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Die Mumie in der Drehtür
Die Mumie in der Drehtür
Es gibt Dinge im Leben, die sollte man besser lassen. Tut man sie doch, sollte man sich über die Folgen nicht wundern. Wir wissen nicht, wie Hiob darüber dachte: Er ist jetzt tot.
Das kam so. Hiob wurde von einer automatischen Drehtür erdrückt, als er ein überlanges Gepäckstück durchschieben wollte. So was tut ein vernünftiger Mensch nicht, weil das unangenehme Folgen haben kann. Hiob zählte aber nicht zum vernünftigen Teil seiner Spezies. Obendrein hatte er es auch sehr eilig.
Hiob war permanent in Eile. Er hatte einen außerordentlich unsteten Charakter. Zweimal geschieden, Vater von drei unehelichen Kindern verschiedener Mütter, immer knapp bei Kasse und jetzt dass: Ganz unplanmäßig von einer Drehtür platt gemacht.
Hiob, das muss man an dieser Stelle doch noch zu seinen Gunsten erwähnen, hatte keine Reiseerfahrungen in Begleitung von Mumien. Und wer macht sich schon Gedanken über die Verträglichkeit dieser alten ägyptischen Hinterlassenschaften mit modernen Drehtüren?
Bevor sich Hiob dem Handel mit Mumien zuwandte, verkaufte er Investmentfonds. Einige Anleger kamen aber dahinter, dass sie nur in Hiobs ausschweifenden Lebenswandel investiert hatten und nicht ins lukrative Offshore-Banking, wie versprochen. Wegen Betrugs saß Hiob ein Jahr lang im Gefängnis. Rekapitulierend muss man über Hiob sagen, dass er vieles in seinem knapp dreißig Jahre dauernden Leben angefangen hatte. Nun führte er auch das erste Mal etwas zu Ende; und wenn es nur sein eigenes Leben war.
Jetzt wo Hiob im Leichenschauhaus liegt, bis die Bestattungsformalitäten und die Sache mit der Mumie erledigt sind, sollte man mit ihm etwas nachsichtig sein. Schließlich stand er nach aufwändigen Vorbereitungen kurz davor, eine Million US-Dollar zu kassieren. Wer würde sich da schon groß um die Verträglichkeit einer Drehtür mit einer Mumie kümmern?
Hiobs Weg bis zum unvorhersehbaren Ende an der Drehtür war kein leichter. Zuerst musste er bei einer Spezialfirma anheuern, die Exponate von Museen verpackte, die zu Ausstellungszwecken versandt wurden. Bei Hiobs nicht eben gutbürgerlicher Biografie erforderte die Einstellung seine ganze Fantasie. Seinem Labtop entlockte er astreine Referenzschreiben namhafter Galerien aus dem In- und Ausland. Auch schaffte er es, mit säuberlich gefälschten Dokumenten den Nachweis zu erbringen, dass er einige Semester Archäologie studiert hatte.
Das Vorstellungsgespräch für den Job verlief ganz nach Plan. Seine sorgfältig eingeübten, Fach bezogenen Antworten auf die gestellten Fragen hinterließen den nötigen Eindruck, um die Anstellung zu erhalten. In absoluter Rekordzeit arbeitete er sich in der Firma in eine Vertrauensstellung hoch.
Die Einstellung bei der Spezialfirma für die Spedition kostbarer Antiquitäten erfolgte ziemlich genau sechs Monate vor dem unvorhergesehenen Ableben Hiobs an der Drehtür. Zwei Monate zuvor hatte er in einer Bar einen Chinesen kennen gelernt, der illegal mit abgesägten Hörnern von Rhinozerossen handelte, die als Aphrodisiakum vornehmlich nach Asien verschickt wurden. Mumien, sagte ihm der Chinese mit bedeutungsvoller Gestik, seien der absolute Renner in der Branche. Dafür würden Millionen von Dollars bezahlt, vor allem für ägyptische Mumien.
