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Die Mörderbrote
Die Mörderbrote
„Das ergibt dann 43,18€!“ Ich legte das Geld auf die Ladentheke, nahm meinen Kassenzettel entgegen, wünschte der Verkäuferin noch einen wunderschönen guten Tag und packte meine Einkäufe zurück in den Wagen. Toilettenpapier, Joghurt, Milch und was ich sonst noch üblicherweise alles kaufte. Neu in meinem Einkaufswagen waren jedoch die 500g Packung Cornflakes und die BILD-Zeitung die ich sonst nie zu lesen pflegte.
Im Supermarkt war wieder einmal alles umgeräumt gewesen. Deshalb irrte ich bereits seit einer halben Stunde durch die endlos erscheinenden Regalreihen auf der Suche nach meinem Lieblingsfrühstück: Toastbrot. Schließlich fragte ich eine Angestellte, wo denn das Toastbrot zu finden sei. Diese schaute mich entrüstet an. Lächelnd antwortete sie, dass heute niemand mehr Toastbrot essen würde. „Heutzutage isst man Cornflakes!“, sagte sie bestimmt. „Deshalb führen wir Toastbrot nicht mehr. Es existiert einfach keine Nachfrage.“ Ich meinte, dass ich letzte Woche doch noch Toastbrot gekauft hätte. Sie schaute entsetzt, fast mitleidig. „Ja haben Sie denn heute Morgen die Nachrichten nicht gelesen?“ „Nein, hab ich nicht“, gestand ich ihr. „Dann müssen Sie unbedingt noch die BILD mit kaufen. Wir haben sie vorne an unserem Zeitungsstand. Und ich empfehle Ihnen: Essen Sie kein Toastbrot mehr. Kaufen Sie lieber eine Packung Cornflakes. Die sind heut eigentlich schon ausverkauft, aber wir haben noch eine im Lager. Ich hol sie Ihnen.“
Am nächsten Morgen griff ich schlaftrunken zu meinem geliebten Toastbrot. Aber wo ist es nur hin? "Stimmt ich habe gestern ja keins gekauft." Ich erinnerte mich an die Worte der Verkäuferin und beschloss zunächst die BILD von Gestern zu lesen. Große Schlagzeile: "Mördertoastbrot tötet jungen Mann!“. Gespannt studierte ich den dreiseitigen Artikel. Mein intellektuelles Hirn durchschaute natürlich sofort die Argumentationsstruktur des Textes. Es handelte sich um einen linearen Erörterungsaufbau mit überwiegend Autoritätsargumenten gestützt von Prof. Dr. Quacksalber. Die Beweisführung war etwa folgende:
Fakt 1: Ein junger Mann aß ein Toastbrot.
Fakt 2: Der junge Mann ist gestorben.
Schlussfolgerung 1: Das Toastbrot hat ihn umgebracht.
Schlussfolgerung 2: Alle Toastbrote sind gefährlich.
Die BILD-Zeitung hatte sich wieder einmal übertroffen. Eine unangreifbare empirische Belegung hätte ich wirklich nicht erwartet. Damit war zudem mein Wissen a priori widerlegt, welches davon überzeugt war, dass die Bildzeitung zur Wissenschaft nichts tauge. A posteriori war ich jetzt eines besseren belehrt. Nie wieder Toastbrot schwor ich mir. Das ist einfach zu ungesund.
Also nahm ich mir die Packung Cornflakes, öffnete sie und schüttete ein wenig in eine Schüssel. Ich tauchte den Löffel ein und führte ihn zum Mund. Als ich mit kauen fertig war verschluckte ich mich an den staubtrockenen Cornflakes und sah mein Leben an mir vorbei ziehen. Mein letzter Gedanke war: „Was wird morgen in der BILD-Zeitung stehen?“