufstehen und weggehen, aber er hielt sie fest und zerrte an ihrer Jacke. Sie schrie und ich sprang wie auf Kommando auf, um ihr zu helfen.
Ich packte den Kerl von hinten und riß ihn von dem Mädchen weg.
Er versuchte mich zu schlagen, aber er zielte daneben. Die S-Bahn hielt und ich schaffte es, ihn nach draußen zu befördern.
Dann ging ich wieder rein zu dem Mädchen. Sie saß mit angezogenen Beinen da und hatte den Kopf auf die Knie gelegt. "Es ist alles wieder okay, er ist weg" flüsterte ich. Sie weinte und zitterte ziemlich. Ich wußte nicht was ich machen sollte, aber dann nahm ich sie einfach in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. Sie beruhigte sich nach einer Weile und ich gab ihr ein Taschentuch. „Danke.“
"Endstation - bitte alle aussteigen!" Ich nahm ihren Rucksack und wir stiegen aus. Es war irgendwie selbstverständlich, dass ich sie nach Hause begleitete.
Wir liefen schweigend nebeneinander her. Aber es war nicht peinlich. Es war eher so, als ob wir uns schon ewig kannten und es gerade nicht nötig war, etwas zu sagen.
Nach einiger Zeit waren wir in einem Mehrfamilienhaus gelandet und sie schloß eine Wohnungstür auf und ging rein. Ich stand vor der offenen Tür mit ihrem Rucksack in der Hand und wusste mal wieder nicht, was ich tun sollte. Ich war noch nie in so einer Situation, beschloß aber, ihr hinterherzugehen. Ich stellte ihren Rucksack im Flur ab und schaute durch die offene Tür in das Zimmer, in das sie gegangen war.
Sie saß in einem blauen Ledersessel, hatte den Kopf angelehnt und die Augen geschlossen. Ich betrachtete ihr Gesicht. Ihre Locken fielen auf die roten Wangen. Ihre Wimpern hatten einen goldenen Schimmer und ihre Lippen waren schön geschwungen und sahen sehr weich aus. Mir fiel Dornröschen ein und ich hätte sie am liebsten geküsst. Da öffnete sie die Augen und sah mich an. Ich wurde rot. Sie hatte blaue Augen.
Ich konnte nicht aufhören sie anzustarren. Sie lächelte. "Du kannst dich auch hinsetzen, wenn du magst."
Ich stand immer noch im Türrahmen.
Dann saßen wir zusammen auf dem Sofa und sie sagte, sie war so froh, dass ich vorhin da war und auch dass ich jetzt noch da bin, sie wäre jetzt nicht so gern alleine und ihre Eltern sind zur Zeit weg. Mascha erzählte mir, dass sie erst vor kurzem hierher gezogen ist und dass sie eine ihrer alten Freundinnen besucht hatte und es später geworden war, als geplant. Sie erzählte immer weiter mit ihrer klaren sympathischen Stimme. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können.
Innerhalb kurzer Zeit wusste ich, dass sie am 7.Dezember 17 wird, dass ihre Katze Lulu heißt und total verschmust ist, dass ihr Opa Portugiese war und sie Walnüsse liebt. Außerdem mal sie und will nach dem Abi Design studieren. Und sie bekommt kleine Fältchen um die Augen, wenn sie lacht.
Irgendwie war Mascha anders als die Mädchen die ich kannte, ich konnte mit ihr einfach so reden, musste nicht überlegen, was ich als nächstes sagen sollte und erzählte ihr einfach alles was mir gerade einfiel. Wenn sie mich ansah, schlug mein Herz schneller. Es war wie im Traum. Ich hatte mich verliebt.
Irgendwann gähnten wir immer öfter und sie sagte, sie geht jetzt mal lieber ins Bett bevor sie auf dem Sofa einschläft. Sie stand auf und ich sagte: "Zeigst du mir noch dein Zimmer?"
Ihr Zimmer war groß und gemütlich eingerichtet. Die Möbel waren aus hellem Holz oder bunt gestrichen und sie hatte unzählige große und kleine Palmen rumstehen. An den Wänden hingen schöne bunte Bilder. Auf den meisten Bildern waren Landschaften mit Menschen im Vordergrund, aber auf einem war nur ein kleines Mädchen dass über das ganze Gesicht grinste. Man wusste bei jeder Person genau was sie fühlte.
Sie setzte sich aufs Bett und ich mich neben sie. Ich sagte: „Du hast total viel Talent. Hast du schon mal daran gedacht, Bilder von dir zu verkaufen? Du wärst Millionärin und würdest in Kalifornien den ganzen Tag an deinem eigenen Strand in der Sonne liegen!" Mascha lachte und schaute mich lange an. „Du bist was ganz besonderes, Mascha.“ Meine Stimme klang rauh. „Und ich bin gerade dabei, mich in dich zu verlieben.“
Dann küssten wir uns zum ersten Mal.