- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Die Lüge
Die Lüge
An einem lauen Abend im Altweibersommer lümmelte sich Hubert Sonnbichler in nachdenklicher Stimmung auf dem Sofa seiner Freundin Anuta Dumitrescu im siebten Stock eines Sozialbaus. Es war Freitag Punkt zwanzig Uhr. Vor ihm ertönte im Fernsehen die Startmelodie der Tagesschau. Die blonde Sprecherin begrüßte die Zuschauer und lenkte den Blick zuerst auf die Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in der in dieser Woche wieder zehntausend Kinder an Mangelernährung gestorben waren. Sonnbichler gähnte, schaltete den Ton ab, ging zum Kühlschrank und suchte dort nach den Resten des heutigen Mittagessens, denn er verspürte leichten Appetit. Hinter einer angebrochenen Milchflasche fand er, was er suchte, nämlich einen 300gr-Brocken Mămăligă. Darüber kippte er 20cl Ketchup und gab einige Tropfen grünen Tabasco hinzu. Er seufzte genießerisch, watschelte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen. Mit der Fernbedienung startete er die Musikanlage, wählte Bolero in der Version der Wiener Philharmoniker von 1995 aus und schaufelte den kalten Maisbrei mit den Fingern in den Mund hinein.
Der Monat war gut für ihn verlaufen. Sein Chef hatte ihn vor versammelter Abteilung ausdrücklich gelobt. Der Quartalserfolg von Rossleitner sel. Witwe & Co. sei zu fünfundzwanzig Prozent auf den effizienten und kaltschnäuzigen Sonnbichler zurückzuführen. Und so wie der Boss kaltschnäuzig betonte, verstand er es als dickes Lob. Sozusagen als Ritterschlag, mit dem Sonnbichler sich ab sofort von den naiven Kollegen unterschied. Am Montag würde die Firma ihm eine Sondergratifikation im hohen fünfstelligen Bereich überweisen; heute am dreißigsten hatte er zudem seinen Septemberscheck erhalten. Als Belohnung hatte er sich am Nachmittag das iPhone5 gegönnt. Nicht, dass es die 4-er Version nicht mehr getan hätte. Er hatte es sich jedoch zur Gewohnheit gemacht, kommunikationstechnisch immer auf dem neuesten Stand zu sein. Er telefonierte und simste eine Menge. Wenn ihm langweilig war, spielte er Angry Birds auf dem Gerät. Er liebte es, das Smartphone neben sein Festnetztelefon zu legen und freute sich wie ein kleines Kind, wenn beide Apparate gleichzeitig klingelten. Vielleicht würde er sich im Oktober ein iPad kaufen. Wozu er das konkret benötigte, wusste er im Moment nicht. Ihm würde aber schon noch ein Verwendungszweck dafür einfallen.
Mit Anuta war Sonnbichler seit über drei Jahren zusammen. Kennengelernt hatte er sie auf einem Sommerfest in der Nachbarschaft. Bei den Anzengrubers. Ganz reizende Leute. Sebastian Anzengruber arbeitete im selben Unternehmen wie er. Im Controlling. Es war immer gut, mit solchen Menschen befreundet zu sein. Anuta hatte entzückend ausgesehen: lange Beine, Schmollmund, dunkelgrüne Augen, ansehnliches Dekolleté, braune Haut, die in einem roten Kostüm steckte. Dem Sonnbichler war damals das Wasser im Mund zusammengelaufen. Er wusste zwei Stunden lang gar nicht, worauf er sich zuerst konzentrieren sollte: die Rostbratwürste auf dem Grill oder die Schönheit aus den Karpaten. Denn aus dem tiefen Südosten stammte Anuta. Aus einem Dorf irgendwo in der Walachei, zwischen Donaudelta und Dobrudscha gelegen. Sie hatte es ihm schon oft erklärt und auf der Landkarte gezeigt. Beim Sonnbichler ging das zum einen Ohr hinein und zum anderen rasch wieder heraus. Er hatte sich nie sonderlich für die Feinheiten der Geografie interessiert; zudem hörte für ihn die zivilisierte Welt ohnehin hinter dem Grenzübergang in Deutschkreutz auf. Ab Ödenburg begann für ihn der Balkan, und alleine der zwielichtige Begriff löste in ihm ein tiefverwurzeltes Misstrauen aus. Ständiger Unruheherd, Partisanen, die aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten schossen, notorische Anarchisten und Kommunisten. Seinetwegen könnte man noch in diesem Jahr einen neuen Grenzzaun hochziehen. In der Art, wie die Amerikaner ihn entlang des Rio Grande errichtet hatten. Einzig Budapest sollte man als Insellösung aussparen, denn dorthin war er mit den Kollegen schon zweimal gereist, um vergnügliche Abteilungspartys in teuren Stripclubs zu feiern.
