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Die Lüge

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20.02.2013
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Die Lüge

Die Lüge

An einem lauen Abend im Altweibersommer lümmelte sich Hubert Sonnbichler in nachdenklicher Stimmung auf dem Sofa seiner Freundin Anuta Dumitrescu im siebten Stock eines Sozialbaus. Es war Freitag Punkt zwanzig Uhr. Vor ihm ertönte im Fernsehen die Startmelodie der Tagesschau. Die blonde Sprecherin begrüßte die Zuschauer und lenkte den Blick zuerst auf die Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in der in dieser Woche wieder zehntausend Kinder an Mangelernährung gestorben waren. Sonnbichler gähnte, schaltete den Ton ab, ging zum Kühlschrank und suchte dort nach den Resten des heutigen Mittagessens, denn er verspürte leichten Appetit. Hinter einer angebrochenen Milchflasche fand er, was er suchte, nämlich einen 300gr-Brocken Mămăligă. Darüber kippte er 20cl Ketchup und gab einige Tropfen grünen Tabasco hinzu. Er seufzte genießerisch, watschelte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen. Mit der Fernbedienung startete er die Musikanlage, wählte Bolero in der Version der Wiener Philharmoniker von 1995 aus und schaufelte den kalten Maisbrei mit den Fingern in den Mund hinein.

Der Monat war gut für ihn verlaufen. Sein Chef hatte ihn vor versammelter Abteilung ausdrücklich gelobt. Der Quartalserfolg von Rossleitner sel. Witwe & Co. sei zu fünfundzwanzig Prozent auf den effizienten und kaltschnäuzigen Sonnbichler zurückzuführen. Und so wie der Boss kaltschnäuzig betonte, verstand er es als dickes Lob. Sozusagen als Ritterschlag, mit dem Sonnbichler sich ab sofort von den naiven Kollegen unterschied. Am Montag würde die Firma ihm eine Sondergratifikation im hohen fünfstelligen Bereich überweisen; heute am dreißigsten hatte er zudem seinen Septemberscheck erhalten. Als Belohnung hatte er sich am Nachmittag das iPhone5 gegönnt. Nicht, dass es die 4-er Version nicht mehr getan hätte. Er hatte es sich jedoch zur Gewohnheit gemacht, kommunikationstechnisch immer auf dem neuesten Stand zu sein. Er telefonierte und simste eine Menge. Wenn ihm langweilig war, spielte er Angry Birds auf dem Gerät. Er liebte es, das Smartphone neben sein Festnetztelefon zu legen und freute sich wie ein kleines Kind, wenn beide Apparate gleichzeitig klingelten. Vielleicht würde er sich im Oktober ein iPad kaufen. Wozu er das konkret benötigte, wusste er im Moment nicht. Ihm würde aber schon noch ein Verwendungszweck dafür einfallen.

Mit Anuta war Sonnbichler seit über drei Jahren zusammen. Kennengelernt hatte er sie auf einem Sommerfest in der Nachbarschaft. Bei den Anzengrubers. Ganz reizende Leute. Sebastian Anzengruber arbeitete im selben Unternehmen wie er. Im Controlling. Es war immer gut, mit solchen Menschen befreundet zu sein. Anuta hatte entzückend ausgesehen: lange Beine, Schmollmund, dunkelgrüne Augen, ansehnliches Dekolleté, braune Haut, die in einem roten Kostüm steckte. Dem Sonnbichler war damals das Wasser im Mund zusammengelaufen. Er wusste zwei Stunden lang gar nicht, worauf er sich zuerst konzentrieren sollte: die Rostbratwürste auf dem Grill oder die Schönheit aus den Karpaten. Denn aus dem tiefen Südosten stammte Anuta. Aus einem Dorf irgendwo in der Walachei, zwischen Donaudelta und Dobrudscha gelegen. Sie hatte es ihm schon oft erklärt und auf der Landkarte gezeigt. Beim Sonnbichler ging das zum einen Ohr hinein und zum anderen rasch wieder heraus. Er hatte sich nie sonderlich für die Feinheiten der Geografie interessiert; zudem hörte für ihn die zivilisierte Welt ohnehin hinter dem Grenzübergang in Deutschkreutz auf. Ab Ödenburg begann für ihn der Balkan, und alleine der zwielichtige Begriff löste in ihm ein tiefverwurzeltes Misstrauen aus. Ständiger Unruheherd, Partisanen, die aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten schossen, notorische Anarchisten und Kommunisten. Seinetwegen könnte man noch in diesem Jahr einen neuen Grenzzaun hochziehen. In der Art, wie die Amerikaner ihn entlang des Rio Grande errichtet hatten. Einzig Budapest sollte man als Insellösung aussparen, denn dorthin war er mit den Kollegen schon zweimal gereist, um vergnügliche Abteilungspartys in teuren Stripclubs zu feiern.

Obwohl Sonnbichler sich heute Abend eigentlich in heiterer Laune befinden sollte, war da etwas, was ihn bedrückte. Sein Boss Hinterfalter hatte ihn am Nachmittag beiseite genommen, ihm den Arm um die Schulter gelegt und mit breitem Grinsen erklärt: »Sonnbichler, aus Ihnen kann was werden. Sie haben den richtigen Killerinstinkt, den man in der freien Wirtschaft benötigt. Das habe ich immer schon geahnt.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Hinterfalter. Ich fühle mich durch Ihr Vertrauen geehrt.«
»Nenn‘ mich Schorsch. Das klingt unkomplizierter.«
»Okay, Schorsch. Finde ich auch besser.«
»Du weißt, Hubert, dass ich nächsten März aufhören werde. Dann werde ich dreiundsechzig. Höchste Zeit, um mich meinen Hobbies und den Enkeln zu widmen.« Hinterfalter öffnete eine Dose Bier und genehmigte sich einen großen Schluck.
»Ach geh, Schorsch. Du bist noch so vital und voller Elan. Da können wir Jungen uns eine Scheibe von abschneiden. Zwei, drei Jahre kannst du doch ohne weiteres dranhängen.«
»Du brauchst mir nicht zu schmeicheln, Hubert. Ich weiß, dass du ehrgeizig bist und dich für meinen Posten interessierst. Ist aber kein Problem für mich. So lange du mein Stuhlbein noch sechs Monate in Frieden lässt, werden wir weiterhin gute Freunde sein.«
»Wie schlecht du von den Menschen denkst, Schorsch. Ich käme nie auf die Idee, gegen den Chef zu intrigieren.« Sonnbichler setzte eine kindliche Unschuldsmiene auf.
»Spar dir den Atem, Hubert. Für mich geht das alles in Ordnung. Ich war früher auch hungrig und skrupellos. Ohne Ellenbogen und Hinterfotzigkeit kommst du in keiner Organisation voran.«
»Da bin ich aber froh, dass wir zwei alten Hasen einer Meinung sind.«
»Was ich dir aber noch raten möchte, Hubert: trenn dich von deiner Freundin. In der Chefetage werden Beziehungen mit Osteuropäerinnen nicht gerne gesehen. Schon gar nicht in wilder Ehe. Ich werde dich zwar als meinen Nachfolger empfehlen, aber der Vorstand hat das letzte Wort. Frauen wie Anuta findest du an jeder Ecke. Notfalls in einem russischen Versandkatalog.« Hinterfalter lächelte vielsagend, klopfte seinem Untergebenen erneut auf die Schulter, wendete sich ab, um mit der brünetten Sekretärin zu scherzen und ließ einen verdatterten Sonnbichler zurück.

