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Die Lohnerhöhung
Noch vierzehn Tage Sonnenschein wie heute, schätzte Gregor Hüter, dann würden sich die Kronen über dem Weg zur Laube schließen. Er dachte an den Garten seines Vaters. Es war angenehm sich Gedanken zu etwas Belanglosen zu machen, man kommt sich dabei so rechtschaffen vor.
Auf der Stadtautobahn donnerte der Verkehr vorüber.
Der weiße Punkt in der Ferne auf dem schnurgeraden Weg trippelte langsam näher. Dann und wann, wenn er einer Witterung folgte, wandte er sich seitlich dem Gebüsch zu, - oder das Tier suchte, genau wie Gregor, da es keinen Fluchtweg gab, nach einem Vorwand nicht näher kommen zu müssen. Auf der anderen Seite des Walls, auf dem sich der Weg befand, lag eine Wohnsiedlung.
Gregor war kurzsichtig und seine Brille längst erneuerungsbedürftig.
Gegenüber, neben einer Bank, stand ein Baum dessen untere Äste ersteigbar schienen. Bis zu einer Höhe von zwei Metern könnten Kampfhunde springen. Er hatte das im Zusammenhang mit einer Attacke zweier solcher Biester auf einen Schulbub gelesen. Die beiden Hunde waren über eine Mauer von eben dieser Höhe gesprungen und unbeirrt auf ihr Opfer losgegangen. Ob sie auch klettern können? Gemächlich begann er den Weg zu überqueren. So rasch das Vieh nun ein Bein vor das andere setzte, machte es den Anschein, als laufe es. Unwillkürlich glich er seinen Schritt an und kniff die Augen zusammen.
Pitbulls, so wusste er, gelten nicht gerade als große Sprinter, aber langsam müsste das Vieh doch näher kommen. Die Bewegungen waren zu rasch für das Tempo des Tiers. Er zweifelte an seinem Einschätzungsvermögen. – Deshalb, dachte er, sei es auch besser unmittelbar neben dem Baum stehen zu bleiben und sich nicht erst auf die Bank zu setzen. Die Sekunden, die es bedurft hätte aufzuspringen konnten unter Umständen schon zu viel sein.
Hätte er, ärgerte Georg Hüter sich, nicht vor den Fenstern der Firma geparkt, hätte er noch ein wenig im Wagen dösen können.
Selbst wenn an der Gabelung jetzt noch jemand in den Weg eingebogen wäre, dem das Vieh zuzuordnen gewesen wäre, hätte dieser nicht mehr eingreifen können.
Es war bereits verdammt heiß für die Uhrzeit.
Er liebte es mit spitzem Finger dem Knopf am Wagenhimmel zu drücken, der das Schiebedach bewegte. – „Schau an, was der Hüter für einen Wagen fährt“, mögen einige aus den oberen Etagen gedacht haben. Es war ein älteres Model, das bereits eine Menge Kilometer herunter hatte, aber sehr gepflegt und die Marke verhieß Qualität.
Er schwitzte unter seinem Strickpullover.
Endlich kam das Tier so nah, dass zu ahnen war, wovor er sich da fürchtete. Langsam, als habe er Zeit und nichts besseres zu tun gehabt, als die Häuser zu begutachten, wandte Gregor sich zum weitergehen. Auf gleicher Höhe mit einem fetten, weißen Kater, ein jeder auf seiner Seite, am äußersten Rand des Weges, löste ein verschämtes Grinsen seine Züge.
Der Spaziergang war notwendig geworden, weil Hüter viel zu früh zu seinem vereinbarten Termin mit dem Prokuristen der Firma, für die er arbeitete, eingetroffen war. Zum einen hatte er mit mehr Verkehr gerechnet, zum anderen damit, das Bürogebäude nicht auf Anhieb zu finden, denn es war das erste Mal, dass er da war. Ansonsten rief er nur tagsüber dort an, sagte was er brauche, dann brachten ihm im Laufe der folgenden Nacht Revierfahrer alles an seinem Arbeitsplatz vorbei. Papiere bekam er nach Hause geschickt, Antworten auf Rückfragen erledigte er per Telefon, Fax oder E-Mail. Und der Job an sich war denkbar einfach, nur zuverlässig muss man sein, - er war Nachtwächter.
