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Die längste Spur

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25.09.2015
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Die längste Spur

Daniel ging die Treppenstufen hinunter. Durch die Wohnungstüren drang der Geruch von Kerzen und Abendbrot.
Er hörte das Blubbern von kochendem Wasser und die Stimme eines Nachrichtensprechers,
der über die Gespräche von Kanzler Kohl in Washington berichtete.
Daniel öffnete die Holztür zum Fahrradkeller. Dort stand sein roter Schlitten in einer Pfütze aus geschmolzenem Schnee. Er schulterte ihn, ging die Kellerstufen hinauf und öffnete die Eingangstür.

Der Plattenweg war geräumt und mit Sand bestreut.
Der Nachbar aus dem Erdgeschoss war seinen Mieterpflichten mal wieder als Erster nachgekommen.
Die Schippe hatte er als Hinweis für die anderen Mieter an der Hauswand stehen lassen.
Von der Hoflampe am Parkplatz hingen kleine Eiszapfen herab.
Bei einigen Autos waren die Motorhauben per Hand vom Schnee befreit worden.
Am späten Nachmittag hatte hier eine Kinderschlacht mit Schneebällen stattgefunden.
Daniel versuchte in den Fahrspuren der Reifen zu laufen, um nicht in die unberührten Stellen zu treten.
Auf halben Weg berührte er mit dem Absatz seines Stiefels die Schneedecke.
Er brach sein Vorhaben ab. Wie ein Fußballer beim Freistoß trat er gegen einen kleinen Eisbrocken.
Es frustrierte ihn, wenn er bei solchen an sich selbst gestellten Aufgaben scheiterte.
Für ihn war das die Bestätigung für die Einstellung seines Vaters, der ihn nie lobte und dem nichts was Daniel tat, gut genug war. Als es Zeugnisse gab, hatte Daniel bis auf eine Ausnahme überall die Note Eins bekommen. Sein Vater kritisierte ihn für diese eine Note und erwähnte die Anderen mit keinem Wort.

An der Wiese angekommen, folgte er dem Pfad der Stiefelabdrücke.
Hinter dem Jägerzaun, zwischen Rutsche und Klettergerüst, wachte ein Schneemann, der ihn mit seinem Kastanienmund anlächelte. Am Ende des Zaunes schaute Daniel zum Hügel.
Mit ihren unzähligen Abdrücken von Kufen sah die Rodelbahn aus wie das Schienennetz vor dem Hauptbahnhof einer Metropole. Tagsüber hatten die Jugendlichen Wasser mitten auf die Bahn geschüttet und nun war sie glatt wie ein Bobkanal. Abseits der Hauptstrecke ging Daniel den Hügel hinauf. Den Gipfel nannten er und die anderen Kinder "Startrampe“. Sie hatte nur eine Breite von ungefähr zwei Metern und war eingerahmt von Buschwerk.
Er hielt sich an den Ästen fest und zog sich die letzten Zentimeter hinauf.
Er blickte über das Hofgelände.
Am Hochhaus gegenüber erblickte er das rosa schimmernde Licht in Sandras Zimmer.
Vielleicht erzählt ihr Vater gerade einer seiner Geschichten, dachte er.
Früher las seine Mutter ihm fast jeden Abend seine Lieblingsgeschichte vor.
Das Buch hieß "Rudis Stablampe" und handelte von gespenstischen Schatten,
die sich am Ende aber als harmlose Alltagsgegenstände herausstellten.
Nachdem Daniel in der Schule immer besser Lesen gelernt hatte, baute ihm sein Vater am Kopfende seines Bettes eine Wandlampe an. Er las gerne Comics, in denen die Worte "Knuff", "Rülps" und "Würg" vorkamen.
Sein Vater sagte immer, dass solche Hefte zur Verdummung der Kinder und der Jugend beitragen würden.
Stattdessen empfahl er ihm Karl May, weil er der Ansicht war, dass jeder deutsche Junge in seinem Leben
einmal dessen Bücher gelesen haben sollte.
Daniel mochte Karl May am liebsten auf Schallplatte.
Er genoss die Momente, wenn er nach einem kalten Nachmittag von draußen hereinkam und mit einer Tasse heißen Kakao im grünen Sessel saß, seine kalten Füße an die warme Heizung hielt und dabei Winnetou und Old Shatterhand zuhörte.


Er spürte ein Kribbeln in seinen Fingerspitzen. Es wurde Zeit für etwas Action.
Er legte sich auf den Schlitten, holte Schwung und stieß sich ab.
Die Kufen vibrierten auf der harten Bahn. Daniel rammte seine Stiefelspitzen in den gefrorenen Boden.
»Nicht gut, gar nicht gut«, rief er.
Die Kontrolle erlangte er erst wieder, als er den Übergang vom Hügel in die gerade Fläche erreicht hatte.
Als er zum Stehen kam, rollte Daniel sich zur Seite und ließ sich fallen.
»Wahnsinn, gleich noch mal«, rief er und lächelte.
Nachdem er seinen Schlitten wieder geschultert hatte,fiel sein Blick auf das Ende der Bahn.
Von dort, wo die anderen Mischspuren aus Kufen und Fußabdrücken endeten,zog sich über mehrere Meter noch ein weiterer Abdruck.
Mann war ich schlecht, dachte er.
An der Startrampe stutze er seine Mütze zurecht und klatschte seine Handschuhe aneinander.
»Na gut, zweiter Versuch!«
Einen halben Meter vor dem Ende der längsten Spur kam er zum Stehen. Er riss sich die Mütze vom Kopf.
Die blonden Haare klebten an seiner Stirn.
»Verdammt, ich bin einfach zu schlecht!«
Er trat gegen seinen Schlitten.

