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Die letzte Kompanie
Sein müder Blick glitt über das Schlachtfeld. Überall auf dem Feld häuften sich die Körper der toten Soldaten. Die Schreie der Verwundeten konnte man bis zu den nächsten Dörfern hören. Den Rauch einheitlich geschossener Musketen sehen und riechen. Sein steifer Schwertarm lockerte langsam den Griff um den blutverkrusteten Degen und ließ die Waffe in den aufgewühlten Boden fallen.
Er versuchte, seinen Arm zu entspannen, die Männer zu vergessen, die durch seine Hiebe gestorben waren. Schreiend, um Gnade flehend. Er hatte sie in seinem Blutrausch niedergemetzelt, als seine Fußsoldaten gegen den Feind geschickt wurden. Durch das weiche Fleisch und Lederrüstung hat sein Säbel geschnitten. Immer wieder. Immer wieder.
„Kavallerie!“, schrie der Beobachtungsposten furchtsam. Das konnte nur bedeuten, dass der Feind wieder auf ihre Stellung zuritt. Der Mann blickte auf einen kleinen Hügel, wo er vor einigen Stunden mit seiner Kompanie gestanden hatte. Leer. Ihre Armee war aufgerieben, ihre Generäle waren geflohen und sie hatte man zurückgelassen, um den Feind aufzuhalten. Die Erde fing an zu vibrieren.
„In Formation treten!“, schrie er den verbliebenen Soldaten seinen Befehl zu. Das jahrelange Training ließ sie automatisch handeln, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Sie konnten nichts anderes tun. Das Feld bot keinen Schutz. Sie waren der Kavallerie schutzlos ausgeliefert. „Möge Gott über uns wachen.“, brachte der Sergeant zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor. Der Leutnant griff zitternd nach seinem Degen. „Kein Gott wird uns gegen heranstürmende Kavallerie helfen können. Wir sind auf uns allein gestellt, Sergeant.“ Die Staubwolke, die die Kavallerie hinterließ, schwebte wie eine unheilverheißende Botschaft über dem Feld und ließ beide Männer das Gespräch unterbinden. „Wir leben und kämpfen für das Vaterland, Männer!“, brüllte der Sergeant dem Rest der Kompanie zu. „Wir leben und kämpfen für das Vaterland! Wir kämpfen und leben für das Vaterland!“, riefen sie ihm nach kurzem Zögern entgegen. Sie hatten nicht laut genug gebrüllt, als dass sie die Kavallerie übertönen konnten, aber sie hatten sich Mut gemacht. Ihr Gesang verstummte abrupt, als die Kavallerie durch ihre Reihen, wie ein Messer durch weiche Butter schnitt und aus Kriegsschreien Schmerzensschreie wurden. Galant schnitten Klingen der Kavallerie mühelos durch Leder, Stoff und Haut. Eine neue Schicht roter Farbe legte auf den Waffen ab. Pferdehufen traten Brustkörbe und Schädel ein. Der Kampf dauerte wenige Sekunden. Ein Dutzend blieb.
Der Leutnant spuckte Blut und fasste sich an die klaffende Bauchwunde. Er ließ den Degen abermals zu Boden fallen und schützte mit der freien Hand seinen Mund vor dem wirbelnden Staub. Der Sergeant lag vor ihm auf dem Boden. Tot. Ein glatter Schnitt führte von seinem Bauch bis zur Brust. Wenigstens war er von seinem Elend befreit, dachte sich der Leutnant müde, als er die Kavallerie wegreiten sah. Sie würden sich formieren und wieder über sie hinweg reiten. Genauso wie dieses Mal - und letztes Mal.
Der Leutnant blickte auf die Verbliebenen seiner drastisch geschrumpften Kompanie. Ein blutendes und schreiendes Häufchen Elend. Dieses Mal würde die Kavallerie das letzte Mal durch die Reihen der Kompanie reiten. Die verbliebenen Männer schauten, zitternd und abgekämpft, ihren Feind beim Manöver zu. Es war, als würde man zuschauen wie der Henker seine Axt ein letztes Mal in Position brachte. Der Leutnant setzte sich unter Schmerzen auf die aufgeweichte Erde und beobachtete geistesabwesend die feindliche Kavallerie. In perfekter Formation galoppierten die Pferde einen Bogen. Die Schreie der Verwundeten ignorierte er, genauso wie vor dem letzten Durchritt. Zitternd griff der Offizier nach der Wasserflasche.
Leer - bis auf den letzten Tropfen.
„Kavallerie!“, schrie erneut ein pflichtbewusster Soldat, als die Wasserflasche im Dreck landete. Unter Schmerzen kämpfte der Leutnant sich hoch. Seine Uniform war blutgetränkt. Sein Blick war trüb. „In Formation treten!“, schrie er zum vierten Mal. Die Erde fing an zu vibrieren. Der Offizier versuchte seinen Degen anzuheben, aber sein verkrampfter Arm wehrte sich. Stattdessen hob er eine leere Muskete auf und gesellte sich zu seinen Männern. Sie hatten schon lange keine Munition mehr, aber es ziemte sich nicht ohne Waffe zu sterben. Die Kavalleristen schienen ihre Waffen für diesen letzten Moment gesäubert zu haben. Grell glänzten die Klingen im heißen Sonnenlicht und kündeten das Ende an. Der Henker senkte seine Axt, um das Haupt von Körper zu trennen.
Die Kompanie brüllte keinen Kampfschrei. Sie wehrte sich kaum. Sie zitterten. Sie taten ihre Pflicht in einer längst verlorenen Schlacht. Erneut rollte die Kavallerie über die Soldaten in donnerndem Getöse hinweg und als sich der Staub legte, war kein Mann mehr auf den Füßen.
Der Henker hatte seine Arbeit getan.