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Die Manekineko-Kanne
Die altmodische Türglocke bimmelte hell und freundlich, als Liselotte den vollgestopften Teeladen betrat. Hell und freundlich war so ziemlich das genaue Gegenteil von Liselottes Gemütszustand. Dazu passten die leicht staubige Stimmung sowie das chaotische Arrangement im Inneren des Geschäfts schon wesentlich besser.
Bis an die Decke stapelten sich in den üppig bestückten Regalen hunderte von Teepackungen, Kannen aller Art, bunte Blechbüchsen und allerhand Zubehör, das Liselotte weder etwas sagte noch sonderlich interessierte.
Entnervt schaute sie sich um. Sie hatte gute Lust, sich mindestens drei der Kannen aus den obersten Regalbrettern zeigen zu lassen, nur um zu sehen, wie der Besitzer seine alten Knochen auf die mitten im Laden stehende Leiter schwingen musste. Liselotte mit ihren nunmehr 82 Jahren empfand bei dieser Vorstellung eine boshafte Schadenfreude. Der alte Knacker, der mit seiner runden Nickelbrille hinter der Theke saß und eben lächelnd einen dicken gebundenen Wälzer zur Seite legte, war sicher auch nicht wesentlich jünger als sie selbst. Konnte der sich nicht auf sein Altenteil zurückziehen oder was trieb ihn dazu, die ihm verbleibende Zeit in diesem Sammelsurium der Scheußlichkeiten abzusitzen?
»Guten Tag, die Dame, kann ich Ihnen behilflich sein?«, meldete er sich da bereits zu Wort.
Das war ja klar, nicht mal umschauen konnte man sich, ohne sofort bedrängt zu werden. Liselotte brummelte etwas Unverständliches und schüttelte kurz, aber vehement den Kopf. »Dann schauen Sie sich in Ruhe um, und wenn Sie Fragen haben, können Sie sich jederzeit an mich wenden«. Damit vertiefte der Alte sich erneut in seine Lektüre.
Meine Güte, hatte der zu viel Johanniskraut geschluckt? »Los Lotte, konzentrier Dich«, schimpfte sie leise. Nach allem, was sie auf die Schnelle sehen konnte, war dieses Kabinett des Grauens ideal für ihr Vorhaben: Verwinkelt, chaotisch und von einem Ladenhüter bewacht, der sicher selber einer war. Liselotte kicherte wegen ihres feinen Humors leise gackernd in sich hinein. Wenigstens sie selbst fand ihn erheiternd und der Rest der Welt sollte ihr einmal im Mondschein begegnen. Allen voran ihre verdrießliche Schwester, die nicht einmal den Anstand hatte, rechtzeitig den Löffel abzugeben, so dass noch ein paar friedliche Jahre geblieben wären.
85 wurde sie nun schon, fit wie ein Turnschuh war sie und ansonsten gab es zwischen gemein, boshaft und geizig noch zahlreiche Adjektive innerhalb dieses Spektrums, die man Annemarie getrost ans Revers heften konnte. Definitiv war sie mit einem ausgeprägten Hang zum Verbalsadismus ausgestattet, und dass sie seit nunmehr fast 17 Jahren bei ihr wohnte, machte die Sache nicht wirklich besser. »Alte Hexe«, zischte Liselotte vor sich hin.
»Haben sie einen Wunsch, Gnädigste?«, meldete sich nun wieder dieses Faktotum aus seiner Ecke hinterm Tresen. »Nein, nichts«, brummte Lieselotte und ärgerte sich über sich selbst. Schon wieder hatte sie sich in den bitteren Gedanken an ihre Schwester verloren, anstatt ihr Vorhaben hier konzentriert durchzuziehen.
»Sei listig wie ein Fuchs und schlau wie der Igel«, erinnerte sie sich an eines der vielen Lebensmottos ihres Vaters. Der war nun auch schon wieder seit mehr als 25 Jahren tot.
Besser so. Auch er hatte zeit seines Lebens Annemarie ihr vorgezogen. Die tolle und schöne Annemarie.
Liselotte schüttelte sich und zwang sich in die Gegenwart zurück. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie kurz den Ladenbesitzer, auf dessen Lippen ein leichtes Lächeln spielte, als er, nach wie vor tief in sein Buch versunken, umblätterte.