Da saß er nun mit einem halbgefüllten Teller Maisbrei auf den Knien im Wohnzimmer seiner Freundin Anuta, verfügte aufgrund der September-Sonderzahlung über ein prallgefülltes Girokonto, würde in einem halben Jahr die Leitung der Exportabteilung übernehmen, und doch fühlte er sich an diesem Freitagabend nicht wohl in seiner Haut. Die Worte Hinterfalters vom Nachmittag lagen ihm im Magen. Nicht, dass er nicht schon selbst über eine Trennung von Anuta nachgedacht hätte. Es war mit ihr wie mit einem kurzweiligen Roman, den man mittlerweile von A bis Z durchgelesen hatte und ihn nun einzig aus Langeweile oder in Ermangelung anderer Möglichkeiten ein weiteres Mal aufschlug. Die Seiten waren entweder eingerissen oder mit Kaffeeflecken übersät. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Zeit für etwas Neues wurde. Sie hindert mich geradezu daran, dass ich andere Frauen kennenlerne, überlegte er. Als ob ich mit ihr verheiratet wäre. Das könnte ihr so passen.

In diesem Moment wurde die Wohnungstür mit Schwung geöffnet und die beiden Kinder der Freundin tollten lachend herein: der achtjährige Marian und seine kleine Schwester Ilariana.
»Hallo Hubert, bist du schon da«, begrüßten sie ihn freundlich.
»Wo ist eure Mutter?«, fragte er griesgrämig zurück.
»Die ist noch unten bei Frau Olschewski. Wird aber gleich hier sein.«
»Die Zuspätkommerei ist kein schöner Charakterzug. Hoffe, dass ihr den nicht geerbt habt.«
»Was isst du da, Onkel Hubert? Den Rest Mămăligă? Der war für mich und Marian.« Ilariana guckte den gedrungenen Mann verärgert an, denn sie hatte Hunger.
»Du wirst schon satt werden, Fräulein. Unterernährt siehst du nicht aus.« Er stellte den Rest Maisbrei neben sich auf den Couchtisch.

Sonnbichler war eingefleischter Junggeselle und schätzte die Anwesenheit von Kindern nicht sonderlich. Normalerweise brachte Anuta die beiden übers Wochenende entweder zu ihrer Mutter oder zu einer Freundin. Weshalb ausgerechnet heute nicht, wo er doch mit ihr über wichtige Dinge zu reden hatte. Das macht sie mit Absicht, um mich unter Druck zu setzen, ging es ihm durch den Kopf.
»Hubert, schau: das ist eine neue Uhr, die ich habe. Gefällt sie dir?« Marian streifte den linken Ärmel hoch und zeigte Sonnbichler stolz eine schwarze Swatch Chrono Plastic.
»Die ist wirklich schön. Von wem hast du sie?«
»Von meinem Großvater geschenkt bekommen.« Das hübsche Gesicht Marians wechselte kurz die Farbe, was Sonnbichler nicht verborgen blieb.
»Vom Opa, da schau her. Das nenne ich aber eine spendable Überraschung vom alten Mann, der von einer Armenrente lebt. Wie hat er das denn finanziert?«
»Ich, ich weiß es nicht …«, stotterte der Junge.
»So so, du weißt es also nicht. Und was, wenn ich behaupte, dass du lügst oder die Uhr sogar gestohlen hast?« Sonnbichler setzte eine sorgenvolle Miene auf.
»Nein, habe ich nicht!« Marians Pupillen weiteten sich vor Entsetzen.
»Von wem ist sie dann? Bestimmt nicht von deinem Großvater. Da halte ich jede Wette dagegen.«

Der Junge schwieg einige Sekunden lang und überlegte. Dann sagte er: »Hubert, wenn du mir versprichst, dicht zu halten, verrate ich dir das Geheimnis.«
»Natürlich!«
»Indianerehrenwort; auch gegenüber Mama?«
»Klar, mein Ehrenwort.« Sonnbichler lächelte, denn nun würde er die Regeln des Spiels bestimmen.
»Du kreuzt auch nicht die Finger hinter dem Rücken?«
»Ärgere mich nicht. Ich bin der Ältere, und du musst mir vertrauen.«

