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Die letzte Frage

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11.02.2002
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Die letzte Frage

Daniel Maar hielt sich immer für einen ganz gewöhnlichen Menschen. Gut, er hatte schon so seine Eigenheiten, darauf wies ihn seine Frau Katja ja auch immer wieder hin – Paragliding als Hobby war schon etwas gewagter als Briefmarken zu sammeln. Aber er war ja auch noch jung. Ansonsten ging er seinem Beruf nach, er war Angestellter in einem Maschinenbaubetrieb, half im Büro bei der Kundenbetreuung, aber auch in der Logistik. Der Betrieb war klein, und so war er eigentlich Mädchen für alles; nur mit den Maschinen selbst hatte er nichts zu tun.
Kinder hatte er leider noch nicht, doch er hatte das mit Katja schon oft besprochen und bald, ja bald wollten sie auch das angehen. Da es aber bisher nicht dazu gekommen war, wohnten sie beide noch in einer schönen Drei-Zimmer-Wohnung nahe dem Stadtzentrum, aber ruhig gelegen. Zu ebendieser war Daniel jetzt gerade unterwegs. Es war schon kurz nach fünf, er hatte Überstunden gemacht. Wenn es not tat, war er gerne zu Kompromissen bereit, da hatte auch seine Katja Verständnis.
Im Bus war nicht besonders viel los. Er fuhr regelmäßig mit dem Bus zur Arbeit und zurück, da der Golf, ja, sie gehörten zur „Generation Golf“, auch wenn er das Buch nicht wirklich gut fand, also der Golf, den nahm Katja immer zum Einkauf, oder eben um ihre Teilzeitstelle in einer Modeboutique anzutreten, da mußte man flexibel sein. Deswegen bekam sie das Auto. Eine Rolle spielte dabei aber auch, daß sein Chef ihm das Monatsticket erstattete.
Er war froh, daß er im Bus seine Ruhe hatte, im Büro ging es oft hektisch zu, da empfand er das allabendliche Gedrängel im Bus als echte Zumutung. Auch auf der Straße war es ziemlich ruhig, eigentlich normal für nachmittags, aber nicht für jetzt, da eigentlich immer noch Berufsverkehr herrschen müßte. Naja, dachte er sich, wird wohl ein Fußballspiel sein, wegen dem alle früher nach Hause sind. Er machte sich nichts aus Fußball, war als Junge auch nicht besonders gut darin. Er wurde deswegen immer als Torwart eingeteilt von den anderen.
Am Hauseingang begrüßte er freundlich einen Nachbarn, sie legten Wert auf ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn, vielleich brauchte man ja mal ihre Hilfe. Das Auto stand vor der Tür, doch als Daniel die Tür aufschloß und Katjas Namen rief, antwortete niemand. Einige Lichter brannten in der Wohnung, zu wenige für die inzwischen völlige Dunkelheit draußen, aber einige waren es, was verwunderlich war: niemals würden sie beide die Wohnung verlassen, ohne die Lampen auszumachen.
Er sah im Schlafzimmer nach, in der Küche, schließlich auch im Bad, wobei er flüchtig daran dachte, wie schön es wäre, wenn sie jetzt unter der Dusche stände. Doch das Bad war dunkel. Daniel beschloß, das Geheimnis später aufzuklären, und jetzt schnell noch einzukaufen, was Katja scheinbar versäumt hatte, wie ein Blick in den Kühlschrank Daniel offenbart hatte. Das Auto war ja da.
Vielleicht macht sie einen Spaziergang oder ist auf einen Sprung bei einer Nachbarin, dachte Daniel, als er losfuhr. Er sah nur einen alten Mann, der seinen Hund spazierenführte. Der Verkehr auf der Hautstraße hatte noch weiter abgenommen, was trotz der fortgeschrittenen Stunde ungewöhnlich war. Mußte ja ein tolles Fußballspiel sein. Er erwischte einen Parkplatz nahe der Fußgängerzone, und war bald darauf in der Innenstadt angelangt.
