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Die Mars-Rebellion
DIE MARS-REBELLION
v2.0
„Noch 20K Klicks bis Ankunft bei Mars Gamma, Sir.“ Nieed Comforth nahm den Bericht des Ersten Navigators grummelnd zur Kenntnis. Mars Gamma, die große Entscheidung die dort auf ihn wartete ließ ihn seit Tagen einsilbig werden. Ausgerechnet er, ausgerechnet solch ein Auftrag. Er hatte in letzter Zeit immer öfter an seinen Missionen gezweifelt. Mit einem einzigen Befehl aus einer sicheren Position heraus Menschen auszulöschen viel ihm zunehmend schwerer. Und dann war da noch Max.
„Sir, Ihre Befehle, Sir?“ - „Flotte in Gefechtsformation, Anfluggeschwindigkeit, Schilde hoch!“ bellte Nieed. Mein Gott, musste er denn jede Kleinigkeit erklären? Ja, musste er. Er war schließlich der Kommandant dieser riesigen Flotte die ausgesandt worden war, um den Mars zu befrieden.
Verfluchte Rebellen. Konnten die denn nie Ruhe geben? Der Mars war seit mehr als 300 Jahren besiedelt, final terrageformt und eigentlich friedlich. Wären da nicht diese lästigen Rebellen, die die Unabhängigkeit von der Erde forderten. Warum eigentlich? Nieed konnte das nicht verstehen. Die Erde, die Flotte gab einem doch alles was man wollte!
„Nach 10K Klicks bis Mars Gamma, Sir. Wir werden den Generator noch vor den Rebellen erreichen.“ Gut. Damit war die Mission gesichert. So lange diese verdammten Rebellen nur nicht den Schildgenerator in der Ebene von Mars Gamma eroberten, hatten sie gegen die Flotte keine Chance. Der Generator entfaltete einen planetaren Schild, der jegliches Eindringen durch Flugkörper unmöglich machte. Wer ihn kontrollierte, kontrollierte den Planeten. Und die Rebellen waren auf dem Weg zum Generator, das hatte die Auswertung der planetaren Aufklärung ergeben. Nieed musste an Max denken, der da unten bei den Rebellen war.
In der kleinen Stadt in der sie gemeinsam aufwuchsen war Max immer der Held gewesen. Highschool-Football-Star, Mädchenschwarm und Nieeds bester Freund von Kleinauf. Anfangs störte es Nieed nicht, dass Max die ganze Aufmerksamkeit zu Teil wurde, aber nach und nach begann er, sich mit ihm zu messen. Zuerst sportlich, indem Nieed versuchte bei Football-Spielen im Park immer in der gegnerische Mannschaft aufgestellt zu werden, um so mit Max konkurrieren zu können. Er wollte gewinnen. Doch zu häufig gewann am Ende Max, der Nieed danach freundschaftlich abklatschte und die ganze Sache gar nicht ernst zu nehmen schien. Für Nieed wurden diese sportlichen Niederlagen mehr und mehr zu Demütigungen.
„Ankunft bei Mars Gamma. Flotte in Formation 0,1 Klicks über Grund. Schilde auf Maximum.“ Das würde erst einmal genügen, um die Rebellen auf ihrem Vormarsch zum Schildgenerator zu stoppen. Es war ungemein beindruckend, mit dieser Riesenflotte so knapp über dem Boden zu schweben. Noch nicht einmal Bodenfahrzeuge würden passieren können.
War der Generator erst einmal gesichert, wäre der Rest nur noch Verhandlungssache. Zumindest offiziell. Der erweiterte Auftrag, den ihm der Flottenadmiral ausschließlich unter vier Augen mitgeteilt hatte, sah mehr vor. Ein einfaches Aufhalten der Rebellen, diplomatische Verhandlungen und Friedensgespräche würden es diesmal nicht tun. Zu oft war bereits verhandelt worden. Zu oft war die Rebellion danach wieder aufgewacht. Der Freiheitsdrang der Rebellen schien niemals enden zu wollen. Bis jetzt. Denn nun war Nieed da, mit dieser unsagbar großen Flotte an Kampfschiffen, vollkommen überdimensioniert für einen Verteidigungseinsatz. Doch um Verteidigung ging es nicht. Nieed sollte die Rebellion ein für allemal beenden. Konkret hieß das: er sollte die komplette Streitmacht der Rebellen auslöschen. Inklusive aller Zivilisten.
