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Die leere Leinwand

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27.11.2018
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Die leere Leinwand

Nach der Diplomfeier ging Louise zielstrebig ins Arbeitszimmer und schredderte dort ihr Masterzeugnis im Aktenvernichter: Die logische Fortsetzung von fünf Jahren Kunststudium. Sie büschelte die Papierstreifen zu einer Wulst und fixierte diese mit Sprühleim auf einer Holzplatte. Danach zog sie sich in ihr Atelier zurück und begann, wie eine Wahnsinnige zu malen.

Louise malte den ganzen Herbst und den ganzen Winter und im Frühling machte ich mir ernsthaft Sorgen. Vor allem beunruhigte es mich, dass sich ihr Schaffensdrang immer mehr mit einer nervösen Zwanghaftigkeit vermischte. Sie malte nicht mehr meditierend, nicht mehr nur des Ausdrucks willen. Sie malte ungeduldig. Wütend. War es der Wunsch nach dem Durchbruch? Das Bedürfnis, etwas Bedeutsames und Dauerhaftes zu erschaffen?

Louise malte. Ich rechnete. Bilanz: Mit den Einnahmen der Bildverkäufe liess sich gerade mal ein Bruchteil des Materialbedarfs decken. So lebten wir schon seit Jahren von meinem geregelten Laboranteneinkommen.

Ich finde Louises Bilder schön. Doch genau dies sei das Problem, sagte sie.
»Ich will keine schönen Bilder malen! Meine Bilder sollen verwirren, verstören, beim Betrachter etwas auslösen! Ich will Neues schaffen, etwas tun, was noch nie jemand zuvor getan hat!«

Wer will das nicht.

Louise erfand neue Methoden, Farbe auf die Leinwand zu bringen. Am kostspieligsten war ihr Bild »Kratzende Tür auf Gewand«. Schaffensprotokoll: Louise befestigte eine Leinwand auf dem Fussboden, dass die Unterseite unserer Schlafzimmertür bei jeder Bewegung der Tür auf der Leinwand kratze. Sie leerte Sand und Acrylfarbe dazu. Ich war bei diesem Kunstwerk Mitkünstler, da auch ich die Schlafzimmertür bewegte, von August bis November. Als wir aus der Wohnung auszogen, musste wir die Tür ersetzen.

»Es wird Zeit, dass wir der Realität ins Auge sehen.«
Mit diesem Satz begann der Streit. Ich wollte, dass sie sich eine Frist setzte. Wenn es bis zu einem gewissen Datum nicht klappte mit der Kunst, sollte sie etwas Neues beginnen und finanziell auch wieder zu unserer Lebensgemeinschaft beitragen. Das war meine Forderung.
»Du glaubst nicht an mich!«, warf sie mir vor. Ich gab keine Antwort. Sie brach in Tränen aus. Ich blieb hart. Und schliesslich sah es Louise ein. Wir gaben uns noch Zeit bis in den Sommer. Bis dahin musste sich ihre Karriere in Bewegung gesetzt haben.
»Woran merkt man, dass eine Karriere in Bewegung ist?«, fragte sie.
»Am Kontostand« , sagte ich.
Am Abend machte ich ihr ein Angebot. Ich könnte im Labor fragen, ob sie im Sekretariat eine Praktikumsstelle hätten.
Das wird nicht nötig sein, meinte sie.

Ein paar Tage später kam Louise mit leuchtenden Augen nach Hause. Sie sprach von einer inspirierenden Malwoche auf dem Lande. Sie sei von einer ehemaligen Kunstdozentin eingeladen worden, teilzunehmen. Louise sagte, dass jene Künstlerin in der Stadt einen Namen habe und auch von der Kunst leben konnte. Die Dozentin sei nicht nur Schlüsselfigur der Szene, sondern habe Louise bereits während des Studiums geprägt.

»Was kostet der Spass?«, erkundigte ich mich skeptisch.
Louise nannte eine Zahl.
»Ich dachte, die Künstlerin kann von der Kunst leben?»

Wir meldeten uns für die Malwoche an. Überwiesen die Dreitausend. Louise meinte, dieser Betrag sei eine Investition in unsere Zukunft. Manchmal müsse man Geld in die Hand nehmen, um Zugang zu einer gewissen Szene zu erhalten. Sie vertrat stur die Ansicht, dass wir kurz vor dem Ziel waren. Alles würde ums Zehnfache zurückkommen.

Kurz vor der Malwoche fuhren wir beim Baumarkt vorbei und kauften Schweineborstenpinsel, billige Acrylfarben und ein Dutzend Leinwände, damit auch ich teilnehmen konnte. Mir war das alles zuwider, diese blöde Materialschlacht, die lächerlichen Rollen und Spachtel.

Das mächtige Landhaus war perfekt in eine idyllischen Naturkulisse eingepasst. Zur Rechten und Linken der Zufahrtsstrasse entfalteten sich alte Bäume. Ich sinnierte über den feinen Unterschied zwischen den Bezeichnungen “Anwesen” und “Haus”. Währenddessen sprach Louise ununterbrochen und versuchte, unsere Kursteilnahme in eine vielversprechende Vision einzubetten.
Das Anwesen sei der Besitz eines alten Geschlecht. Diesem gehöre die Hälfte der städtischen Industrie. Ich gab mich unbeeindruckt, war neidisch auf die weit umsichgreifenden Bäume der Allee. Wütend auf den Familiennamen dieser reichen Familie. Und jetzt bezahlten wir noch Dreitausend, damit dieses Geschlecht nicht alleine war beim Malen. Louise wies wiederholt darauf hin, dass die unterrichtende Künstlerin eine gute Freundin eben dieser reichen Familie war. Darauf war ich unlängst selbst gekommen. Dennoch konnte ich die Magie dieses Ortes nicht verleugnen. Hätten wir doch einen Mietwagen genommen, dachte ich kurz. Aber nein, wir brauchten ja niemandem was vorzumachen. Wir fuhren mit unserem Fiat Panda selbstbewusst vor und fanden eine Lücke zwischen den SUVs und den Cabrios.

Wir brachten Gepäck und Material zum Landhaus. Jemand trug die Koffer auf unser Zimmer. Das gefiel mir. Dann gingen wir rüber auf die Wiese. Dort waren Apérotische aufgebaut. Wir stiessen an mit Champagner. Zwei junge, glatte Franzosen wandelten mit Häppchen und Sektflaschen durch den nervös gackernden Menschenhaufen.

Es stellte sich heraus, dass die Malwoche eigentlich für Frauen bestimmt war. Viele von ihnen hatten ihre Partner mitgebracht. Ich bekam mit, dass die Männer während den Schaffensphasen ihrer Frauen Sport treiben wollten. Der Park und die hauseigenen Sportanlagen boten sich für diverse Aktivitäten an.

