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Die Lehrer

tfa

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21.04.2003
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Die Lehrer

Sie führten mich in einen Raum, den ich noch nie betreten hatte. Die Fenster waren mit dunklen Laden halb geschlossen, wenig Licht drang in den Raum, ein Radio spielte leise auf der Fensterbank, vor mir thronte ein quer durch den Raum verlaufendes Pult, das sich durch eine hochklappbare Lade durchschreiten lies. Nur auf der rechten Seite des Pultes lag ein Stapel Zettel, der zu einer Vorstellung des Schultheaters in der Aula einlud. Ein Kugelschreiber lag daneben. Die Tür, durch die ich gekommen war, lag zentral vor dem Pult und zu meiner linken Seite stand ein viktorianisch anmutender Aktenschrank, dessen Schubladen von A-Z durchnummeriert waren. Die Decke des Raumes war so tief, dass meine Begleiter, die mich an den Armen hielten ihre Köpfe einzogen, damit sie sich nicht verletzten. Der staubige Raum brachte mich zum Husten, ein kräftiges Husten, das mich aus der Bahn warf und meine Begleiter dazu zwang mich erneut etwas zu stützen. Ich hielt mich am Plafond fest, damit ich nicht vollends umfiel. Hinter dem Pult kam mir nun schnell eine Frau durch die hochklappbare Lade zur Stütze und brachte mich zu einem Stuhl auf die andere Seite des Pultes. Meine Begleiter übergaben mich in die Obhut der Frau und wagten es nicht, auf die andere Seite mitzukommen. Sie verabschiedeten sich rasch mit der Begründung, sie müssten zum Unterricht und riefen mir beste Genesungswünsche zu, ohne ihre Lippen zu bewegen. Die Frau begann auf mich einzureden und ich versuchte ihr aufmerksam zu folgen. In meinem Kopf wohnte wohl ein Insekt, was mich am Nachdenken hinderte und was mir die Ohren zuhielt, das mit seinen Chitinklauen meine Augen ins Innere des Kopfes zog und meine Nase mit seinen Fühler blockierte. Das Insekt müsste sich wie ein Parasit über mein Gehirn gelegt haben um es an den richtigen Stellen zu durchbohren und aus den eigenen Nahrungsspendern zu füttern. Ich kämpfte gegen das aufkommende Fieber an, das mein Herz mir zu Kopf schlagen lies und mit dem Herz auf der Zunge antwortete ich der Frau, dass sie mich krank gemacht hätten. Sie? Erwiderte die Frau erschrocken. Ein neuer Hustenreiz erschütterte meine Lungen. Ich bebte am ganzen Körper. Die Frau hüllte mich in eine Decke und lies nach dem Arzt schicken. Jemand musste an der Tür geklopft haben, während ich hustete, denn plötzlich stand ein groß gewachsener, kräftiger Mann im Rahmen, dessen Silhouette von der aus seinem Rücken scheinenden Sonne mahnend auf meine Stirn fiel. Er betrat den Raum und blickte mit starren Augen und besorgter Miene an mir vorbei. Geht es ihm gut? Ist der Arzt unterwegs? Die Frau hatte Mühen ihn zu beruhigen und sich um eine Tasse Tee zu kümmern, die sie um mein Behagen zu verbessern für richtig erachtete. Der Mann, der kleiner war als meine Begleiter und als ich selbst, stand auf der anderen Seite des Pultes, der Schülerseite. Offenbar passte er in diesen Raum perfekt, sein Haaransatz lag knapp unter dem Plafond und seine Schultern berührten kaum die Seitenwände. Er nahm den Kuli auf dem Pult und spielte mit ihm in der Hand herum. Die Frau kam mit eingezogenem Kopf zu mir zurück und gab mir den Tee zu trinken. Ich nippte etwas und die Hitze verbrannte meine Zunge, ich pustete und trank. Der Titan sagte, dass ich ganz plötzlich erkrankt sei, er habe mich zur Rechenschaft gezogen und plötzlich solle ich über einen Stich in meinem Kopf geklagt haben und zusammen gesackt sein. Mir fehlte jede Erinnerung, ich wusste nicht, wer der Mann war und über was er sprach, das Insekt in meinem Kopf arbeitete perfekt. Er habe bitterlich geweint und sich vor Schmerzen auf dem Boden gewunden, erzählte er weiter. „Zunächst hatten wir alle gelacht, weil er vom Stuhl gekippt war, sie müssen wissen, er kippelt gerne und wenn man solche Leute auch noch so oft ermahnt, sie lassen es erst bleiben, wenn sie einmal gefallen sind. Mir standen fast die Tränen in den Augen, vor Lachen natürlich, als ich sah, wie niedergeschlagen er dort auf dem Boden lag. Und dann meinte noch ein Schüler…“ Die Frau bat ihn diese Dinge nicht in meiner Anwesenheit zu erzählen, zumal ich momentan auch nicht von bester Gesundheit sei. Er verstand dies natürlich und blickte zugleich auch wieder mit ernster Miene, auch wenn es für den Außenstehenden eher wie bierernst wirken würde. Nun richtete er dennoch eine Frage an mich, auf die ich nicht reagierte und als er sie wiederholen musste, schwieg