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Die Meise

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25.05.2014
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Die Meise

"Sie war ja eigentlich immer schon etwas seltsam, die Brigitte". Hilde beugte sich nah an Ellas Ohr, als sie das sagte.
Ella war schwerhörig. Und das im Besonderen, wenn sie ihr tausend Euro teures Hörgerät benutzen sollte.
"Bitte?!", fragte Ella mit der schon zittrigen Stimme des Alters zurück.
Sie hatte wieder mal nichts verstanden.
"Brigitte, sagte ich", wiederholte Hilde.
"Bitte?!", rief Ella erneut.
Gertraude amüsierte sich. Sie saßen zu dritt am Tisch und redeten über ihre verblichene Freundin Brigitte, die sie bereits vor einer kleinen Ewigkeit begraben hatten. Wann das genau war, konnte keine der drei so richtig sagen. In Wirklichkeit war es etwas über ein Jahr her.

Brigitte hatte für alles und jeden ein riesengroßes Herz gehabt. Sie konnte niemand leiden sehen, egal ob Mensch oder Tier. Das seien alles Gottes Geschöpfe, hatte sie gesagt. Und so war es gekommen, dass sie unter dem Baum vor ihrem Haus eines Tages im vergangenen Frühjahr eine verwaiste Meise fand, die noch kein richtiges Federkleid besaß und noch nicht fliegen konnte und verängstigt am Boden saß. Brigitte hatte den kleinen Vogel behutsam nach oben in ihre Wohnung getragen.
Als sie das Vögelchen betrachtete fragte sie sich plötzlich: Was futtert eigentlich so eine Meise?
Ihr Enkel Martin wusste bestimmt Rat. Der hatte so eine elektrische Schreibmaschine mit einem Fernseher dran, der kannte doch dieses Internet. Martin musste nicht lange suchen, bis er herausfand, dass Vögel in diesem Entwicklungsstadium alle halbe Stunden Nahrung brauchten und das am besten in Form von Insekten und Würmern. Und wichtig war, dass der Jungvogel Flüssigkeit bekam. Martin unterstützte seine Großmutter, wo er konnte und deshalb begab er sich in die Zoohandlung, um Würmer zu besorgen. Bei Mac Geiz erstand er eine kleine Pinzette und in seiner Bastelwerkstatt fand er eine kleine Spritze aus Kunststoff. Die war als Tränke für den kleinen Vogel bestimmt das Richtige.
Brigitte hatte von ihrem letzten Wellensittich noch den Bauer. Ein paar kleine Zweige und Blattwerk waren im Garten schnell gefunden und schon war ein neues Zuhause für die kleine Meise hergerichtet. Martin brachte die im Internet gefundenen Informationen mitsamt der Utensilien zu seiner Großmutter, die schon auf ihn wartete. Gemeinsam machten sie sich an die Fütterung. Der kleine Kerl war ausgehungert und sperrte seinen für so einen kleinen Vogel doch großen Schnabel immer wieder auf und nahm einen Wurm nach dem anderen von der Spitze der Pinzette und verschlang ihn. Martin hatte bereits Wasser in die Kunststoffspritze aufgezogen und drückte den Kolben nur so weit hinein, bis ein großer Wassertropfen an der Spitze hing. Brigitte hatte trotz ihrer fortgeschrittenen Demenz schnell gelernt, wie sie den Vogel zu füttern hatte, und das alle halbe Stunden. Sie brachte den Vogelbauer zu ihren Damenkränzchen mit. Am Anfang hatte sie sich einen ihrer Wecker gestellt, jetzt aber meldete sich die Meise von selbst, wenn die Zeit für Würmer reif war. Das ging über zwei Wochen so. Dann aber kam Brigitte plötzlich nicht mehr zum Kränzchen.
Die Freundinnen forschten am ersten Tag noch nicht nach, Brigitte war eben manchmal ein bisschen seltsam und so hatte es bestimmt seinen Grund, warum sie nicht zu ihrem Treffen erschien. Aber sie kam auch am darauffolgenden Tag nicht. Am dritten Tag kam Ella weinend zu den Freundinnen. Diese ahnten sofort, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste.
Die Beisetzung fand an einem verregneten Freitag statt. Ella wusste von ihrem Großvater, dass jemand nicht gern gestorben war, wenn es zu seiner Beerdigung regnete. Hilde und Gertraude nickten nur stumm und wischten sich jede eine Träne von der Wange. Was niemand wusste: Ella war die einzige von ihnen, die wusste, was geschehen war, aber sie hatte es niemandem berichtet. Bis heute nicht. Und die anderen zwei, Hilde und Gertraude, gaben sich damit zufrieden, dass Brigitte ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. Sie war eben schon immer etwas seltsam gewesen.