Gregor Hüter spürte die Anspannung wieder, nachdem er den Wall herab gestiegen war und durch das Wohnviertel schlenderte. Doch jetzt war er der Pitbull, den die Leute hinter ihren Fenstern und aus ihren Vorgärten heraus fixierten.
Belanglose Gedanken bemächtigten seiner wieder, in der Hoffnung dadurch geradeso belanglos zu wirken.
Es war ein Viertel, in dem man sich vorstellen kann, dass ein Anwohner der Anblick eines Fremden, Anlass genug sei, die Polizei zu rufen und sie aufzufordern bei diesem eine Ausweiskontrolle durchzuführen. Gregor war kein geselliger Typ, seine ganze Art kündete davon und mehr als die selben misstrauischen Blicken, die ihm entgegen gebracht wurden zu erwidern, war ihm nicht gegeben.
Zurück am Wagen stellte er fest, dass er noch immer eine halbe Stunde habe. Nachdem er auch diese abgewandert hatte, meldete er sich am Empfang, woraufhin man ihn eine weitere halbe Stunde im Foyer warten ließ.
»Ein Herrrüter möchte sie sprechen«, hatte die Dame hinter der Empfangsfestung noch ins Telefon gesäuselt.
Vor ziemlich genau einem Jahr war die kleine Sicherheitsfirma, für die er bis dahin gearbeitet hatte, von einer großen Gebäudemanagement- und Bauträgerunternehmen übernommen worden. Seither residierten die Einsatzleiter über kühlem Marmor.
Zwei Aufzüge führten von der kathedralen Empfangshalle nach oben, zu den Büros.
Ein solcher Protz hätte einem Außenstehenden keinen anderen Schluss zu ziehen erlaubt, als dass hier, über dieser Halle keine Entscheidung getroffen worden wäre die nicht über den Verbleib von mindestens einer Million Öre bestimmt haben würde. Geradezu lächerlich war es im Gegensatz dazu was die hier verfassten Dienstanweisungen in den Objekten zu regeln versuchten. Leute wie Gregor hatten für sieben Euro die Stunde darauf zu achten, dass dort, wo sie eingesetzt waren, die Fenster geschlossen waren, oder diese Türe bei schönem Wetter verkeilt wurde, jene verschlossen blieb, hier das Licht brannte, dort der Kopierer eingeschalten war.
Es gibt keinen Wachmann, der die an ihn gestellten Anforderungen nicht von seinen Fähigkeiten zu subtrahieren im Stande wäre, aber es gibt kaum einen, der diese Differenz im Lauf der Zeit nicht mit Geltungsbedürfnis auffüllte und so letztlich zu jemanden degenerierte, dessen Fähigkeiten tatsächlich die Anforderungen nicht überstiegen. Sie konnten einfach nicht verstehen, dass bei allem das man tut das man im Grunde überhaupt nicht tun will, es nur darum geht, die Zeit totzuschlagen. Gregor Hüter war dagegen der ideale Wachmann.
Er besah sich die Exponate in der Eingangshalle: In Wandnischen eingelassene Modelle von Bürotürmen und Parkhäusern, - Projekte des Planungsbüros -, zwischen zwei Palmen ein bronzener Knabe im Lendenschurz, ein ebenfalls bronzener Stier in Lebensgröße, die beiden Springbrunnen neben dem Eingang, die Bodenmosaike, die in Gold gefassten Strahler. Er fragte sich ob die Scheichs in Saudi-Arabien wohl ihr ganzes Leben in solchem Proporz zubrachten. – Da muss man doch stumpfsinnig werden; - wie ein Kind, das in einer absolut sterilen Umgebung unweigerlich zum Allergiker wird, musste, wer sich hier längere Zeit zu aufhielt, psychisch verkümmern. Aber sicherlich erfüllte dieses Ambiente seinen Zweck der Kundschaft gegenüber. Der Glanz sollte die selbe Ehrfurcht zeitigen, die die Kirche allem Hinterfragen entgegensetzt; - wenn dann zumal die Predigt auf Latein erfolgt, mag ein jeder gänzlich schweigen. – Hallelujah.