Es war jetzt sechs Uhr durch, und kaum ein Mensch war auf der Straße. Eigentlich war es nun immer brechend voll, die Leute kamen von der Arbeit und wollten einkaufen oder zu abend essen. Er kaufte eine Schachtel Zigaretten an einem Kiosk und fragte den Verkäufer: „Wichtiges Fußballspiel im Fernsehen heute abend, oder warum ist nichts los?“ Der Verkäufer meinte nur: „Kann sein. Ich gucke mir das nicht so regelmäßig an. Vielleicht ist aber auch was im Kino.“
Das erschien Daniel für diese Uhrzeit unwahrscheinlich, doch er gab sich damit zufrieden und betrat einen kleinen Supermarkt, um für das Abendessen einzukaufen, und ein paar Glühbirnen brauchten sie auch wieder, die gingen langsam aus. Er ging durch die automatische Tür, an einigen Obst- und Gemüsekörben in der Eingangsschleuse vorbei, und betrat den Verkaufsraum. Der war leer.
Nicht nur, daß keine Kunden dagewesen wären, nein, es waren auch keine Kassiererinnen zu sehen, und die kleine Bäckereitheke gleich rechts war ebenfalls unbesetzt. Das hatte Daniel noch nie erlebt. Er ging durch die Drehsperre, und durchwanderte langsam die Regale, immer nach links und rechts schauend, doch es war kein Mensch zu sehen. Vielleicht waren sie alle vor etwas Gefährlichem geflohen, schoß es ihm durch den Kopf. Er hatte sowas mal im Fernsehen gesehen, als irgendwo in Japan unsichtbares Giftgas ausgeströmt war, und alle panisch davonrannten. Von einer plötzlichen Unruhe gepackt, beeilte sich Daniel, herauszukommen. Er rannte fast, als er den Ausgang wieder erreichte. Gehetzt blickte er sich auf der Straße um, doch es war niemand zu sehen. Im Laufschritt nahm er den Weg zurück, den er gekommen war, sah jedoch keine Menschenseele. Auch der Kioskbesitzer war nicht mehr da.
Daniel stand da, und sah unschlüssig umher. Sowas gab es doch nur in schlechten Filmen. Irgenwo mußte einfach jemand sein. Er rannte zurück zu seinem Auto, ohne jemandem zu begegnen, fuhr dann schnell los. Zwar standen nach wie vor zahlreiche Fahrzeuge geparkt am Straßenrand, doch unterwegs war niemand. An einer Kreuzung wäre er fast auf ein Auto aufgefahren, daß vor der Ampel stand, obwohl diese Grün zeigte. Langsam fuhr er um den Wagen herum, und sah hinein. Der Motor lief, das Licht war an, doch der Innenraum war leer.
Mit quietschenden Reifen, die von seiner inzwischen regelrechten Panik zeugten, kam er vor seinem Wohnhaus wieder zum Stehen. Er riß die Tür auf, und rannte zum Eingang, schloß ungeschickt auf, raste die Treppen hoch und war schließlich wieder in der Wohnung. Das Licht war nicht wieder angemacht worden, und Katja war auch nicht da. Mit zitternden Fingern hob er den Telefonhörer ab, tippte hastig eine Nummer ein, die von seinen Eltern. „Kein Anschluß unter...“ – Mist vertippt. Ein zweiter Versuch – keiner nahm ab. Katjas Handy - dasselbe. Auch bei seinen Bekannten und überhaupt allen Nummern die er kannte, meldete sich niemand. Er schrie auf, warf den Hörer davon, schrie und schrie, bis er nur noch zuckte und schluchzte, zusammengekauert in der Zimmerecke. Irgendwann schlief er ein.
