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Die letzte Nacht

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10.01.2013
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Die letzte Nacht

Ernst:
Das ist die letzte Nacht in meinem Haus. Jetzt muss ich ins Altersheim. Die Kinder sagen, es wäre das Beste, aber ich weiß nicht. Hoffen wir es. Hilde ist am 15. September 2006 gegangen. Wir haben uns 51 Jahre, drei Monate und 5 Tage gekannt. Vorgestern haben sie mir das eingerichtete Zimmer im Altenheim gezeigt, es ist wirklich groß. 28 qm haben sie gesagt. Ich komme nur so schnell da rein, weil jemand gestorben ist.
Die letzte Nacht in meinem Haus. Ich habe den Grund 1964 von meinem Vater geerbt. Wir haben zu bauen angefangen, als Gisela zwei Jahre alt und Paul unterwegs war.
Mir geht’s schlecht. Mein Leben ist weg. Sie haben Möbel ins Zimmer gebracht, sogar meine Kaffeetassen. Mir ist schwindelig wegen der Tabletten. Sie sagen, ich muss sie morgen früh wieder nehmen, aber das will ich nicht.
Letzte Woche bin ich gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich musste zum Telefon kriechen, um Gisela anzurufen.
Das Wetter am Wochenende war schön, aber nun regnet es. Ich hätte draußen arbeiten sollen. Der Garten ist voller Unkraut. Die Bäume gehören beschnitten, aber ich hab’s nicht geschafft.
Es ist alles so viel Arbeit, so viel Arbeit.
Sie sagen, das Heim wäre das Beste für mich, vielleicht haben sie recht. Aber, ich weiß nicht. Am Donnerstag bin ich die Treppe ins Schlafzimmer nicht mehr hochgekommen und musste auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen. Oben ist alles wie immer. Ich habe nichts weggeräumt, Hilde kann jederzeit wiederkommen. Ihre Kleider hingen bis letzte Woche im Schrank, jetzt haben sie sie der Caritas gegeben. Hilde hat viel zu viele gekauft. Und nichts mehr angezogen. Als sie mit Krebs im Krankenhaus lag, hat sie nur Gymnastiksachen angehabt. Die würden nicht so einschneiden.
Sie haben das Haus verkauft. Viel zu teuer. Die Leute haben wohl nicht gesehen, dass es renoviert werden muss. Die Fenster sind alt. Der Garten ist auf Erbpacht, da müssen sie auch noch zahlen. Und das Gewächshaus wollten sie haben, aber es ist doch nichts mehr wert. Die wissen nicht, wie viel Arbeit das alles ist, soviel Arbeit. Von Hildes Blumenfenster haben die Kinder die Rosenkugeln mitgenommen. Und die alten Kaffeemühlen, die im Regal über dem Herd gestanden haben. Hilde hat sie gesammelt. Alles wird weggeschmissen. Sie sagen, ich habe viel Geld und kann das Heim bezahlen bis ich 120 Jahre alt bin. Aber ich weiß nicht. Gestern habe ich ein neues Unterhemd angezogen. Über das andere drüber. Ich rufe jetzt alle an, dass ich morgen nicht mehr hier bin.
Das ist die letzte Nacht in meinem Haus.