Die Allmacht hat sich zwar verschoben, aber die Mechanismen sind nach wie vor die selben.
»Herrrüter«!
Damit war zweifellos er gemeint, da sich sonst niemand in der Halle befand. Die Empfangsdame legte gerade wieder den Telefonhörer ab: »Sie dürfen jetzt hoch fahren. – Dritter Stock«.
»Danke«.
Die Büros waren überraschend klein, die Flure eng, ausreichend zwar und keineswegs dürftig ausgestattet, aber nichts im Vergleich zum Foyer. Vor seiner Karriere als Nachtwächter hatte er lange Jahre am Bau gearbeitet und kannte daher diese Art der Konstruktion. Die Zwischenwände aus Rigips, blecherne Zargen, Teppichböden; bis auf drei, vier Stützmauern war alles innerhalb längstens einer Woche auseinander zu nehmen und je nach Bedarf neu einzurichten.
Vermutlich waren deshalb die alten Räumlichkeiten der Firma, im Gewerbegebiet eines Vorortes nördlich der Stadt, noch nicht gekündigt worden.
Die Art seiner Vorgesetzten war immer noch herzlich. Der Prokurist, als er Gregor von seinem Schreibtisch aus an der Aufzugtür stehen sah, begrüßte ihn beinahe überschwänglich; der Geschäftsführer, der eben mit zwei Kundschaften aus dem anderen Fahrstuhl trat reichte ihm unvermittelt, in partnerschaftlicher Manier die Hand: »Häa Hüter. – Wie geht’s denn immer«?
»Ja danke, geht schon«. Damit war der Tross an ihm vorbei.
Sämtliche Türen standen offen, der Prokurist, ein Mann in seinem Alter, Mitte Dreißig, wenn auch mit Glatze und Schmerbauch älter aussehend, war aufgestanden, um, zum einen, ihm die Hand entgegenzustrecken und zum anderen um in einem Aktenschrank neben dem Schreibtisch nach einem Schriftstück zu kramen.
»Hääa Hüter! – Sie sind da wegen ..., Dingens«.
»Lohnerhöhung«.
»Jaaa genau«. Da er ohnehin gerade stand ging er um seinen Schreibtisch herum und schloss die beiden Türen zum Flur und zum benachbarten Büro: »So, wie geht’s denn immer«?
»Danke, geht schon und selbst«? Herr Reśz hatte ihn damals eingestellt, als die Firma noch unter anderem Namen selbständig war.
»Aaah Pffff ... _ ArbeitArbeitArbeit! - So«. Reśz setzte sich wieder. Gregor Hüter wies auf den Stuhl auf seiner Seite des Schreibtisches.
»Jaja natürlich, setzen sie sich. - So«. Er tippte an seinem PC herum: »Dann woll’n wir ’mal schau’n. – Äähm, sie sind bei der „Teppichwelt“«?!
»So is’ es«.
»MhmMhmMhm ... Hmm? Wissen sie mit ihrer Begründung für eine Lohnerhöhung kann ich nicht viel anfangen«. – Sie hatten vierzehn Tage zuvor bereits miteinander telefoniert. - »Ich meine, ich versteh’ es, aber irgendwie muss ich das ja auch vor der Geschäftsleitung rechtfertigen und da kann ich, - sie verstehen -, nicht sagen: „Ja der Herr Hüter ist jetzt Vater und braucht deshalb mehr Geld.“ – Ich meine damit«, - dabei hackte er mit gespreizten Fingern die Luft -, »es müsste schon irgendwie dienstbezogen sein«.
»Jaja, is’ schon klar, aber ich dachte das sei klar. – Ich war immer zuverlässig und ich habe noch nie eine Lohnerhöhung bekommen«. Er war überrascht sich rechtfertigen zu müssen; ohne ihn hätte es den Wachauftrag bei der Teppichwelt überhaupt gar nicht mehr gegeben. Es gab Kollegen, die wenn sie nur einen Schritt mehr machen müssen, sofort auch nach mehr Geld schreien, er war für ein Gebäude eingestellt worden und hatte teilweise bis zu vier Gebäude zu begehen gehabt, für die er jeweils sogar die Dienstanweisungen geschrieben hatte, ohne dass er auch er auch nur darangedacht hatte mehr Geld dafür zu verlangen.
