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Die Leere

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19.03.2012
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Die Leere

Die Leere​

Das Meisterwerk war vollendet.
Nun, beinahe. Die jahrzehntelange Arbeit hatte ein unglaubliches Konstrukt aus Metall und Kunststoff, Stahlverstrebungen und Drähten, Kabelsträngen und Elektromotoren hervorgebracht. Doch ob es wirklich ein Meisterwerk war oder nur eine enorme Verschwendung von Zeit und Material, dass konnte nur ein Praxistest beweisen.
Im Dachgeschoss über dem kleinen Blumenladen war eine der revolutionärsten, radikalsten, genialsten und vermutlich auch irrsinnigsten Erfindungen der Menschheit entstanden. Stahl wölbte sich zu skeletthaften Formen, Leitungen durchzogen es wie Blutgefäße einen Muskel. Die Rotationselemente funktionierten tadellos. Die Isolatoren waren ersetzt worden, sie würden nicht erneut schmelzen. Beim Praxistest musste alles funktionieren, denn es gab nur einen Versuch.
Der Erfinder der Maschine lebte schon seit langem nicht mehr. Doch sein Assistent, der über dem kleinen Blumenladen lebte, hatte sein Werk gemäß seiner Pläne vollendet. Er war keine Kompromisse eingegangen, hatte die Arbeitsanweisungen des großen Genies wortgetreu befolgt, war in keinem Detail abgewichen. Selbst die Farbe der Verkabelung stimmte mit den Originalskizzen überein.
Die Materialien zu finden hatte viel Zeit beansprucht. Einige mussten illegal beschafft werden. Andere waren schlichtweg teuer gewesen.
Es hatte Jahre gedauert, die Feinmechanik zu entwickeln. Gyroskope sorgten für die Lagestabilisierung, fein abgestimmte Detektoren sammelten alle Daten, die für einen erfolgreichen Test nötig waren.
Und es konnte nur diesen einen Versuch geben. Der Energieverbrauch war immens, er würde das Versorgungsnetz der kleinen Stadt völlig überfordern. Man würde schnell die Ursache der Störung finden.
Es musste also alles beim ersten Mal gelingen. Alles war penibel vorbereitet worden.
Doch ein letzter Rest Unsicherheit blieb. Trotz aller Vorkehrungen, Berechnungen und Kontrollen konnte immer noch etwas schiefgehen.
Je komplexer ein System, desto banaler waren die Gründe für dessen vollständiges Versagen. Je erhabener das Ziel, desto trivialer die Gründe für das Scheitern.
Noble Vorhaben scheiterten stets an niederen Trieben.
Die Macht des Geistes wurde von den Schranken des Körpers eingeengt.
Nun, das mochte sich bald ändern. Nicht nur das Schicksal eines einzelnen Menschen stand an der Schwelle wahrer Erkenntnis, die gesamte Art Mensch mochte auf lange Sicht von der Genialität des Erfinders und dem Wagemut seines Assistenten beeinflusst werden.
Losgelöst von den Fesseln des Fleisches vermochte der reine Geist das zu erkennen, was die vernebelten Sinne des zum langsamen Verfall verdammten Körpers niemals erreichen konnten.
Doch ein leiser Zweifel blieb.
Was, wenn es keine höhere Erkenntnis gab? Wenn die Welt, die wir mit unseren Sinnen sehen, alles ist, was existiert? Wenn der unkörperliche Verstand ohne Sinn und Aufgabe ist?
Nun, man musste es herausfinden. Generationen von Metaphysikern hatten sich den Kopf darüber zerbrochen, doch nun würde erstmals ein Mensch die Grenze überschreiten, die in dieser Form noch nie überschritten wurde.
Der kleine Blumenladen hatte an diesem Tag geschlossen. Der Stromverbrauch war immens, doch die Sicherungen hielten. In der halben Stadt fiel der Strom aus.
Gegen Nachmittag zogen Wolken auf, kurz darauf schoss ein greller Blitz zum Himmel und verließ die Welt für immer. Losgelöst von den Fesseln des irdischen Seins war die Leere das einzige Gefäß, welches eine solche Essenz aufnehmen konnte.
Am Tag darauf öffnete der Blumenladen wieder, und alles, was blieb, war das Opus Magnum.

 

Hallo Pelzfisch,

also zuerst muss ich mal erwähnen, dass du einen wirklich sehr guten Schreibstil hast. Ich konnte alles richtig vor mir sehen.
Jedoch wusste ich am Ende nicht, was ich von dieser sehr kurzen Geschichte halten sollte. Irgendwie fehlte es an Spannung.