ich weiter. Ich hatte die Frage beim zweiten Mal verstanden aber das Insekt verschloss meine Lippen. Das Insekt flüsterte mir ins Ohr, dass ich meine Worte behalten solle, sie gehören schließlich mir. Er fuhr mich erbost an und verlangte eine Antwort. Jetzt konnte auch die Frau nicht mehr schlichten. Wie von einem Schlag getroffen verstummte das Insekt und befreite mich von den Fesseln, es erschien betäubt, ich war frei. Ich beugte mich rasch nach vorne, um die Antwort zu geben und in seinen Augen sah ich das Glitzern, das hoffte, ich würde wieder umkippen. Ein Schmunzeln haschte über seine Mundwinkel. Doch ich fiel nicht. „Abtreibung ist eine Geschmacklosigkeit, der man nur den Vorzug vor schlimmeren Geschmacklosigkeiten gibt. Der Autor beschreibt, wie der Arzt mit einer Kurette den Uterus der Frau durchsticht und plötzlich wie ein Wunder der tote Fetus in seine Hand fällt. Was ist das Wunder, wenn ein blutrünstiger Autor versucht die menschliche Natur wahrheitsgetreu wiederzugeben und dabei das Menschenbild von todesmutigen Sündern erzeugt, die Pferde vögeln und nebenbei ernsthafte politische Themen diskutieren, während sie jegliche Würde unterbuttern, die Frauen jemals besaßen und sich aufführen wie typische Proleten, die ihre Frauen schlagen. Ist das die Auffassung ihrer humanitären Haltung, ist das wirklich eine natürliche Wiedergabe der wahren Realität? Oder schwingt in ihrer Beurteilung nur das Hackprinzip des Kommunismus mit, bei dem sie sich wünschen so etwas wie das Gegenteil einer bürgerlichen Welt zu erschaffen, die Anti-Philister - bedeuteten die jedoch nicht zwangsläufig Anarchie, wenn Loyalität und Treue, weit gefasst kirchliche Prinzipien, verloren gingen? Ich äußerte meine Meinung und sie beurteilten mich dementsprechend, sie haben ihr Handwerk ja studiert! Haben sie doch, oder?“ Das Insekt gewann erneut die Kontrolle über mein Gehirn, ich erbrach mich in den Schoss der Frau und sie rannte erbost aus dem Raum. Er hatte immer noch den Kuli in der Hand, nun nahm sein Kopf dazu die rote Farbe des Plafonds an. Er drückte den Kuli mit beiden Händen so fest zusammen, dass er zerbrach und die Splitter sich auf dem Pult verteilten. Ein Stich ging durch meinen Kopf und lies mich aufschreien. Meine Rede war zu einem Wimmern verkümmert, das Insekt peinigte mich mehr und mehr. Er warf mir entgegen, dass ich ein großspuriger Bastard sei, der seine menschliche Natur verleugnen würde und dessen Bewusstsein überhaupt nicht durch unsere Natur bestimmt werden würde. Er plauderte ununterbrochen, ich versuchte ihm mit aller Macht zu folgen, doch das Insekt hemmte alle meine Aufnahmemöglichkeiten. Ich verzweifelte und musste vor dem Insekt resignieren. Da wurde sein Griff lockerer und ich verstand noch einen Satz. Er warf mir vor, dass ich ein Christ sei, der die Wirklichkeit schönt, dass ich arbeitsfaul sei, ein Faulenzer, dass ich mir nicht genug Gedanken mache und dass meine ganze Existenz der Grund wäre, warum es ihn gebe. Die Schmerzen, die mir das Insekt nun zufügte ließen mich kurzzeitig erblinden. Langsam wurde mir klar, dass das Insekt mich wohl bestrafte und mein Lehrer im Recht war. Ich wollte nun nicht anfangen meinen Peiniger, der nicht in meinem Gehirn wohnte, sondern vor mir stand mit Worten der Resignation zu quälen aber ich konnte die inneren Schmerzen nicht länger ertragen und so schrie ich mit aller Kraft, die das Insekt mir lies meinem Peiniger zu, dass ich mich geirrt habe. Heraus kam nur ein Wimmern, das er jedoch verstand und noch boshafter als zuvor kommentierte. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen, ich hatte ihn verletzt, ich wollte ihn nicht verletzen. Das Insekt hatte Probleme seine Fühler in meinem Gehirn zu halten, sie bewegten sich und ein kalter Schauder lief meine Wirbelsäule herunter. Meine Arme und Beine waren nun nutzlos, das Insekt hatte eine verletzliche Stelle getroffen. Alles spielte sich nur noch in meinem Kopf ab, die Wirklichkeit drang nur noch seltener herein und hauptsächlich der Schmerz drängte mich in eine Richtung. Ich verstand ihn nicht mehr und kämpfte nur noch mit dem Insekt, ich kämpfte immer heftiger gegen es an, bewarf es mit Gedanken und Impressionen mit gewonnen Erfahrungen. Ich hörte es schluchzen, weinen, fauchen und kämpfen. Ich fühlte, dass es enttäuscht war und gekränkt und plötzlich begriff ich, wie vom Donner gerührt und vom Blitzschlag ermattet, dass das Insekt mir helfen wollte, dass es mich beschützen und behüten wollte, vor einer Wirklichkeit, in der mein wirrer benebelter Verstand nur seine letzte Ölung bekommt…

