- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Die Nacht der Schweine
„Nicht mal der miserabelste Filmheld aller Zeiten aus ’nem drittklassigen B-Movie lügt seinem Chef was vor“, protestierte Daryl Ostyn nach dem vierten Whisky Sour an seinen Kopfgeldjäger-Partner Leif MacNeechee gewandt, während er mit einer Fingerbewegung den fünften orderte, „selbst wenn er den Urlaub dreimal so nötig hätte wie wir. Der Boss findet’s immer raus und wir sind dann diejenigen, denen der Allerwerteste aufgerissen wird, egal wie viel wir vorher malocht haben.“
Leif rammte sich eine neue Zigarette in den Mundwinkel, zündete sie an, grinste mit halb geschlossenen Augen und zog dann sein Handy aus der Hemdtasche, auf dem immer noch das Bild der künstlich aufgeschütteten Urlaubsinsel „Relaxxx“ in Form einer Sonnenbrille leuchtete.
„Weißt du, was dein Problem ist, Daryl? Du gehst niemals Risiken ein. Teddy Reiss kann nicht wissen, dass sich der Inseljob bereits erledigt hat, und wer will schon nach Dubai? Entspann dich und überlass den Rest mir.“ Mit diesen Worten schlug er Ostyn auf die muskulöse Schulter und marschierte in die schwüle Nachtluft hinaus, einige Meter neben der Bar, wo der Netzempfang besser war.
„Vergiss nicht, Weiber zu erwähnen, sonst kauft dir Reiss die Geschichte nie ab“, rief ihm Daryl hinterher.
Leif hob im Hinausgehen den Arm, um anzudeuten, dass er schon wisse, was er tue und das schwache Geschlecht ohnehin nie vergessen würde.
„MacNeechee hier“, meldete sich Leif, als der Chef abhob. „Wir sind auf dem Bügel. Affenhitze, jede Menge Palmen überall, kobaltblaues Meer, und die Frauen hier … was? Na der Bügel der Brille.“
„Ach so. Ihr wisst, dass ihr schnell sein müsst, vergeudet also keine Zeit mit Frauengeschichten“, drängte Reiss. Er machte Stress, aber das war nichts Neues.
„Klar doch, Chef, wie immer. Wollte nur Bescheid geben, dass wir uns gleich dahinterklemmen. Sobald Bishop auftaucht oder sich die Lage ändert, melden wir uns wieder. Muss Schluss machen, der Akku gibt gleich den Geist auf.“
„Euch ist klar, dass die Auftragslage derzeit alles andere als rosig ist, und auch wenn Bishop nur ein kleiner Fisch ist und nicht viel einbringt, ist er besser als nichts“, mahnte Ted Reiss.
„Jaaa“, sagte Leif gedehnt, rollte mit den Augen und klappte das Handy mit dem Inselbild zusammen. Der Chef hatte sich noch nie die Mühe gemacht, einen Anruf zurückzuverfolgen, zudem wäre das Gespräch ohnehin zu kurz gewesen, um den Ort aufspüren zu können.
Er sog erneut an der Kippe, gesellte sich schließlich wieder neben Daryl in das ‚Grüne Cembalo’, das nur etwa fünfzig Kilometer von ihrer Zentrale entfernt in einer kleineren Stadt lag. Dort würde sie niemand vermuten oder erkennen, sie konnten entspannt ein paar Tage relaxen und danach melden, jemand anderer hätte ihnen den Job vor der Nase weggeschnappt und reumütig den Rückweg antreten.
Wären die Schweine nicht gewesen, hätte der Plan sogar funktionieren können. Leif und Daryl kippten noch ein paar Drinks und verließen die Bar um etwa drei Uhr nachts, torkelten die Straße entlang in der ungewissen Hoffnung, ein Motel aufzuspüren.
Um die fahlen Lichter der Straßenlaternen flatterten Nachtfalter, eine Ahnung von Regen lag in der Luft, als sich plötzlich eine Horde leuchtender Gestalten aus den Schatten der Lampen löste, grunzend, stinkend und aufdringlich. Die Wesen kamen geschlossen auf die beiden zu, umringten sie.
„War der Stoff so billig, dass ich schon Gespenster sehe?“, lallte Daryl, während Leif sich eine neue Zigarette anzündete und den Kopf drehte.
„Du bist nicht allein, Kumpel. Ich seh’s auch“, sagte er und blies dann den Rauch kringelförmig wieder heraus. „Boah, die Viecher stinken bestialisch“, ergänzte er und wedelte demonstrativ mit der Hand vor der Nase herum.