Ein besonders gutaussehender Typ kam auf mich zu, stellte sich vor als Pat und fragte, ob ich Tennis spielte. Letzte Woche hätten sie den Belag neu gemacht. Als ich ihm sagte, dass ich malte, lachte er so ein richtig fieses Lachen und brachte damit zum Ausdruck, dass Malen unter seiner Würde war. »Zu schade. Meine Kunst ist das hier«, sagte er und tippte auf seinen Bizeps.

Eine der Frauen sagte schnippisch: »Wem gehört denn das Zeugs da?«, und zeigte mit einer verachtenden Geste auf meine Schachtel mit meinen Acrylfarben aus dem Bau & Hobby.
»Streicht ihr die Zimmer etwa neu, Liselotte?«
Liselotte war die Dozentin, die eingeladen hatte.
Die Frauengruppe lachte gackernd. Louise wurde rot und klärte: »Das gehört meinem Liebling, gell du Tom«, und wandte sich an mich.
»Tom hat noch nie gemalt und möchte erste Erfahrungen sammeln.«

Liselotte brachte mit einem Silbermesser ein Glas zum Klingen und es wurde ruhig. Sie begrüsste uns. Sie spüre, dass Grosses entstehen würde in dieser Woche. Malen sei die Kunst, Unsichtbares sichtbar zu machen. Diesem Unsichtbaren sei die Woche gewidmet. Und wenn sie gerade beim Unsichtbaren sei - leider könne Helena - und dann folgte der Namen des reichen Geschlechts - dieses Jahr nicht unter ihnen sein. Aber möge doch die Gruppe ihr zu Ehren applaudieren und damit der grosszügigen Stifterin, Mäzenin und Freundin Respekt zollen, die diesen Malkurs in dieser Atmosphäre erst ermöglichte.

Die Gruppe applaudierte.

Eine der Frauen blickte dabei nach oben in den Himmel und eine andere sagte mürrisch zu ihrer Nachbarin:

«Und ich hoffte schon der Geizkragen würde endlich eines meiner Bilder kaufen!»

Dann richteten wir uns ein und schleppten die Materialien und Gerätschaften zu den zugewiesenen Plätzen und begannen uns auf die grosse Aufgabe vorzubereiten, das noch »Ungesagte« auf die Leinwände zu bringen. Ich richtete mich neben dem Hühnerstall ein.

Da wurden Kisten angeschleppt, Tische aufgebaut, dunkle Edelholzkästchen geöffnet, Dosen ausgeräumt und sortiert, Stifte gespitzt und Pulver gesiebt. Künstlerinnen eilten zwischen den Tischen und Leinwänden hin und her, um sich die neusten Produktentdeckungen zu zeigen. Ich vernahm aus einem Gespräch, dass die neue Van Gogh Acryl Gold Edition II Gott unter den Farben war und dass die wahren Kunstschaffenden sich nur für diese Pigmente entscheiden sollten. Auch herrschte Einigkeit über die edle Qualität einer neuen Leinwand eines finnischen Herstellers, der in einem afrikanischen Dorf produzieren liess. Aber natürlich alles in bio, fairtrade und anthroposophisch.

Etwas beschämt packte ich meine Materialien und die alte verstaubte Staffelei von Louise aus. Das Ding liess sich nicht auf der richtigen Höhe fixieren und fiel immer wieder in sich zusammen. Zum Glück kam jemand vorbei, um zu helfen. Die Frau stellte die ganze Staffelei auf den Kopf, drehte an zwei, drei Schrauben und voilà. Irgendwie kam mir die Situation bekannt vor - einfach nur mit einem Notenständer.

Ich spürte jetzt einen Schaffensdrang - und dass ich irgendwie besser war, als die alle. Kunst. Pah! Ich würde etwas Grosses schaffen hier. Ich realisierte das ganz plötzlich. Im Angesicht meines Bildes werden eure Farbfetzen erblassen - und eure Künstlerseelen vor Neid. Voller Selbstbewusstsein und fast heiligem Staunen über das Bedeutsame, was nun durch meine Künstlerhand vollbracht werden würde, betrachtete ich die Leinwand. Sie wartete gespannt darauf, dass ich mit ihr in einen heiligen Dialog trat. Die Farbtuben lagen sorgfältig arrangiert auf dem Boden: Spachtel, Pinsel und Messer; orchestriert für das grosse Konzert der Farben und Formen. Nichts - so schien es - stand der sich ankündigenden kreativen Schaffensexplosion im Wege.

Es vergingen Minuten. Dort unten am See malte Louise. Schön und hochkonzentriert.

Das Weiss meiner Leinwand drängte sich mir mehr und mehr auf. Da näherte sich Lieselotte. Sie inszenierte sich als Kursleiterin, machte die Runde und ging gross gestikulierend auf Fragen ein. Hier und dort griff die Meisterin selber zum Pinsel. Sie forderte die Künstlerinnen auf, vom Bild Abstand zu nehmen oder eine Stelle mit der Hand abzudecken. Dankbar wurde ihr Fachrat entgegengenommen, manchmal wurde auch kritisch diskutiert, es fielen Worte wie objektiv, subjektiv, goldener Schnitt oder Kontrast, einmal sogar Fibonacci. Es gab auch Uneinigkeiten – ihr Rat wurde nicht immer ohne Gegenargumente angenommen - dennoch fanden diese Fachgespräche auf künstlerischer Augenhöhe statt. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln, versuchte etwas zu erhaschen und auf die Schnelle dazuzulernen.
Jetzt war Liselotte bei Trudi, meiner Malnachbarin. Trudi wurde gelobt:
»Die Kollision zwischen dem Zinnoberrot und dem untröstlichen Gips - einfach wunderbar! Aber versuche, noch tiefer zu gehen.«
Gleich würde sie zu mir kommen. Die weisse Leinwand sehen. Ich sass immer noch hier, einfallslos. Verdammt dazu, ein Medium zu sein und dem Ungesagten seine bescheuerte Form zu geben. Doch still war es, in der anderen Welt. Viele Ideen, aber die konnte ich nicht malen, weil mir das nötige Können fehlte, geschweige denn der Mut, es einfach zu tun. Ich suchte krampfhaft nach Ideen, welche meinem Talent entsprachen. Mir kam die Idee, eine 3000 auf die Leinwand zu zeichnen, der Preis der Malwoche. Mir kamen ein paar Erinnerungen an die Schulzeit. »Ist das ein Teich mit einer Bank?«, hatte mich meine Mutter gefragt, als ich ihr eine Zeichnung schenkte, an welcher ich sicher drei Wochen gemalt hatte. »Nein, das ist Papa.«

Ich stellte mir die Leinwände der anderen vor, wie dort die Picassos von morgen am Entstehen waren. Ich dachte an Zahlen. Geldbeträge, welche ich während des Apéros im Zusammenhang mit Bildverkäufen gehört hatte.
»Oh!«
Liselottes Gesicht entgleiste, fand dann aber doch schnell wieder zurück zu einem Ausdruck der Professionalität, oder war es Mitleid? Jetzt kniff sie die Augen zusammen und liess ihre Brille auf die Nasenspitze gleiten, blickte, als gäbe es da auf der Leinwand etwas zu fokussieren, als wussten wir nicht beide, dass da nichts war ausser blankes Leinengewebe. Sie machte einen Schritt zurück und dann sagte sie:
»Interessant.«
Ich entgegnete:
»Ich habe noch nicht begonnen.«
Sie sagte:
»Davon gehe ich aus.«

