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Die Möbelfirma
"Mein Sohn, du streckst noch immer deine Beine unter meinen Tisch, da musst du schon bereit sein, einiges hinzunehmen", befand mein Vater. Recht hatte er, warum sollte er nicht seine benutzten Socken auf meinen Schreibtisch legen dürfen, was war denn schon dabei? Jedoch, so langsam nagten Zweifel an mir, ob ich in meinem Elternhaus noch erwünscht war. Und nachdem meine Mutter immer öfter den Müll in meinem Bett entleert hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es wohl an der Zeit wäre, mir meine eigene Wohnung zu suchen.
Schnell war eine schöne, geräumige 20 quadratmeter-Einzimmerwohnung gefunden, der es allerdings noch an Möbeln fehlte.
Das beste in so einem Fall ist meistens, sich von irgendwoher welche zu organisieren.
Da traf das Angebot eines Möbelkatalogs wie der Pfeil ins Schwarze, womit hier keine rassistische Anspielung gemeint ist. Mit erhöhtem Speichelfluss und gierigen Augen blätterte ich das Zauberbuch durch und gab schließlich eine Bestellung auf, die den Firmeninhabern wahrscheinlich den nötigen Rückhalt für eine feuchtfröhliche Sektparty geben würde.
Nach einigen Wochen, die ich zusammengekauert auf dem Boden schlief, regten sich erste Zweifel, ob mir die Möbelfirma die Möbel noch zusenden würde. Nach einigen mentalen Berechnungen kam ich zum Schluss, dass sie wahrscheinlich auf die Bezahlung warteten, was wusste ich denn, ob man da vorher zahlt oder nicht? Ich zögerte nicht lange und überwies die Summe, die mich zwar arm aber in Zukunft hoffentlich mit Raumfüllern gesegnet machen würde.
Als ich nach zwei Monaten immer noch nichts von meinen Möbeln gesehen hatte, wurde ich langsam unruhig. So ganz ohne Möbel fühlte ich mich irgendwie nackt.
Ich rief bei der Hotline der Möbelfirma an, wo ich gleich nach einer Stunde Warteschleifenberieselung mit Beethofens Neunter beruhigt wurde, dass sie, ha, ha, nur einen kleinen Fehler bei der Zustellungsadresse gemacht hätten. Die Möbel wären nach Äquatorialguinea geschickt worden. Nicht so tragisch also. Ich würde die Möbel dafür jetzt extra schnell bekommen.
Nach einem weiteren Monat standen irgendwann plötzlich eine Menge Kartons vor meiner Haustür, mitsamt einem kleinen Herren mit strubbeligem Bart und einem Klemmbrett in der Hand, der nur mal schnell eine Unterschrift von mir wollte.
Die Möbel! Vor Freude blind, unterschrieb ich den Wisch, woraufhin der Herr mitsamt Bart und Wisch und Klemmbrett schleunigst wieder in seinen Transporter sprang und mit quietschenden Reifen davon düste.
Es fing zu regnen an. Es krachte und donnerte und neben mir schlug ein Blitz ein. Da dämmerte mir erst, dass die Situation auch besser sein könnte. Beim Hereintragen des letzten Kartons verabschiedeten sich ein paar Wirbel und ließen sich gerade noch vom subkutanen Gewebe davon überzeugen, dass es drinnen doch schöner wäre als draußen.
Nach einigen Besuch beim Chiropraktiker konnte ich aber nach einer Woche schon wieder gehen und fühlte mich bald wieder in der Lage zu großen Taten.
IKEA-gestählt machte ich mich schließlich daran, die Möbel aufzubauen. Voller Elan schlitzte ich die Kartons der Länge nach auf wie ein gelernter Fleischer seine Sau und erfreute mich an dem frischen Holzgeruch, der mir entgegenströmte. Die Freude hielt leider nicht lange an, denn schnell bemerkte ich, dass jeglicher Plan, zur Erleichterung des Aufbaus fehlte.
Zornig versuchte ich rein Intuitiv, mit einem nicht unerheblichen Vergießen von Blut, Schweiß und Urin, die Bretter aneinander zu befestigen. Das Resultat besaß durchaus einen künstlerischen Wert, leider aber keine Ähnlichkeit mit irgend einem Möbelstück.
Voller Verzweiflung warf ich mich ins Messer und hatte Glück, dass es nur ein stumpfes Speisemesser war.
In einem Zustand der Tobsucht, zerstörte ich einige Fensterscheiben in der Nachbarschaft.
Am nächsten Morgen wurde ich durch ein penetrantes Klingeln an meiner Tür geweckt. Ein strammer Polizist mit perfekt getrimmten Schnauzbart und eisernem Blick stand davor und drückte mir sogleich ein Phantombild ins Gesicht, auf dem ein einäugiger Glatzkopf mit Zahnlücken abgebildet war.
"Kennen Sie diesen Mann? Er hat hier gestern Abend 15 Fensterscheiben eingeschlagen."
Ich verneinte irritiert die Bekanntschaft mit diesem wenig adretten Herren. Dass es so was gab, Leute die einfach ohne Grund wild herum randalierten!
"Passen sie auf sich auf, dieser Mann ist gefährlich! Er hat schon Fensterscheiben in der ganzen Stadt auf brutalste Art und Weise misshandelt. Melden Sie sich bitte sofort, wenn Sie ihn sehen."
Der Polizist verabschiedete sich und ging zum nächsten Haus.