Hiob hatte wie immer, wenn er mit sonderbaren Leuten zusammentraf, über Geschäfte redete und gerade ohne Job war, sofort eine Idee.
Mumien, Millionen von Dollars, da müsste doch was zu machen sein, dachte Hiob und fragte den Chinesen, was denn genau mit den Mumien geschähe. Er konnte es sich nicht vorstellen, dass Mumien dem Geschlechtstrieb förderlich sein sollten, wenn man sich mit ihnen zusammen ins Bett legte. Der Chinese klärte Hiob darüber auf, dass die Mumie in geheimen Werkstätten pulverisiert und das so gewonnene Aphrodisiakum von Leuten mit Potenzproblemen eingenommen würde.
Hiob war diese Art von Triebstimulierung zwar nicht sympathisch, aber Geld konnte man allemal damit verdienen. Hiob machte die Sache heiß, zumal das archäologische Museum in der Stadt, wo er wohnte, eine große ägyptologische Abteilung mit mehreren Mumien hatte, die auch immer wieder zu Ausstellungen verschickt wurden. Seinem Plan etwas voraus greifend, erzählte er dem Chinesen, dass er beruflich mit Mumien immer wieder in Kontakt kommen würde und vielleicht mal so ein Ding abzweigen könnte, im Dienste der Potenzförderung.
Der Chinese wurden nun seinerseits heiß und verriet Hiob, dass er schon eine Reihe von vermögenden Endverbrauchern für ein solches Aphrodisiakum an der Hand hätte. Nur, er, Hiob, müsste die Ware diskret beschaffen und sicher liefern können. Hiob bat sich ein bisschen Zeit aus. Der Chinese gab ihm seine Visitenkarte, für den Fall, dass er auch wirklich eine Mumie liefern könne.
Es verstrich nur geraume Zeit und Hiob konnte. Die Spezialfirma, für welche er arbeitete, verschickte just ein paar Mumien samt Grabbeigaben für eine Ausstellung im Ausland. Hiob zweigte bei den Verpackungsarbeiten geschickt eine Mumie ab, was zunächst wegen seiner Vertrauensstellung in der Firma überhaupt nicht auffiel.
Zuvor hatte er sich einen falschen Pass fabriziert und beschlossen, künftig sein Domizil Tausende von Kilometern entfernt von seinem bisherigen Wirkungskreis einzurichten.
Er kontaktierte den Chinesen und vereinbarte, ihn mit der Ware in einer großen Stadt zu treffen. Dort sollte er bei Übergabe der Ware eine Million Dollar cash erhalten. Damit wollte sich Hiob, ausgestattet mit neuer Identität, auf die südliche Halbkugel absetzen.
Das Hotel in der Stadt, wo Hiob den Chinesen zwecks Übergabe der kostbaren Ware und Entgegennehmens der Million Dollar treffen sollte, hatte eine Drehtür. Das kümmert Hiob nicht weiter. Als eiliger Mensch mit festem Ziel achtet man wenig auf die Beschaffenheit von Hoteleingängen. Man geht einfach durch.
War es nun der Fluch der Mumie oder der Fehler von Hiob? Für die Polizei, die den Todesfall und seine Hintergründe aufzuklären hatte, stellte sich weder die eine noch die andere Frage.
Fest stand relativ schnell, dass die Tasche mit der Mumie um wenige Zentimeter zu lang war für die Drehtürkammer. Als Hiob durch Hochkantstellen des Gepäckstücks das Problem lösen wollte, dessen Grund vielleicht auch ein bisschen darin lag, dass sich hier unvermittelt zwei weit auseinander liegende Zeitepochen begegneten, erfasste ihn einer der umlaufenden Türflügel im Rücken und drückte ihn gegen das Türgehäuse.
Die technische Untersuchung ergab, dass die Sicherheits-Sensoren, die bei solchen Missgeschicken den Drehmotor sofort hätten abstellen sollen, defekt waren und nicht reagierten.
Als kausale Ursache für den Tod von Hiob wurde vom Gerichtsmediziner ein Genickbruch festgestellt.