Grimmig lächelte auch Liselotte: »Sehr gut, Alter, amüsier Dich ruhig«, dachte sie. Das rechte Bein leicht nachziehend ging sie an den vielen Regalen entlang in den hinteren Teil des Ladens. Um sie hier zu beobachten, musste er seinen faltigen Schildkrötenhals schon ganz schön verrenken.
Liselotte schaute sich um. Filter aller Art lagen in dem Regal vor ihr. Sie runzelte angewidert die Stirn. Warum konnte sich die Menschheit grundsätzlich nicht mit einer Sorte begnügen? Musste es von allen Dingen immer zig Varianten geben? Eckig, rund, groß, klein, goldfarben, silbern, aus Metall, Plastik oder Papier und so weiter. Und wozu eigentlich das ganze Buhei? Tee konnte man auch prima mit Teebeuteln zubereiten, die es für kleines Geld in jedem Supermarkt zu erstehen gab. Viel Gutes konnte Liselotte über Engländer ja prinzipiell nicht sagen, aber soweit sie wusste, gaben sich sogar diese bei ihren lächerlichen Teegesellschaften mit ganz normalen Teebeuteln zufrieden. Hatte ihr zumindest mal Annemarie erzählt, aber andererseits sollte man der unterm Strich gar nichts glauben.
Neben den Filtern standen ganze Teeservice. Eines davon bestand aus zartem weißem Porzellan mit grünen Bambusblättern und gestapelten Steinen als Dekor. »Asia-Kitsch«, dachte Liselotte verächtlich. Sie konnte es sich bildlich vorstellen wie so eine Gruppe schwarzhaariger Menschen buckelnd und verbeugend auf dem Boden saß und lautstark irgendein Gebräu aus solchen Tässchen schlürfte. »Vollkommen unpraktisch diese zu groß geratenen Fingerhüte«, Liselotte schüttelte verdrießlich den Kopf, »Aus dem Osten ist noch selten was Gutes gekommen.« Boshaft kichernd ließ Sie ihren Blick wandern.
Hier das war schon spannender. Eine weitere Sammlung von Teekannen. Jetzt war die vielfältige Auswahl möglicherweise ja doch noch zu etwas gut. Mal sehen, welches konnte man getrost als das hässlichste aller vorhandenen Exemplare werten? Vielleicht die Knallorangefarbene mit den goldenen Elefanten drauf? In jedem Fall ein Kandidat, der im Rennen war. Obwohl; das Prachtstück daneben war auch nicht von schlechten Eltern: ein Motiv, das an Infantilität seines Gleichen suchte. Hottehü-Pferdchen, auf denen kleine Reiterchen saßen. Liselotte schüttelte sich. Das war ja fast schon ekelerregend; da konnte man die Kanne daneben mit der Ente und dem gestreiften Tiger ja als nahezu ästhetisch bezeichnen. Zumindest aus der Warte eines Vorschulkindes.
Aber als ihr Blick weiter glitt, erstrahlte zum ersten Mal an diesem Tag ein breites Lächeln auf ihrem runzligen Gesicht: Da stand definitiv ihre Teekanne! Der Deckel bestand aus einem debil grinsenden Katzenkopf, der Henkel sollte wohl den Schwanz darstellen und der Tee wurde über eine keck nach oben gerichtete Pfote ausgeschenkt. Das Ganze war bedruckt mit sinnlosen asiatischen Schriftzeichen und in der Mitte prangte ein an Hässlichkeit kaum zu übertreffender goldener Knubbel, dessen Funktion ganz und gar unerklärlich war. Einfach genial. Allzu groß war sie auch nicht. Bestens.
Liselotte schaute sich unauffällig nach dem alten Bücherwurm um, der nach wie vor in seinen Schmöker versunken war. »Listig wie ein Fuchs und schlau wie der Igel«, machte sie sich Mut und ergänzte in Gedanken »und schnell wie eine Schlange.« Flink nahm sie die Kanne aus dem Regal und ließ sie zügig in ihren Beutel gleiten, den sie rasch wieder verschloss. Jetzt war ihr doch ganz schön heiß, ihre Wangen brannten und das Herz hämmerte in ihrer Brust. Schließlich war sie derlei Aktionen nicht gewohnt, aber für ihr erstes Mal hatte sie sich doch ausgesprochen geschickt angestellt, wie sie fand.
Schlau, listig und schnell eben, grinste sie vor sich hin und atmete vor Erleichterung lautstark pustend aus.
