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Die Mondelefanten
Die Mondelefanten
Der Anführer der Mondelefanten trug den schönen Namen Salvador. Seine riesige Herde hatte den ganzen Mond für sich. Nur sie und das klare Wasser unzähliger Seen und die hohen grünen Bäume mit ihren gewaltigen Kronen voller schmackhafter Blätter. Die zarten und süßen Blätter dieser Mondbäume hingen ausgerechnet ganz oben in den Baumkronen. So war es nicht einfach, diese begehrten Leckerbissen zu erreichen. Doch zum Glück hatten die Mondelefanten lange Beine, länger und dünner als die Stelzen, auf denen Zirkusclowns herumlaufen. Mit denen staksten sie tagein tagaus durch die Mondwälder, wie Störche über die Wiesen. Und weil es keine gefährlichen Tiere auf dem Mond gab, vor denen sie sich in Acht nehmen mussten, hatten sie nicht viel zu tun, außer sich zu vermehren, auf ihren langen Beinen zu staksen, all die köstlichen Blätter aus den Baumkronen zu fressen, und mit ihren langen Rüsseln kristallklares Wasser aus den Teichen zu schlürfen.
Sie lebten üppig und zufrieden, wurden dick und dicker, bis sich niemand mehr an die Warnung ihrer Ahnen zu erinnern vermochte, dass all die Köstlichkeiten auf ihrem kleinen Mond wie Schätze zu achten sind. Sie fraßen zu ihrem Vergnügen viel mehr als nötig war. Sie mampften und stopften Blätter und Zweige in sich hinein, auch wenn sie schon längst satt waren.
So kam es eines Tages, dass sie statt zarter Blätter nur noch die zähen Stümpfe der Bäume fanden, und um ihren Durst zu stillen, mussten sie statt aus den klaren Seen und Teichen zu schlürfen, den Mond nach Resten von Wasser umwühlen, bis er aussah wie eine von Kratern vernarbte Steinwüste. Die Herde litt Hunger und Durst, Salvador suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer misslichen Lage und irgendwann fiel sein Blick auf die Erde. Soviel Blau, soviel Grün, staunte er und eilte voller Hoffnung zu seiner Herde, um von seiner Entdeckung, dem neuen Paradies, zu berichten.
„Seht doch“, begann er noch ganz außer Atem und zeigte mit seinem langen Rüssel auf die blaugrüne Kugel, „sie ist voll köstlichem Wasser und mit grünen Kontinenten!“
Die Mondelefanten hörten ihm gar nicht richtig zu. Sie wühlten im trockenen Boden nach Wasser, dass es nur so staubte. Einige der Älteren, die sich für Weise hielten, murmelten „wissen wir alles schon, nützt uns gar nichts.“
Enttäuscht ließ Salvador seinen Rüssel hängen. „Was sollte nur aus ihnen werden?", fragte er sich kummervoll. „Ich bin eben ein schlechter Herdenführer“, stöhnte er leise und merkte nicht, wie sich neugierig die Kinderschar um ihn herum versammelte.
Ein besonders mutiger Junge stupste ihn mit dem Rüssel an.
"Aber wie kommen wir denn dort hin?", fragte er hungrig und verzweifelt seinen Anführer.
Salvador war diese Frage gar nicht recht, wusste er doch keine Antwort darauf.
„Ja, wir müssen dort irgendwie hinkommen, sonst verhungern wir“, riefen nun die Kinder im Chor. Salvador wurde ganz unwohl in seiner dicken Haut.
„Wir könnten, hatschi, doch vielleicht, hatschi, springen“, meldete sich zwischendrin die piepsige Stimme des kleinsten Mondelefanten-Kindes, und plötzlich verstummten alle.
„Springen?“, fragte der große Salvador und schaute an seinen langen Beinen herunter. Das Kleine war im wirbelnden Staub kaum zu erkennen.
„Hatschi“, nieste es wieder und streckte seinen kurzen, dünnen Rüssel so hoch es ging, um ein wenig saubere Luft zu erhaschen.
Salvador dachte über diesen dreisten Vorschlag nach. Eigentlich blieb nichts anderes übrig, als den weiten Sprung zu wagen. Wenn er gelingt, kann seine Herde nachkommen lassen, und alle sind gerettet, wenn er misslingt, dann werden sie einen anderen zum Anführer machen, dann gilt er als der jämmerlichste Boss aller Zeiten.
Doch er konnte sich sogleich beruhigen, denn plötzlich hatte er eine wunderbare Idee.
„Jetzt hört mal alle zu“, trompetete er so laut, dass sogar die Alten ihre Köpfe erhoben. Solche lauten und selbstsicheren Töne hatten sie von Salvador lange nicht mehr gehört.