Marian blickte auf den Boden und rang innerlich mit sich. Dann schaute er Sonnbichler mit klaren Augen ins Gesicht. Hübsch ist der Bengel, das Ebenbild seiner Mutter, überlegte indessen der Vize-Abteilungsleiter.
»Die Uhr hat mir mein Papa vorgestern mitgebracht.«
»Dein Vater? Aber der ist doch in Rumänien, dachte ich.«
»Ja schon. Aber vor drei Tagen ist er in Bukarest losgefahren, um uns zu besuchen.«
»Was will er denn hier? Der hat doch seit Jahren nichts von sich hören lassen.« Auf Sonnbichlers quadratischer Stirn bildeten sich zwei Unmutsfalten.
»Das stimmt nicht. Er hat die ganze Zeit Kontakt gehalten.«
»Wie das denn?«
»Über Oma und Opa.«
»Die wussten davon? Und eure Mutter?« Sonnbichlers Entrüstung nahm von Sekunde zu Sekunde zu.
»Der haben wir nichts davon erzählt. Die hätte sich ansonsten zu sehr darüber aufgeregt. Sie will ja nicht, dass du eifersüchtig wirst.« Marian starrte verlegen an die Wand hinter dem Geliebten seiner Mutter.
»Eifersüchtig: ich? Auf wen: einen dahergelaufenen rumänischen Tagelöhner, der seit Jahren keinen Unterhalt überweist? Dass ich nicht lache.« Sonnbichler redete in diesem Moment lauter und abgehackter, als er es für gewöhnlich tat.
Dann sprang mit einem Satz, den man dem massigen Mann nicht zugetraut hätte, vom Sofa auf und lief empört im Wohnzimmer hin und her. »Hat er sonst noch was erzählt, euer Vater? Beispielsweise über mich?« Er stoppte abrupt vor Marian, baute sich in voller Größe vor dem Jungen auf und packte ihn mit beiden Händen an den Schultern.
»Nein, hat er nicht.« Marian schüttelte sich und wollte Sonnbichler loswerden. Der aber umklammerte ihn mit eisernem Griff.
»Du lügst«, zischte er.
»Tue ich nicht!«
»Wenn ich mein Ehrenwort halten soll, dann musst du mir die Wahrheit gestehen.«
Marian schluckte; dann flüsterte er: »Papa hat gesagt, dass du der Mama nicht gut tust.«
»Wie meint er das?«
»Na ja, sie sei immer so traurig und würde uns oft weggeben. Eine zufriedene Mutter würde das nicht tun. Sie wäre wahrscheinlich sehr unglücklich mit dir.«
»Wie kommt er darauf? Er hat euch doch seit Jahren nicht gesehen?«
»Oma und Opa telefonieren einmal die Woche mit ihm.«
»Ja, hat sich denn die gesamte rumänische Sippschaft gegen mich verschworen?«

»Hallo Schatz. Weshalb schreist du? Ist irgendwas passiert?« Unbemerkt war Anuta Dumitrescu zur Tür hereingetreten.
»Das ist heute Abend wohl mein gutes Recht«, schnaubte Sonnbichler.
»Ich verstehe nicht.« Die Mutter blickte fragend in die Runde.
»Dein Mann ist seit gestern in der Stadt und verbreitet Lügenmärchen über mich.«
»Pst … sei still … du hattest doch versprochen.« Marian legte mit verzweifelter Geste den Finger auf die Lippen.
»Vorlauter Bengel, merkst du nicht, dass sich hier zwei Erwachsene unterhalten?«
»Hubert, was ist los? Warum bist du dermaßen erregt?«
»Weshalb ich erregt bin: das fragst du mich allen Ernstes? Was soll ich davon halten, dass dein Ex hier reinschneit und alle Bescheid wissen außer mir?« Sonnbichler geriet immer mehr in Rage über seine rumänische Freundin und deren unverfrorene Familie. Er bebte geradezu vor Zorn. Vierundneunzig Kilo verteilt auf Ein-Meter-Zweiundachtzig stampften über den Parkettboden. Die hängenden Wangen des Abteilungsleiters in spe waren gerötet, aus seinen Augen schossen beleidigte Blitze.
»Du musst dich irren, Hubert. Mein Ex-Mann Pascu hat Bukarest seit langer Zeit nicht verlassen.«
»Von wegen. Dein abgefeimter Sohn hat es mir gerade gesteckt. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit will er mich zum Komplizen machen. Aber nicht mit mir!«
»Marian, was tust du? Warum hast du Geheimnisse vor mir?« Anuta starrte ihren Sohn fassungslos an.
»Kei … keine Ahnung. Oma und Opa wollten es dir erst morgen erzählen. Als Überraschung.«
»Siehst du: was das für eine Verschwörung ist? Wem von euch kann ich noch trauen? Unglücklich seid ihr angeblich. Weil du mich kennst. So was erzählt der feine Ex-Gemahl hinter meinem Rücken. Und ich … ja ich bin natürlich der glücklichste Mann auf der Welt. Von wegen. Vor lauter Sorgen weiß ich kaum noch, wo mir der Kopf steht.« Schwer atmend vergrub Sonnbichler seine schweißnasse Stirn in den Handflächen.
»Du hattest dein Ehrenwort gegeben«, schluchzte Marian.
»Meine Sonnbichler-Ehre vertraue ich einem Lügner an. So weit kommt es noch. Von wegen. Wie der Vater, so der Sohn. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
»Hubert, er ist noch ein Kind. Zügele dich.«
»Nimmst du den kleinen Teufel auch noch in Schutz. Ihr seid alle gleich, ihr Zigeuner. Wenn man euch nur einen Finger reicht, dann hackt ihr einem gleich die ganze Hand ab. Ich hätte es von Anfang an besser wissen müssen. Ich war einfach zu gutmütig.«
»Hubert!«
»Ach was. Ich habe genug von dir und dieser Rumlügerei. Ich gehe jetzt. Und zwar für immer. Mich wirst du nie mehr wiedersehen.« Sonnbichler schnappte sich sein dunkelgraues Jackett, das er vorhin über die Stehlampe geworfen hatte, und verließ grußlos die Wohnung seiner Freundin. Anutas Augen bekamen einen feuchten Glanz. Stumm blickte sie ihrem Geliebten hinterher, dann drehte sie sich zu Marian um und gab ihm eine schallende Ohrfeige: »Du und dein Vater, ihr habt alles kaputt gemacht.« Danach lief sie in die Küche.

Marian setzte sich zu Ilariana, die mit offenem Mund am Esstisch gesessen und zugehört hatte, und erklärte ihr, wie er gerade betrogen worden war. Er zitterte, stotterte und weinte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er die rohe Bekanntschaft mit der Lüge gemacht. Es gab in der Welt der Erwachsenen Dinge, für die er in seiner kindlichen Sprache noch keinen passenden Begriff kannte.

Ihre Mutter kam aus der Küche zurück und rannte Sonnbichler hinterher. Vor dem Lift holte sie ihn ein. »Hubert«, sagte sie, »Lass uns nicht so eiskalt voneinander scheiden.« Sonnbichler, der in diesem Moment überlegt hatte, ob er Hinterfalter bereits an diesem Abend oder erst morgen nach dem Frühstück anrufen sollte, um den Noch-Chef über das Ende seiner Beziehung zu informieren, wendete sich überrascht um. »Anuta, mach es nicht noch schlimmer als es ohnehin schon ist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie elend ich mich nach all dieser Heuchelei fühle.«
»Doch, das kann ich, mein Engel«, hauchte sie und lehnte ihren Kopf an seine Brust.
Sonnbichler, wieder halbwegs versöhnt und schwankend, was er mit dem angebrochenen Abend noch anfangen sollte, erwiderte: »Du kannst ja nichts dafür. Letztlich bist auch du von deinem Mann, dem Sohn und den Großeltern betrogen worden. Ganz furchtbar finde ich das.«
»Werden wir uns denn in Zukunft hin und wieder treffen?«
»Vielleicht. Aber nicht mehr so oft wie bisher. Wenn du die Kinder jetzt zu deiner Freundin bringen würdest, könnte ich heute bei dir bleiben. Dann wärst du nicht alleine.«
»Natürlich, mein Ein und Alles«, raunte sie ihm ins Ohr, und Sonnbichler griff ihr reflexartig mit der Hand unter den Rock. Anuta stöhnte lustvoll auf, holte das hinter dem Rücken versteckte Messer hervor und durchtrennte ihrem Geliebten mit einem einzigen Schnitt die Halsschlagader. Sonnbichler glotze blöde, sank in die Knie und verblutete vor der geöffneten Aufzugstür wie ein geschächtetes Tier.