»Ist Ihnen nicht gut, kann ich Ihnen helfen?« schaute da der nach wie vor unerschütterlich lächelnde Eigentümer um die Ecke. Liselotte machte vor lauter Schreck einen kleinen Satz »Nein, nein. Alles bestens, ich muss jetzt gehen«, wiegelte sie hastig ab und machte sich hinkend auf den Weg zum Ausgang. Was musste dieser Idiot sie so plötzlich erschrecken?
»Gute Frau darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Hieronymus Keller, sehr angenehm Ihre Bekanntschaft zu machen«, der Bücherwurm hatte sich ihr einfach in den Weg gestellt. Liselotte blinzelte heftig, blickte auf den Boden und versuchte, rechts an ihm vorbei zu kommen.
»Ja, ist recht«, presste sie schwer atmend heraus, »ich muss gehen. Wiedersehen.«
»Sie würden mir eine große Freude bereiten, wenn auch Sie mir ihren Namen verraten würden.« Hieronymus versperrte ihr mit einem für sein Alter durchaus eleganten schnellen Seitenschritt den Fluchtweg.
»Keine Zeit, muss jetzt weg«, raunzte Liselotte. Inzwischen war ihr der Schweiß in allen Poren ausgebrochen, ihre Hände fingen an zu zittern und in ihren Ohren sauste es derart, dass sie Probleme mit dem Gleichgewicht bekam.
»Bitte entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit und verzeihen sie mir auch, dass ich so direkt bin, aber sie sehen nicht gut aus. Sie sollten sich einen Augenblick setzen, so kann ich sie nicht guten Gewissens auf die Straße lassen.«
Liselotte versuchte, ihn abzuwimmeln: »Alles in Ordnung, nun gehen sie mir schon aus dem Weg«, aber inzwischen musste sie sich wegen des starken Schwindelgefühls an einem der Regale festhalten.
Mit erstaunlich kräftigem Griff packte Hieronymus Keller sie unter dem Arm, schob sie mit wenigen Schritten durch eine Tür hinter der Ladentheke und drückte sie dort kurzerhand auf einen Stuhl.
»So, jetzt ruhen Sie sich kurz aus, ich bin sofort wieder bei Ihnen, ich schließe nur schnell den Laden ab«, mit diesen Worten verschwand er tatsächlich wieder nach vorne.
Liselotte hatte Mühe klar zu denken. Sie zitterte jetzt am ganzen Körper, teils vor Aufregung und teils aus Wut. Auf sich und diesen aufdringlichen Trottel. Warum hatte er sie nicht einfach gehen lassen können?
Hieronymus Keller kam zurück in den Raum und warf einen prüfenden Blick auf sie: »Ich koche uns jetzt erst mal einen Hopfentee, verraten Sie mir nun Ihren Namen?«
„Grühsam. Liselotte Grühsam“, murmelte Liselotte widerwillig und sah sich im Zimmer um.
Auch hier herrschte eine Art ordentliches Chaos, das freundlich gestimmte Gemüter ganz bestimmt als heimelig beschrieben hätten. Sie saß an einem alten geölten Holztisch in der Mitte des Raumes. »Walnuss«, vermutete sie und strich mit ihren faltigen Händen über das glatte Holz. Im Regal vor ihr stapelten sich zahlreiche Bücher. Alle mit festem Einband, wie sie fast schon anerkennend feststellte, keines von diesen neumodischen labbrigen sogenannten Taschenbüchern. Auf dem Dielenboden lagen zwei farbenfroh gewebte Teppiche und in der Ecke erblickte sie einen Plattenspieler mit einer ansehnlichen Sammlung von Vinylplatten davor.
„So einen besaßen Herbert und ich auch mal“, dachte Liselotte wehmütig. An Weihnachten, wenn alle anderen das Weihnachtsoratorium hörten, hatte Herbert immer Orffs Carmina Burana in voller Lautstärke aufgelegt und Liselotte hatte Jahr für Jahr dramatische Visionen von brennenden Weihnachtsbäumen und Gardinen, die sie bis in den Schlaf verfolgten. Aber eine schöne Zeit war das gewesen. Da hatte sie Annemarie maximal zwei bis dreimal im Jahr sehen müssen. Geburtstage und Weihnachten halt.
Liselotte seufzte, vielleicht sollte sie einfach selbst ins Altersheim gehen, anstatt darauf zu warten, dass Annemarie endlich verschwand. Dennoch; die Vorstellung die Wohnung zu verlassen, in der sie so lange mit Herbert doch recht glücklich gelebt hatte, widerstrebte ihr zutiefst. Niemals würde sie wegen dieser alten Vettel das Feld räumen. Niemals, niemals, niemals. »Und damit basta!«, sagte sie laut.