Heute, über ein Jahr später, war es Hilde, die plötzlich wissen wollte, wie Brigitte gestorben war. Sicher hatte sie keine allzu große Hoffnung, dass sich Ella erinnerte. Hilde nahm noch einmal Anlauf. Sie schrie Ella ihre Frage nach Brigittes Tod ins Ohr. Ella schnauzte Hilde an, sie müsse nicht so laut schreien, sie sei schließlich nicht taub. Die Freundinnen lachten herzlich.
"Weißt du es noch?", fragte Hilde nach.
Plötzlich begann Ella laut zu lachen und konnte sich nicht beruhigen. Hilde war sich sicher, dass es nun so weit sei mit Ella.
"Ihr wisst es wirklich nicht?", fragte Ella plötzlich spitzbübisch. Die beiden schüttelten den Kopf. Ella setzte sich mit ernst gewordener Miene aufrecht hin.
"Na, wegen der Meise", sagte Ella. "Die war beim Füttern in ihrer Wohnung flügge geworden und aus dem Bauer ausgebüxt. Das Fenster stand offen, Brigitte wollte die Meise wieder einfangen, muss sie auch gehabt haben."
Sie zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken. Dann folgte eine lange Pause. "Und?", Fragte Hilde.
"Was?", fragte Ella.
"Na, Brigitte", hakte Hilde nach.
"Bitte?!", fragte Ella mit der zittrigen Stimme des Alters und sah Hilde und Gertraude verständnislos an.

 

Hallo flammbert112,

danke für Deine schnelle Antwort und danke für Deine Meinung und Kritik. Ich muss hierzu etwas erklären. Auf die Idee zu dieser kleinen Geschichte bin ich gekommen, als ich letzte Woche in Würzburg auf Dienstreise bei einem Italiener gesessen und zu Abend gegessen hatte. Am Nebentisch erschienen 2 Damen, eine hatte einen Vogelbauer mit einer kleinen Meise dabei. Ich bekam mit, dass die Meise aus dem Nest gefallen war und wie sie gefüttert werden muss. Brigitte bringt also in meiner kleinen Geschichte den Vogelbauer auch mit zum Kränzchen.
Dass Brigitte zu Lebzeiten immer etwas seltsam gewesen ist, ist in der Geschichte eigentlich vollkommen nebensächlich.

 

Hallo khnebel,

mich hat deine Geschichte gleichzeitig berührt und belustigt :-)
Obwohl ich sagen muss, dass ich es gemein finde dass ich noch immer nicht weiß wie sie gestorben ist ;-)
Aber das Ende der Geschichte hält dem Leser das Recht offen sich seine eigene Gedanken zu machen und die mache ich mir.
Ich finde sie gut und freue mich dass ich sie lesen durfte.
LG bibisenta

 

Hallo Bibisenta,

danke für Deinen Kommentar und danke, dass Dir meine kleine Geschichte gefallen hat. Ich habe erst jetzt wieder angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben und ich nehme mir vor, dranzubleiben. Ich freue mich, dass ich diese Seite gefunden habe und möchte den Betreibern dieser Seite meinen Dank aussprechen, dass man sich hier ausprobieren kann und natürlich auch die Arbeiten Anderer lesen und beurteilen kann. Ich war vor etwa 40 Jahren im Zirkel schreibender Arbeiter, das hat mir damals viel Spaß gemacht, aber der Zirkel ist irgendwann zerfallen. Ich werde als nächstes bestimmt eine Geschichte von Dir lesen. Versprochen :)