Holger:
Für Ernst ist es die letzte Nacht in seinem Haus. Meine Frau Gisela telefoniert gerade mit ihren Geschwistern und versucht, alles Weitere zu regeln. Immerhin machen sie ihr den Vorwurf nicht mehr, den Vater ins Heim abzuschieben. Sie sind alle weggezogen, nur Gisela blieb am Ort. Als die anderen am Wochenende ihren Vater besuchten, schimmerten ihre Augen wässrig. Seitdem helfen wir alle zusammen und räumen das Haus aus. Ernst hat nie etwas weggeworfen. Paul und ich haben Wagenladungen Müll in den Bauhof gebracht, während Gisela mit ihren Schwestern alles Wertvolle aussortiert hat. Wir spenden es dem Tierschutzverein.
Ich habe Angst, dass Gisela bald zusammenbricht. Tränen hat sie schon lange keine mehr.
Ernst ist seit dem Tod von Hilde immer schrulliger geworden, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass es nun nach all den Jahren derart eskaliert.
Er hat oft mitten in der Nacht angerufen. Immer war irgendetwas. Einmal meinte er, sein Stromzähler sei von den Nachbarn manipuliert worden. Gerade sitze er im Keller und beobachte, dass sich die Scheibe viel zu schnell drehe.
Wir zeigten ihm die alten Stromrechnungen und verglichen die Zahlen mit dem aktuellen Stand; es war alles im normalen Bereich. Er hat uns nicht geglaubt und immer wieder bei den Nachbarn angerufen. Fünfmal mussten wir ihn in die Notaufnahme bringen. Dreimal dachte er einen Herzinfarkt zu haben, die anderen Male einen Darmverschluss. Es war nie etwas.
Ich habe versucht, ihm die Gartenarbeit abzunehmen, aber ich konnte ihm nichts recht machen. Manchmal wurde er richtig böse und hat mich angeschrien. Auch als wir ihm sein fertig eingerichtetes Zimmer gezeigt haben, hatte er an allem lautstark etwas auszusetzen. Das Sofa stand verkehrt, da der Abstand zum Fernseher zu groß war und beim Mittagsschlaf würde ihm die Sonne genau ins Gesicht scheinen. Und überhaupt könne er sich mit den Alten hier bestimmt nicht vernünftig unterhalten.
Wir haben uns wirklich bemüht. Er hat das größte und schönste Einzelzimmer im besten Seniorenheim der Gegend. Mit Blick auf den Fluss. Und er kann sich das alles auch leisten, er hat das Geld. Gisela hat ihm angeboten, zu uns zu ziehen. Wir haben genug Platz. Aber er wollte nicht. Ich habe es Gisela nicht gesagt, aber ich war erleichtert. Es wäre hier mit uns allen einfach nicht gut gegangen. Er war auch gegen den ambulanten Pflegedienst und eine Haushaltshilfe. Er wolle keine fremden Menschen bei sich haben.
Nun ist er die letzte Nacht in seinem Haus.


Eva:
Onkel Ernst hat gerade angerufen. „Eva, ich wollte dir nur Bescheid geben. Das ist die letzte Nacht in meinem Haus. Morgen gehe ich ins Altersheim. Ich komme nur so schnell da rein, weil jemand gestorben ist. Mein Leben ist weg.“
„Onkel Ernst, das stimmt doch nicht.“ habe ich dagegengesprochen. „Es ist doch gut, dass du jetzt schon ein Zimmer kriegst. Gisela hat gesagt, dass wahrscheinlich erst in drei bis vier Monaten ein Platz frei wird.“
„Also ich weiß nicht. Die Kinder kommen alle und zerren hier Sachen raus. Sie lassen mir gar nichts.“
„Aber du hast doch gemeint, dass alles viel einfacher wäre, wenn das Zeug endlich weg ist.“
„Die haben das Haus viel zu teuer verkauft. Die Leute wissen nicht, wie viel Arbeit das ist.“
„Ach, Onkel Ernst. Sei doch froh, dass du diesen Ballast nicht mehr hast. Das hat dich doch immer so erdrückt.“
“Ja ja. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute Nacht zum letzten Mal in meinem Haus schlafe. Morgen komme ich ins Altersheim.“
„Ich werde dich bald besuchen.“
„Wer weiß, was bis dahin ist. Also dann, Eva grüß alle von mir. Ade.“

Ich sitze auf dem Balkon und der zunehmende Halbmond spiegelt sich im schwarzen Bildschirm meines Laptops. Was soll ich schreiben? Emotionen überwältigen mich und Tränen tröpfeln auf die Tastatur.
Das ist die letzte Nacht in seinem Haus.
Wie muss er sich fühlen? Er hat 42 Jahre dort gelebt, vier Kinder großgezogen und nun kommt er ins Altersheim. Die letzte Station. Er sitzt jetzt wahrscheinlich im Wohnzimmer in seinem abgewetzten Lieblingssessel und sieht fern. Vielleicht ist er eingedöst. Die Standuhr wird schlagen, aber das stört seinen Schlaf schon lange nicht mehr. Morgen früh wird er zum letzten Mal vor seinem alten Spiegelschrank stehen und sich kämmen. Sich das letzte Mal in seinem eigenen Schlafzimmer anziehen.
Vor zwei Wochen bin ich den langen Weg zu ihnen gefahren. Meine Cousine Gisela hat mich gebeten, mir Sachen auszusuchen und mitzunehmen. Ansonsten würde alles im Sperrmüllcontainer landen.
Ich habe sie vorigen Sommer noch besucht und war erschrocken, wie stark sich seitdem alles verändert hat. Gisela funktionierte wie ein Roboter und organisierte alles Notwendige wie unter Betäubung. Holger hatte nicht nur an Humor, sondern auch an Substanz verloren. Sie sahen beide fürchterlich mitgenommen aus. Und in den Augen von Onkel Ernst leuchtete es noch wach, aber sein Körper schlich wie ein Geist durch die Zimmer.