Mit freundlichen Grüßen
HollywoodOni

 

Hallo Pelzfisch,

saubere Arbeit, doch da bleibt ein irgendwie fader Geschmack. Das ist stilistisch sicher eine Bank, hat Potential, aber es liest sich eher wie ein Prolog: Mich würde interessieren, was da genau passiert ist. Also, der Text nimmt sich selber sehr wichtig; Metaphsyik, Erkenntnis, Leere. Das sind so Schlagworte, die dem Text eine zweite Ebene, eine Art Subtext implizieren. Nihilismus oder Sinn? Transzendens oder Nichts? Das KÖNNTE auch so sein, aber dafür passiert nichts, bzw einfach zu wenig. Ich kann hier nichts interpretieren, weil da kein Raum ist, es ist abe zu wenig Gewißheit im Text, um Identifikationspotential anzubieten.

Eventuell könntest du eine erzählerische Strecke einbauen, anhand der du Geschehnisse erlebbar machst, uns die Möglichkeit zur Empathie anbietest. Aus oder mit den Augen des Gehilfen erzählen, berichten, diese Grenzüberschreitung wirklich sichtbar bzw lesbar machen. So bleibt das Ganze hermetisch abgeschlossen.

Ich würde auch überlegen, den Text in Philosophisches verschieben zu lassen.

Also, dran bleiben, ist ein Text mit massig Potential, und schreiben kannst du.

Gruss, Jimmy

 

Dieser Text besitzt, verpackt in blumige Worte:
- Eine ausufernde, dennoch recht unspezifische ("unglaublich") Beschreibung einer Maschine
- Einen logischen Fehler (die Sicherungen würden nicht halten, egal in welcher Kleinstadt auf der Welt, der Strom würde nicht im Rest der Stadt ausfallen)
- Eine diffuse Frage ("Was, wenn es keine höhere Erkenntnis gab?")
aber:
- Keine Antwort, nicht einmal eine diffuse ;)
- Keine Identifikations- oder Hauptfigur
- Keinen nennenswerten Spannungsbogen
- Kein nennenswertes Science-Fiction-Element

Fazit:
Hinter einer dicken Farbschicht aus gehobener Sprache verbirgt sich so gut wie nichts.

Das ist mir zu wenig.

 

Hallo und vielen Dank für das Feedback und die konstruktive Kritik.

Diese Geschichte ist sowohl von der Thematik als auch vom Stil her ein Experiment meinerseits gewesen, und die Reaktionen hier zeigen mir, dass sie wohl doch zu minimalistisch und kurz geworden ist. Letztendlich kommt dadurch wohl kein Spannungsbogen zustande.
Ich habe durchaus überlegt, den Text eventuell in der Philosophie-Rubrik zu posten, habe mich aber dann doch für die Science-Fiction entschieden, weil die Befreiung des Geistes aus dem Körper letztendlich technologisch bewerkstelligt wird.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob und wie ich an dieser Geschichte Veränderungen vornehme, aber die hier genannten Kritikpunkte werden definitiv in künftige Projekte einfließen.

Nochmals danke für alle Kritiken!

Der Pelzfisch

 

Hallo Pelzfisch,

ich finde die Geschichte großartig, eben weil sie so ist wie sie ist.
Der Assistent hat die Maschine unter Einsatz von allem fertig gestellt - stellenweise musste ich an Frankensteins Monster denken, vermutlich Absicht(?).
Ein Maschine, die die Welt verändern könnte, was durch den großspurigen Stil unterstrichen wird.
Und am Ende passiert genau: nichts.

Der Assistent hat anscheinend tatsächlich das Körperliche hinter sich gelassen, aber seine Leistung wird in keiner Weise gewürdigt. Niemanden interessiert es, weil niemand davon weiß.
Vermutlich schwirrt er jetzt im Weltraum mit Lichtgeschwindigkeit dahin und ist bitter enttäuscht, dass er die Richtung nicht bestimmen kann.
Hmm, Lichtgeschwindigkeit, Zeitdillatation. Er würde das Universum im extremen Zeitraffer erleben - genau genommen würde er subjektiv sofort am Ende des Universums - so es denn eines gibt - ankommen. Auch interessant.
Ich schweife ab, sorry ;)
Eine gute Geschichte soll eben die Fantasie anregen und nicht alles vorkauen.

 

Auch mir gefällt die Geschichte genau so, wie sie ist. Mir fehlt nichts in ihr. Es ist gerade die Absurdität, das nichts Reales übrig bleibt nach dem Riesenaufwand und die Welt sich weiter
dreht wie immer, die mich begeistert. Abgesehen vom Schreibstil, den ich ausgesprochen
kongenial finde. Für mich ist es eine gelungene Satire.

LG, handman

 

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