LG khnebel

 

Hallo DelFin,

wie ich weiter oben schon geschrieben habe, geht es wirklich um eine kleine Meise. Ich fand die Situation fast grotesk, dass jemand mit dem Vogelbauer in eine Gaststätte geht und ihn (den Vogel) dort auch noch füttert. Von der Meise selbst habe ich Fotos gemacht. Ich bin dann in mein Hotelzimmer gegangen und hatte die Idee zu der Geschichte im Kopf und was macht man abends alleine im Hotel? Ehe man sich das "abwechslungsreiche" Programm im Fernsehen antut, kann man auch was nützliches machen. Aber Deine Interpretation ist auch nicht so weit her geholt. Tja, Lesen bietet eben Freiräume für Gedanken, das ist ja das Schöne daran.

LG khnebel

 

Willkommen bei den Wortkriegern khnebel!

Dein Einstand lässt durchblicken, dass deine Schreibkünste noch ein wenig eingerostet sind.

Ich fand die Idee zur Geschichte nett und auch die Pointe ist dir gelungen, wenn auch es etwas sonderbar ist, dass man aus dem Fenster fällt, um eine Meise einzufangen. Dazu gehören schon ein paar extra Turnübungen, um das zu schaffen. Aber ich will gar nicht das Ende bekriteln, es hat mir ja im Grunde gefallen.

Ich finde deinen Schreibstil noch etwas holprig und nachfolgend habe ich dir ein paar Punkte aufgelistet, die ich gesehen habe und die Textstellen könnten verbessert werden.

Den Anfang habe ich wie folgt umgestellt, um ihm ein klein wenig mehr Drive zu geben. Vielleicht gefällt dir meine Variante ja auch besser:

"Bitte?!", fragte Ella mit der schon zittrigen Stimme des Alters zurück.
Sie hatte wieder mal nichts verstanden.
"Brigitte, sagte ich", wiederholte Hilde.
Ella war schwerhörig. Und das im Besonderen, wenn sie ihr tausend Euro teures Hörgerät benutzen sollte.
"Bitte?!", rief Ella erneut.
Gertraude amüsierte sich. Sie saßen zu dritt am Tisch und redeten über ihre verblichene Freundin Brigitte, die sie bereits vor einer kleinen Ewigkeit begraben hatten. Wann das genau war, konnte keine der drei so richtig sagen. In Wirklichkeit war es etwas über ein Jahr her.


eine kleine verängstigte verwaiste Meise fand,
Hier befinden sich drei Adjektive auf der Stange. Man verwendet Adjektive, um ein Substantiv exakter zu beschreiben, es plastischer zu machen. Je mehr Adjektive man aber verwendet, desto weniger deutlich wird ein Gegenstand. Im obigen Fall würde ich mindestens ein Adjektiv streichen, nämlich "kleine". Jeder, der eine Meise kennt, wird sowieso wissen, wie klein dieser Vogel ist. Und derjenige, der es nicht weiß, hat durch diese Unkenntnis aber keine Nachteile in Bezug auf deine Geschichte. Verängstigt wäre auch noch ein Adjektiv das man streichen könnte, denn auch hier wird der Leser ahnen, wenn nicht gar wissen, dass eine verwaiste Meise garantiert nicht keck durch die Gegend hüpft. Aber ich kann natürlich verstehen, dass du verängstigt stehen lassen wirst.

Brigitte hatte den kleinen Vogel mit nach oben in ihre Wohnung genommen und sich seiner angenommen.
kleinen könntest du hier ebenfalls streichen, aber bei diesem Satz geht es mir um etwas anderes:
Es geht mir um die Wortdoppelung "genommen" und "angenommen"
Das klingt unschön, weil es so wirkt als sei dir immer nur "nommen" eingefallen als Autor und genau das hat du nicht nötig.
Mein Gegenvorschlag lautet:
Brigitte hatte den kleinen Vogel in ihre Wohnung hinauf getragen.