Simon kommt auf den Balkon und schaut mich besorgt an.
„Ist es so schlimm?“ Ich zucke die Achseln und wieder fließen diese salzigen Perlen an meinem Gesicht hinunter. Ich weiß selbst nicht, warum mir das alles so nahegeht.
Der Gedanke, dass mein lieber, starker und immer präsenter Onkel nun gramgebeugt im Altersheim landet, macht mich traurig. Es ist ein anderes Gefühl, als beim schnellen Krebstod meiner Tante Hilde. Sie wurde als aktiver Mensch aus dem Leben gerissen, während Onkel Ernst vor sich hinwelkt und langsam nichts mehr von seiner Person übrig bleibt.
Und nun ist es die letzte Nacht in seinem Haus.
Simon drückt mich fest an sich „Ich glaube, du nimmst das alles viel tragischer als deine Leute.“ Ich schaue in den Nachthimmel und betrachte die Sterne. Es sind Bilder der Vergangenheit.
Vielleicht hat er recht.

Aber, ich weiß nicht.

 

Hallo mamamauzi,
ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich kann deine Geschichte unheimlich schwer einschätzen. Einerseits weiß ich nicht, worauf du rauswillst, das gilt besonders für die letzte Perspektive, aber vielleicht ist das ja auch egal. Andererseits hat mich die Geschichte total berührt. Mir schnürt es ein bisschen die Kehle zusammen, wenn ich mir den alten Mann vorstelle, wie er die letzte Nacht in seinem Haus verbringt. Das war bei meiner Mutter ganz genauso. Wie sie darüber geredet hat, das war dem, wie du es hier beschreibst, sehr, sehr ähnlich. Und auch wie du den alten Mann sprechen lässt über sein Haus, den Verkauf, auch das erinnert mich an die Art und Weise, wie lapidar ältere Leute über Dinge sprechen, die ihren gesamten Lebenshorizont ausgemacht haben. Also ich finde, du hast da eine sehr gute und sensible Beobachtungsgabe und kannst dich gut in die Gefühle anderer hineinversetzen. Du hast mich sehr damit angesprochen und an einem sehr persönlichen Punkt erwischt.
Ob die Geschichte jetzt vernünftig aufgebaut ist, genügend Handlung hat, zu einem gescheiten Ende geführt ist, keine Ahnung, ich bin wirklich unsicher. Auf jeden Fall hast du Erinnerungen bei mir wachgerufen und sie zum Schwingen gebracht. Ich glaube, ich bin doch eine sehr emotionale Leserin und wenn jemand wie du hier mit deiner Geschichte an einer Stelle andockt, die einen persönlich berührt, dann ist es vielleicht auch die Folge, dass man seine normale Urteilskraft ein bisschen ausschaltet. Also nimm es einfach so: Ein sehr berührender Ausschnitt, traurig und naja, ist wohl einfach der Lauf der Dinge.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende für dich

 

Hallo Novak,

ich kann dich gut verstehen.
Dass meine Geschichte dich erreicht hat, freut mich trotz der traurigen Umstände. Die Story hat einen biografischen Hintergrund. Ich habe sie viele Male überarbeitet und versucht, als Autor neutral dokumentierend rüber zu kommen. Anscheinend sind wohl doch zu viele Gefühle mit rein geflossen, aber vielleicht macht das meine Geschichte auch aus.
Ich habe sie in "Alltag" eingestellt, weil ich glaube, dass dies auch für andere Leser in aktuelles Thema sein könnte.

Dir auch ein schönen WE

mamamauzi

 

Letzte Woche bin ich gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich musste zum Telefon kriechen[,] um Gisela anzurufen.

Hi mamamauzi -

da staunstu, dass ich alter Sack neudeutsch kann, gelt? Aber es ist wirklich ein Kreuz mit dem Alter (nicht nur, wenn man "Rücken hat", wie man hierzulande sagt und die Monologe/Gedankenspiele der Betroffenen zeigen die gegensätzlichen persönlichen Befindlichkeiten auf, die ja noch die verborgene rechtliche Situation erst erhellen würde: Würde Ernst etwas im eigenen Hause widerfahren - es muss ja nicht das Schlimmste sein - sollte man auch das Gedankenspiel unterlassener Hilfeleistung berücksichtigen, freie Entscheidung des Alten hin oder her gewendet. Jedem Verwandten ist es nicht gegeben, den Alten selbst zu pflegen und wer in einer andern Berufswelt statt der Pflege/Gesundheits(un)wesen arbeitet wird seine Probleme bekommen usw. usf.

Zur Entspannung lass ich mal die Kleinkrämerseele raus (siehe schon oben im Zitat):

„Ach[,] Onkel Ernst.