Hieronymus Keller stellte eine bunte Steinguttasse vor ihr auf den Tisch, aus der es heiß dampfte, und setzte sich ihr gegenüber: »Schön Sie kennenzulernen Frau Grühsam, ich würde mich freuen, wenn sie mich einfach Hieronymus nennen, meinen Nachnamen mochte ich noch nie sonderlich. Darf ich Lotte zu Ihnen sagen?« Lieselotte zuckte zusammen, Lotte war sie bislang nur von Herbert genannt worden und der war inzwischen 17 Jahre tot. Aber bevor sie protestieren konnte, fuhr Hieronymus Keller in freundlichem und geduldigem Tonfall bereits fort: »Und jetzt Lotte erzählen Sie mir doch bitte, was sie mit meiner Manekineko-Teekanne vorhaben.«
Lieselotte schluckte und starrte ihn an: »Ich habe keine Ahnung, wovon sie sprechen, womit?« Hieronymus nahm die Brille ab und säuberte sie mit einem Tuch. »Manekineko«, wiederholte her. »Sie kennen doch diese Winkekatze. Das ist ein beliebter japanischer Glücksbringer in Gestalt einer sitzenden Katze, die den Betrachter mit ihrer Pfote herbeiwinkt. Sie soll Wohlstand bringen und Unglück fernhalten. Und Sie Lotte? Nach was von beidem streben Sie?“«
Liselotte starrte ihn entgeistert an: „An so einen Firlefanz glaube ich nicht, so ein ausgemachter Blödsinn.“ Hieronymus setzte seine Brille wieder auf, pustete in seine heiße Teetasse und blickte sie lange an, ohne zu antworten. Lieselotte senkte den Blick.
»Vielleicht brauchen Sie ja doch ein bisschen Glück in ihrem Leben«, meinte er schließlich, »auf ausgesprochenen Wohlstand kann ich zumindest inzwischen verzichten. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte Lotte. Und wenn sie gut ist, schenke ich Ihnen meine Manekineko-Teekanne.«
Liselotte war inzwischen puterrot angelaufen, er hatte sie tatsächlich erwischt. Leugnen war zwecklos. Sie saß mit diesem Menschen in seinem Hinterzimmer, ihr Beutel, den sie noch immer auf ihrem Schoß fest umklammert hielt, hatte eine verdächtige dicke Beule, und dieser Mann konnte jederzeit die Polizei anrufen und sie des Diebstahls überführen.
Entsetzt starrte sie ihr Gegenüber an, das sie seinerseits aufmunternd anblickte: »Also?«, fragte er.
»Ein Glücksbringer?«, stammelte Liselotte.
Hieronymus nickte: »Wie ich bereits andeutete; es handelt sich hier um eine dreifarbige Manekineko, die besonders viel Glück und Wohlstand verheißt. Man sagt, eine Pinkfarbene soll dagegen Liebhaber anlocken«, er lächelte und Liselotte musste trotz der absurden Situation kurz bei der Vorstellung kichern.
Sie schluckte: »Ich wollte sie meiner Schwester schenken«, gestand sie schließlich.
Hieronymus nickte erneut aufmunternd: »Sie haben wohl ein sehr gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester, dass Sie ihr ein Symbol des Glückes und Wohlstandes schenken wollen?«
Liselotte lachte kurz und bitter auf: »Im Gegenteil, ins Unglück wollte ich die alte Schachtel stürzen, sie hat es nicht besser verdient.«
Nun runzelte Hieronymus die Stirn: »Ins Unglück? Mit einem Glücksbringer? Das müssen sie mir erklären.«
Liselotte seufzte: »Und dann? Liefern sie mich dann der Polizei aus?« Hieronymus neigte wiegend den Kopf von rechts nach links und zurück: »Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Das bedeutet eine Menge Papierkram, mit etwas Pech viele unfreundliche Menschen und für mein Karma ist es sicher auch nicht gut.«
»Karma?«, Liselotte hasste sich für ihr Gestammel. Von Plappern wie ein Papagei hatte ihr Vater nie gepredigt.