Leif wollte weitergehen, doch ein Eber mit fluoreszierenden Hauern und leuchtendem Rüssel versperrte ihm den Weg, Daryl erging es nicht anders.
„Was zum Teufel …“, begann Leif, kam aber nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn in diesem Augenblick fiel die Meute über sie her.
Daryl langte eben nach seiner Smith&Wesson, als ihm ein Wildschwein zuvorkam, einen so heftigen Stoß versetzte, dass er strauchelte und schließlich zu Boden ging. Leif konnte vier erschießen, aber für jedes Tier, das er tötete, kamen drei, vier nach, gleich einem abgeschmackten Horrorstreifen. Bald lag auch er auf der Erde und versuchte, nur noch mit Händen und Füßen bewaffnet, der grunzenden Horde zu trotzen.
Eine Viertelstunde später war alles vorbei, die Lampen wieder die einzigen Lichtquellen. Daryl und Leif lagen wie stumme Zeugnisse einer Schlacht auf dem Gehsteig und bluteten lautlos vor sich hin, während die Wunden zu leuchten anfingen.
„Er kommt zu sich. Denken Sie daran, ihn nicht zu überfordern“, sagte die Krankenschwester und schloss die Tür hinter sich.
Leif öffnete die Augen und sah die Gesichter von Ted Reiss und Zoe Black, die ihn mit einem Blick anstarrten, der Besorgnis und Anklage zugleich verriet. Er drehte den Kopf zur Seite und erblickte Daryl in einem Bett neben sich, dessen Hände grüngelblich leuchteten, er schien zu schlafen. Nach mehrmaligem Blinzeln gab er es auf, das Leuchten blieb.
„Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern, MacNeechee?“, wollte Reiss wissen. Der Boss ihres kleinen Teams hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und wippte mit den Füßen vor und zurück wie ein Cowboy. Eine scheinbar harmlose Frage, doch Leif wusste es besser. Der Boss war stinksauer.
„Äh, ich glaube, die Wildschweine. Die Mistviecher haben uns angegriffen.“
„Sie haben noch etwas anderes getan. Gucken Sie mal auf ihre Hände.“
Leif erkannte, dass auch seine eigenen Hände fluoreszierten. Er begann zu lachen.
„Was ist so komisch?“, erkundigte sich Zoe erstmals.
„Das ist wohl ein Trick, um uns die Flunkerei heimzuzahlen? He, Daryl, wach auf, das musst du dir ansehen! Nicht schlecht der Effekt, wie funktioniert das?“ Er lachte weiter, ohne die grimmigen Gesichter der beiden Stehenden zu bemerken.
„Wir haben nichts damit zu tun. Schuld sind die Schweine. Hören Sie zu, MacNeechee, das ist wichtig, und verkneifen Sie sich Ihr einfältiges Gelächter“, begann Reiss und sprach weiter, als Leifs Lachen erstorben war, „die Wildschweine in dieser Gegend haben sich mit Schweinen gekreuzt, die aus einem Labor ausgebüchst waren, denen als Embryos fluoreszierende Proteine injiziert worden waren. Sie wissen so gut wie jeder andere, dass Wildschweine immer öfter die Städte heimsuchen, nicht wahr?“
„Ähm, ja.“ Leifs Magengrube war inzwischen taub geworden.
„Irgendwie sind diese Proteine in sie beide übergegangen, wahrscheinlich durch die Verletzungen. Die Ärzte sagen, dass eine Art Verschmelzung stattgefunden hat und diese nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.“
„Jetzt Sie verarschen mich, oder?“
Zoe und Reiss schwiegen. Sie meinten es ernst.
„Großartig, dann sind wir jetzt so was wie lebendige Taschenlampen, wie?“
„Zumindest tragen Sie keinen Schaden davon, wenigstens keinen körperlichen, soweit man das jetzt schon sagen kann. Und das Leuchten ist auf Hände und Füße begrenzt.“ Reiss zuckte die Achseln. „Wie Sie allerdings Ihren Job weiter erledigen wollen, ist eine andere Sache.“
Ein halbes Jahr später zählten Leif MacNeechee und Daryl Ostyn zu den besten Kopfgeldjägern ihres Berufsstandes, was auf die Tatsache zurückzuführen war, dass die Proteine nicht nur leuchten, sondern auch Erleuchtung gebracht hatten, Sinne und Reflexe waren enorm geschärft worden.
Der Handschuhverkäufer um die Ecke machte die fettesten Umsätze seiner Laufbahn und eröffnete eine zweite Filiale.