Obwohl Sonnbichler sich heute Abend eigentlich in heiterer Laune befinden sollte, war da etwas, was ihn bedrückte. Sein Boss Hinterfalter hatte ihn am Nachmittag beiseite genommen, ihm den Arm um die Schulter gelegt und mit breitem Grinsen erklärt: »Sonnbichler, aus Ihnen kann was werden. Sie haben den richtigen Killerinstinkt, den man in der freien Wirtschaft benötigt. Das habe ich immer schon geahnt.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Hinterfalter. Ich fühle mich durch Ihr Vertrauen geehrt.«
»Nenn‘ mich Schorsch. Das klingt unkomplizierter.«
»Okay, Schorsch. Finde ich auch besser.«
»Du weißt, Hubert, dass ich nächsten März aufhören werde. Dann werde ich dreiundsechzig. Höchste Zeit, um mich meinen Hobbies und den Enkeln zu widmen.« Hinterfalter öffnete eine Dose Bier und genehmigte sich einen großen Schluck.
»Ach geh, Schorsch. Du bist noch so vital und voller Elan. Da können wir Jungen uns eine Scheibe von abschneiden. Zwei, drei Jahre kannst du doch ohne weiteres dranhängen.«
»Du brauchst mir nicht zu schmeicheln, Hubert. Ich weiß, dass du ehrgeizig bist und dich für meinen Posten interessierst. Ist aber kein Problem für mich. So lange du mein Stuhlbein noch sechs Monate in Frieden lässt, werden wir weiterhin gute Freunde sein.«
»Wie schlecht du von den Menschen denkst, Schorsch. Ich käme nie auf die Idee, gegen den Chef zu intrigieren.« Sonnbichler setzte eine kindliche Unschuldsmiene auf.
»Spar dir den Atem, Hubert. Für mich geht das alles in Ordnung. Ich war früher auch hungrig und skrupellos. Ohne Ellenbogen und Hinterfotzigkeit kommst du in keiner Organisation voran.«
»Da bin ich aber froh, dass wir zwei alten Hasen einer Meinung sind.«
»Was ich dir aber noch raten möchte, Hubert: trenn dich von deiner Freundin. In der Chefetage werden Beziehungen mit Osteuropäerinnen nicht gerne gesehen. Schon gar nicht in wilder Ehe. Ich werde dich zwar als meinen Nachfolger empfehlen, aber der Vorstand hat das letzte Wort. Frauen wie Anuta findest du an jeder Ecke. Notfalls in einem russischen Versandkatalog.« Hinterfalter lächelte vielsagend, klopfte seinem Untergebenen erneut auf die Schulter, wendete sich ab, um mit der brünetten Sekretärin zu scherzen und ließ einen verdatterten Sonnbichler zurück.
Da saß er nun mit einem halbgefüllten Teller Maisbrei auf den Knien im Wohnzimmer seiner Freundin Anuta, verfügte aufgrund der September-Sonderzahlung über ein prallgefülltes Girokonto, würde in einem halben Jahr die Leitung der Exportabteilung übernehmen, und doch fühlte er sich an diesem Freitagabend nicht wohl in seiner Haut. Die Worte Hinterfalters vom Nachmittag lagen ihm im Magen. Nicht, dass er nicht schon selbst über eine Trennung von Anuta nachgedacht hätte. Es war mit ihr wie mit einem kurzweiligen Roman, den man mittlerweile von A bis Z durchgelesen hatte und ihn nun einzig aus Langeweile oder in Ermangelung anderer Möglichkeiten ein weiteres Mal aufschlug. Die Seiten waren entweder eingerissen oder mit Kaffeeflecken übersät. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Zeit für etwas Neues wurde. Sie hindert mich geradezu daran, dass ich andere Frauen kennenlerne, überlegte er. Als ob ich mit ihr verheiratet wäre. Das könnte ihr so passen.
