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Die letzte Chance
Der Kaffee ist zu stark, sagte Reinhard. Schon wieder!
Sie schwieg. Blickte auf ihre Hände. Wie gemein er war! Wie gemein!
Sie hatte sich so viel Mühe gegeben mit dem Kaffee und er war so gemein.
Und die Brötchen sind auch wieder pappig. Wenn das Essen nicht bald
besser wird, dann frühstücke ich woanders!
Sie schwieg.
Hast du mich gehört?
Ja, Reinhard. Ein Flüstern nur.
Sie hasste ihn. Hasste diese grollende Stimme, die ihr sagte,
was sie falsch machte. Hasste diese kleinen, blauen Augen, die sie
kaum eines Blickes würdigten. Hasste den dichten, blonden,
an manchen Stellen schon grau werdenden Bart, in den er seine
Gemeinheiten hinein brummelte, wenn er sie nicht laut aussprechen wollte.
Er ging. Kein Abschiedskuss, nicht mal eine Umarmung.
Wann hatte er sie das letzte Mal zärtlich berührt?
Fünf, sechs Jahre war es wohl her. Vielleicht sieben.
Seitdem: nur noch Ärger, Unzufriedenheit.
Und sie schwieg.
Um halb 12 kam der Polizist. Er war jung, kurze, braune Haare, blaue Augen.
Er stand da, vor ihrer Haustür, blickte auf den Boden,
drehte seine Mütze in den Händen.
Sind sie Frau Meier?
Sie wusste es, wusste, was kommen würde und wollte es nicht wahrhaben.
Es tut mi leid. Ihr Mann... er...
Sie fing an zu schluchzen. Erst leise, dann immer lauter.
Der Polizist sagte etwas, sie hörte es nicht.
Am Ende schrie sie. Gellend, kreischend, auch ein bißchen hysterisch.
In der Küche wurde der Kaffe kalt. Nicht zu stark und nicht zu schwach,
ganz genau richtig.
Doch es war niemand da, der ihn noch trinken würde. Nie mehr.