»Das mit dem Kind, und dass meine Freundin jetzt weniger verdient, da sie im Mutterschutz ist, war ja auch nur meine Begründung dafür das ich mehr Geld brauche; - davon dass meine Leistungen bekannt seien, bin ich eigentlich ausgegangen«. Georg war in den letzten zwei Jahren ganze drei Tage krank gewesen. Nur seiner Arbeit war es zu verdanken, dass, als letztes Jahr einer seiner Kollegen beim Diebstahl gefilmt worden war, Teppichwelt den Auftrag nicht fristlos gekündigt hatte. Er, - Tomaś Reśz -, hatte damals sogar höchstpersönlich beim Vorstand vorgesprochen um sich zu entschuldigen.
»Jaja, das stimmt schon. ... – Dann schau’n wir halt ’mal. Aber wissen sie, wir bekommen von Teppichwelt deshalb auch nicht mehr Geld. Wen wir hingehen und sagen: „Ja, wir bezahlen seit heute dem Herrn Hüter mehr Geld, jetzt wollen wir auch mehr von euch“, dann pfeiffen uns die ’was. Außerdem hat es bei den letzten Lohnrunden auch keine Erhöhung für uns gegeben. In allen Sparten wurde aufgeschlagen, bloß im Sicherheitsgewerbe nicht und wir bezahlen sie sowieso schon übertariflich«.
Hüter wäre eingefallen zu sagen, dass man sich für den Tariflohn ohnehin noch nicht einmal ein Butterbrot leisten könne, aber er sah keinen Sinn darin mehr überhaupt irgendetwas zu der ganzen Sache zu sagen. Er war drauf und dran aufzustehen und sich zu verabschieden.
Beim Bau war das anders. Da ging man zum Chef und es wurde taxiert was man wert war. Er wäre ja trotz aller persönlichen Umstände heute nicht gekommen, wenn er es vor sich selbst nicht hätte rechtfertigen können. – Na gut, auch beim Bau musste man mit dem Chef um eine Lohnerhöhung fechten, aber einem derartigen Kasperltheater, wie es der Prokurist gerade aufführte, würde man sich dort nicht aussetzen.
Die Mundwinkel hingen Hüter schlapp ins Kinn und der Blick heftete sich unter den Tisch.
»Naja«, hob Reśz von neuem, diesmal in freundschaftlichem Tonfall an, »was ich damit sagen wollte ist, - hier kommen mitunter Mitarbeiter rein, die bis zu ein’ Euro die Stunde mehr wollen und sowas geht natürlich nicht. – Ein Euro in ihrem Fall, das sind«, - er tippte auf seinem Tischrechner herum -, »Sechzehn Prozent!! – Man vergisst dabei, - das sind ja immerhin zwei Mark. Also selbst wenn ich ihnen das jetzt genehmigen würde, wäre das ohne Belang, denn Zulagen in dieser Höhe müssen sowieso von der Geschäftsleitung abgesegnet werden«.
Hüter wusste, dass Reśz dabei auch von sich selbst sprach, allerdings wusste er nicht einzuschätzen welchen Rang sein Gegenüber in der neuen Firmenhierarchie einnahm, ebenso wenig wie er eine Ahnung von Personalmanagementseminaren hatte. Hätte er das Büchlein, das der Prokurist nach einer Woche Dialektikschulung, letzten Herbst in einem Kurort in den Alpen, ausgehändigt bekommen hatte, in Händen gehalten, hätte er feststellen können, dass dieser Punkt für Punkt die darin empfohlenen Argumentationsweisen, unter Kapitel II: - „Im Dialog mit dem Mitarbeiter“ -; Abhandlung 2: - „Untergebene“ -; Schwerpunkt a): - „Zuwendungszulagen“ -; abspulte.
– Selbstverständlich wollte er Reśz gegenüber dieser ominösen Geschäftsleitung nicht in Bedrängnis bringen: »Ja also wie viel Prozent können sie denn verantworten«.
»Tja, was hätten sie sich denn vorgestellt«.
