Die Lichtung
Ein Jäger, das Gewehr mit der einen Hand vor seine Brust drückend, mit der anderen vorsichtig über den regennassen Boden tastend, schlich durch das dichte Unterholz eines großen Waldes. Die Sonne war noch nicht aufgegan-gen, doch allmählich und schwer machte sich die Morgendämmerung breit und ließ die Gräser und Äste leise dampfen.
Der Jäger ächzte. Er war diesen heimlichen Gang in der Halbhocke nicht gewohnt und ärgerte sich wieder, dass er nicht zu Hause in seinem Bett geblieben war. Stattdessen spürte er die klammfeuchte Hose an seinen Bei-nen, seine kalten Füße und den Tau, der sich an seiner Nasenspitze bereits zu einem Tropfen gesammelt hatte. Aber er musste weiter. Ein innerer Drang trieb ihn an diesem Morgen weiter zu kriechen. Was genau es war, wusste er nicht. Bis dahin war er stets in Gesellschaft auf der Jagd gewesen und ausschließlich diese war es gewesen, die ihn hatte mitjagen lassen. Nicht um des zu erlegenden Wildes wegen, nein, der frühmorgendliche Plausch über die zu machende Beute hatte ihn getrieben. Doch heute war er allein und er wusste nicht, warum.
Plötzlich lichtete sich das Unterholz. Wie durch ein bizarres Gitter, dessen wirre Stäbe sich langsam auseinander schoben, sah er unmittelbar vor sich eine kleine Wiese, über der ruhig und still der Nebel lag. Dem Jäger war mit einem Mal, als erwartete ihn nun, da er allein und unbeobachtet war, eine große Entscheidung, ein ihn selbst verändernder Moment. Er spürte, wie sein Herz stärker zu pochen begann, wie seine Hände zitterten, er sah sich plötzlich hastiger vorkriechen, schneller, weiter, noch ein Stück, dann legte er sich lang auf den Bauch, spähte, schob sich die letzten Meter weiter nach vorne, bis er endlich den Waldesrand erreichte und die Wiese offen vor ihm lag. Er sah seinen Atem, der stoßweise und grau aus ihm herauskam, und versuchte ihn zu unterdrücken. Nur noch kleine Fäden entströmten seiner Nase, schnell weggewirbelt mit seinem Unterarm, damit niemand ihn jetzt entdeckte. Gleich musste etwas, gleich musste es geschehen, das wusste er, er wusste aber nicht, was.
Und plötzlich war das Bild in seinem Kopf, auf der nebelbedeckten Wiese laufe eine Frau, seine Frau. Überrascht, dass sie nicht zu Hause geblieben, sondern ihm augenscheinlich gefolgt war, sieht er, wie sie in ihrer mäd-chenhaften Art auf dem Boden umherschaut, endlich in die Hocke geht, eine frische Blume pflückt, an ihr riecht und sie dann in ihrer Hand schaukeln lässt wie ein Kind sein Spielzeug. Ihre blonden Haare trägt sie offen, sie liegen auf ihrer weißen Bluse und bei jedem Bücken wehen die Haare hoch, gleiten nieder und umschlängeln ihren schmalen, schönen Hals. Der Jäger denkt daran, wie wunderschön seine Frau ist. Und gerade jetzt, da sie, von ihm unbemerkt, unschuldig umherspielt und eins ist mit der Natur, da scheint sie ihm noch schöner und begehrenswerter.
Er weiß nicht warum, aber in seinem Kopf ziehen mit einem Mal düstere Gewitterwolken über der Wiese auf. Seine Frau scheint die drohende Gefahr nicht zu bemerken, denn voller Ausgelassenheit, so kommt es ihm vor, dreht sie sich jetzt im Kreis. Er selbst beginnt sich, da der Himmel nun schon pechschwarz war, zu ängstigen. Verzweifelt versucht er seine Frau zu war-nen, doch aus seinem Mund kommt kein einziger Laut. Seine Frau lächelt, ja, mit einem Mal sieht er sie lachen, geradezu jauchzen, dann gebärdet sie sich mit einem Schlag hochmütig, scheint etwas zu erzählen aus kleinem, verzerrtem Mund. Sie wirkt arrogant, selbstgefällig und wie um diesen Ein-druck zu bestätigen, zerknüllt sie die Blume in ihrer Hand und schmeißt sie weg.
Da spürt der Jäger das kalte Eisen seines Gewehres in seiner Hand, und er erschreckt. Das also, denkt er. Langsam hebt er das Gewehr und nimmt es in den Anschlag. Eine Sekunde zögert er und überlegt, ob er es nach unten schieben und sich damit in den Kopf schießen solle, dann wäre es vorbei, endlich, doch er wirft den Gedanken beiseite und legt an. Nach kurzem Su-chen entdeckt er im Fadenkreuz seine Frau, die ihn nun grinsend anblickt...