In diesem Moment wurde die Wohnungstür mit Schwung geöffnet und die beiden Kinder der Freundin tollten lachend herein: der achtjährige Marian und seine kleine Schwester Ilariana.
»Hallo Hubert, bist du schon da«, begrüßten sie ihn freundlich.
»Wo ist eure Mutter?«, fragte er griesgrämig zurück.
»Die ist noch unten bei Frau Olschewski. Wird aber gleich hier sein.«
»Die Zuspätkommerei ist kein schöner Charakterzug. Hoffe, dass ihr den nicht geerbt habt.«
»Was isst du da, Onkel Hubert? Den Rest Mămăligă? Der war für mich und Marian.« Ilariana guckte den gedrungenen Mann verärgert an, denn sie hatte Hunger.
»Du wirst schon satt werden, Fräulein. Unterernährt siehst du nicht aus.« Er stellte den Rest Maisbrei neben sich auf den Couchtisch.
Sonnbichler war eingefleischter Junggeselle und schätzte die Anwesenheit von Kindern nicht sonderlich. Normalerweise brachte Anuta die beiden übers Wochenende entweder zu ihrer Mutter oder zu einer Freundin. Weshalb ausgerechnet heute nicht, wo er doch mit ihr über wichtige Dinge zu reden hatte. Das macht sie mit Absicht, um mich unter Druck zu setzen, ging es ihm durch den Kopf.
»Hubert, schau: das ist eine neue Uhr, die ich habe. Gefällt sie dir?« Marian streifte den linken Ärmel hoch und zeigte Sonnbichler stolz eine schwarze Swatch Chrono Plastic.
»Die ist wirklich schön. Von wem hast du sie?«
»Von meinem Großvater geschenkt bekommen.« Das hübsche Gesicht Marians wechselte kurz die Farbe, was Sonnbichler nicht verborgen blieb.
»Vom Opa, da schau her. Das nenne ich aber eine spendable Überraschung vom alten Mann, der von einer Armenrente lebt. Wie hat er das denn finanziert?«
»Ich, ich weiß es nicht …«, stotterte der Junge.
»So so, du weißt es also nicht. Und was, wenn ich behaupte, dass du lügst oder die Uhr sogar gestohlen hast?« Sonnbichler setzte eine sorgenvolle Miene auf.
»Nein, habe ich nicht!« Marians Pupillen weiteten sich vor Entsetzen.
»Von wem ist sie dann? Bestimmt nicht von deinem Großvater. Da halte ich jede Wette dagegen.«
Der Junge schwieg einige Sekunden lang und überlegte. Dann sagte er: »Hubert, wenn du mir versprichst, dicht zu halten, verrate ich dir das Geheimnis.«
»Natürlich!«
»Indianerehrenwort; auch gegenüber Mama?«
»Klar, mein Ehrenwort.« Sonnbichler lächelte, denn nun würde er die Regeln des Spiels bestimmen.
»Du kreuzt auch nicht die Finger hinter dem Rücken?«
»Ärgere mich nicht. Ich bin der Ältere, und du musst mir vertrauen.«
Marian blickte auf den Boden und rang innerlich mit sich. Dann schaute er Sonnbichler mit klaren Augen ins Gesicht. Hübsch ist der Bengel, das Ebenbild seiner Mutter, überlegte indessen der Vize-Abteilungsleiter.
»Die Uhr hat mir mein Papa vorgestern mitgebracht.«
»Dein Vater? Aber der ist doch in Rumänien, dachte ich.«
»Ja schon. Aber vor drei Tagen ist er in Bukarest losgefahren, um uns zu besuchen.«
»Was will er denn hier? Der hat doch seit Jahren nichts von sich hören lassen.« Auf Sonnbichlers quadratischer Stirn bildeten sich zwei Unmutsfalten.