»Ja, so dass ich auch was davon merke. Also mit fünfzig Mark brutto is’ mir nicht viel weiter geholfen«.
»Ja das is’ schon klar, aber wir können hier nicht über den Nettolohn verhandeln«.
»Warum nicht? Das is’ es ja auf das es für mich ankommt«.
»Ihr Nettolohn ist ja abhängig von den Stunden die sie arbeiten ...«
»... Der Bruttolohn doch auch«.
»NeinNeinNeinNeinNein, da kommen noch eine ganze Menge Abzüge dazu, die prozentual immer gleich bleiben, aber das brauch’ ich ihnen ja nicht zu erzählen«.
Georg Hüter guckte wohl etwas scheel.
»Wieviele Stunden arbeiten sie denn im Monat«? Wollte der Prokurist wissen.
»Ja äh, - ich komm’ g’rad’ nicht von zu Hause; ich hab’ jetzt leider gar nix dabei. – Hmm -, könn’ sie das nicht in ihrem PC nachschau’n«?
»Moment, - ... Ach Shit, da is’ gerade jemand anderer im Programm«. Er nahm das Telefon ab und tippte vierfingrig, wie eine Spinne: »Ja Frau Sack, sind sie g’rade im Programm? – Nicht?! Wer könnte dann drin sein? – Ach, da finden g’rade Wartungsarbeiten statt! – Von Dings, ja ich weiß schon. Ach wegen der, äh, Programmumstellung; Zeit wurd’ es ja auch. Naja, dann kann man nix machen. Dankeschön. – Ja, bis dann ... – äh, bis wann werden diese Leute fertig sein? Weiß man da was? – Ach, nach Mittag erst. Naja, da kann man nix machen; okee dankeschön nochmal«. Zu Hüter gewandt fuhr er fort: »Sie sehen, dass es im Moment etwas schlecht ist, aber«, damit erhob er sich und zog seinen Aktenschrank auf, »vielleicht ham wir ja hier noch etwas«. In den Ordner den er daraus entnahm sprach er dann, mit sorgenvollem Blick: »Nö ... nö, leider ... leider. Die alten Abrechnungen sind alle noch im alten Büro«. – Er blickte auf -, »wir brauchen sie ja hier im Prinzip nicht und dadurch dass die Lohnbuchhaltung jetzt ja außer Haus gemacht wird, hab’ ich auch keine Unterlagen zur Hand«. Der andere ärgerte sich so unvorbereitet zum Termin erschienen zu sein, hatte die Zeit aber genutzt seine Monatsarbeitszeit kurz zu überschlagen.
»Rund hundertachzig Stunden«.
»Oh, das reicht nicht«.
»Ja so inetwa«.
»NeNe, das sind schon mehr«. Reśz, der sich inzwischen wieder gesetzt hatte, rechnete selbst laut nach und kam auf durchschnittlich Zweihundertsechzig.
»Zweihundertsechzig! – Das ist aber Spitze, keineswegs Durchschnitt«.
Und sie begannen von neuem zu rechnen.
Der Prokurist wusste, wenn er das Gespräch auf diese Nebensächlichkeit reduzieren und es ihm gelingen würde, die Lohnerhöhung, die sich bisher auf den Stundenlohn bezogen hatte, aufs Monat umzulegen, hatte er so gut wie gewonnen. Nachdem sein Mann die Zweihundertsechzig gefressen hatte, brachte er die Zuschläge ins Spiel. Da, - »sie, Herr Hüter, ja hauptsächlich Nachts arbeiten« -, und sich der Nachtzuschlag ja vom Grundlohn berechne, müsse berücksichtigt werden, dass er, Hüter, am Ende nicht mehr verdiene als ein Revierfahrer. Denn diese Leute hätten wirklich Stress, während jemand wie er, im Objektdienst, - »seien wir uns ehrlich« -, doch eher damit beschäftigt sei, die Zeit totzuschlagen, - »wenn man das überhaupt eine Beschäftigung nennen kann«. Georg Hüter, auf dem Bau ehemals schlicht „Schorschi“ gerufen, gab ihm recht.
