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Die Löwin
Welch ein Stimmengewirr beherrscht die Savanne. Prächtige Vögel, bunt und grell in den Farben, flattern auf, fliegen kreischend über die Baumwipfel um sich neuerlich auf einem der Äste niederzulassen. Affen treiben ihre Spielchen, schwingen sich von Wipfel zu Wipfel. Im Schutze der Blätter nagen sie an köstlichen Früchten, befreien sich liebevoll von lästigen Insekten mit blecken dabei kichernd ihre Zähne. Schlangen bewegen sich lautlos durch das Steppengras. Falsch, in scheinbar eleganter Harmlosigkeit, schnappen sie skrupellos zu, vertilgen voll Gier ihre Beute mit einem endlos scheinenden Würgen, überfordert von der eigenen Habgier.
Dort wo die Sonne ihr nächtliches Gemach verlässt, schimmert der Himmel in tiefstem Orangerot, verzaubert die trotz der frühen Stunden bereits heiße Atmosphäre. Das Geäst eines ausgetrockneten Baumes hebt sich davon ab, als trostloser schwarzer Schatten. Ein knorriges Mahnmal verwitterter Sehnsüchte nach Regen und lebensspendender Feuchtigkeit. Ein erwachender Tag in der Unendlichkeit Afrikas.
Ihre Tatzen sind weich, geschmeidig. Sie ist still, geborgen in ihrer Lebenskraft. Die Löwin. Ihr Blick ist wachsam und scheint sich dennoch in der Weite der Landschaft zu verlieren. Die Verletzungen eines Raubtierlebens, der Kampf um Nahrung, um Achtung und Respekt der Artgenossen haben sie immer nur kurz erschüttert. Nach einiger Zeit hatte sie ihre aufrechte Haltung wieder eingenommen, ihr Wunden verborgen vor den Blicken der Feinde und vor jenen der Gefährten. Sie hat sich kein Ermüden erlaubt. Ungebeugt hat sie auf ihren Lebenswillen vertraut.
Sie nimmt Witterung auf, lässt sich ein auf einen neuen Tag in der ihr angestammten Natur. Sie leckt sanft ihrem Jungen über das Gesicht, stupst es mit der feuchten Nase an. Unter der Augustsonne geboren, wie sie selbst, hat diese junge kleine Löwin denselben Instinkt nach Leben und Wärme wie ihre Mutter. Die Freude über den anbrechenden Tag ist unzähmbar, dem Tier der Wildnis angeboren. Es hüpft begeistert durch das Steppengras, spürt sich bereits jetzt, wenn auch ungekrönt, so doch königlich.
Die Löwin geht langsamen Schrittes aus dem Wald hinaus. Jedes Aufsetzen ihrer großen Pfoten ist behutsam, sanft. Das Junge bleibt manchmal in der Nähe, manchmal hält es mutig Abstand zur Vertrauten und riskiert es verwegen, eigene Pfade zu erkunden. Ein sanftes Knurren zeigt dem Löwenbaby, wenn es seinem Löwenmut zu sehr nachgibt und er trollt sich wieder in die Sicherheit der mütterlichen Fürsorge zurück.
Gazellen, zart anmutend, versehen mit der wundersamen erdfarbenen Malerei Afrikas, fliehen mit mächtigen Sätzen aus dem Bereich der gewitterten Gefahr. Eine Ahnung der inneren Macht der Löwin lässt auch einige hysterisch jammernde Hyänen Abstand wahren. Sie wollen der Löwin und ihrem Jungen jedoch nicht allzusehr fernbleiben, versprechen sie sich doch gierig einen Rest einer möglichen Beute.
Das Löwenjunge purzelt kopfüber vor die Beine der Mutter, verbeißt sich verspielt in deren dichtes Fell. Noch begreift es nicht die völlige Bewegungslosigkeit der Löwin. Diese richtet ihren Blick starr und konzentriert auf die Gefahr welche sich nur wenige Meter von ihr entfernt aus dem Dickicht erhebt. Nur einen Schuss gibt der Angreifer ab. Gebannt und berauscht vom Augenblick wartet er ab.
Der einsame, aber unangefochten über Leben und Tod entscheidende Schuss reicht aus, um die Löwin aus ihrer aufrechten, würdevollen Haltung zu einem gefallenen Wesen zu degradieren. Langsam gleitet sie fast zögerlich, zu Boden. Ihr Junges ist verunsichert, spürt dem entweichenden Leben der Mutter nach.