„Wer weiß[,]was bis dahin ist.

Es ist alles soviel Arbeit, soviel Arbeit.
Soviel nur zusammen als Konjunktion, hier getrennt so viel ... (kommt wenigstens noch einmal weiter unten vor)

Aber ich weiß nicht.
Hier besser entweder Komma
Aber[,] ich weiß nicht.
oder ein "es" einfügen
Aber ich weiß [es] nicht.
(Den Schlusssatz nicht vergessen ...)

Hier fehlt ein Dehnungs-h

Wir zeigten i[h]m die alten Stromrechnungen

So, da bin ich wieder:

Ich komme nur so schnell da rein, weil jemand gestorben ist.
Ich glaube nicht, dass Ernst es so sieht wie ich, auch Altenheime unterliegen dem Wettbewerb und Leerraum bedeutet unnötige Kosten und Verlust, belegte Zimmer Umsatz & vor allem Gewinn ... Und wenn der Geldfluss gesichert ist, findet sich schnell ein Plätzchen. Selbst Caritas und Diakonie unterwerfen sich den marktlichen Bestimmungen, umso mehr die privaten Träger ...

Aber ich will nicht nörgeln: Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo, ich nochmal:

Die Story hat einen biografischen Hintergrund. Ich habe sie viele Male überarbeitet und versucht, als Autor neutral dokumentierend rüber zu kommen. Anscheinend sind wohl doch zu viele Gefühle mit rein geflossen, aber vielleicht macht das meine Geschichte auch aus.
Dass deine Gefühle da eingeflossen sind, herrje, das finde ich doch gerade das Starke an der Geschichte.
Nochmal liebe Grüße
Novak

 

Hallo Friedel,

danke fürs Lesen und Kommentieren. Mit den Kommas hast du mich wieder mal erwischt :), aber ich gelobe Besserung.

Über die rechtlichen Aspekte meiner Geschichte habe ich mir auch Gedanken gemacht.
Allein die Schrulligkeit von Ernst reicht nicht aus, um über seinen Kopf hinweg zu bestimmen.
Wenn er nicht zu seiner Tochter ziehen, einen Pflegedienst oder eine Haushaltshilfe in Anspruch nehmen will, ist das seine eigene Entscheidung. Dass er seinen Stromzähler beobachtet oder ein Unterhemd über das andere zieht, ist zwar merkwürdig, aber kein ausreichendes Indiz dafür, das er seine Angelegenheiten nicht mehr regeln kann.

Gisela und Holger haben ihre Hilfsmöglichkeiten ausgeschöpft. Ernst darf im Rahmen seines Rechts auf Selbstbestimmung leben, wie er will. Auch wenn das in ihren Augen eher ungut erscheint. Da akut keine Selbst – oder Fremdgefährdung vorliegt, können ihm die beiden nur gut zureden.

Hallo Novak,

vielleicht ist für einen Autor gerade im Bereich „Alltag“ vieles direkt aus dem Leben gegriffen. Mit eigenen Erlebnissen oder der Inspiration aus dem nahen Umfeld. Und du hast recht, da können wir Gefühle nicht einfach so ausblenden. Möglicherweise ist es auch gut so …

Grüße vom mamamauzi

 

Immerhin machen sie ihr den Vorwurf nicht mehr, den Vater ins Heim abzuschieben
da schau ich doch glatt noch mal rein,

liebe mamamauzi,

mit dem vorrangigen Selbstbestimmungsrecht des alten Herrn hastu selbstverständlich recht – aber die entspr. Regelung hat es in sich, denn sinnigerweise fällt die auslegungsbedürftige Regelung zur unterl. Hilfeleistung [Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten … ist, …] (§ 323c StGB) im besonderen Teil des StGB untern Abschnitt 28, „gemeingefährliche Straftaten“, aber der Gedanke einer möglichen unterlassenen Hilfeleistung kam mir z. B. durch folgende Szene auf

Letzte Woche bin ich gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich musste zum Telefon kriechen, um Gisela anzurufen
oder auch der eher resignierende Satz
…, während Onkel Ernst vor sich hinwelkt und langsam nichts mehr von seiner Person übrig bleibt
.

Alles andere fällt halt unter Eigenheiten, die sich den andern als Schrulligkeit auftun können, wie die Vermüllung oder auch

[g]estern habe ich ein neues Unterhemd angezogen. Über das andere drüber,
ich bin so schrullig, zieh gar keine Unterhemden erst an (sehn wir mal von ab, dass Ernst mein t-shirt für Unterwäsche halten wird) … usw.