Ich fühlte mich wie ein Dirigent, der vor zahlendem Publikum eine noch nie dagewesene Musik uraufführen soll. Vor mir das weisse Rechteck. Das reine, wahre Weiss der Leinwand, Symbol der künstlerischen Impotenz. Ich brach zu einem Streifzug durch den Garten auf. Ich nahm meine leere Farbpallette und wollte bei den anderen nach Farben fragen und dabei die Leinwände studieren. Vielleicht brachte mich das auf eine eigene Idee. Auf meinem Streifzug kam ich zuerst bei Trudi vorbei.
Sie malte schon seit einer halben Stunde leinwandfüllend gelb. Verirrte sich kurz in Orange, als ich mich neben sie stellte, und fand dann wieder zurück ins Gelb, als ich mich entfernte.
Als ich bei einer anderen Künstlerin vorbeikam, nahm diese gerade die Leinwand von der Staffelei, legte sie umgekehrt auf die Grasfläche und trampelte auf dem Bild herum.
Eine andere Künstlerin hatte die noch halbleere Rotweinflasche vom Apéro über die Leinwand gegossen und zog die Konturen jetzt mit Tusche nach.
Unten am See kämpfte eine Künstlerin mit Mondgesicht gegen die eintretende Ordnung auf dem Bild, indem sie mit geschlossenen Augen und ausladenden Pinselbewegungen Farbe auf die Leinwand klatschte. Sie war meine Zielperson.

»Entschuldigung.«

Der Mond öffnete seine Augen und betrachtete mich verstört, als wäre mein Gesicht ein Bild, welches dringend überarbeitet werden musste.
»Hast du mir vielleicht etwas von deinem Zinnober? Wir können auch Farben tauschen.«
Sie dachte nach.
»Ich an deiner Stelle würde mich für ein anderes Rot entscheiden.«
Sie studierte mich und stellte fest:
»Wenn ich dich so betrachte, bist du eher der Erdfarben-Typ. Warte mal ...«
Sie begann in ihren Kisten nach etwas zu suchen. Sie fand. Drückte mir eine Dose mit einer braunen Masse in die Hand und schaute mich dabei tief an, als hätte sie mir gerade ein Unsterblichkeits-Elixier überreicht. Etwas war seltsam. Meine Hände hielten nicht nur die Dose, sondern auch noch ihre Hände, die sie mir zusammen mit der Büchse hingehalten hatte. Jetzt sprach sie eindringlich auf mich ein, aber ich konnte nur an ihre schwitzigen Hände denken. Während sie mir erklärte, dass die Paste mit Hühnerei oder Kohle vermischt werden konnte, um Effekte zu erzeugen, hielten wir immer noch beide die Dose fest. Das Ganze wurde mir zu blöd. Gib mir jetzt das Zeugs oder lass es sein! Ich beschloss, meine Hände zurückzuziehen. Und das just in dem Moment, als sie mir die Kostbarkeit endlich übergeben wollte und losliess.
Die Dose fiel zu Boden. Der Deckel sprang auf und der Inhalt, eine erdfarbene Spachtelmasse, suchte sich wie eine Schlammlawine den Weg ins Freie.
»Oh nein!«
Der Mond verwarf die Hände.
Ich nutzte die Gunst der Stunde.
»Nichts anfassen! Ich hole schnell meine Leinwand!«
Ich rannte geistesgegenwärtig zu meiner Malstation und holte das weisse Rechteck. Der Mond hatte verstanden. Sie hatte bereits kleine Spachtel hervorgesucht und streckte sie mir assistierend hin, als ich mit meiner Leinwand zurückkam. Ich legte sie neben die Unfallstelle und begann, die braune Masse samt Grashalmen auf meine Leinwand zu klatschen. Mit vollendenden Bewegungen strich ich das Braun in sich widersprechende Richtungen. Mal ausholend, mal fragend. Das Ganze erinnerte an beschmiertes Klopapier, aber jetzt einfach nicht den Mut verlieren und weitermachen.
Bei den anderen Malstationen ruhten die Pinsel. Ich spürte den Blick von Louise im Rücken.
Liselotte kam dazu und rief verzückt:
»Blau! Jetzt Blau!«
Der Mond streckte mir eine Tube Ozeanblau hin. Ich griff nach einem Farbroller und rollte blau. Der Ozean vermischte sich sakral mit der Scheisse.
»Mehr Zufall. Nicht denken. Vertiefen. Transformieren und im Atem bleiben«, meinte Liselotte
Ich folgte den Anweisungen.
Zum Schluss kratzte ich mit den Fingernägeln einmal quer von oben links nach unten rechts und legte damit wieder das jungfräuliche Weiss der Leinwand frei. Die Farbreste, die jetzt noch an meinen Fingern klebten, klatschte ich wie ein Gott beim Erschaffen der Erde in die noch fast weisse obere rechte Hälfte der Leinwand.
»Jetzt nur noch Nuancen!«, warf Liselotte ein. »Vertiefen«
Der kreative Tornado legte sich. Und ich konnte noch nicht ganz fassen, was gerade passiert war. Als hätte sich das Bild ganz von selbst gemalt, lag es da im Gras und schaute mich an. Ich schaute erstaunt zurück, unsicher, was ich von dieser Erscheinung halten sollte.
Jeder Künstler widerspiegle sich in seinem Werk, hatte Louise einmal gesagt. Und nicht immer sei schön, was man in diesem Spiegel sah. Ich betrachtete mein Werk. War das ich?
Ich fragte nach einem Haushaltspapier, putzte den Rand der noch halbvollen Dose, verschloss sie und gab sie mit einem Wort des Dankes zurück. Mit brechender Stimme stellte der Mond sich vor:
»Marianne.«
Sie streckte mir ihre Hand hin.

Ich war froh, dass meine Leinwand endlich nicht mehr weiss war. Ich war stolz auf das, was ich getan hatte. Auf jeden Fall gehörte ich jetzt dazu. Als ich am Abend versuchte einzuschlafen, ging mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: Wie sollte ich mein Bild nennen?

»Wir können aufbrechen. Ich sehe es ein.«
Das sagte Louise am nächsten Morgen.
»Nächste Woche kann ich bei Coop anfangen. An der Kasse. Es tut mir leid, dass ich so verbissen war.« In einem ersten Impuls wollte ich ihr ausreden, alles hinzuschmeissen. Da wurde sie fuchsteufelswütend und verlangte, sie endlich einmal ernst zu nehmen, ich sei derjenige, der ihr diese Deadline gesetzt hatte, jetzt solle ich mich gefälligst selbst auch daran halten. Ich entschuldigte mich.

