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Die letzte Nacht.

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21.03.2017
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Die letzte Nacht.

„Verfickte Scheiße“, sagte Steve leise in den Raum. Er schlug die müden Augen auf, blickte auf das Chaos in seinem Schlafzimmer, und versuchte den letzten Abend und die Nacht zu rekapitulieren. Der Nebel auf seinen Erinnerungen erschwerte dies und dieser verfluchte, stechende Schmerz, zwischen seinen Schläfen, lenkte ihn zusätzlich ab. Der Abend begann in einer Bar, das wusste er mit Sicherheit. Da war diese Frau am anderen Ende des Tresens, die ihn unentwegt angestarrt hatte. Sie war blond, schön, vollbusig und etwas zu sehr geschminkt. Als sie zu ihm rüber kam, wusste er bereits, das sie auf eine schnelle Nummer aus war. Im ersten Moment hielt er sie für eine Prostituierte. „War sie eine Nutte?“, versuchte er sich zu erinnern.
Steve quälte sich mühsam aus seinem Bett auf die Beine.
„Verfluchter …“, er war auf eine liegende Bierflasche getreten. Wie in einem billigen Slapstick rutschte er auf der Flasche aus, fiel zu Boden, und stieß sich den Kopf an der Bettkante. „Aaaauuu!“, sagte er resignierend und griff an die schmerzende Stelle an seinen Hinterkopf. Immerhin konnte er jetzt das Ergebnis der letzten Nacht hautnah betrachten. Eine Mischung aus leeren Bier- und Weinflaschen, Reste von Chips und Crackern sowie eine Lache aus Alkohol, Sperma und Koks waren auf dem Schlafzimmerboden verteilt. „Na toll“, dachte Steve. Ein neuer Meilenstein in einer endlosen Serie von Saufgelagen und Orgien der letzten Jahre. Auch wenn er sich bisher nur bruchstückhaft erinnern konnte, wusste er instinktiv, dass die letzte Nacht eine neue Dimension erreicht hatte.
„Wo, zum Teufel, ist meine Hose?“, dachte er als er aufgestanden war und an sich hinunterblickte. Er schaute auf seinen rasierten Schwanz, der einen kläglichen Versuch zu einer prachtvollen Morgenlatte startet, jedoch auf halbem Wege scheiterte. „Kaffee“, schoss es ihm durch den Kopf. Der würde helfen wieder ein normales Maß an männlicher Potenz zu erreichen und den pelzigen Geschmack, von schalem Bier aus dem Mund, zu vertreiben. Er trottet langsam aus dem Schlafzimmer, um den Essbereich in Richtung Kaffeemaschine zu durchqueren. Scheiße, sah es hier wüst aus. Überall Klamotten, leere Flaschen und Essensreste. Es roch nach Schweiß, Bier und kalter Pizza, erkannte Steve. In all dem durcheinander fiel sein Blick auf die schwarze Unterhose, die er gestern trug. Nachdem er die eng anliegende Boxershorts übergezogen hatte, fühlte sich sein Gehänge gleich wohler.
Der Kaffee, aus den völlig überteuerten Vollautomaten, gab ihm das Gefühl von Normalität. An den Küchenschrank gelehnt schaute er erneut über den, durchaus versifften zu nennenden, Essbereich seiner Wohnung. Ein BH, nein zwei, Rock, Strumpfhose, High Heels. Steve ahnte was ihn erwartete. Zurück im Schlafzimmer bemerkte er, dass unter der Decke der anderen Betthälfte, etwas lag. Es lugten drei Füße am Ende des Bettes unter der Decke hervor. „Gut gemacht, Steve.“, dachte er mit einem Anflug von Stolz bei sich. Langsam zog er die Bettdecke zur Seite. Er erkannte die überschminkte, mutmaßliche, Prostituierte aus der Bar von gestern Abend. Sie lag friedlich auf der Seite in halber Embryonalstellung mit ihrem Kopf in den üppigen Büsten einer, Steve völlig fremden, Rothaarigen. Sie hatte lange gelockte Haare und sah ebenfalls verdächtig nach einer Nutte aus. Keine von beiden schien das Fehlen der Decke zu stören. Sie lagen weiterhin reglos da.
Steve versuchte, sich krampfhaft an die Vorkommnisse der letzten Nacht zu erinnern. Aber da waren nur bruchstückhafte Fetzen, wie aus einem Traum, die vor seinem inneren Auge tanzten. Greifen konnte er sie aktuell noch nicht. Im Grunde war es auch nicht weiter wichtig für ihn. Es war nur eine weitere durchzechte Nacht mit unbedeutendem Amüsement. Das Saufen, Kiffen, Koksen und Ficken bedeutet ihm mittlerweile nichts mehr. Immer häufiger dachte er an früher. Einer Zeit in der man ihn hätte spießig nennen können. Er hatte dieses Vorstadtleben irgendwann einfach satt und war ausgebrochen. Doch nun kam es ihm, in seiner Erinnerung, wie ein Paradies vor. Er dachte an seine Kinder, die er vor zwei Jahren im Stich gelassen hatte, und seine Frau. Exfrau. Die empfundene Freude über ein Leben ohne Verantwortung und Verpflichtungen war schon längst unter einen Berg von Alkohol und Zigaretten verschüttet und sein Stolz über die Eroberungen der letzten Nacht verfolg zu einer traurigen Einsamkeit.
Etwa fünf Minuten stand er, fast reglos an den Türpfosten seines Schlafzimmers gelehnt, und starrte auf die halb verschlungenen Leiber der beiden schlafenden Frauen. Dann drehte er sich wortlos um und suchte sich aus dem Haufen Scheiße im Esszimmer seine Jeans, das schwarze T-Shirt und seine Socken. Nachdem er sich angezogen hatte nahm er seine Lederjacke vom Hacken an der Tür, schlüpfte in seine Schuhe und verließ, ohne einen Blick zurück, seine Wohnung. Fest entschlossen endlich nach Hause zu gehen.

 

Hallo Maria,

danke fürs lesen und auch deinen Entschluss zu kommentieren. Nur durch das Feedback kann ich lernen.
Diese Geschichte lässt aktuell relativ viel Spielraum für Interpretationen, da gebe ich dir recht.. Das war aber auch meine Absicht, da dieser Text der Prolog zu einem längeren Wert ist, an dem ich mich versuche. Daher wird der Konflikt der Hauptfigur nur kurz angerissen.

LG
Hank

 

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