Die Marathon-Männer
Bericht aus der Sicht einer Radfahrerin vom 1. Rhein-Ruhr-Marathon am 11. Mai 2003 von Bochum nach Dortmund.
Der Tag X kam immer näher. Lutz lief. Zehn, zwanzig, dreißig, fünfunddreißig Kilometer pro Einheit. Ich saß faul vor dem PC und surfte im Internet unter www.karstadt-ruhrmarathon.de. Mit Begeisterung entdeckte ich dort eines Tages, dass für das o. g. Event extra ein begleitender Radweg ausgearbeitet worden war. Super, dachte ich, davon werde ich Gebrauch machen. Also setzte ich mich bereits am Tag vorher auf den Sattel, um schon mal nach dem berühmten - angeblich unübersehbar ausgeschilderten - Radweg zu suchen. Ich fuhr zum Wattenscheider Bahnhof, wo der Start der Biker sein sollte. Doch dort war tote Hose! Ich fuhr zum Läuferstart an der Essener Str. Ich fuhr noch einmal die Allee- und die Essenerstr., den Wattenscheider Hellweg rauf und runter, nichts. Ich fand zwar die Schilder des Emscherpark-Radweges, doch Hinweise für den "Marathon-Radweg" konnte ich nirgends ausfindig machen. Frustriert fuhr ich schließlich wieder heim. Dann werde ich morgen einfach den anderen Radfahrern folgen, dachte ich. Bestimmt werden noch viele andere mit dem Drahtesel unterwegs sein.
Der Tag X war da! Rainer, Lutz und ich trafen uns um 8:15 Uhr bei Melzers zum "Marathon-Beten". Nein - wir beteten natürlich nicht 42,195 Minuten (oder gar Stunden) lang, sondern wir wollten Gottes Beistand und Bewahrung für diese extreme körperliche Herausforderung erbitten. Dann ging es um ca. 8:45 Uhr los: Wir kamen am S-Bahnhof Wattenscheid-Höntrop vorbei und verschwanden sofort in einem Strom von durchtrainierten, fröhlich aufgeregten Menschen. Über uns kreisten die Hubschrauber, Reisebusse spuckten weitere laufbegeisterte Sportler aus. Die Sonne strahlte. Als wir auf die Essener Str. kamen verloren wir Rainer leider rasch aus den Augen. Es war einfach nur voll! Lutz und ich gingen weiter Richtung Start. Für mich und mein Fahrrad wurde es immer schwieriger durch die Menschenmassen zu kommen. Doch wir wollten so weit wie möglich an den Start gelangen, da ich halt alles möglichst hautnah miterleben wollte. Doch so ca. 50 m vor dem Start ging es weder vor noch zurück. Ich verabschiedete mich von meinem Mann, dem schon die Füße juckten und stand nun hilflos inmitten der Zuschauermassen auf dem Fußweg. Noch heute danke ich meinem Schutzengel, dass ich nicht von den teilweise empörten Leuten gelyncht worden bin. "Auch noch mit dem Fahrrad, das sollte man nicht für möglich halten,..." Recht hatten sie ja! Vielleicht kann ich ja einen Blick auf Grönemeyer oder Nena erhaschen, dachte ich noch so. Leider war ich nicht gerade die größte unter den Massen und so hörte ich nur ein undeutiges Brummeln von Herbert, als dieser kurz vor dem Startschuss interviewt wurde. Pünktlich um 9:35:42:11 Uhr setzte sich das Meer aus Laufsüchtigen in Bewegung. Die Teilnehmer waren in verschiedene Startblöcke aufgeteilt. Vorn starteten die schnellsten (natürlich die Kenianer) und hinten die langsamsten (natürlich Nena). Es dauerte denn auch über 10 Minuten, bis der letzte Läufer über die Startlinie gelaufen war. Irgendwo da in der Mitte vermutete ich meinen Mann, doch sehen konnte ich ihn leider nicht. Als ich annahm, dass Lutz durch den Start gelaufen war, musste ich schnell weg vom Start, denn ich wollte ihn ja begleiten. Er hatte mir vorher eine Karte von der Laufstrecke ausgedruckt und mir erzählt, wann er ungefähr an welchem Punkt sein müsste. Ausserdem galt die Formel: 5 km gleich 30 Minuten bzw. 10 km gleich 60 Minuten. Ich würde wohl heute nicht hier sitzen und diesen Artikel schreiben, hätte ich darauf bestanden, den direktesten Weg zu wählen, also mich geradeaus durch die Menschenmenge zu wühlen, um den Läufern zu folgen. Einige ortskundige RadfahrerInnen wiesen mich auf einen "Geheimweg" hin, der uns sicher an den tobenden Menschenmassen vorbei und nach einiger Zeit wieder zurück auf die Alleestr. führte. Als ich wieder an die Rennstrecke kam, sah ich, dass der Schwarm der