Ich schlug vor, noch bis Ende Woche zu bleiben. Ich hatte mir Ferien genommen. Und das Essen, das im Preis inbegriffen war, war ausserordentlich gut. Und zugegeben, das Malen machte mir Spass.

Louise malte nicht mehr. In einer dramatischen Szene schleuderte sie kurz nach unserem Gespräch ihre Leinwände auf den See hinaus. Danach knickte sie weinend ein. Ein paar Künstlerinnen eilten zu ihr hin. Auf dem Wasser trieben farbige Rechtecke.
Es schmerzte mir im Herzen, Louise so zu sehen, gleichzeitig war ich von dieser dramatischen Szene zutiefst fasziniert: Die Frauengruppe, die um die niedergesunkene Louise stand, tröstend auf sie einredend, die Leinwände auf dem See treibend. Ich beschloss, diese Szene zu malen.

Gegen Abend ging ich an den See runter. Dort lagen Louises angeschwemmte Bilder am Ufer. Ich sammelte sie auf und brachte sie zu meiner Staffelei. Aus jedem Bild schnitt ich mit einer Klinge ein Viereck aus. Die Stücke klebte ich zu einer grossen Collage zusammen und malte danach den See dazu und die Szene mit den tröstenden Frauen. Abstrakt natürlich.

Nach ihrem Zusammenbruch war Louise wie verwandelt. Sie brachte mir ihre Malutensilien und stellte sie zur meiner Staffelei. Sie war wiederhergestellt. Auf ihrem Gesicht lag wieder dieser schelmische Ausdruck, in den ich mich vor langer Zeit auf der Stelle verliebt hatte.

Die Woche verging und ich malte die Szene mit den Leinwänden auf dem Wasser. Louise spielte Tennis mit Pat.

Am letzten Tag hörte man plötzlich ein tiefes Brummen. Es kam von der Allee her und war entweder ein Panzer oder ein teures Auto.
»Das ist sie! Das muss Helena sein!«
Die Künstlerinnen begannen zu murmeln und plötzlich legte sich eine grosse Nervosität über die Gruppe der Malenden. Ein Sportwagen fuhr vor. Einen Moment lang geschah nichts. Die Kursteilnehmerinnen schauten alle wie gebannt zum Auto, das oben auf der Anhöhe stand.
Dann öffnete sich die Fahrertür: Eine gebrechliche Lady entstieg mühsam dem Fahrzeug.

«Helena», flüsterte Trudi und liess ihren Pinsel fallen.

Fast wie eine Ausserirdische sah sie aus, die mit einem Ufo gekommen und nicht an die vorherrschenden Lebensbedingungen angepasst war. Helft doch der armen Frau, dachte ich. Sie stützte sich auf einen Gehstock und machte ein paar wacklige Schritte. Liselotte ging ehrerbietend auf die alte Dame zu und schwatzte auf sie ein. Einige der Künstlerinnen winkten ihr zu wie einem Papst. Jetzt stand sie oben bei der Wiese, von wo sie uns im Blickfeld hatte.
Die Lady räusperte sich und sprach mit einer Stimme, ach was sag ich Stimme, es war reine Autorität:
»Malt nur weiter, ihr Lieben.«
Die Künstlerinnen nahmen wieder brav ihre Pinsel und auch ich widmete mich der Finalisierung von meinem Bild, welchem ich den Namen »8 Leinwände auf Wasser« gegeben hatte.

»Dieses Bild will ich haben, junger Mann.«
Die Stimme war jetzt ganz nah. Die Lady zeigte mit ihrem Stock auf die Leinwand.
»Es ist wunderschön. Es erinnert mich an meine Kindheit hier am See.«
»Das Bild heisst 8 Leinwände auf Wasser«, sagte ich ernst.
Sie fragte mich, ob das Bild zum Verkauf stehe. Ich entgegnete, dass es noch nicht vollendet sei, aber dass wir und durchaus vorstellen könnten, es zu verkaufen.
»Wir?«
Ich fügte hinzu, dass das Bild genau genommen nicht mein eigenes Werk sei, es sei vielmehr die Arbeit einer anderen Künstlerin. Ich sei lediglich Assistent und nur noch am Vertiefen der Farben.
Helenas Blick fiel auf das Schlachtfeld der Leinwände mit den viereckigen Einschnitten, die am Boden ungeordnet übereinander lagen. Aus jeder einzelnen hatte ich die jeweils schönste Stelle herausgeschnitten und verwendet.
»In der Verschwendung liegt die Schönheit«, sagte die Lady und war sichtlich bewegt über die Opferung der 8 Kunstwerke, um daraus ein Einziges herzustellen.
»Wo ist die Frau, die das gemalt hat?«
Ich wies auf die Tennisplätze.
»Sagen sie ihr, dass ich an dem Bild interessiert bin, bitte.«
Ich erkundigte mich, wie viel auszugeben sie für das Gemälde bereit wäre, denn das Bild hätte schon seinen Preis.
Bei der Summe, die ich hörte, wurde mir schwindelig.

Louises Hand lag auf meiner und meine auf dem Schaltknüppel unseres Fiat Panda, als wir am nächsten Morgen zurück in die Stadt fuhren. Wir hatten es beide in uns: Das Gefühl von Anfang und Aufbruch. Und ich hatte gedacht, dies wäre das Ende.

 

Ciao bluesafran

Die halbe Stadt liess sich warmen Fluss treiben.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in derselben Stadt leben. ;)

Das hat mir sehr gefallen, dieser lockere, unprätentiöse Erzählstil und die lakonischen Wendungen, die zum Teil wirklich witzig sind. Ich mag da jetzt gar nicht was zur Tiefe der Geschichte sagen, nachdem die Geschichte ja auch von der Tiefe der Malerei und der Kunst insgesamt handelt. Ich hab das einfach in einem Zug weggelesen, mich amüsiert und gut ist. Well done!

Meine Lieblingsstellen:

Mir kam die Idee, eine 3000 auf die Leinwand zu zeichnen, der Kurspreis.

»Interessant.«
Ich entgegnete:
»Ich habe noch nicht begonnen.«
Sie sagte:
»Davon gehe ich aus.«

Das reine, wahre Weiss der Leinwand, Symbol der künstlerischen Impotenz.

Als ich mich daneben stellte und zusah, zeichnete sie plötzlich und wie aus dem Nichts ein riesiges »H«. Ich ahnte was jetzt kam und machte mich aus dem Staub, bevor sie »HASS« zu Ende geschrieben hatte.


Du hast einige Orthographiefehler drin. Normalerweise bin ich zu faul, die rauszusuchen, aber ich finde, es würde sich lohnen, wenn der Text im möglichst fehlerfreien Kleid daherkäme. Also:

Doch die Ruinen zerfielen während ich wie ein Wahnsinniger

Komma vor "während"

sollen verwirren, verstörten, beim Betrachter etwas auslösen!

verstören

ein Duzend Leinwände

Dutzend

Mir war das alles zuwieder

zuwider

Zur Rechten und Linken der Zufahrtsstrasse entfalteten sich alte Bäumen.