»Das stimmt nicht. Er hat die ganze Zeit Kontakt gehalten.«
»Wie das denn?«
»Über Oma und Opa.«
»Die wussten davon? Und eure Mutter?« Sonnbichlers Entrüstung nahm von Sekunde zu Sekunde zu.
»Der haben wir nichts davon erzählt. Die hätte sich ansonsten zu sehr darüber aufgeregt. Sie will ja nicht, dass du eifersüchtig wirst.« Marian starrte verlegen an die Wand hinter dem Geliebten seiner Mutter.
»Eifersüchtig: ich? Auf wen: einen dahergelaufenen rumänischen Tagelöhner, der seit Jahren keinen Unterhalt überweist? Dass ich nicht lache.« Sonnbichler redete in diesem Moment lauter und abgehackter, als er es für gewöhnlich tat.
Dann sprang mit einem Satz, den man dem massigen Mann nicht zugetraut hätte, vom Sofa auf und lief empört im Wohnzimmer hin und her. »Hat er sonst noch was erzählt, euer Vater? Beispielsweise über mich?« Er stoppte abrupt vor Marian, baute sich in voller Größe vor dem Jungen auf und packte ihn mit beiden Händen an den Schultern.
»Nein, hat er nicht.« Marian schüttelte sich und wollte Sonnbichler loswerden. Der aber umklammerte ihn mit eisernem Griff.
»Du lügst«, zischte er.
»Tue ich nicht!«
»Wenn ich mein Ehrenwort halten soll, dann musst du mir die Wahrheit gestehen.«
Marian schluckte; dann flüsterte er: »Papa hat gesagt, dass du der Mama nicht gut tust.«
»Wie meint er das?«
»Na ja, sie sei immer so traurig und würde uns oft weggeben. Eine zufriedene Mutter würde das nicht tun. Sie wäre wahrscheinlich sehr unglücklich mit dir.«
»Wie kommt er darauf? Er hat euch doch seit Jahren nicht gesehen?«
»Oma und Opa telefonieren einmal die Woche mit ihm.«
»Ja, hat sich denn die gesamte rumänische Sippschaft gegen mich verschworen?«
»Hallo Schatz. Weshalb schreist du? Ist irgendwas passiert?« Unbemerkt war Anuta Dumitrescu zur Tür hereingetreten.
»Das ist heute Abend wohl mein gutes Recht«, schnaubte Sonnbichler.
»Ich verstehe nicht.« Die Mutter blickte fragend in die Runde.
»Dein Mann ist seit gestern in der Stadt und verbreitet Lügenmärchen über mich.«
»Pst … sei still … du hattest doch versprochen.« Marian legte mit verzweifelter Geste den Finger auf die Lippen.
»Vorlauter Bengel, merkst du nicht, dass sich hier zwei Erwachsene unterhalten?«
»Hubert, was ist los? Warum bist du dermaßen erregt?«
»Weshalb ich erregt bin: das fragst du mich allen Ernstes? Was soll ich davon halten, dass dein Ex hier reinschneit und alle Bescheid wissen außer mir?« Sonnbichler geriet immer mehr in Rage über seine rumänische Freundin und deren unverfrorene Familie. Er bebte geradezu vor Zorn. Vierundneunzig Kilo verteilt auf Ein-Meter-Zweiundachtzig stampften über den Parkettboden. Die hängenden Wangen des Abteilungsleiters in spe waren gerötet, aus seinen Augen schossen beleidigte Blitze.
»Du musst dich irren, Hubert. Mein Ex-Mann Pascu hat Bukarest seit langer Zeit nicht verlassen.«
»Von wegen. Dein abgefeimter Sohn hat es mir gerade gesteckt. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit will er mich zum Komplizen machen. Aber nicht mit mir!«
»Marian, was tust du? Warum hast du Geheimnisse vor mir?« Anuta starrte ihren Sohn fassungslos an.