 

Hallo Sinuhe

ja, ja die Weiber, vor allem die osteuropäischen. Geile Biester, machen dich zuerst scharf, dann stechen sie dich bei erster Gelegenheit ab:baddevil:. Und das passiert ausgerechnet dem ober-coolen, unsympathischen Sonnbichler, wo er doch so gern Abteilungsleiter geworden wäre - Schee deppert. Aber irgendwie gönnt man's ihm.

Eine kurzweilige Geschichte mit ein paar Längen.

Dein Sprachstil gefällt mir, die Personen sind recht gut charakterisiert, da wo es passt, zeigst du Detailverliebtheit und entsprechende Sachkenntnis, man muss nur aufpassen, gerade bei der Kurzgeschichte, dass man nicht übertreibt. Ist dir aber im Wesentlichen gut gelungen.

Sowas mein ich, gefällt mir.

Hinter einer angebrochenen Milchflasche fand er, was er suchte, nämlich einen 300gr-Brocken Mămăligă. Darüber kippte er 20cl Ketchup und gab einige Tropfen grünen Tabasco hinzu. Er seufzte genießerisch, watschelte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen.

Der gefällt mir auch gut, netter Vergleich.

Er wusste zwei Stunden lang gar nicht, worauf er sich zuerst konzentrieren sollte: die Rostbratwürste auf dem Grill oder die Schönheit aus den Karpaten.

Da hab ich einen Moment den Faden verloren und mich in den WK II zurückversetzt gesehen. Aber das hätte zum Rest der Story nicht gepasst. Bin vielleicht nicht so informiert, aber gibt es heute in Rumänien noch Partisanen die auf deutsche Soldaten schießen? Hätte so was eher im ehemaligen Jugoslawien, Kosovo oder so vermutet, oder hab ich da was falsch verstanden/überlesen?

Ständiger Unruheherd, Partisanen, die aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten schossen, notorische Anarchisten und Kommunisten.

Das find ich mal eine gelungene Metapher, die Frau als ausgelesenes Buch mit eingerissenen Seiten und Kaffeeflecken. Machohaft,:D muss ich mir trotzdem merken.

Es war mit ihr wie mit einem kurzweiligen Roman, den man mittlerweile von A bis Z durchgelesen hatte und ihn nun einzig aus Langeweile oder in Ermangelung anderer Möglichkeiten ein weiteres Mal aufschlug. Die Seiten waren entweder eingerissen oder mit Kaffeeflecken übersät.

Hier holperts ein bisschen

»Du musst dich irren, Hubert. Mein Ex-Mann Pascu hat Bukarest seit langer Zeit nicht verlassen.«
»Von wegen. Dein abgefeimter Sohn hat es mir gerade gesteckt. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit will er mich zum Komplizen machen. Aber nicht mit mir!«

Würde sie sich so ausdrücken? Mein Ex-Mann Pascu … Ich finde, der Satz bekäme mehr Geschwindigkeit wenn sie nur mein Ex oder nur Pascu sagen würde

abgefeimt. Der Begriff wirkt hier auch irgendwie unpassend zu Sonnbichlers sonstiger Ausdrucksweise – aber ist Geschmackssache.

Das passt auch nicht. Klingt irgendwie – ich weiß nicht, gestelzt, hochgestochen, passt vom Sound her nicht.

Zügele dich

Ja soviel mal in Kürze, den Schluss finde ich dann schon etwas heftig, zumal eigentlich vorher nichts darauf hindeutet was für ein durchtriebenes, mordlüsternes Luder die Braut ist. Die Dialogszene davor zieht sich etwas lang dahin, würde ich vielleicht etwas kürzen, vielleicht auch kürzere Sätze verwenden, um die Spannung und die Aufheizung der Atmosphäre zu verdeutlichen.

Aber grundsätzlich gern und amüsiert gelesen.

Grüße

Fred B

 

Hallo Fred,

was bedeutet Resi26: ein Computerwurm o. Orkantief über den Azoren?
Du hast dich zu nachtschlafender Zeit mit der Lüge beschäftigt. Bin gespannt, was dir aufgefallen ist.

ja, ja die Weiber, vor allem die osteuropäischen. Geile Biester, machen dich zuerst scharf, dann stechen sie dich bei erster Gelegenheit ab. Und das passiert ausgerechnet dem ober-coolen, unsympathischen Sonnbichler, wo er doch so gern Abteilungsleiter geworden wäre - Schee deppert. Aber irgendwie gönnt man's ihm.
Ist zwar okay, wenn Anuta beim Leser so rüberkommt; aber eigentlich wollte ich sie gar nicht als dermaßen berechnend darstellen. Wobei eine attraktive Frau, die sich mit dem Sonnbichler zusammentut, natürlich eher den Gedanken des zukünftigen Ernährers im Hinterkopf hat, als dass sie sich in den hinterfotzigen Fettklops verliebt.

Eine kurzweilige Geschichte mit ein paar Längen.

Dein Sprachstil gefällt mir, die Personen sind recht gut charakterisiert, da wo es passt, zeigst du Detailverliebtheit und entsprechende Sachkenntnis, man muss nur aufpassen, gerade bei der Kurzgeschichte, dass man nicht übertreibt. Ist dir aber im Wesentlichen gut gelungen.
Stimmt: im Moment bastele ich an längeren Geschichten (diese hier mit 2600w ist ja am Bildschirm gerade noch lesbar), in denen ich manche Szenen u. Charaktere ausführlicher schildere. Dadurch entsteht natürlich die Gefahr, dass:
( ) die Stories als zu lang empfunden werden
( ) o. (schlimmer) der Leser die Geschichte langweilig findet.
Nicht einfach, da die angemessene Geschwindigkeit u. den passenden Rhythmus auszutarieren.