Nehmen wir noch schnell die letzten Flusen vom Teppich

Die wissen nicht, wie viel Arbeit das alles ist, soviel Arbeit.
So viel - beim ersten Lesen wahrscheinlich übersehn, k. A.

Einmal muss ich nochmals auf Satzzeichen zurückkommen, nämlich hier:

„Onkel Ernst, das stimmt doch nicht.“ habe ich dagegengesprochen.
Abgesehen vom Abschluss der wörtl. Rede (Punkt weg, Komma hinter die auslaufenden Gänsefüßchen) – es klingt mir weniger wie eine nüchterne Aussage, als vielmehr ein Ausruf, dass vllt. besser wäre
„Onkel Ernst, das stimmt doch nicht[!“,] habe ich dagegengesprochen.

Die letzte Nacht ist wie das erste Mal von schöner Vieldeutigkeit, finde ich, und alles - wie hier - Vorspiel zur ewigen Nacht ...
sagt der

Friedel,
der übrigens meint, dass Du gar keine Besserung geloben bräuchtest ...

 

Hallo mamamauzi,

so, endlich der Kommentar für dich. Ich bin unschlüssig mit deiner Geschichte, kann schlecht greifen, warum das so ist. Ich versuche es mal.

Es geht um den alten Mann Ernst und seine letzte Nacht im eigenen Haus. Du beschreibst diese aus verschiedenen Blickwinkeln: Ernst, Schwiegersohn, (Groß?)Nichte, Sohn der (Groß?)Nichte ... Jeder hat eigene Gefühle dazu.

Ernst:

Letzte Woche bin ich gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich musste zum Telefon kriechen, um Gisela anzurufen.
Show, don´t tell. Eine direkte Szene (in der Erinnerung) wäre anschaulicher.
Gestern habe ich ein neues Unterhemd angezogen. Über das andere drüber.
Würde es ihm auffallen?

Holger:Hier würde mir definitiv helfen, wenn er von "Vater" spräche.

Er hat oft mitten in der Nacht angerufen. Immer war irgendetwas. Einmal meinte er, sein Stromzähler sei von den Nachbarn manipuliert worden. Gerade sitze er im Keller und beobachte, dass sich die Scheibe viel zu schnell drehe.
Das wäre ansprechender als direkte Szene, an die er sich erinnert.

Eva:

Ich komme nur so schnell da rein, weil jemand gestorben ist. Mein Leben ist weg.“
„Onkel Ernst, das stimmt doch nicht.“ habe ich dagegengesprochen. „Es ist doch gut, dass du jetzt schon ein Zimmer kriegst. Gisela hat gesagt, dass wahrscheinlich erst in drei bis vier Monaten ein Platz frei wird.“
Hier sind zwei Dinge vermischt. Einmal die zeitliche Perspektive (und auch die ist in sich nicht stimmig), dann der Verlust des selbstbestimmten Lebens. Das würde ich vermutlich auseinanderdröseln.

Ich sitze auf dem Balkon und der zunehmende Halbmond spiegelt sich im schwarzen Bildschirm meines Laptops. Was soll ich schreiben? Emotionen überwältigen mich und Tränen tröpfeln auf die Tastatur.
Die Szene gefällt mir. Nur, warum schreibt die Erzählerin? Die Antwort sollte nicht sein: es ist autobiographisch und die Erzählerin ist die Autorin. Ich finde, es sollte in der Geschichte erklärt werden.
Ich habe sie vorigen Sommer noch besucht und war erschrocken, wie stark sich seitdem alles verändert hat. Gisela funktionierte wie ein Roboter und organisierte alles Notwendige wie unter Betäubung. Holger hatte nicht nur an Humor, sondern auch an Substanz verloren. Sie sahen beide fürchterlich mitgenommen aus. Und in den Augen von Onkel Ernst leuchtete es noch wach, aber sein Körper schlich wie ein Geist durch die Zimmer.
Sowas gefällt mir.

Insgesamt ist die Beschreibung aus mehreren Perspektiven eine gute Gelegenheit, eine Geschichte facettenreich oder mit überraschenden Wendungen zu erzählen. Dabei kommt es auf eine gute Mischung aus Redundanz (um sich zurechtzufinden) und hinausgezögerten Informationen an. Bei deiner Geschichte habe ich nicht den Eindruck, dass du sie unter diesem Aspekt konzipiert hast. Für meinen Geschmack ist es zuviel der Worte für den Inhalt. Aber wie gesagt: für meinen Geschmack! Insgesamt bleiben mir die Charaktere ziemlich fremd und damit auch meine Bereitschaft, mitzufühlen. Dabei finde ich das Thema spannend!

Gruß, Elisha

 

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