"Also wir machen folgendes: Wir springen ganz einfach", erklärte er. "Wir haben doch lange Beine und mit unseren großen Ohren segeln wir sanft zu Boden. Und damit ihr seht wie leicht das geht, springe ich als erster."
Lobendes Trompeten erscholl von allen Seiten. Doch so richtig wohl in seiner Haut fühlte sich Salvador immer noch nicht. Nicht dass er Angst hatte, nein, natürlich nicht, er war der große Salvador, aber ein paar Zweifel hatte er schon, ein paar kleine lästig zwickende Zweifelchen.
Aber alles Zaudern half nicht, und was ein richtiger Mondelefant ist, der steht zu seinem Wort. Er saugte noch ein letztes Mal tief Luft durch seinen Rüssel, drehte sich um, nahm mit seinen langen Beinen gewaltigen Anlauf und sprang so weit er konnte. Er flog und breitete schnell seine großen grauen Ohren aus. Langsam, ja fast majestätisch segelte er nun seiner neuen Heimat entgegen. „Juhu! Es wird gelingen, ich werde der beste Mondelefantenherdenführer aller Zeiten“, jubelte er. Salvador glaubte, seine Freude würde nie ein Ende finden, bis ihm plötzlich etwas unheimlich wurde.
Je näher er der wunderbaren Kugel kam, desto größer wurde sie; und je größer sie wurde, desto schneller fiel er auf sie zu.
„Oh, Oh! Das wird nix!“, rief er nach einer Weile, „das wird nix!“ und fiel wie ein Stein zur Erde. Aufgeregt flatterte er mit seinen Ohren. „Puh“, das war anstrengend.
Kurz bevor ihm die Puste ausging, spürte er, wie er tatsächlich langsamer wurde. Bald konnte er Einzelheiten seiner neuen Heimat erkennen. Die Bäume dort waren nicht so hoch wie früher die Mondbäume, dafür schienen die Blätter saftiger als er je gehofft hatte und die Teiche so randvoll mit kristallklarem Wasser, dass sein Durst schon allein vom hingucken gestillt wurde.
„Ja, ich bin der beste Anführer aller Zeiten“, jubelte er nun wieder voller Zuversicht. Und natürlich würde man ihm überall den Vortritt lassen, er würde als erster trinken, und seine Herde würde geduldig und mit Freude warten, bis er sich die zartesten und saftigsten Blätter herausgesucht hätte.
Als er die Erde nach einer Weile tatsächlich erreichte, war er immer noch ein wenig zu schnell. Er war ja kein Leichtgewicht. Seine langen dünnen Beine schoben sich zusammen, wurden kürzer und kürzer, bis er nur noch auf dicken Stumpen stand. Doch all das köstliche Wasser und die saftigen Blätter um ihn herum ließen ihn den Schmerz vergessen und er winkte mit seinen großen Ohren die hungrige und durstige Herde herbei.
Erst die Mutigen, einer nach dem Anderen, und als die Ängstlichsten unter ihnen endlich glauben konnten, wie einfach das Springen ist, sauste die ganze Herde wie ein aufgeregter Mückenschwarm auf den wartenden Salvador zu.
Als sich endlich alle um ihn versammelt hatten, erhob Salvador seinen Rüssel und trompetete freudestrahlend: „Nun fresst und trinkt soviel ...“
Da stupste ihn der kleinste Elefant doch schon wieder ans Bein.
„Was denn nun noch“, grummelte Salvador ärgerlich nach unten.
„Wir dürfen aber nicht wieder die Bäume bis zum Stumpf abfressen, sonst wachsen sie nicht mehr nach und ...“
„Ja, ja“, antwortete Salvador und wandte sich wieder zur Herde. „Hört mal Leute, dass ihr mir nicht alle Bäume bis zum Stumpf abfresst. Wir müssen diesmal darauf achten, dass die Natur sich auch erholen kann und nachwächst. Sonst stehen wir bald wieder mitten in einer kahlen Wüste!“
Schon wieder lobendes Trompeten von allen Seiten. Eine Elefantendame trat nach vorn, schwang ihren Rüssel im Takt, und so wurde aus dem stürmischen Durcheinander der Töne ein schönes Ständchen zum Dank für seinen Mut und die Rettung seiner Herde.
Von dem Tag an lebten die Elefanten bei uns auf der Erde. Einige wanderten sogar von Afrika bis nach Indien. Doch wo sie auch ihre Rüssel zur Ruhe betteten, blickten sie vor dem Einschlafen hinauf in den Nachthimmel.
Nur die Elefanten wissen, warum der Mond über unseren Köpfen so grau und kahl aussieht. Sonst niemand.