Er hatte den Auftrag wie immer akzeptiert, doch er fühlte sich nicht mehr wohl dabei. Was stimmte nicht mit ihm? Man würde ihn doch für diese Operation feiern, seine weitere Karriere bei der Flotte wäre nur noch Formsache. Der tatsächliche Ablauf der Schlacht würde zu einem heroischen Verteidigungseinsatz der Erdstreitkräfte verklärt und Nieed würde als ihr Kommandant die nötige Anerkennung zu Teil werden. Das war doch, was er wollte.
Anerkennung. Das war der Grund warum Nieed damals zur Flotte ging. Es war ihm völlig klar, dass Max niemals mitkommen würde. Und eigentlich war das auch gut so, denn Nieed empfand es erleichternd, sich nicht mehr mit seinem Freund messen zu müssen. Im Kadettenjahr trafen sie sich noch ab und zu aber ihre Wege liefen zunehmend auseinander. Max fing an, häufig von den Ungerechtigkeiten zu sprechen, die die Flotte seiner Meinung nach der Welt brächte. Vor allem dem Mars, dem es ja ohne die Flotte so viel besser ginge. Max hatte ja keine Ahnung. Aber Nieed würde es ihm schon zeigen. Freundschaft hin oder her.
„Rebellenverband voraus. Stärke wie erwartet. Etwa zweihundert Jäger, keine Schlachtkreuzer.“ Na das würde ein kurzer Kampf werden. Keine Schlachtkreuzer. Nieed hatte fünfhundert Schlachtkreuzer dabei. Was für eine Verschwendung! Man hätte von der Erde aus einfach interplanetare Plasma-Sprengkopf-Raketen auf den Mars schießen sollen. Aber das wäre wohl wenig heldenhaft gewesen. Die Öffentlichkeit verlangte immer nach einer heroischen Schlacht, nach Helden die vor Ort waren und zurückkehren konnten. Also schickte man Nieed.
„Senden Sie eine Nachricht an den Rebellenverband. Inhalt: Bedingungslose Kapitulation oder totale Vernichtung“, wies Nieed seinen Ersten Kommunikator an. Es würde eine Weile dauern, bis sie antworteten. Aber sie würden antworten. Sie mussten aufgrund der Übermacht der Flotte und deren mit Grausamkeiten gespickten Geschichte einfach kommunizieren. Man saß die Flotte nicht einfach aus, wenn sie an die Tür klopfte.
„Sir, Antwort der Rebellen traf ein. Man möchte mit Ihnen sprechen. Mit Ihnen persönlich. Visuelle Übertragung.“ Nun gut, damit war zu rechnen gewesen. Man wollte eine persönliche Beziehung aufbauen, um so der Flotte das Abschlachten zu erschweren. „Legen Sie den Video-Stream auf den Schirm“, sagte Nieed und wandte sich dem Hauptschirm zu. Dort tauchte ein überdimensional großes Gesicht auf.
„Hallo Nieed“, sagte Max.
Das letzte Mal, dass sie sich sahen war am Ende von Nieeds Kadettenausbildung. Max war zur Abschlussfeier gekommen und sie redeten. Doch die Spannungen zwischen Ihnen waren nicht mehr wegzudiskutieren. Nieed hatte sich verändert. Die Ausbildung hatte ihm Selbstvertrauen gegeben sowie ein gebieterisches Auftreten das ihn dazu befähigte seine Indoktrination im Brustton der Überzeugung jedem entgegen zu schleudern der es nicht hören wollte.
Die Beziehung zu seinem einstmals bestem Freund änderte sich dadurch. War Max früher der Anführer, der Sonnyboy, der Fels in der Brandung zu dem Nieed aufschaute, war er aus Nieeds Sicht nun nur noch ein Aufsässiger, den es von den Ansichten der Flotte zu überzeugen galt. Die ewigen Streitgespräche gingen Nieed auf die Nerven. Vor allem wenn Max alles weg lächelte und sagte „Ich kenne dich, Nieed. Du bist im Grunde ein guter Kerl.“ Das trieb ihn zur Weißglut. Was bildete sich Max eigentlich ein? Nieed würde ihn eines Tages schon von seinem hohen Ross herunter holen.