Bäume

Das Anwesen gehöre einem alten Geschlecht, dem fast die Hälfte der städtischen Industrie gehöre.

WW: gehöre ... gehöre

Da gab es Welten, denen man einfach nicht angehörte, in welchen man höchstens kurzzeitig zu Gast war. Um einem solchen exklusiven Club kurzzeitig anzugehören,

WW: angehörte ... anzugehören

Zum Glück kam nach einer gefühlten halben Stunde jemand vorbei um zu helfen.

Komma vor "um"

und Voila.

voilà

Ich nahm mein Weissweinglas vom Apero

Apéro

Schön und Hochkonzentriert.

hochkonzentriert

Die Kollision zwischen dem Zynnoberrot

Zinnoberrot

Sie malte schon seit einer halben Stunde leinwandfüllend gelb. Verirrte sich kurz im Orange, als ich mich neben sie stellte und fand dann wieder zurück ins gelb, als ich mich entfernte.

ins Gelb (auch eine meiner Lieblingsstellen)

auf die Lein- wand schmierte.

Leinwand

Pinselbewe- gungen

Pinselbewegungen

deinem Zinn- ober

Zinnober

Elexir

Elixier

Die Farbresten, die jetzt noch an meinen

Farbreste

Jeder Künstler wiederspiegle sich in seinem Werk,

widerspiegle

Ich fragte nach einem Haushaltspapier, putze den Rand

putzte

Es tut mir Leid, dass ich

tut mir leid

Und ich hatte gedacht dies wäre das Ende.

Komma vor "dies"

Gern gelesen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hach, würde es nur immer so enden... In der Geschichte scheint mir sehr viel an eigener Erfahrung zu stecken. Die erste Hälfte liest sich zumindest mehr wie ein Erfahrungsbericht als eine Kurzgeschichte, die zweite Hälfte hat mehr Handlung, ist lebendiger.

 

Hallo!

Vorweg muss ich anmerken, dass ich viel und herzlich lachen musste beim Lesen und deshalb sehr dankbar bin für diese Geschichte. Insbesondere dazu beigetragen hat die lockere Erzählweise und der Kontrast zwischen feiner und grober Sprache und die salopp 'hingeklatschten' Antworten auf bestimmte Situationen. Ironischerweise steht jedoch mein größter Kritikpunkt damit im Zusammenhang. Die Geschichte hat mich eher selten wirklich in ihren Bann ziehen und diesen halten können, sprich 'eine flüssige Abfolge von Bildern' in meinem Kopf entstehen lassen (in der zweiten Hälfte jedoch wesentlich mehr als in der ersten), was, so vermute ich, mit der lockeren Erzählhaltung einhergeht. Wo die Anbringung gefühlsechter Details für gewöhnlich Tiefe und Authentizität in die Geschichte bringt, wird hier vielleicht (meiner bescheidenen Meinung nach) über das Ziel hinausgeschossen und die Verbindung aus der alltäglichen Sprache des Erzählers und den Details (welche dadurch gerne wie Fakten wirken), lässt die Geschichte häufig wie eine Nacherzählung realer Ereignisse wirken und schaffte es daher nicht mir ihre eigene Wirkung wirklich nahezubringen. Außerdem wirkt die Struktur der ersten Hälfte ein wenig chaotisch, ließt sich nicht flüssig genug denke ich. Als die Geschichte sich nun auf das Treiben am Landhaus konzentrierte, wirkte sie sehr viel durchdachter und angenehmer im Ablauf (hier wurde man geschickt in die Handlung eingeführt und dann nicht so einfach wieder freigelassen). Wobei ich aber noch bemerken muss, dass das Happy End etwas 'hineingeworfen' erscheint, es wirkt etwas dahergeplappert, da es doch insgesamt zu plötzlich und schnell geschieht, vllt könnte eine frühere Anmerkung über einen erwarteten Besuch der alten Dame und ihr eventuelles Interesse an Gemälden dies verhindern.

Und eine Sache wäre da noch:

Die halbe Stadt liess sich warmen Fluss treiben.
Fehlt hier schlichtweg das kleine Wörtchen "im" oder ergibt sich aus dieser Form eine tiefere Bedeutung, die sich mir verschließt?

MfG Putrid Palace

 

Hallo @bluesafran

ja, das ist sehr gut geschrieben. Witzig, kurzweilig, dicht. Dicht vor allem. Mit wenigen Worten kannst du klare Bilder und Szenen und Figuren zeichnen. Wie ein guter Maler, nein, ein Zeichner.

Künstlerin 6 öffnete die Augen und betrachtete mich verstört, als wäre mein Gesicht ein Bild, welches dringend überarbeitet werden musste.

Das ist meine Lieblingsstelle. Der gesamte Absatz, wenn das erste Bild entsteht, ist ebenso tolle und witzige Literatur.

Das ist Literatur, die auch ohne Eskalationen (echte und ausgedachte) auskäme, ohne große dramaturgische Struktur. Nicht, dass sich das verbietet oder gar ausschließt. Ich meine das als Lob und als Anregung. Einfach weiterschreiben, ich würde gerne mehr lesen.

Lg
Prof.Dr. Tobias

 

Hallo Peeperkorn, kunstnerd, Putrid Palace und Prof. Dr. Tobias

Ich danke Euch herzlich fürs Lesen – und Danke für Eure sehr genauen und aufmerksamen Rückmeldungen. Das Lob freut mich und die Anregungen sind wie Spiegel und ermöglichen mir einen unverbrauchten Blick auf das Geschriebene. Bin froh, dass ich mich traute, einen Text hier zu posten.
Freue mich auf spannende Geschichten und weitere aufschlussreiche Momente auf diesem Forum.

@Peeperkorn: Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, die Orthografiefehler zu lektorieren. Bin noch mal drüber und erschrocken, was ich alles übersehen habe beim Überarbeiten.
Ich bin nicht aus Bern, lebe in einer anderen schönen Schweizer Stadt mit B. ;)

@kunstnerd: Du hast Recht. Oft inspirieren mich Erlebnisse und lassen mich nicht mehr los, bis ich zum Thema/Problem etwas geschrieben habe. Der zweite Teil der Geschichte ist älter als der Anfang, die Rahmengeschichte kam mir erst vor ein paar Tagen in den Sinn. Beim Zusammenfügen ist es mir nicht so gelungen, alles zu einer Einheit zu verschmelzen.