Hieronymus lächelte: »Naja, passend zur Manekineko-Teekanne könnte man ja sagen, dass im Sinne des Karmas jede Handlung unweigerlich Konsequenzen nach sich zieht und ich weiß nicht recht, ob diese Folgen positiv wären.«
Liselotte grunzte sarkastisch »Na für mich sicher nicht.«
»Ja sehen sie, aber wenn ich dafür sorge, dass sie bestraft werden, sind die Folgen für mich vielleicht auch nicht gut.«
Liselotte schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an: »Herr Keller, ich habe eben in Ihrem Laden versucht, eine furchtbar hässliche Teekanne zu klauen; dabei ging es mir darum, die Hässlichste aller Hässlichen zu finden und Sie fürchten negative Auswirkungen auf Ihr Karma?«
Überrascht zog Hieronymus die Augenbrauen hoch: »Bitte nennen Sie mich doch Hieronymus. Und habe ich Sie richtig verstanden, dass Ihnen die Manekineko-Kanne gar nicht gefällt?« »Allerdings«, erwiderte Lieselotte, »Ihnen etwa?«
Wieder neigte Hieronymus den Kopf von rechts nach links, eine irritierende Angewohnheit, wie sie fand.
Er schmunzelte: »Nun ja, wenn sie mich so fragen, sie ist ein wenig ---- sagen wir extraordinär«.
»Lassen sie das ‚extra‘ ruhig weg«, jetzt grinste auch Lieselotte.
Hieronymus musterte sie interessiert: »Trinken Sie doch Ihren Tee, bevor er kalt wird und dann bitte klären sie mich auf. Langsam machen Sie mich wirklich neugierig. - Sie kommen in meinen Laden, entwenden eine Teekanne, die Ihnen nicht gefällt um sie Ihrer Schwester zu schenken, die sie ins Unglück stürzen wollen. Und das mit einem Glücksbringer?«
Hieronymus legte die Stirn in Falten und fing erneut an, seine vollkommen saubere Brille zu putzen.
»Also gut«, seufzte Liselotte, »und sie rufen nicht die Polizei?«
Hieronymus Keller blickte sie nur streng an.
»Ja, ja, ich verstehe. Ihr Karma. Schon gut. Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll.«
»Am besten von vorne?«, schlug Hieronymus vor.
Lieselotte schwieg eine Weile: »Habe ich schon erwähnt, dass meine Schwester eine alte Hexe ist?«
Hieronymus zog die Augenbrauen nach oben und schüttelte den Kopf.
»Sie können mir das ruhig glauben, dagegen bin ich Mutter Theresa in Person.«
Dazu sagte Hieronymus erneut nichts und schaute sie nur fragend durch seine blitzblanke Nickelbrille an.
»Annemarie wird morgen 85, sie ist drei Jahre älter als ich und sie ist nur so alt geworden, um mir das Leben zur Hölle zu machen. Das war schon so, als wir Kinder waren. Annemarie musste immer die Bessere sein, die Schönere, die Tollere, und wenn ich mal etwas besser konnte, hat sie mich lächerlich gemacht bei ihren und bei meinen Freunden. Solange bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und mich irgendwie gerächt habe. Dann ist sie zu unserem Vater gerannt hat ihre blonden Locken theatralisch über die Schulter geworfen und bitterlich geweint.
Unsere Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, müssen sie wissen, und mein Vater hat mir gegenüber immer ein recht unterkühltes Verhalten an den Tag gelegt. Aber wenn Annemarie kam und heulte, dann schmolz er dahin. Und so habe ich unsere ganze Kindheit auch noch immer mit ihm Ärger bekommen, wenn Annemarie mich gepiesackt hat. Ich glaube, insgeheim hat mir unser Vater eben die Schuld an Mutters Tod gegeben«, Liselotte räusperte ich und sagte in nun wieder barschem Ton: »Olle Kamellen. Vergessen Sie es.«
Hieronymus warf ihr erneut einen strengen Blick zu: »Erzählen Sie weiter Lotte, ich interessiere mich für die Geschichten anderer Menschen.«
»Naja, im Groben ist meine Geschichte schnell erzählt. Als ich anfing, mich für junge Männer zu interessieren hat Annemarie sich einen Spaß daraus gemacht, mir meine potentiellen Anwärter auszuspannen. Sobald sich ein Junggeselle für mich interessiert hat, kam meine Schwester, hat ihm schöne Augen gemacht, ihm den Kopf verdreht und ihn dann wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Jedes Mal. Das ging, bis Herbert kam, da war ich dann schon 25 und auf dem besten Wege eine alte Jungfer wie meine ach so schöne Schwester zu werden. Die hatte sich inzwischen bei uns im Dorf wenigstens einen ziemlich schlechten Ruf erarbeitet.« Die Genugtuung war Liselotte deutlich anzumerken.