„Hallo Max“, erwiderte Nieed. Max. Er wusste ja, dass Max sich den Mars-Rebellen angeschlossen hatte. Aber dass er ihm nun direkt in die Augen sah, war unerwartet. Nichts was er wie sonst einfach verdrängen konnte. Genau das war wohl das Kalkül der Rebellen. Sie wollten persönliche Beziehungen ausnutzen und es bedurfte keiner besonderen Aufklärung um herauszufinden wer die Erdstreitkräfte während dieser Mission befehligte.
„Ich erwarte bedingungslose Kapitulation und die Übergabe aller Schiffe und Kampfmittel“, forderte Nieed. Nichts anmerken lassen, die Mission zu Ende bringen.
„Ich fürchte, das geht nicht, Nieed. Ihr müsst hier verschwinden. Das ist nicht mehr euer Planet.“
„Max, ich habe meine Bedingungen genannt. Keine weiteren Verhandlungen. Erhalte ich eure Kapitulation nicht innerhalb von exakt 10 Minuten, werden wir euch ohne weitere Warnung vernichten.“
„Nieed, lass uns reden…“
„Max, ich werde Schießbefehl geben!“ Dominanz zeigen, nicht einlullen lassen. Sie haben keine Chance und sie wissen das auch.
„Nein, wirst du nicht. Ich kenne dich.“
„Du kennst mich nicht! 10 Minuten. Flotte Ende.“
Der Schirm erlosch. Die Brückenbesatzung starrte Nieed an. Nie sahen sie den Kommandanten derart aufgewühlt. Kalt, ja. Konsequent, ja. Aber nie emotional aufgewühlt. Nie wütend. Und er war wütend, das konnte man sehen.
„Ich kenne dich…“, Nieed ging der Satz nicht aus dem Kopf. Er würde es Max diesmal zeigen. Aber dies hier war kein Football-Spiel im Park. Es war auch keine politische Grundsatzdiskussion. Nieed wischte diese Gedanken beiseite. Er musste sich auf die Mission konzentrieren.
„Nachricht an den Flottenverband. Vorbereitung der Offensivbewaffnung. Protonen-Strahler und Plasma-Sprengkopf-Raketen. Keine Konventionalwaffen, wir wollen hier ja nicht alles verstrahlen. Nachricht auf nicht-sicherem Kanal senden. Die da drüben sollen das ruhig mitbekommen. Erster Taktierer, setzen sie einen Countdown von 10 Minuten über den gesamten Verband. Angriff auf meinen finalen Befehl.“
Bereitschaftsmeldungen der gesamten Flotte trafen ein. Ein gewaltiges Summen ertönte in der Ebene als die Offensivbewaffnung von 500 Schlachtkreuzern online ging.
„Countdown bei T-5 Minuten.“
„Sir, wir werden gerufen. Soll ich durchstellen?“ - „Nein. So lange diese Bastarde nicht das Kapitulationssignal schicken, werden wir nicht kommunizieren. Alle eingehenden Gesprächsanfragen blockieren!“
Gespannte Stille.
„Countdown bei T-1 Minute.“
Kein Kapitulationssignal der Rebellen. Kommt schon, verdammt!
„Sir, weitere Gesprächsanfragen der Rebellen. Soll ich durchstellen?“
„Nein, verdammt!“ Oder doch? Sollte er nicht doch besser kommunizieren? Diesmal war sein Freund da unten. „Er ist nicht dein Freund! Nicht mehr!“, feuerte Nieed sich selbst in Gedanken an.
Irritierte Blicke der Brückenbesatzung trafen Nieed. Wollte ihr Kommandant wirklich ohne jegliche weitere Verhandlung die Rebellen einfach auslöschen? Niemand konnte sich vorstellen, dass er den Countdown verstreichen lassen und dann einfach nichts tun würde. Er musste sein Gesicht als Flottenkommandant wahren. Also würde er feuern. Er musste feuern! Man munkelte schon länger von einem Geheimauftrag, „Der endgültigen Lösung des Problems“, aber alle hielten das nur für die übliche Militärpropaganda.