@Putrid Palace: Vielen Dank für Deine für mich sehr aufschlussreiche Kritik zur Erzählstruktur und zu den unterschiedlich erlebten Stimmungen. Wenn ich die Geschichte jetzt nochmal lese, glaube ich jene Momente zu erkennen, wo der Bildstrom zu sprunghaft ist, wo die sprachlichen Effekte (Lustigseinwollen) oder meine Ungeduld verhindern, dass Tiefe entsteht. Ich habe jetzt ein paar konkrete Ideen fürs Überarbeiten. Den Besuch der alten Dame früher einzuleiten würde den Erzählbogen noch weiter spannen, das ist eine gute Idee.
(Das fehlende «im» ist kein Stilmittel sondern ein Fehler;))

@Prof. Dr. Tobias: Vielen Dank für deine Rückmeldung. Freut mich sehr, dass dir der Stil gefällt.

 

@bluesafran

Deine Geschichte hat mich sehr amüsiert. Die Pointen sitzen, kaum ein Wort zu viel oder zu wenig. Flott konstruiert, ohne oberflächlich zu wirken. Es scheint, Dir läuft so ein Text automatisch aus den Fingern. Was mich am meisten beeindruckt: du schaffst es, Dich über die Kunst-Szene lustig zu machen, ohne sie herabzuwürdigen. Bei aller spöttischen Distanz spüre ich Sympathie für die Künstler auf der Suche nach Originalität. Besonders Malerin Nr. 6 hat es Dir wohl angetan: "Drückte mir eine Dose mit einer braunen Masse in die Hand und schaute mich dabei tief an, als hätte sie mir gerade ein Unsterblichkeits-Elixier überreicht. "
Herrlich! Ich habe sofort ein Bild vor mir.
Vielleicht ist die Pointen und Metaphern -Frequenz stellenweise etwas hoch. Also: eine längere Geschichte in dem Stil würde mir bald zu anstrengend werden.

Ich hoffe auf weitere Texte!

Gruß!
Kellerkind

 

Hallo Kellerkind
Danke für die schöne Rückmeldung. Ich freue mich, dass dir die Pointen gefallen haben. So leicht ist es nicht aus den Fingern geflossen. ;) Einige Stellen habe ich zwei, drei Mal überarbeitet. Bin gespannt auf Deine Texte. Wünsche Dir ein schönes Wochenende!
bluesafran

 

Hallo bluesafran ,

Gerne habe ich deine Geschichte gelesen und sie hat mir sehr gefallen. Anmerkungen der Vorposter habe ich nicht hinzuzufügen. Was mir besonders gefällt ist, dass du es geschafft hast, Handlung und Protagonisten satirisch und humorvoll zu schildern, ohne dabei arrogant zu wirken oder verletzend zu werden, wie das heutzutage bei "Satire" immer häufiger wird. Ich fühlte mich an Kishon oder Loriot erinnert, die ich beide sehr mag.
Weiter so!

Gruß Werner

 

Lieber Werner,
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich freue mich, dass du das so wahrgenommen hast.
In meinem Elternhaus hatten wir auch ein paar Kishon- und Loriotbücher, die haben mir auch immer gut gefallen!
Ne gute weitere Woche wünsch ich Dir.
bluesafran

 
Zuletzt bearbeitet:

»Ist das ein Teich mit einer Bank?«, hatte mich meine Mutter gefragt, als ich ihr eine Zeichnung schenkte, an welcher ich sicher drei Wochen gemalt hatte. »Nein, das ist Papa.«

Kann ein verhinderter Grafiker und Verehrer des erweiterten Kunstbegriffes i. S. Schillers und Beuys an einer solch fluxuriösen Geschichte vorbeikommen, umso mehr als seine Diplome vom Papier her nicht einmal für die Toilette geeignet sind und – obwohl auch gelernter (Chemie)Laborant nie in einem Labor sein Geld verdiente? Nee – und das umso weniger, als die Zeit des Challenge 2018 sich dem Ende zuneigt, da ist für den eine

leere Leinwand

kein schlechter Einstieg zur Rückkehr in den Alltag. Es ist eine m. E. gelungene Geschichte zwischen Zufall, Kunst und Snobbismus nicht nur der Reichen und Schönen, umso mehr, als es ein Debut hierorts ist und wobei ich bis fast bis zum Schluss der Geschichte eine Parallele zu des Kaisers neuen Kleidern erwartete und doch nicht jammern werde, dass meine Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde.

Das ganze ist eher unaufdringlich, lapidar, wie beiläufig und umso trockener erzählt und lässt ein kleines Schlaglicht auf Wohlhabende wie den von ihnen bestimmte Kunstmarkt fallen. Was ein Jeff Koons kann und dabei Millionen scheffelt, kann eigentlich – bei entsprechenden Beziehungen und Wohlverhalten – jeder. Und damit

herzlich willkommen hierorts,

liebe @bluesafran -

aber es gibt noch einiges zu korrigieren, wie z. B., dass Zahlen bis zwölf üblicherweise in literarischen Texten ausgeschrieben werden (grundsätzlich kann jede Zahl ausgeschrieben werden, aber einerseits ist ab dreizehn jede Zahl zusammengesetzt aus anderen und wer siebenmilliardensechshundertfünfundvierzigmillionendreihundertfünfundznwntzgtauseneinhundertachtunfneunzig ausschreiben will, fordert geradezu den Fehlerteufel heraus.

Warum das German gerund (I‘m sketsching)

Hellwach am skizzieren.
Das zudem noch durchs „am“ (eigentlich ein an + dem) zu substantivieren ist.

Nicht erschrecken, manches erklärt sich wortlos

Ich war in einer Ruinenstadt und dazu verdammt dazu, die vom Zerfall bedrohten Gebäude wieder aufzubauen.

Louise befestigte eine Leinwand so auf dem Fussboden, dass die Unterseite unserer Schlafzimmertür bei jeder Bewegung der Tür auf der Leinwand kratze.
Ja, so spricht man, Fkoskeln und Füllsel haben auch ihre sprachliche, vor allem aber gesellschaftliche Funktion (Heinrich Böll hat darüber in seinen Frankfurter Vorlesungen doziert), aber als Füllsel ist es in literarischen Texten eher entbehrlich.

Hier schnappt die Fälle-Falle zu

Wir gaben uns noch Zeit bis im Sommer, bis dahin musste sich ihre Karriere in Bewegung gesetzt haben.
Wie „am“ setzt sich sie „im“ aus zusammen aus Präposition und Artikel. „in“ und „dem“ zusammen, der Satz aber erzwingt den Akkusativ („bis in den Sommer“), der dann nicht mehr zusammengfasst werden kann.

Ich könnte im Labor fragen, ob sie im Sekretariat eine Praktikumstelle hätten.
„Praktikumsstelle“, Fugen-s nicht vergessen. Möglich, dass es bei vielen zusammengesetzten Wörtern wie eben der Praktikumsstelle ein Genitiv-s ist und der Genitiv bezeichnet Besitzverhälnisse, Stelle des Praktikums. Aber vielleicht hab ich da auch nur eine Volrksetymologie geschaffen, die gerade mal zufällig stimmt.