Es war wieder an der Zeit, mit der Möbelfirma zu konferieren. Nach einer weiteren Stunde klassischer Musik teilte mir eine Mitarbeiterin mit, dass eigentlich der Lieferant die Möbel aufbauen hätte sollen, weshalb keine Pläne in den Kartons waren. Jedoch wäre mit mir eine telefonische Vereinbarung getroffen worden, dass ich auf den Aufbauservice verzichten wolle. Die Mitarbeiterin war unerweichlich und ließ sich nicht von der Realität beirren.
Nachdem ich eine Zeit lang geweint und mit Selbstmord gedroht hatte, bekam sie doch ein wenig Mitleid und bot mir an, für 100 € Leute Leute herzuschicken, die sich meiner Möbel annehmen würden.
Dankbar stieg ich auf das Angebot ein.
Ich strich mir die Tränen aus den Augen und wartete ungeduldig auf diese heiligen Personen.
Es vergingen Äonen, in denen ich die Kunst des unbewegten Dasitzens perfektionierte.
Irgendwann standen sie dann aber doch vor meiner Tür, zwei Menschen, die dieser Bezeichnung nur annähernd gerecht wurden. Beide hatten mehr Haare im Gesicht, als jeder Schäferhund in der Blüte seiner Jahre.
Aber man soll ja nicht so viel auf die Äußerlichkeiten geben, das hatte ich schon in der Kinderstube gelernt. Die inneren Werte waren es, die wirklich zählten. An ihrem Geruch und der Tatsache, dass sie mehr stolperten als gingen, erkannte ich, dass ebendiese bei den beiden Monteuren wohl in der Tat sehr hoch sein mussten.
Ohne weitere Umschweife machten sie sich ans Werk und nach einer kleinen Latenzzeit brachten sie es schließlich fertig, die Bretter von den Kartons zu unterscheiden.
Einige Stunden später, in denen die Beiden immer wieder eingeschlafen waren, standen schließlich die Möbel fertig aufgebaut im Raum.
Wobei, stehen war nicht ganz der richtige Ausdruck. Sie wankten stärker als die beiden Monteure. Die Bretter waren entweder zu lang oder zu kurz, oder gehörten eigentlich zu ganz anderen Möbeln.
"Tut uns leid", nuschelte mir der eine Monteur schulterzuckend sein Mitgefühl zu und klopfte sich dabei seine staubige Hand an meiner Schulter aus. "Hat das Werk wohl falsch abgemessen."
Die beiden behaarten Burschen beteuerten mir, dass sie "das Nötige in die Wege leiten" würden, damit alles seine Ordnung bekäme.
Sie verabschiedeten sich und nahmen als Andenken noch meine Klobürste mit, wie ich später bemerkte.
Ich hatte nun ein Bett in das sich nur eine Matratze ohne Selbstwert hätte legen lassen, einen Schrank, der bei der geringsten Belastung umzukippen drohte und einen Schreibtisch bei dem man das Gefühl hatte, einer optischen Täuschung zu unterliegen.
Meine weiteren verzweifelten Anrufe bei der Firma wurden nach der üblichen Warteschleife mit spontanem Auflegen beantwortet.
Als ich die Firma wegen seelischer Grausamkeit verklagen wollte, bestritt sie, dass ich jemals Kunde bei ihr gewesen wäre. Meine Klage wurde abgewiesen und die Firmenleitung verklagte mich ihrerseits wegen Verleumdung. Sie gewann den Prozess mit Pauken und Trompeten.
Um die Entschädigungssumme zahlen zu können, war ich gezwungen ein Jahr lang in einem Bergwerk zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war ich am Ende meiner geistigen Gesundheit angekommen. Ich beschloss, dass es an der Zeit wäre, Rache zu nehmen und stahl zwei Kilo Plastiksprengstoff aus einem Lager.
So saß ich schließlich in meinem Zimmer, bereit loszulegen. Ich wusste, wo die Firma war und hatte ausgelotet, dass ich mich, als Reinigungskraft verkleidet, unerkannt in ihr Gebäude begeben und den Sprengstoff anbringen könnte. Alles war bis ins letzte Detail geplant. Ich würde diese Schweine alle zusammen in die Luft jagen! Von diesem Gedanken bestärkt, nahm ich den Sprengstoff und meine Verkleidung, und packte beides in meine Tasche. Leider fiel in diesem Moment der Schrank um, ich war wohl gegen ihn gestoßen. Er begrub mich unter sich, was meinem Plan die Luft und mir das Leben nahm.
Epilog:
Nun sitze ich auf einer Wolke, spiele wohlklingende Melodien auf meiner Harfe und kann über das alles nur noch sanft lächeln. Der Groll von damals ist verflogen, es wäre ja auch völlig sinnlos, sich bis in alle Ewigkeit zu ärgern. Dass ich in den Himmel kam, verdankte ich einer lustigen Verwechslung. Die Seele eines bei der Geburt gestorbenen Kindes wurde statt meiner für 40 Jahre ins Fegefeuer geschickt und ich bekam dafür meinen Platz auf den Wolken.
Ein weiterer Grund warum ich nun nur noch sanftmütig vor mich hin schwebe, den ich an diesem Ort aber lieber für mich behalte, ist der, dass ich von hier aus den ehemaligen Besitzer der Firma sehen kann. Er wird gerade auf einem Spieß gebraten. Und schreit.