Wehmut ist im Blick der Löwin. Aber auch Zorn, Wut und das Wissen um die schwindende Kraft. Die Sorge um ihr Junges lässt sie einen tiefen Klagelaut ausstoßen der das heisere Gekreische der Vögel jäh verstummen lässt. Als die Sonne sich am Horizont vom Boden löst, ihr Licht nach tiefer Nacht die Erde wieder erhellt, versinkt die Löwin in Finsternis. Soll der Jäger doch kommen und sich endlich seine Beute holen, seiner Trophäe sicher sein.
Langsam naht der Häscher, mit leuchtendem Gesicht und vorgehaltenem Gewehr. Mit irrem Blick funkelt er die Löwin mit der Faszination des Jägers an. Tritt an sie heran, beugt sich zu dem vermeintlich toten Tier. Mit einem letzten Aufbäumen aller Kraft erhebt sich die Löwin mit einem Satz und fetzt dem Mann die Pranke in den Arm. Das Gewehr fällt zu Boden. Das Blut spritzt aus der aufgerissenen Menschenhand. Erstarrt vor Schreck schaut der Mann fast verwundert auf die blutende Wunde. Dann läuft er. Schreiend und in der Panik immer wieder strauchelnd rennt er um sein Leben. Der Jäger fühlt sich als gehetztes Wild.
Die Löwin schleppt sich tiefer zurück in den kargen Baumbestand. Das Junge folgt ihr mit hängendem Kopf. Hält Abstand, hofft auf knurrenden Tadel, erhält ihn nicht. Die Löwin sinkt ins Gras, versteckt zwischen hohen Gräsern und wartet auf das Unausweichliche. Ihr Körper wird von Krämpfen geschüttelt. Die Kugel ist nicht steckengeblieben, aber die Wunde tief und der Blutverlust schwächt das röchelnde Tier.
Das Rudel zieht weiter, überlässt die Gefährtin dem Wahnsinn ihrer Fieberträume. Sie sieht sich als geflügelte Löwin, flatternd zum Flug ansetzend. Doch die Kraft der Flügel reicht nicht, ständig stürzt sie kaum erhoben zu Boden. Bis sie endlich nachgibt und sich demütig zu Boden sinken lässt. Die Flügel decken ihren geschundenen Körper zu.
Ab und zu wacht sie auf, schreckt aus den Träumen hoch. Ein Zittern geht durch ihre Flanken. Ihr Junges tritt mit den kleinen Tatzen gegen das Fell der Mutter, zupft und zerrt daran.
Manchmal scheint es der Löwin, sie erblickt einen mächtigen Löwen mit einer ungeheuerlichen Mähne neben sich im Gras. Er lässt dem Jungen kleine Fleischbrocken zufallen. Auch ihr legt er ein Stück vor ihr bebendes Maul und sie leckt an diesem. Sie spürt die Kraft des toten Gnus in sich übergehen. Dann schläft sie wieder stundenlang, erkennt kaum den Wechsel von Tag und Nacht. Sie befindet sich in einer seltsamen Welt wo Sterne aus dem Himmel stürzen und sie begraben.
Eines Morgens erwacht sie aus diesem traumähnlichen Zustand, sieht erstmals seit langer Zeit klar die Umrisse der Landschaft. Ihr Blick sucht das Löwenjunge. Es liegt zu ihren Füßen und knabbert an einem Knochen. Vorsichtig, langsam und unter Schmerzen versucht die Löwin schwankend auf die Beine zu kommen. Das Junge läuft aufgeregt zu ihr hin. Nach einigen Versuchen gelingt es der Löwin wieder ihre Standhaftigkeit zu erlangen.
Die ersten Schritte sind unsicher und immer wieder scheint sie das Gleichgewicht zu verlieren. Dann endlich hat sie sich gefangen. Mit wiederkehrender Kraft und Geschmeidigkeit kehrt auch ihr Wille, ihr Mut zurück. Sie macht sich, langsam und wachsam auf den Weg. Das Junge dicht an ihrer Seite.
Am brennenden Horizont des Sonnenaufganges sieht sie die Silhouette eines ungewöhnlich großen Löwen. Mit einem tiefen Gebrüll wendet er sich ab und zieht weiter, entgleitet ihrem Blick.
Die Löwin hebt den Kopf zum Himmel empor. Er ist voll Farbe, rot und orange. Der dürre Baum der gelebten Sehnsucht nach Regen ist noch da. Die Stimmen der Vögel kehren zurück. Die Affen toben wie eh und je, wie auch die Schlange sich Nahrung suchend durch das Gestrüpp windet. Ein neuer Tag bricht an.