»Und was war anders mit diesem Herbert?«, fragte Hieronymus interessiert.
Lieselottes Züge bekamen einen weichen und verletzlichen Ausdruck: »Herbert hatte nur Augen für mich, er mochte Annemarie nicht sonderlich. Nie. Und als Annemarie merkte, dass sie ihn im Gegensatz zu all den anderen Männern nicht umgarnen konnte, hat sie einen fürchterlichen Wutanfall bekommen und mich die Treppe hinunter gestoßen. Ich hinke heute noch leicht deswegen.« Sie deutete auf ihr rechtes Bein: »Es war ein komplizierter Bruch damals und man hatte noch nicht die Möglichkeiten, die man heute vielleicht hätte.«
Hieronymus legte seine Hand auf die Ihre. »Das tut mir sehr leid für Sie, das muss schrecklich gewesen sein.«
Lieselotte zuckte resigniert die Achseln: »Ach wissen Sie, das muss es nicht. Herbert und ich haben noch im gleichen Jahr das Aufgebot bestellt und geheiratet. Danach hatte ich nur noch sporadischen Kontakt zu meiner Schwester. Herbert und ich haben zwar nie Kinder bekommen aber wir hatten ein gutes Leben zusammen. Leider ist er viel zu früh an einem Herzinfarkt gestorben und die alte Schachtel lebt immer noch.«
»Und wie ist das Leben Ihrer Schwester verlaufen?«, hakte Hieronymus nach.
Liselotte schnaubte bitter: »Geheiratet hat sie nie, es hat sich wohl keiner gefunden, der es bei ihr ausgehalten hätte. Sie hat bis zum Tode unseres Vaters mit ihm gelebt und ein paar Wochen nach Herberts Herzinfarkt stand sie mit Sack und Pack vor meiner Tür und hat mir mitgeteilt, dass die Familie zusammenhalten müsse und sie jetzt bei mir einziehen werde.«
Hieronymus schaute sie entgeistert an. »Und das haben Sie zugelassen?«, fragte er.
Liselotte zuckte die Achseln: »Ich war nach Herberts plötzlichem Tod so allein und voller Trauer. Ich konnte und wollte mich nicht wehren. Und dann hab ich doch auch nur eine kleine Rente. Die Wohnung alleine zu halten wäre ohnehin schwierig geworden«, sie seufzte resigniert.
Hieronymus blickte sie fassungslos an: »Das kann doch kein Grund sein, Lotte.«
Lieselotte schüttelte den Kopf und seine Hand ab: »Sie kennen meine Schwester nicht«, blitzte sie ihn an.
»Da haben sie nun auch wieder recht und ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob ich dieses Versäumnis je nachholen möchte.« Hieronymus wiegte wieder seinen Kopf: »Lassen sie mich zusammenfassen: Ihre Schwester ist also eine boshafte Person, wohnt in Ihrer Wohnung, wird morgen 85 und Sie haben ein besonders hässliches Geschenk für sie gesucht. Richtig?«.
»Ja und nein, nicht ganz jedenfalls«, sagte Liselotte kleinlaut, »ich muss vielleicht noch erwähnen, dass Annemarie noch nie etwas behalten hat, das ich ihr ausgesucht habe. Wahrscheinlich einfach nur um mich zu verletzen. Immer hat sie diese überhebliche Mine aufgesetzt, gönnerhaft genickt und das Geschenk in die Ecke gestellt. Dann hat sie rausgefunden, wo ich es gekauft habe und versucht, es umzutauschen. Manchmal hat sie mich auch ganz direkt nach dem Kassenzettel gefragt.«
Hieronymus macht große Augen: »Das heißt aber …«, Liselotte unterbrach ihn nickend und in kleinlautem Ton: »Ja, deshalb habe ich die Kanne geklaut. Ich wollte das Schild von Ihrem Laden dran lassen und dann habe ich gehofft, dass sie sich nur noch an eine ältere Frau erinnern und daran, dass die Kanne geklaut ist. Annemarie sollte mal so richtig Ärger wegen ihrer gemeinen Umtauscherei bekommen, das hätte mir so gefallen.« Lieselotte seufzte tief.
Hieronymus blickte sie mitleidsvoll an und schüttelte bestürzt den Kopf. »Ihr Karma, Lotte, was machen sie nur mit Ihrem Karma? «.