Wir meldeten uns für den Sommerkurs an, überwiesen die Dreitausend.
„dreitausend“ besser klein, da Attribut der Währungseinheit (hier dreitausend Franken), wären es drei Tausender, sähe es – wie zu sehen – unwesentlich anders aus

Der Kurs fand auf einem herrschaftlichen Anwesen unweit der Stadt statt.
Kunst sucht doch auch das Schöne, schöner wäre vielleicht „Der Kurs fand statt auf einem herrschaftlichen Anwesen unweit der Stadt“, ist die Klammer „findet statt“ auch stärker.

Bau&Hobby.
Schreibt sich der Laden ohne Atem zu holen zwischen den Zeichen?

Fälle-Falle, nochmals

Als Trudi das sah, stellte sie mir einen ihrer Wasserkübeln mit einer missionarischen Geste unter meine Leinwand.
einen ihrer Wasserkübel“, anders im Falle „einen VON ihren Wasserkübeln“

»Die Kollision zwischen dem Zinnoberrot und dem untröstlichen Gips - Einfach wunderbar!
Entweder „… Gips – einfach wunderbar“ oder „Gips. (Alternativ „!“) - Einfach wunderbar.

... wie dort die Picassos von morgen am entstehen waren.
s. o., oder „am Entstehen“, besser jedoch die Verbalisierung. Versuch mal selbst!

Sie malte schon seit einer halben Stunde leinwandfüllend gelb. Verirrte sich kurz im Orange, als ich mich neben sie stellte[,] und fand dann wieder zurück ins Gelb, als ich mich entfernte.
Hier klappt das Mal mit der Zusammenführung von „in + dem“, wäre aber auch einfacher ohne Artikel (solltestu mal ausprobieren), das Komma MUSS gesetzt werden, weil „als“ einen vergleichenden Nebensatz einleitet, der vorm „und“ endet, dass den Hauptsatz der Verirrung fortsetzt

Ȁhm, ich wollte nur fragen, ob du mir etwas von deinem Zinnober hast.
Lies den Satz bitte selber noch mal durch. Da kämpfen mindestens zwo Sätze miteinander, ob sie noch was Zinnober hat und ob sie „mir“ noch was geben kann. Ich weiß auch schon, welcher Satz der unterlegene ist und sich recht durch die Spur „haben“, doch keine Hast, schau ihn Dir einfach an ...

Warte mal...«
Wie die Auslassungspunkte da stehen, behaupten sie, am vorhergehenden Satz fehle ein Buchstabe. Da w#re die Ästhetik des Apostrophs rationeller, sparsamer. Aber es fehlt kein Buchstabe („Warte male“, klänge eher, naja …) I. d. R. wird zwischen letztem Buchstaben und erstem Pukt eine Leertaste gelassen.

Meine Hände hielten nicht nur die Dose[,] sondern auch noch ihre Hände, …
Die berichtigende Konjunktion „sondern“ erzwingt ein Komma in der Aufzählung

Jetzt stand sie oben bei der Wiese, von wo aus sie uns alle im Blickfeld hatte.
"aus" weg!

Ich erkundigte mich, wieviel auszugeben sie für das Gemälde bereit wäre, …
wie viel i. d. R. auseinander, bei Zusammensetzungen (wievielmal etwa) kann es zu Zusammensetzungen kommen)

Das wär's für heute vom

Friedel,
der gespannt ist auf das Zweitwerk

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @bluesafran
den Sinn deiner Story verstehe ich so:
Der Erfolg - besonders der finanzielle - eines Kunst Schaffenden ist heutzutage nicht so sehr Begabung, gute Ideen und harte Arbeit, sondern vielmehr abhängig vom Zufall und dem verschwurbelten Geschmack steinreicher Mäzen, was dann reihenweise „Kunstkenner “ geflissentlich nachäffen.
Zwei weiter Nuancen möchte ich beisteuern: Eine Reihe sogenannter Bestseller putschen die Verlage durch geschickte Werbung nach oben.
Manchmal werden Preise für Kurzgeschichten ausgelobt, deren Inhalt ein Normalo gar nicht lesen möchte.

Mit 6408 Wörtern kommt deine KG für mich recht gewaltig daher. Trotzdem habe ich mich bemüht, mit dem Kommentieren bis zum Ende durchzuhalten. Nun liegt der Ausdruck neben mir, übersät mit roten, grüne, gelben und blauen Marker-Einfärbungen. Ob ich das hier alles akribisch breittrete? Wohl nicht! Schau`n `mer mal …

"Die halbe Stadt liess sich im warmen Fluss treiben. Die Präsidenten dieser Welt twitterten. Es gab eine neue Gratiszeitung und ich stand beim Flussschwimmen in eine Scherbe und holte mir eine Blutvergiftung. Und Louise malte."

Erinnert mich, als damals mein zweijähriger Enkel bei Schwimmversuchen vorsichtshalber mit einem Bein am Boden Halt suchte. Heute schwimmt er mit beiden Beinen und kann sich gottseidank nicht so schnell an Scherben schneiden. So sollte es dein Prota in Zukunft auch machen.
Mit einer Blutvergiftung ist nicht zu spaßen – nur gut, dass weitere schlimme Folgen des blutigen Unglücks im Laufe der KG nicht mehr vorkommen.
Übrigens würde ich den Absatz streichen. Warum? Der Leser fokussiert sich auf den Fluss, dann Nahaufnahme auf den Prota, dann Schwenk auf „Louise, die malt“. Für den Fortgang der Story ist eigentlich nur wichtig: „Louise, die malt“.

Nun mache ich einen Schwenk nach oben:

"Nach der Diplomfeier ging Louise zielstrebig ins Arbeitszimmer und schredderte dort ihr Masterzeugnis im Aktenvernichter: Die logische Fortsetzung von fünf Jahren Kunststudium. Sie büschelte die Papierstreifen zu einer Wulst und fixierte diese mit Sprühleim auf einer Holzplatte. Danach zog sie sich in ihr stickiges Atelier zurück und begann, wie eine Wahnsinnige zu malen."

Der Einstieg in die Geschichte macht durchaus neugierig. Aber fünf Jahre entbehrungsreiches Kunststudium „in die Tonne kloppen“? Sehr unglaubwürdig! Wer solange durchhält ist nicht nur talentiert, sondern auch Meisterschüler, weil sich der Rest schon längst verabschieden musste.
Schade um die originellen Formulierungen. Komplett streichen!

Kleiner Tip am Rande:

"schredderte dort ihr Masterzeugnis im Aktenvernichter"
Fast ein weißer Schimmel?!