Da ja am Ende der Geschichte es wichtig ist, dass Brigitte ein paar Stockwerke höher wohnt, könntest du diesen Part noch erweitern, um: ....getragen, dabei hatte sie den Fahrstuhl extra gemieden, um das Federkügelchen nicht noch mehr zu ängstigen.

Was sollte sie der kleinen Meise füttern?
Dieser Satz klingt in meinen Ohren total schräge. der Meise füttern? Wie wärs mit: Was futterte ein Meisenbaby?

Der kleine Kerl war
Da sträuben sich mir die Logikhaare. Wieso auf einmal Kerl? Bitte bleibe bei der Meise oder der Vogel, aber nicht jetzt daraus einen männlichen Vogel machen.

Sie brachte den Vogelbauer zu jeder Gelegenheit mit.
Nee, hier fehlen eindeutig Zusatzinformationen. So steht der Satz im Kontext wie ein Hochhaus im Wald. Du meinst doch, sie brachte den Vogelbauer zu den Damenkränzchen mit. Dann schreibe es an dieser Stelle auch bitte so.

Dann aber kam sie nicht mehr.
Hier ist das gleiche passiert. Es fehlt die Info, dass Brigitte nicht mehr zu den Treffen kam. Ich dachte erst, die Meise kam nicht mehr.

Das Fenster stand offen, Brigitte wollte sie wieder einfangen, muss sie auch gehabt haben."
wen muss sie auch gehabt haben? Die Meise? Hier würde ich den Satz eindeutiger fassen.


Soweit also meine kleinen Anmerkungen zu deinem Text. Ich habe eben gelesen, dass du einem Kritiker, der so wie ich auch Fragen hatte, Antworten gegeben hast, die eigentlich in der Geschichte hätten gefunden werden müssen.
Immer dann, wenn man ausführlicher einem Leser erläutern muss, damit er den Text besser versteht, einmal unterstellt, du hast jetzt keinen unterbelichteten Leser vor dir, fehlt etwas Wichtiges im Text. Dann ist es Aufgabe des Autoren, hier nachzubessern.

Du möchtest doch, dass man deine Geschichten gerne liest.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita,

vielen Dank für Deine Kritik und: Selbstverständlich möchte ich, dass meine Geschichten gelesen werden.
Ich glaube, es ist eine Eigenheit von Technikern - wozu ich mich ja zählen muss - dass die so tief in ihren Themen stecken, dass sie bei ihren Lesern zu viel an Wissen voraussetzen. Dem ist aber eben nicht immer so. Deshalb freue ich mich, dass Du meinen Text so gründlich analysiert hast und ich werde Deine Tipps natürlich beherzigen.

Und ich darf bestimmt auch meinen Text verteidigen? Das würde ich nämlich gerne an der Stelle tun:

Da sträuben sich mir die Logikhaare. Wieso auf einmal Kerl? Bitte bleibe bei der Meise oder der Vogel, aber nicht jetzt daraus einen männlichen Vogel machen.

Wer weiß denn, ob es sich um einen Hahn oder eine Henne handelt? Wenn ich hier von einem kleinen Kerl spreche, dann hat es doch nichts damit zu tun, dass ich sein Geschlecht damit festlege. Wenn ich sage: die kleine Meise, dann kann das auch ein Hahn sein, und doch sagen wir "die Meise". Es ist doch eher eine Redensart, wenn man etwas Bedauernswertes bezeichnet, etwa so "Och, der kleene Kerl!"
Schließen wir einen Kompromiss: Ich schlaf noch mal drüber und lass es erst mal so stehen.

Die anderen Anregungen bin ich gerade dabei, sie zu überarbeiten. Ich tausche dann den überarbeiteten Text aus und ich würde mich freuen, wenn Du ihn Dir noch mal anschaust. (Auch, wenn ich aufmüpfig bin :hmm:)

Lieben Gruß

khnebel

 

Ich hab den Text noch mal angefasst und eine Kleinigkeit geändert.

khnebel

 

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