Am nächsten Morgen wachte er auf, und alle Muskeln und Gelenke schmerzten. Kein Wunder, er hatte die Nacht ja auch auf dem harten Fußboden verbracht. Katja war noch nicht wieder da. Daniel lief auf die Straße hinaus. Niemand zu sehen. Dafür waren die Straßenlaternen noch an. Daniel ging los, ganz automatisch, Schritt für Schritt. Er mußte etwas zu essen besorgen.
Nach einiger Zeit erlosch die Straßenbeleuchtung, um nicht wieder anzugehen. Nach einigen Tagen fand sich auch nur noch wenig zu essen. Die nächsten Wochen ernährte er sich nur noch von Konservendosen, kalt, denn der Strom war weg. Ansonsten saß er herum und starrte die Wand an. Er hätte auch mit der S-Klasse seines Chefs spazierenfahren oder das Rathaus demolieren können, doch danach stand ihm nicht der Sinn.
Dann kam plötzlich kein Wasser mehr aus dem Hahn. Die Tage zuvor war es schon immer schwächer geworden, doch nun war es ganz aus. Er hätte versuchen können, Regenwasser zu sammeln und zu reinigen, doch er war ein solches Leben nicht gewohnt, und wollte es auch nicht. Robinson in der eigenen Heimatstadt, das war seine Sa-che nicht. Mit dem letzten Wassertropfen verschwand auch sein letzter Funken Lebenswille.
Er dachte nicht lange darüber nach, wie er es tun wollte. Er wollte überhaupt nichts tun. Er legte sich einfach aufs Bett, und wartete auf den Tod. Die Schmerzen, die der Hunger und der Durst mit sich brachten, ignorierte er, bis sie sich in einen das Bewußtsein trübenden Nebel der Apathie verwandelten. Schließlich verschwand auch der.
Katja wußte nicht mehr ein noch aus. Wieder ein neuer Tag mit der Ungewißheit, ob Daniel gefunden werden würde. Daß er sie einfach so verlassen hatte, konnte sie gleich ausschließen, dann hätte er etwas gesagt oder getan, zudem gab es keinen Grund. Sie liebten sich, ohne Zweifel. Bald darauf schied auch ein Unfall aus, nirgendwo tauchte Daniel auf, nicht im Krankenhaus, nicht in der Pathologie, nirgends. Der Polizist hatte sie beruhigt, früher oder später fänden sie jeden, und entführen wollte ihn doch wohl keiner. Nein, wieso auch.
Sie schlug die Zeitung wieder zu und trank nervös einen Schluck Kaffee; sie achtete nur noch auf Meldungen über ihn, obwohl es al-bern war, dann würde sie ja zuerst Bescheid erhalten. Doch das war alles, was sie noch tun konnte. Sie kriegte mal wieder ihr Frühstücksbrot nicht runter, hatte stark abgenommen in letzter Zeit. Essen war zur Nebensache geworden, wie auch sonst alles. Sie ging ins Schlafzimmer, um noch das Bett aufzuschütteln, bevor sie wieder los mußte. Die Arbeitsroutine war jetzt sehr hilfreich.
Daniel lag auf dem Bett, auf seiner Hälfte. Die Decke war nicht zurückgeschlagen, er hatte auch noch seine Sachen an, die allerdings schmutzig aussahen. Er war unrasiert und ungepflegt. Und sehr bleich. Zu bleich. Katja schrie auf, schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Am Bett sank sie auf die Knie und nahm seine kalte Hand. Tränen flossen über ihre Wangen, sie schluchzte leise.
Wo war er gewesen, und wo war er jetzt?

 

Hi,

deine Geschichte erinnert mich stark an einen Film, dessen Name mir nicht mehr einfallen will. Jedenfalls ist da auch so ein Typ ganz allein auf der Welt. Interessante Geschichte obwohl ich ganz ehrlich sagen muss das mir das offene Ende nicht so gut gefällt.

In diesem Sinne....

MfG nightboat

 

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