Da hab ich einen Moment den Faden verloren und mich in den WK II zurückversetzt gesehen. Aber das hätte zum Rest der Story nicht gepasst. Bin vielleicht nicht so informiert, aber gibt es heute in Rumänien noch Partisanen die auf deutsche Soldaten schießen? Hätte so was eher im ehemaligen Jugoslawien, Kosovo oder so vermutet, oder hab ich da was falsch verstanden/überlesen?
Diesen Satz muss ich ausbessern. Die Partisanen beziehen sich natürlich auf WKII. Und Sonnbichler denkt in diesem Moment auch nicht speziell an Rumänien, sondern schert alles über einen Kamm Balkan.
Im „Original“ folgt nun ein Absatz, in dem er über die WKII-Vergangenheit seines Großvaters reflektiert. Den hatte ich allerdings rausgenommen, weil die Passage die Story unnötig verlängert hätte. Muss mir also eine Alternative zu Partisanen ausdenken, damit der Zeitbezug passt.

Würde sie sich so ausdrücken? Mein Ex-Mann Pascu … Ich finde, der Satz bekäme mehr Geschwindigkeit wenn sie nur mein Ex oder nur Pascu sagen würde
Okay, nur Pascu reicht.

abgefeimt. Der Begriff wirkt hier auch irgendwie unpassend zu Sonnbichlers sonstiger Ausdrucksweise – aber ist Geschmackssache.
Abgefeimt wird bei uns im Rheinland „häufig“ verwendet. Werde ich auswechseln

Zügele dich …
Das passt auch nicht. Klingt irgendwie – ich weiß nicht, gestelzt, hochgestochen, passt vom Sound her nicht.
D’accord. Lasse ich mir was anderes einfallen

Ja soviel mal in Kürze, den Schluss finde ich dann schon etwas heftig, zumal eigentlich vorher nichts darauf hindeutet was für ein durchtriebenes, mordlüsternes Luder die Braut ist.
Wie oben bereits gesagt: Anuta soll eigentlich nicht durchtrieben daherkommen. Von Anfang an mordlüstern schon gar nicht.
Im Vordergrund steht – wie der Titel ausdrückt – die Lüge.
Und zwar in doppelter Ausfertigung:
( ) die kleine Marians an die Adresse Sonnbichlers. Weil er halt seinen Vater nicht verraten will
( ) und die große des Vize-Abteilungsleiters gegenüber dem Kind. Mit gebrochenem Indianer-Ehrenwort. Hier könnte man sich nun fragen:
- hatte Sonnbichler überhaupt nicht vor, sich an sein Gelübde zu halten? Weil er eben den kleinen Jungen gar nicht als gleichberechtigten Verhandlungspartner akzeptierte?
- oder hatte ihn die Nachricht „bloß“ dermaßen geärgert, dass er seinen Schwur vorübergehend vergaß?
Festzuhalten bleibt aber, dass er als Erwachsener sich nicht an ein Versprechen gebunden fühlt, das er einem Kind gegenüber abgegeben hat.

Ich hätte die Geschichte mit einem Dialog der Geschwister enden lassen können. Dann wäre dieser Schwerpunkt der Erzählung vermutlich klarer geworden. Ich hatte mich aber gestern Abend beim Tippen so über Sonnbichler geärgert, dass ich dachte: So glimpflich kommst du nicht raus aus der Sache. Das könnte dir so passen: erst Anuta sitzenlassen und zur Belohnung noch Abteilungsleiter werden. Also beschloss ich spontan, ihn zu töten. Zuerst als Schwein. Das funktioniert aber beim Schächten nicht, da Schweine nicht koscher bzw. nicht halal sind u. folglich nicht geschächtet werden. Deshalb „nur“ als Tier.

Die Dialogszene davor zieht sich etwas lang dahin, würde ich vielleicht etwas kürzen, vielleicht auch kürzere Sätze verwenden, um die Spannung und die Aufheizung der Atmosphäre zu verdeutlichen.
Okay, die werde ich mir heute Abend erneut vornehmen.


Fred, herzlichen Dank! Die Hinweise sind wertvoll. Werde versuchen, den Dialog zu beschleunigen.

PS. Sehe, dass du aktuell 1812 von A. Zamoyski liest. Zu diesem Thema ist evtl empfehlenswert:
Frans G. Bengtsson: Rückzug der Großen Armee (eine Geschichte – von mehreren – innerhalb des sehr vergnüglichen Buchs: Die langhaarigen Merowinger). Bengtsson nimmt wiederum Bezug auf: Philippe de Ségur sowie Adrien F. Bourgogne, die beide als Zeitzeugen über den Russlandfeldzug Napoleons geschrieben haben.

Vg sinuhe

 

Hi Sinuhe

was bedeutet Resi26: ein Computerwurm o. Orkantief über den Azoren?

:lol:, tja ich hab damals, als ich bei kg.de zum ersten mal postete (2005) wohl zu wenig überlegt welchen Nickname ich als Account verwende. Und es ist unglaublich schwierig oder unmöglich den im Nachhinein ändern zu lassen. Deswegen unterschreibe ich meine Kommentar auch mit Fred B, das ist zwar auch nicht mein richtiger Name, bezieht sich aber auf Fred Bogus Trumper, eine meiner literarischen Lieblingsfiguren, dem Wassertrinker von John Irving.

Ich sehe schon, es macht Spaß deine Geschichten, aber auch deine Kommentare bzw. Antworten auf Kommentare zu lesen. Das ist nichts Oberflächliches, da macht sich jemand Gedanken.

Gut, der Einstieg meines Kommentars, das war einfach so eine spontane Reaktion auf das Ende der Geschichte. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass das nicht unbedingt deine Intention war, Anuta so dargestellt zu wissen. Aber es ist halt auch die Sichtweise des jeweiligen Lesers unterschiedlich.

Was die Länge der Geschichte angeht, ich finde die durchaus in Ordnung. Ich bin auch kein Verfechter der These, eine Kurzgeschichte dürfe nur soundsoviel Worte haben (gibt es dafür überhaupt eine Regel?). Ich denke, dass kommt ganz auf Thema und Inhalt an, und wie die Geschichte erzählt wird. Es gibt langweilige Vier-Satz-Kurzgeschichten und fesselnde Zehn-Seiten-KGs. Wichtig, denke ich, ist weniger die Länge als die Geschwindigkeit, ich denke du verstehst was ich meine. Manchmal ziehen sich bestimmte Dialog oder Absätze halt und die kann man dann durch kürzen schneller (lesbar) machen.