Teppichwelt war ein Großhandelslager für eben Teppiche; man kaufte an und verkaufte. Ein Nachtwächter war notwendig weil die Versicherung einen solchen zur Bedingung machte, aber zu tun hatte dieser in der Tat letztlich nichts. Niemand wusste das besser als Georg und längst schon war er davon abgekommen seine Aufgabe im Leben in seiner Tätigkeit als ein solcher zu sehen.
»Also«! Fragte er, »wie viel Prozent können sie dann maximal verantworten«?
»Hmm ... hm ... - drei«. Das Gesicht legte sich in Falten: » - Höchstens vier Prozent«.
»Das wären dann rund«, - Georg nahm einen Euro für sechzehn Prozent, wie es der Prokurist vorgegeben hatte, » - fünfundzwanzig Cent«.
»Inetwa«. – Jedoch aufgerechnet auf den bestehenden Stundenlohn ergaben diese fünfundzwanzig Cent eine derart ungerade Summe, dass sich der Prokurist dazu hinreißen ließ von sich aus die Zahl zum nächstliegenden höheren, runden Wert hinter dem Komma zu erhöhen: »Das wären dann ganze vierkommaneunzehn Prozent«!
Schorschi verspürte so etwas wie Dankbarkeit und hoffte, dass der Prokurist wegen dieser nullkommaneunzehn Prozent keinen Ärger mit der Geschäftsleitung bekommen würde.
Das Thema nicht wechselnd, aber ihm einen anderen Schwerpunkt verleihend, fragte Tomaś Reśz seinen Angestellten noch ein wenig über die wirtschaftliche Befindlichkeit zur Teppichwelt aus. Man war dort nur knapp an einer Insolvenz vorbei geschlittert und hatte etliche Mitarbeiter entlassen müssen, aber da Hüter dort nur Nachts arbeitete, wusste er nicht viel darüber. Außerdem war er unzufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs. Zuletzt bedankte er sich noch einmal beim Prokuristen, zum einen, dass der sich die Zeit für ihn genommen hatte und zum anderen dafür, dass er ebenfalls auf der Glückwunschkarte der Firma zur Geburt seines Sohnes unterschrieben Hatte. – Wie es dem denn nun gehe, wollte Reśz im Aufstehen noch wissen.
»Naja, einen bis zwei Monate wird es sicher noch dauern bis er das Gewicht hat, damit wir ihn mit nach Hause nehmen können. Auf nächste Woche ist eine Operation an der Leiste angesetzt, aber das, sagen die Ärzte, ist normal bei Frühgeburten«. Die plötzliche Pikiertheit seines Chefs, dem das Gespräch nun ebenfalls unangenehm geworden war, fasste Georg als Mitgefühl auf.
Georgs Umgangsformen waren nie die besten gewesen, aber er hatte gelernt, dass sich dieser Mangel, sofern man darauf angewiesen war, bei flüchtigen Kontakten, sehr leicht durch einige gängige Floskeln ausgleichen ließ. So zum Beispiel: „Wie geht’s?“, „Schönen Abend noch“, oder „schönes Wochenende“, oder „kommen sie gut nach Hause“, oder aber, - sich für jeden Hundschiss zu bedanken, und so eben auch für Gespräche: »Vielen Dank«, hörte er sich sagen, »dass sie sich die Zeit genommen haben«.
»Aber für sie doch immer«, erwiderte Reśz.
Damit verabschiedeten sie sich endgültig voneinander und Hüter stieg in den Aufzug. Unten lächelte er der Empfangsdame zu und säuselte auch ihr noch ein „aufwiederschaun“ über die Theke.
Es war inzwischen beinahe Mittag und die Sonne hatte den letzten Rest Morgenkühle endgültig vertrieben. Mit spitzem Finger ließ er das Schiebedach zurückgleiten und fädelte sich in den Verkehr ein. – „Vier Prozent“, dachte er. – „Naja gut, aber vom Bruttolohn“, und schließlich kamen ja auch noch die Zuschläge hinzu. – „Aber bleiben vier Prozent nicht in jedem Fall vier Prozent? Egal ob Brutto oder Netto“?!
Er rechnete und an der ersten Ampel schlug er mit der Faust auf den Beifahrersitz, dass sich eine Staubwolke ausbreitete, dazu entfuhr ihm ein herzhaftes »Scheiße«!!