„Countdown bei T-30 Sekunden.“
„Sir, Gesprächsanfragen!“
„Erster Kommunikator, verlassen Sie die Brücke! Zweiter Kommunikator, lösen Sie den Ersten ab! Sofort!“
Comforth meinte es ernst. Allen war nun klar, dass der Geheimauftrag Realität war. Die Rebellen sollten ausgelöscht werden. Ohne Verhandlung. Ein Novum in der sonst nicht an Brutalitäten armen Geschichte der Flotte.
„Countdown bei T-10 Sekunden.“
Nieed rieb sich nervös das Kinn. Immer noch keine Kapitulation. Wollte Max ein Machtspiel spielen? Diesmal würde er zu hoch spielen.
„9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 - Countdown beendet.“
Die Stimme des Zweiten Kommunikators überschlug sich: „Sir, Countdown abgelaufen. Flotte erwartet finalen Angriffsbefehl.“
Stille.
„Guten Morgen, Admiral Comforth.“ Admiral. Er konnte sich immer noch nicht an diesen Titel gewöhnen. Auch nicht nach diesen vielen Jahren. Fünfzehn Jahre waren vergangen, seitdem er zum „Befreier des Mars“ gekürt worden war. Lieder besangen ihn, Zeitungen beschrieben ihn, Autoren schrieben seine Biografien. Der Held der ruhmreichen Schlacht um den Mars.
Die weiteren Stufen auf der Karriereleiter der Flotte hatte er mühelos genommen. Aber er verdiente all das nicht. Sie hätten ihn lieber den „Schlächter des Mars“ nennen sollen. So fühlte er sich. Zweihunderttausend Menschen waren durch einen einzigen Befehl ausgelöscht worden. Seinem Befehl. Die Plasma-Sprengköpfe zerfetzten die Schiffe der Rebellen und wer den Absturz überlebte wurde durch Protonenstrahler verbrannt oder letztendlich durch chemische Waffen eliminiert. Ein Genozid, nichts wurde dem Zufall überlassen. Aber der Mars war danach frei. Würde frei sein. Sollte frei sein. Seine Schuld… Seine Anerkennung… Er konnte seine Zukunft sehen. Jetzt, in diesem Moment.
„Sir, Flotte erwartet finalen Angriffsbefehl.“
„Sir?“
„Sir??“
„Audio-Verbindung zur gesamten Flotte herstellen.“
„Audio steht!“
„Hier sprich Flottenkommandant Nieed Comforth. Hören Sie mir jetzt genau zu. Alle Offensivwaffen gehen sofort offline. Erwarten Sie Navigationsbefehle.“
Die Brücke war kurz erfüllt von ungläubigen Schweigen, dann von einer Kaskade von akustischen und optischen Kommunikationssignalen.
„Sir, es gehen hunderte Anfragen zur Befehlsbestätigung ein.“
„Bestätigen Sie. Niemand stirbt heute hier.“
„Erster Navigator, bringen sie die Flotte in Rückzugsformation in einen 20 Klick Orbit um den Planeten. Schicken Sie die Diplomatenschiffe an die Front zum Rebellenverband.“
„Aber Sir! Die Diplomatenschiffe alleine werden die Rebellen nicht aufhalten können. Der Schildgenerator wäre ohne relevante Verteidigung!“
„Flotte zieht sich zurück, Diplomaten nach vorne. Lassen Sie mich diesen Befehl bloß nicht wiederholen!“
„Du kennst mich tatsächlich, Max“, dachte Nieed, stand von seinem Kommandosessel auf und ging in seinen Bereitschaftsraum.
Eine merkwürdige Stimmung machte sich auf der Brücke breit. Eine Mischung aus Resignation, Unglaube und Freude darüber, dass tatsächlich niemand sterben musste. Was als nächstes passieren würde war nun jedem klar. Der Rebellenverband würde die nur leicht bewaffneten Diplomatenschiffe schlichtweg ignorieren und den Schildgenerator mit Leichtigkeit einnehmen. Damit konnte keine Flotte mehr eindringen oder mit interplanetaren Raketen angreifen. Der Mars gehörte endgültig den Rebellen.
„Nieed!“
„Hallo Max“, grinste Nieed.
„Willkommen auf dem Mars.“