Der eigentliche Konflikt deiner Geschichte, die Lüge oder doppelte Lüge – ja, jetzt nach deiner Erklärung und dem erneuten Lesen wird mir das auch klarer. Gutes Thema übrigens, was ist das „Versprechen“ oder Ehrenwort eines Erwachsenen gegenüber einem Kind wert.

Ich hatte mich aber gestern Abend beim Tippen so über Sonnbichler geärgert, dass ich dachte: So glimpflich kommst du nicht raus aus der Sache. Das könnte dir so passen: erst Anuta sitzenlassen und zur Belohnung noch Abteilungsleiter werden. Also beschloss ich spontan, ihn zu töten.

Ja das kenn ich auch. Während des Schreibens ändern wir die Sicht auf den Helden plötzlich, so dass man ihn sterben oder umgekehrt überleben lassen will, auch wenn es anders geplant war. Aber ich glaube, aus dieser Spontaneität entstehen oft die besten / kurzweiligsten Geschichten.

Viel Spass noch, bin gespannt auf die Änderungen in deinem Text

Fred B

pps. Danke für deine Tipps hinsichtlich Napoleons Russlandfeldzug. Tatsächlich hatte ich vorher Krieg und Frieden gelesen. Ein Wahnsinnswälzer, hab, glaub ich, zwei Jahre gebraucht (man muss ja auch noch seine Brötchen nebenbei verdienen). Aber das Thema hat mich so gefesselt und da sich, als ich fertig war, zufällig dieses „Ereignis“ zum 200. Male gejährt hatte und das Buch von Zamoyski rauskam (sehr lesenswert), hab ich mir das vorgenommen.
Das wäre auch mal eine Idee, eine historische Geschichte zu schreiben. Aber da muss man halt viel recherchieren, sehr zeitaufwändig. Mal sehen.

 

Hallo Fred,

also kein Computervirus, sondern ein spontan gewählter Nick aus dem Jahre 2005, der dich bis heute „verfolgt“. Der Fluch der schnellen Tat.

bezieht sich aber auf Fred Bogus Trumper, eine meiner literarischen Lieblingsfiguren, dem Wassertrinker von John Irving.
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker.
Klingt spannend.
Gerade bei Amazon bestellt. Als TB. Für Kindle gibt es die Geschichte noch nicht.

Was die Länge der Geschichte angeht, ich finde die durchaus in Ordnung. Ich bin auch kein Verfechter der These, eine Kurzgeschichte dürfe nur soundsoviel Worte haben (gibt es dafür überhaupt eine Regel?). Ich denke, dass kommt ganz auf Thema und Inhalt an, und wie die Geschichte erzählt wird. Es gibt langweilige Vier-Satz-Kurzgeschichten und fesselnde Zehn-Seiten-KGs. Wichtig, denke ich, ist weniger die Länge als die Geschwindigkeit, ich denke du verstehst was ich meine. Manchmal ziehen sich bestimmte Dialog oder Absätze halt und die kann man dann durch kürzen schneller (lesbar) machen.
Ich bin bekennender Gegner von Standardisierungen außerhalb von Technik (u. IT).
In Belletristik möge jeder so schreiben, wie ihm der Schnabel gewachsen ist bzw. so, wie ihm die Feder übers Papier flitzt.
Diese KG verfügt über 2600w. Umgerechnet in (Norm-) Seiten müsste das Volumen bei ca. 10s liegen.

Der Hinweis mit den Kürzungen innerhalb der Dialoge ist angekommen und wird bei der zeitnahen Überarbeitung natürlich umgesetzt.

Ja das kenn ich auch. Während des Schreibens ändern wir die Sicht auf den Helden plötzlich, so dass man ihn sterben oder umgekehrt überleben lassen will, auch wenn es anders geplant war. Aber ich glaube, aus dieser Spontaneität entstehen oft die besten / kurzweiligsten Geschichten.
Ich schreibe – zumindest KGen – meistens aus dem Bauch heraus. Habe eine vage Idee im Kopf und tippe dann munter drauflos. Deshalb entspricht das tatsächliche Finale nicht immer dem Schluss, den ich mir vorher überlegt hatte.

Tatsächlich hatte ich vorher Krieg und Frieden gelesen. Ein Wahnsinnswälzer, hab, glaub ich, zwei Jahre gebraucht
Zwei Jahre sind eine lange Zeit; aber trotzdem Respekt!
Ich habe mich 3x an diesem Wahnsinnsteil probiert – mit 18, 30 u. 40 – und bin jedes Mal kläglich gescheitert. Spätestens nach S50 habe ich den Roman beiseite gelegt und ein anderes Buch in die Hand genommen. Alleine das Nachschlagen der vielen frz. Zitate ist mühsam. Bin insg. nicht so ein Tolstoi-Fan. Während ich die anderen Russen des 19-ten Jhrd.s – speziell Dostojewski u. Tschechow – sehr gerne lese.

Das wäre auch mal eine Idee, eine historische Geschichte zu schreiben. Aber da muss man halt viel recherchieren, sehr zeitaufwändig. Mal sehen.
Jap, da muss man sich entweder berufsmäßig gut auskennen o. vorab eine Menge Hintergrundinfos zusammentragen. Wobei eine historische KG in die Rubrik Belletristik (u. nicht Fachbuch) fällt, weshalb mMn nicht jedes Detail stimmen muss.

Fred, wünsche dir ein schönes u. evtl literarisch produktives WE!

Vg sinuhe

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sinuhe

Hat mir gefallen. Der Text ist flüssig und leicht zu lesen. Sonnbichler ist zwar ein Kotzbrocken, aber du beschreibst ihn in einer erträglichen Weise. Die Bilder wirken naheliegend, passend und schlüssig. (Hoffentlich drücke ich mich nun hinreichend verständlich aus.)

Die blonde Sprecherin begrüßte die Zuschauer und lenkte den Blick zuerst auf die Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in der in dieser Woche wieder zehntausend Kinder an Mangelernährung gestorben waren.

Das zweimalige «in» wirkt etwas holprig. Meiner Ansicht nach ginge auch «wo diese Woche», wobei vielleicht andere dann sagen, das sei plump.

Er liebte es, das Smartphone neben sein Festnetztelefon zu legen und freute sich wie ein kleines Kind, wenn beide Apparate gleichzeitig klingelten.

Ich habe es versucht, aber ich kann ihm da nicht nachfühlen.

Beim Sonnbichler ging das zum einen Ohr hinein und zum anderen rasch wieder heraus.