»Kei … keine Ahnung. Oma und Opa wollten es dir erst morgen erzählen. Als Überraschung.«
»Siehst du: was das für eine Verschwörung ist? Wem von euch kann ich noch trauen? Unglücklich seid ihr angeblich. Weil du mich kennst. So was erzählt der feine Ex-Gemahl hinter meinem Rücken. Und ich … ja ich bin natürlich der glücklichste Mann auf der Welt. Von wegen. Vor lauter Sorgen weiß ich kaum noch, wo mir der Kopf steht.« Schwer atmend vergrub Sonnbichler seine schweißnasse Stirn in den Handflächen.
»Du hattest dein Ehrenwort gegeben«, schluchzte Marian.
»Meine Sonnbichler-Ehre vertraue ich einem Lügner an. So weit kommt es noch. Von wegen. Wie der Vater, so der Sohn. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
»Hubert, er ist noch ein Kind. Zügele dich.«
»Nimmst du den kleinen Teufel auch noch in Schutz. Ihr seid alle gleich, ihr Zigeuner. Wenn man euch nur einen Finger reicht, dann hackt ihr einem gleich die ganze Hand ab. Ich hätte es von Anfang an besser wissen müssen. Ich war einfach zu gutmütig.«
»Hubert!«
»Ach was. Ich habe genug von dir und dieser Rumlügerei. Ich gehe jetzt. Und zwar für immer. Mich wirst du nie mehr wiedersehen.« Sonnbichler schnappte sich sein dunkelgraues Jackett, das er vorhin über die Stehlampe geworfen hatte, und verließ grußlos die Wohnung seiner Freundin. Anutas Augen bekamen einen feuchten Glanz. Stumm blickte sie ihrem Geliebten hinterher, dann drehte sie sich zu Marian um und gab ihm eine schallende Ohrfeige: »Du und dein Vater, ihr habt alles kaputt gemacht.« Danach lief sie in die Küche.
Marian setzte sich zu Ilariana, die mit offenem Mund am Esstisch gesessen und zugehört hatte, und erklärte ihr, wie er gerade betrogen worden war. Er zitterte, stotterte und weinte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er die rohe Bekanntschaft mit der Lüge gemacht. Es gab in der Welt der Erwachsenen Dinge, für die er in seiner kindlichen Sprache noch keinen passenden Begriff kannte.
Ihre Mutter kam aus der Küche zurück und rannte Sonnbichler hinterher. Vor dem Lift holte sie ihn ein. »Hubert«, sagte sie, »Lass uns nicht so eiskalt voneinander scheiden.« Sonnbichler, der in diesem Moment überlegt hatte, ob er Hinterfalter bereits an diesem Abend oder erst morgen nach dem Frühstück anrufen sollte, um den Noch-Chef über das Ende seiner Beziehung zu informieren, wendete sich überrascht um. »Anuta, mach es nicht noch schlimmer als es ohnehin schon ist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie elend ich mich nach all dieser Heuchelei fühle.«
»Doch, das kann ich, mein Engel«, hauchte sie und lehnte ihren Kopf an seine Brust.
Sonnbichler, wieder halbwegs versöhnt und schwankend, was er mit dem angebrochenen Abend noch anfangen sollte, erwiderte: »Du kannst ja nichts dafür. Letztlich bist auch du von deinem Mann, dem Sohn und den Großeltern betrogen worden. Ganz furchtbar finde ich das.«
»Werden wir uns denn in Zukunft hin und wieder treffen?«
»Vielleicht. Aber nicht mehr so oft wie bisher. Wenn du die Kinder jetzt zu deiner Freundin bringen würdest, könnte ich heute bei dir bleiben. Dann wärst du nicht alleine.«
»Natürlich, mein Ein und Alles«, raunte sie ihm ins Ohr, und Sonnbichler griff ihr reflexartig mit der Hand unter den Rock. Anuta stöhnte lustvoll auf, holte das hinter dem Rücken versteckte Messer hervor und durchtrennte ihrem Geliebten mit einem einzigen Schnitt die Halsschlagader. Sonnbichler glotze blöde, sank in die Knie und verblutete vor der geöffneten Aufzugstür wie ein geschächtetes Tier.