Genauso unglaubwürdig vor dem Hintergrund „Studium, Masterzeugnis usw.“ möchte ich die gesamten Szenen hinsichtlich „Teilnahme an der Fortbildung“ einordnen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die beiden Protas geistig so unterbelichtet sind:

"Ein paar Tage später kam Louise mit leuchtenden Augen nach Hause. »Es gibt da eine Kurswoche. Es hat nur wenige Plätze und ich bin exklusiv eingeladen!«
Es stellte sich heraus, dass eine bekannte Künstlerin unserer Stadt einen Sommerkurs in abstrakter Acrylmalerei anbot. Louise sagte, dass diese Künstlerin in der Stadt einen Namen habe und auch von der Kunst leben konnte. ff"

Sei es, wie es sei! Ist eben nur meine Meinung.

und erklärte perplex, dass in unserer Beziehung wirklich noch alles in bester Ordnung war.

Inhaltich verstehe ich den Satz gar nicht. Warum erklärt er wem die „beste Ordnung“? Hier solltest du den Leser nicht im Regen stehen lassen.

"fand ich Louise in ihrem Atelier auf dem Dachboden. Hellwach am skizzieren."

Vermutlich:
„fand ich Louise in ihrem Atelier auf dem Dachboden hellwach am Skizzieren.


Leider ist es so, dass man mit zwei Händen und einem Pinsel nicht viel anrichten kann, was nicht schon andere zuvor getan hatten. Und wenn man es zu sehr versucht, könnten die Zuschauer denken, man sei geisteskrank. Je länger es Menschen gibt, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich Kunst wiederholt, sowie alles andere auch. Doch Louise kämpfte entschlossen gegen die Ästhetik des Repetitiven und suchte das Einmalige. Kunsthistoriker riefen die Copy-Paste-Epoche aus und Louise verschrieb sich der Originalität.

Ich weiß nicht, wer diese abgeschliffenen philosophischen Betrachtungen wirklich lesen will? Ob das tatsächlich zum spanenden Fortgang der Story beiträgt?

Nun zur Rückblende:
Zweifellos gut formuliert. Der Leser weiß nun über die kreative Ader des Prota Bescheid.

In meinen jungen Jahren hatte ich auch versucht, ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit aufzusteigen. Ich komponierte und sang dazu. Stellte ein paar …
"Ich erhielt dafür noch einen kleinen Betrag und damit kaufte ich an einer lokalen Kunstausstellung ein Gemälde von Louise: Der Anfang unserer Liebe und das Ende meiner Träumereien.

Erster Satz Plusquamperfekt, dann weiter im Präteritum. Sehe ich auch so.
Meine Meinung zum ganzen Absatz: Er reißt mich aus raus aus der Story. Will ich das überhaupt wissen? Nein! Ich hake diese Querstrebe ab als „Infodump“
Solche Verästelungen vom Anfang bis zum Ende der KG hast du ausreichend eingebaut, teilweise sehr originell und humorbeladen formuliert.
Aber trotzdem schweifen sie vom Handlungsverlauf ab, verwässern sozusagen den Spannungsbogen, den du aufgebaut hast.
Jetzt kannst du mich bestimmt nicht mehr leiden …

Nur zwei Gedanken möchte ich noch loswerden, auf die Gefahr hin, das ich völlig unten durch bin bei dir.
Mir gefällt die Abschweifung der Malerinnen eins bis fünf, von denen der Prota gerne lernen möchte, nicht. Hier verlässt du deinen gewohnten, frischen Schreibstil und bringst Banalität aufs Papier.
Die steinreiche alte Frau, eigentlich eine Schlüsselfigur, kommt ziemlich kurz weg. Da hätte ich mir mehr Power gewünscht.
Dann habe ich noch ein paar Stilbrüche gefunden. Schau mal selber nach.

Insgesamt halte ich die Story für zu sehr verschachtelt. Trotz humoristischer Einlagen schweifst du zu oft vom Thema ab und verlierst dich in Infodumps. Eine Kurzgeschichte ist nun mal kein Roman, wenn du weißt. was ich meine.
Dann hast viel zu viel RG-Fehler reingebastelt und gibst so dem gutmütigen "Korrektor vom Dienst" reichlich Nahrung.

Mit freundlichen Grüßen
Petriso2

 

Lieber Friedrichard und lieber Petriso2

Herzlichen Dank für Euer differenziertes Feedback! Das bringt mich weiter. Ich nehme mir vor, die Geschichte nach Weihnachten noch einmal mutig zu überarbeiten, zu kürzen und vielleicht noch einmal umzuschreiben. Bin mir aber nicht sicher, ob die Geschichte die Kurve kriegt... Hab das Gefühl wenn ich einmal mit kürzen beginne, ist am Schluss nicht mehr viel da...

@Friedrichard: Danke für das Aufspüren der Stellen mit Fallfehlern, Ungenauigkeiten und Stilblüten. Ich kann dir in all deinen Feststellungen folgen und werde gerne viele deiner Änderungsvorschläge übernehmen!
Es nervt mich, dass ich so viele Fallfehler mache. Ich habe das einfach nicht im Gespür.

@Petriso2: Dank deinem Feedback sind mir vor allem zwei Schwachstellen des Textes bewusst geworden:

1)Das eine Problem ist die Glaubwürdigkeit der Figuren. Ich glaube den zwei Figuren fehlt es in der Tat an Charakter und Tiefe. Ihr Handeln untersteht wohl hauptsächlich dem Unterhaltenwollen des Autors und wenig der Charakterdynamik der Figuren. ;) Wie du feststellst ist ihr Handeln nicht besonders logisch und z.T. trivial.

2) Sehr dankbar bin ich auch für die Hinweis, wo ich mich in Nebensträngen und philosophischen Anschauungen und Interpretationen verliere. Ich tu mich schwer mit dem Kürzen von Stellen, die mir ans Herz gewachsen sind. Aber du hast völlig recht: Viele Stellen dienen nicht der Entwicklung der Handlung sondern erscheinen mir jetzt auch etwas effekthaschend. Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Geschichte keine klare Prämisse hat, weder eine moralische noch eine dramatische. Darum tröpfelt alles etwas entwicklungslos vor sich hin, auch wenn der Text Sprachwitz hat, kann ich nachvollziehen, dass das Leseerlebnis besser sein könnte. Die Pointen machen zwar die fehlende Tiefe des Textes etwas wett, ich habe aber den Anspruch, eine humorvolle Geschichte MIT glaubwürdigen, tiefen Figuren zu schreiben.
Der Sinn, den du anspricht, ist mehr ein Nebenprodukt und nicht beabsichtigt, auch wenn ich nicht verleugnen kann, gewissen Kunstszenen gegenüber kritisch eingestellt zu sein.

Gerne nehme ich diese Erkenntnisse mit in die nächste Überarbeitungsrunde und danke Euch fürs genaue Lesen und die wertvollen Anregungen!

Lieber Gruss
bluesafran

 

Vielen Dank noch einmal für Eure guten Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge!
Habe die Geschichte auf fast die Hälfte gekürzt. Das war sehr befreiend. Danke Petriso2 für deine Rückmeldung, die hat mich speziell weitergebracht.
Guter Gruss
blue

 
Zuletzt bearbeitet:

Gern geschehen!
Bin gespannt auf deinen nächsten Post.
Liebe Grüße
Petriso2

 

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