Das «rasch» streichen.

Nicht, dass er nicht schon selbst über eine Trennung von Anuta nachgedacht hätte. Es war mit ihr wie mit einem kurzweiligen Roman, den man mittlerweile von A bis Z durchgelesen hatte und ihn nun einzig aus Langeweile oder in Ermangelung anderer Möglichkeiten ein weiteres Mal aufschlug.

Statt Roman vielleicht Krimi? Zu Sonnbichler passen Krimis. Romane sind doch eher etwas für Frauen, würde er wahrscheinlich sagen.

Danach lief sie in die Küche.

Danach hörte ich kurz auf zu lesen und schaute, wie lange die Geschichte noch dauert, aber nicht, weil sie mich langweilte oder mir mühsam erschien, sondern weil hier ein Geschehen abgeschlossen wird, man also an einen Punkt gelangt, an dem man kurz inne halten, vor und zurück schauen kann. Ich war dann aber etwas überrascht, als ich sah, dass die Geschichte an dieser Stelle schon fast fertig ist. Der Schluss dünkte mich zu kurz. Bis zu der besagten Stelle wird vieles ausführlich beschrieben und dann plötzlich zack zack Sonnbichler tot.

Sonnbichler glotze blöde, sank in die Knie und verblutete vor der geöffneten Aufzugstür wie ein geschächtetes Tier.

Wie gesagt, ich finde die Bilder der Geschichte naheliegend, passend und schlüssig, bis auf diesen Vergleich mit einem geschächteten Tier. Diese Vorstellung ist nicht naheliegend und passt nicht zu den Figuren. Ich meine: Sie ist Rumänin, er ist Deutscher und geschächtete Tiere gehören zur jüdischen Kultur. Das Bild erscheint darum etwas weit her geholt. Zudem ist «Tier» ein blasser Sammelbegriff. Wie wäre stattdessen «… wie eine angestochene Sau.» Sonnbichler ist eine «Sau».

Wünsche ein schönes Wochenende
Gruß teoma

 

Hallo teoma,

du hast dir an einem sonnigen SA-Vormittag die Lüge vorgenommen. Das freut mich.

(Hoffentlich drücke ich mich nun hinreichend verständlich aus.)
Bis hierher kann ich dich völlig problemlos verstehen. :D

Das zweimalige «in» wirkt etwas holprig. Meiner Ansicht nach ginge auch «wo diese Woche», wobei vielleicht andere dann sagen, das sei plump.
Okay. Übernehme deine Variante

Ich habe es versucht, aber ich kann ihm da nicht nachfühlen.
Ich auch nicht, denn ich bin hin u. wieder bereits genervt, wenn ein Telefon – zur falschen Zeit – klingelt. Der Sonnbichler hält eben viele Kommunikationsgeräte, die gleichzeitig bimmeln, für chic und sich deshalb – im Trugschluss – für wichtig.

Das «rasch» streichen.
okay

Statt Roman vielleicht Krimi? Zu Sonnbichler passen Krimis. Romane sind doch eher etwas für Frauen, würde er wahrscheinlich sagen.
Roman war als allumfassender Begriff für Belletristik gemeint. Worunter dann ebenfalls Krimis fallen würden.
Da der Sonnbichler jedoch außer Fachzeitschriften und Quartalsstatistiken ohnehin nichts liest, werde ich Krimi übernehmen, damit der Gedanke pointierter wirkt.

Danach hörte ich kurz auf zu lesen und schaute, wie lange die Geschichte noch dauert, aber nicht, weil sie mich langweilte oder mir mühsam erschien, sondern weil hier ein Geschehen abgeschlossen wird, man also an einen Punkt gelangt, an dem man kurz inne halten, vor und zurück schauen kann. Ich war dann aber etwas überrascht, als ich sah, dass die Geschichte an dieser Stelle schon fast fertig ist. Der Schluss dünkte mich zu kurz. Bis zu der besagten Stelle wird vieles ausführlich beschrieben und dann plötzlich zack zack Sonnbichler tot.
Das stimmt: am Ende ist der Sonnbichler (zu) schnell tot. Weil:
( ) ich ihn anfangs gar nicht sterben lassen wollte (hatte ich gestern bereits in meiner Antwort an Fred geschrieben)
( ) ich nach 2600w tatsächlich einen Punkt setzen wollte.
Als ursprüngliches Finale war ein Dialog zw. den Kindern zum Thema Ehrenwort u. Lüge vorgesehen.
Muss mal schau’n, wie ich das verändern kann, damit das Ende nicht so abrupt daherkommt.

Wie gesagt, ich finde die Bilder der Geschichte naheliegend, passend und schlüssig, bis auf diesen Vergleich mit einem geschächteten Tier. Diese Vorstellung ist nicht naheliegend und passt nicht zu den Figuren. Ich meine: Sie ist Rumänin, er ist Deutscher und geschächtete Tiere gehören zur jüdischen Kultur. Das Bild erscheint darum etwas weit her geholt. Zudem ist «Tier» ein blasser Sammelbegriff. Wie wäre stattdessen «… wie eine angestochene Sau.» Sonnbichler ist eine «Sau».
- Geschächtet, weil Anuta dem Sonnbichler die Halsschlagader durchtrennt
- Schächten tun sowohl Juden als auch Moslems. Über die Religionszugehörigkeit Anutas hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht; gebe ich zu
- Tier, weil Schweine nicht geschächtet werden. Und die Tiere, mit denen man das tut (Hühner, Ziegen, Schafe, Rinder) als Vgl. nicht zum Sonnbichler gepasst hätten
- (Angestochene) Sau (o. Schwein) war mir wiederum zu plakativ.
Ich überleg mir was Passendes.

teoma, herzlichen Dank! Mit den Anmerkungen kann ich was anfangen und werde deine stilistischen Hinweise auf jeden Fall übernehmen.

Wünsche dir ein sonniges WE!
Lg sinuhe

 

Hallo Sinuhe,

An einem lauen Abend im Altweibersommer lümmelte sich Hubert Sonnbichler in nachdenklicher Stimmung auf dem Sofa seiner Freundin Anuta Dumitrescu im siebten Stock eines Sozialbaus. Es war Freitag Punkt zwanzig Uhr. Vor ihm ertönte im Fernsehen die Startmelodie der Tagesschau. Die blonde Sprecherin begrüßte die Zuschauer und lenkte den Blick zuerst auf die Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in der in dieser Woche wieder zehntausend Kinder an Mangelernährung gestorben waren. Sonnbichler gähnte, schaltete den Ton ab, ging zum Kühlschrank und suchte dort nach den Resten des heutigen Mittagessens, denn er verspürte leichten Appetit. Hinter einer angebrochenen Milchflasche fand er, was er suchte, nämlich einen 300gr-Brocken Mămăligă. Darüber kippte er 20cl Ketchup und gab einige Tropfen grünen Tabasco hinzu. Er seufzte genießerisch, watschelte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen. Mit der Fernbedienung startete er die Musikanlage, wählte Bolero in der Version der Wiener Philharmoniker von 1995 aus und schaufelte den kalten Maisbrei mit den Fingern in den Mund hinein.

