Die Leiden eines Groupies
Mein Herz raste und mein Blutdruck war so hoch, dass ich tatsächlich anfing mir sorgen zu machen.
Diese Leute, diese Mädchen… Diese vielen, vielen Mädchen.
Alles dröhnte mir in den Ohren; die Musik, das Gekreische, mein hämmernder Blutkreislauf… Und alles war dazu noch so surreal und unfassbar beängstigend.
Nein, mich ängstigte nicht mein verrückt spielender Körper, die mich einquetschende Menschenmenge oder der Schmerz in meinen bestimmt schon platt getretenen Zehen. Mich ängstigte dieses Chaos in dem ich rettungslos verworren war. Mich ängstigte dieser unbeschreiblich, unwirklich aufregende Mann am Mikrofon. Sein Körper, seine Bewegungen, sein Blick, waren so lasziv und provozierend und die Mädchen um mich herum kreischten sich so verlangend die Seele aus dem Leib, hatten derart verzückte, leidend sehnsuchtsvolle Mienen aufgesetzt, dass es mir den Atem raubte. Dazu noch dieses Bewusstsein, dass ich diejenige war die ihn nach diesem Gig haben würde. Ich würde in etwa einer Stunde genau das bekommen, wonach sich diese lechzende Frauenmenge verzehrte.
Ja, diese Gedanken waren übertrieben und wahnsinnig überzogen, doch ich befand mich in solch einem Delirium, dass in meinem Kopf nur noch ein einziges Wirrwarr herrschte.
Ich wurde ununterbrochen hin und her geschubst und begriff einfach nicht was geschah.
Ich erinnerte mich an meine letzten beiden Konzertbesuche, die vor so unendlich langer Zeit gewesen zu sein schienen und versuchte den Mann von damals, der zu diesem Zeitpunkt noch so unendlich unerreichbar schien, mit diesem hier in Verbindung zu bringen. Klappte irgendwie nicht.
Schließlich versuchte ich mich zusammen zu reißen. Eine Stunde würde das Konzert gehen, keine Zugaben. Danach traf ich ihn am Hintereingang, wo mich die Bodyguards hereinlassen würden. Bis dahin musste ich mich wieder in den Griff kriegen.
„Du willst nicht das Groupie sein!“, sagte ich mir immer wieder halblaut vor und straffte die Schultern. „Er wird dich zerbrechen“, war mein nächster Gedanke den ich mir selbst zuflüsterte und ich wusste, dass ich Recht hatte. Aber scheiß drauf, verdammt noch mal! Wie hätte ich in diesem wahnsinnig beschwingten Augenblick einfach durch die Tür gehen und verschwinden können? Wie bitte, wenn the sexiest man alive, gerade einen derart bezwingend leidenschaftlichen Rocksong schmetterte und so verdammt heiß dabei aussah, dass ich nichts anderes wollte als mit ihm allein zu sein, egal was es mich im nachhinein kostete.
So verging also die Zeit und als ich im Regen zum verabredeten Treffpunkt lief, war auch noch das restliche Bedenken verschwunden. Dafür schlug mein Herz mittlerweile so besorgniserregend heftig, dass man das Pochen sogar durch ein kleines Auf und Ab meiner linken Brust erkennen konnte.
Einen Augenblick dachte ich noch darüber nach, ob er es wohl bemerken würde, doch dann sah ich die Tür, hinter der er mich erwartete… Mich (!) und dann war mir wirklich alles egal. Kaum hatten mich die Bodyguards hinein gelassen, kam er schon den kleinen Flur im Inneren entlang auf mich zu. Wie in Zeitlupe ging ich, oder vielleicht stolperte ich auch, auf ihn zu. Er hatte dieses irgendwie bewusste, irgendwie überhebliche und irgendwie unheimlich erotische Lächeln auf den Lippen und meine Hände gruben sich verlangend in seine Haare, als er wie beiläufig die Kippe zur Seite warf und mich selbstsicher an sich zog.
Er schmeckte stark nach Rauch und Alkohol. Normalerweise eine augenblicklich abtörnende Mischung, doch jetzt wirkte sie wie ein Aphrosidiakum.
Seine Lippen waren warm und legten sich wie das letzte Mal auch, unerwartet sanft, aber zärtlich drängend auf meine.
Der Kuss war wundervoll, hingebungsvoll und vollkommen berauschend.
Der feine Schweiß auf seiner tätowierten Haut, der dämmrige Flur und das noch immer anhaltende Gekreische irgendwo im Hintergrund machten diesen Augenblick zu dem erotischsten und aufregendsten, den ich jemals erlebt hatte.
Kein Gedanke befand sich mehr in meinem Kopf, nichts, nur noch leidenschaftliche Hingabe.
Und dieser Mann konnte küssen…
Das Dröhnen der Menge, die Bässe der Musik, drangen wie elektrostatische Aufladungen durch meine Poren, ließen mir die Haare zu berge stehen, bis ich kaum noch atmen, geschweige denn bei Sinnen bleiben konnte.
Ich bemerkte noch, wie das sowieso schon schwache Licht um mich herum immer dunkler zu werden schien, ganz so als würde es jemand dimmen. Meine Bewegungen wurden immer langsamer und die Dunkelheit derart allumfassend und bedrängend, dass ich schließlich doch begriff was geschah. Ich wollte noch etwas sagen, doch es ging nicht mehr.
Einfach so, wie eine mechanische Puppe deren Batterien den Geist aufgegeben hatten, sackte ich weg und viel in das schwarze Nichts, das mich schließlich gänzlich überschwemmte und unter sich begrub.
Ich weiß noch heute nicht, ob ich über diesen Abend lachen oder weinen soll…