Der Arzt eilte in den Raum, klappte die Lade hoch und ging ohne zu Zögern oder nachzudenken auf die andere Seite des Pultes. Dort lag ein junger Mann im Alter von neunzehn Jahren mit zur Seite geneigtem Kopf zusammen gesackt auf einem Stuhl. Frisch Erbrochenes klebte in seinen Mundwinkeln und auf seinem grauen Pullover. Der Arzt stellte seine Tasche auf den Boden und griff rasch nach einem Abhörgerät. Er setzte das Gerät auf der linken Brusthälfte an und stellte fest, dass dort einerseits kein Herzschlag war und andererseits kein Herz. Er wunderte sich, doch konzentriert auf seine Arbeit öffnete er dem Jungen rasch den Mund, damit dieser nicht an seinem Erbrochenem ersticke und da fiel ihm das nicht mehr schlagende Herz in die Hand. Er hatte sein Herz also auf der Zunge getragen, dass er da nicht von alleine draufgekommen sei, dachte sich der Arzt und diagnostizierte bei ihm den Tod durch
Herzversagen.

 

Hallo tfa,
Deine Geschichte ist packend, und besonders gefällt mir das Bild des Insekts, das eine Art Schutzfunktion ausüben soll und dabei Symptome wie bei einer Krankheit erzeugt. Doch die Stelle, die die ganze Rätselhaftigkeit Deiner Geschichte mit etwas Klarheit entschärfen sollte, ist ziemlich wirr. Ich meine den Teil, bei dem der Ich-Erzähler von Abtreibungen, Pferdeficken und Kommunismus erzählt. Da habe ich echt nicht kapiert, um was es ging. Und das ist schade, denn der Rest ist recht flüssig erzählt.
Ach so, das Ende finde ich ein bißchen seltsam, denn Du nimmst eine Metapher ("das Herz auf der Zunge tragen") wörtlich. Das geht eigentlich nicht. Denke doch nur an die praktische Seite: ein menschliches Herz ist etwa so groß wie eine Faust (bei Sportlern mitunter viel größer). Versuche mal, Deine Faust in den Mund zu nehmen...

 

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