Sportler bereits auf und davon war und so konnten wir prima hinter dem Feld herfahren. Doch dann bogen die Radler plötzlich rechts ab auf den angeblichen Radweg. Hier ging es durch ruhige Sträßchen über zahlreiche Schlaglöcher durch das reizvolle Rotlichtviertel von Bochum. Doch es war eine gute Abkürzung, um wieder in die Nähe der Läufer zu kommen. Als wir an der Viktoriastr. ankamen, folgten die Biker fatalerweise nicht weiter dem Radweg, sondern machten sich auf der Laufstrecke breit. Da ich keine Zeit hatte, stundenlang mit der Nase im Stadtplan zu hängen, um zu schauen, wo der offizielle Radweg weiter verläuft, folgte ich ihnen. Die Stars joggten auf der linken Straßenseite, wir Radler auf der rechten, die glücklicherweise auch voll gesperrt war. Ständig schaute ich also nach links während ich das Feld langsam überholte. Doch mein Mann war nirgends zu sehen. Ich beschloss, mein Tempo zu verschärfen, damit ich einen genügenden Vorsprung bekam und dann in aller Ruhe an einem günstigen Punkt der Strecke auf meinen Lieblings-Läufer warten konnte. Ich hatte mich vorher mit mehreren Büchsen tiefgefrorenem "ISOSTAR" eingedeckt, den ich ihm bei Gelegenheit auch einmal zustecken wollte. Leider war ich mit dem Drahtesel auch nicht schneller als die Läufer, im Gegenteil, die ohnehin schon schmalen Bürgersteige waren verstopft mit Zuschauern. Viele hatten sich ein richtiges "Lager" mit Klappstühlen, Grill und Getränketheke eingerichtet. Immer wieder traf ich auf genervte RadfahrerInnen, die auch schon verzweifelt den Radweg suchten. Nach ca. 18 km hatte ich aber die Nase gestrichen voll und guckte noch einmal intensiv in meine Tourunterlagen. Endlich wurde ich fündig! Nun galt es aber kräftig in die Pedale zu treten, denn wenn ich meinen Mann noch einmal vor dem Ziel sehen wollte, musste ich mich gehörig beeilen. Tatsächlich sah ich auch alle 5 km ca. 2 mal 2 cm große Hinweisschildchen "Radweg Karstadt-Ruhrmarathon". An den "neuralgischen" Stellen saßen Posten, die, sobald sie mich heranbrausen sahen, mir durch einen unauffälligen Wink zu Verstehen gaben, dass ich rechts oder links abbiegen müsse. In der Hoffnung, unterwegs nicht in eine Radarfalle geraten zu sein, kam ich plötzlich und unerwartet in Dortmund-Dorstfeld bei km 32 wieder an die Marathonstrecke. Schnell rechnete ich gemäß der o. a. Formel durch: Nein, mein Mann konnte hier noch nicht vorbeigekommen sein! Ausserdem war genügend Platz, um mich zum Straßenrand vorzuarbeiten. Das Läuferfeld war inzwischen auch sehr auseinander gezogen und da dieser Streckenabschnitt (wieder einmal) etwas bergan ging, kamen die Sportler langsam schnaufend und schwitzend an mir vorbei. Jetzt wurde ich sogar so optimistisch, dass ich hoffte auch Andreas und/oder Rainer erblicken zu können. Nach zwanzig Minuten, genau zu der errechneten Zeit, kam Lutz dann endlich in mein Blickfeld! War das eine Freude! Er sah mich denn auch sofort und ich konnte ihm eine – noch immer eiskalte – ISOSTAR (nein, wir bekommen keine Provision!!) zustecken. Noch schnell eine verschwitzte Umarmung und weiter ging es dem Ziel entgegen. Ich war sehr dankbar meinen Mann doch noch wenigstens einmal gesehen zu haben, denn sonst wären wir schon enttäuscht gewesen und die ganze Strampelei für die Katz’. So konnte ich ihn gerade an dem Punkt, an dem die meisten Marathonis Probleme bekommen (nach 30 km), noch einmal mit einer Büchse ISOSTAR (!!!?) versorgen. Ich wartete noch ein wenig auf Rainer und/oder Andreas, doch von von den beiden sah ich leider keinen. Nun wollte ich schnell nach Hause fahren, um mich von den Strapazen des „Karstadt-Ruhr-Rad-Marathons“ zu erholen.
Bleibt mir nur noch zu betonen, dass ich vor den drei Extremsportlern den (nicht vorhandenen) Hut ziehe. Auch wenn mittlerweile sehr viele Menschen Marathon laufen, solch eine Distanz zu bewältigen ist eine bewundernswerte Leistung, ob jetzt in 2 Std. 15 Minuten, 4 Std. 10 oder 5 Std. 19!!! Für mich, die ich nach spätestens 3 km ein Fall für den Notarzt bin, einfach unvorstellbar....