Es lief die Tagesschau, Dürre, Hungersnot, sterbende Kinder ... langweilig. Sonnbichler gähnte und wo der Mund doch schon mal offen war, schob er sich doch gleich noch einen Brocken Mămăligă rein. Er schaltete den Ton ab und hörte seine Lieblingsmusik.

Klar, dass zwei verschiedene Menschen auch unterschiedlich texten, aber ehrlich: das sind mir denn doch zu viele Füllsel. Die anderen Infos kann man doch einbauen, wenn der Anlass gegeben ist. Wenn also Anuta hereinkommt, stellt man sie vor und erwähnt, dass es ihre Wohnung ist usw.

Würdest du den Text straffen, schmelze zwar deine DEL-Taste, aber die Geschichte gewänne an Tempo.

Und der Schluss hat mir gar nicht gefallen, da wolltest du wohl schnell zum Ende kommen. Es hätte sich gelohnt, sich dort etwas mehr Mühe zu geben.
Ein Verhältnis Anutas mit Sonnbichlers Chef z.Bsp., das S. kaltstellt oder so ähnlich, aber einfach nur abmurcksen ist mir zu wenig.

Was mir gut gefallen hat, ist die Darstellung der Charaktere. Aber sag' jetzt nicht, dass das durch die Ausführung der Füllsel kommt.

viele Grüße
elfenweg

 

Hallo Elfenweg,

der du den kurzen, knappen Kommentarstil pflegst.

Ich kenne:
( ) Füllworte (nämlich, ziemlich, ja, eventuell etc)
( ) „überflüssige“ Adjektive
und bin bei Hinweisen, die in diese Richtung zielen, zumeist beratungsoffen.

Du aber gehst – insofern ich dich richtig verstehe – noch einen Schritt weiter u. bemängelst (angeblich) überflüssige Informationen. Speziell am Beispiel des ersten Satzes. Die du als Füllsel (-Infos) ansiehst.
Okay, dann ist es eben für dich so. Die Geschmäcker in Punkto Literatur unterscheiden sich stark. Von daher mag dem einen gefallen, was du eben nicht magst. Ich persönlich habe mich beim Formulieren des Beginns amüsiert iSv. das Schreiben des langen Satzes hat mir Freude bereitet. Und auch heute - sechs Tage später – gefällt er mir noch. Das ist nicht immer so. Ca. 50% meiner Texte sehe ich 48h nach dem Hochladen recht kritisch. Bei diesem hier überwiegt aber nach wie vor das Vergnügen.

Langeweile ist ein sehr subjektives Empfinden. Ich schreibe ja ebenfalls mitunter ins Fazit rein, dass ich eine von mir kommentierte Story als fade ansehe. Was aber nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass jeder Leser das so sieht wie ich bzw. in diesem Fall wie du. Der lange Einstiegsatz enthält eine Menge Informationen, die Sonnbichler charakterisieren:
( ) lümmelt sich auf einem (fremden) Sofa
( ) bekommt Appetit, während im TV von Hungertoten berichtet wird
( ) isst den Kindern das Abendessen weg
( ) würzt mit grünem Tabasco (das ist die Variante für Weicheier)
( ) lässt sich dick u. fett in die Kissen plumpsen
( ) hält es nicht für notwendig, sich eine Gabel aus der Küche zu holen, sondern packt mit seinen Fingern in die Schüssel hinein
( ) legt Bolero auf, weil er gleich ein Schäferstündchen abhalten möchte, obwohl er sich innerlich bereits von Anuta getrennt hat.
Man muss sich halt die Zeit nehmen, diese Infos auf sich wirken zu lassen. Nicht jede Geschichte funktioniert nach dem Strickmuster eines Hip-Hop-Videoclips.

Würdest du den Text straffen, schmelze zwar deine DEL-Taste, aber die Geschichte gewänne an Tempo.
Was unterstellt, dass ich es in dieser Geschichte eilig gehabt hätte. Hatte ich es aber – den Schluss ausgenommen – überhaupt nicht.
Die besten Stories bestehen aus fünf Sätzen à max. zehn Wörtern. Das Argument kenne ich.

Und der Schluss hat mir gar nicht gefallen, da wolltest du wohl schnell zum Ende kommen. Es hätte sich gelohnt, sich dort etwas mehr Mühe zu geben.
Weiß nicht, ob du – evtl in Eile – die obenstehenden Kommentare – u. meine Antworten darauf – studiert hast. Dort wurde das (zu) abrupte Finale ebenfalls bemängelt. Woraufhin ich schrieb, dass es zutrifft. Eigentlich hätte ich die Geschichte mit einer Unterhaltung der Kinder zum Thema Was ist das Ehrenwort eines Erwachsenen wert? enden lassen können. Mich packte allerdings beim Tippen des Textes Wut auf den Sonnbichler, weshalb ich mich spontan dazu entschloss, ihn sterben zu lassen. Die von dir angeregte Dreiecksbeziehung mit Hinterfalter hätte ins Uferlose geführt. Das wären dann ja nochmal 1000w on top geworden. Denn diese heimliche Liaison hätte ich irgendwie erklären müssen. Ich war abends froh, als der Sonnbichler endlich tot vor der Aufzugstür lag. Werde aber bei der Überarbeitung das Gemetzel weglassen und mit den Kindern enden.

Was mir gut gefallen hat, ist die Darstellung der Charaktere. Aber sag' jetzt nicht, dass das durch die Ausführung der Füllsel kommt.
Zum einen sag ich gar nichts mehr. Zum anderen müsstest du es schon mir überlassen, was ich ggf. doch sagen würde. Ich schreibe den Kommentatoren – und die sind mitunter streng mit mir – ja auch nicht vor, welche Kritik sie anbringen dürfen u. welche nicht.


Elfenweg, vielen Dank für deine Eindrucksschilderung. Zumindest die Charaktere haben dir gefallen. Das ist ja besser als nichts.

Vg sinuhe

 

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