Bei seiner nächsten Abfahrt berührte er mit seinen Stiefeln nicht den Boden und fuhr ungebremst den Hügel hinab. Der Schlitten drehte sich quer zur Bahn und kippte zur Seite. Daniel rutschte auf die vereiste Bahn. Er stand auf, packte seinen Schlitten und schleuderte ihn gegen den Jägerzaun. In dem Moment wurde er von Scheinwerfern geblendet.
Der Wagen fuhr langsam über den Hof und bog in eine freie Parklücke ein. Daniels Vater stieg aus und zupfte an seiner Uniform.
»Hallo Papa!«,
»Das heißt "Guten Abend", nicht "Hallo".«
»Guten Abend.«
»Wieso bist du noch draußen?«
»Ich versuche gerade ...«
»Ist mir völlig egal«, unterbrach ihn sein Vater.
»Du kommst jetzt mit mir rauf und dann ist Feierabend für heute.«
»Aber ... aber ich muss doch ...«
»Hast du was mit den Ohren?«
Daniel ließ den Kopf hängen und zuckte mit den Schultern.
Er hob den Schlitten auf und ging auf seinen Vater zu.
Auf der Bordsteinkante zum Parkplatz rutschte er aus und fiel kopfüber hin.
In dem Bemühen das Missgeschick vor seinem Vater zu verbergen, stand er sofort wieder auf und fasste sich an die Nase.
»Wie kann man nur so tollpatschig sein? Jetzt komm endlich.«
Daniel überquerte den Parkplatz und folgte seinem Vater auf den Plattenweg.
Er zog seinen linken Handschuh aus und wischte sich mit der Hand das Blut aus dem Gesicht. Er wagte es nicht zu weinen.
Der Vater öffnete die Eingangstür. Ohne Daniel weiter zu beachten, ging er die Treppenstufen hinauf.
Daniel brachte seinen Schlitten zurück in den Fahrradkeller und sagte:
»Morgen muss ich es schaffen«

 

Hallo Raimond,

herzlich Willkommen hier bei uns Wortkriegern.

Ich habe deine Geschichte nun einmal durchgelesen und mir fiel auf, dass du sehr, sehr viele Wortwiederholungen in dem Text hast. Durchforste einmal Satz für Satz deine Wortwahl. Zum Beispiel Schnee oder Schlitten kommen viel zu oft vor.
Versuche, da mal auszumisten oder zu verändern.
Das mal als ersten Tip von mir.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hej Raimond,

mir hat die Geschichte bis auf ein paar Kleinigkeiten ganz gut gefallen. Ich mochte vor allem den klaren, einfachen Stil.

Inhaltlich bin ich an einigen Punkten noch unschlüssig, wie ich sie mit dem Rest in Einklang bringen kann.

Ich frage mich z.B., warum der Junge abends auf die Eisbahn geht.
Wenn ich versuche, ihn deswegen im Nachhinein eigenbrötlerisch oder spleenig zu finden, dann gelingt mir das nicht richtig. Auch als er später dem Vater zu erklären versucht

»Aber ... aber ich muss doch ...«
kann ich da nichts einsetzen oder ergänzen, was mir sein Verhalten erklärt.
Die Spur zu überbieten, scheint mir ein spontaner Einfall zu sein, nichts was er geplant hat oder regelmäßig tut.

Vielleicht erzählt ihr Vater gerade einer seiner Geschichten
Das ist ein schönes Detail, aber irgendwie steht es da so nackt und dünn im Text. Ich habe hier außerdem gedacht, dass da ein Blick in eine schönere harmonischere Welt getan wird, als die von Daniel es ist, aber der grüne Sessel und der Kakao erklären dann für mich noch weniger, warum er irgendwie sehnsuchtsvoll an Sandra und ihren Vater denkt.

Ein Schwall von Fragen rauschte durch seine Gedanken.
Wer hat das geschafft? Wie war das möglich? Warum habe ich das nicht geschafft?
Vielleicht wirkte ich da jetzt widersprüchlich, aber hier würde mir sein Verhalten wiederum komplett ausreichen. Ich sehe ja, was er versucht. Und die Fragen wirken im Gegensatz zu seinem Handeln auf mich irrelevant. Was würde es ändern, wenn er jetzt wüsste, das xy diese Spur so und so gemacht hat? Sein Verhalten hat für mich nichts mit diesen Fragen zu tun, sondern mit dem beinahe automatischen Wunsch, es besser zu machen, es selber zu "schaffen".

Er fühlte, was er selbst als "Kneifen im Bauch" bezeichnete.
Hier hätte es das gegen den Schlitten treten für mich auch schon getan.

Er zog seinen linken Handschuh aus und wischte sich mit der Hand das Blut aus dem Gesicht.
Hier dachte ich, ich hätte was überlesen. Das er sich an die Nase fasst, war für mich anscheinend kein ausreichender Hinweis, dass er sich da verletzt haben könnte, ich hab ihn aber auch eher auf den Po fallen sehen.

Trotz meiner Kritikpunkte hab ich die Geschichte gern gelesen.

Viel Spaß noch hier
Ane

PS: Ganz vergessen, ab und zu stimmt die Formatierung nicht, das haut einen ganz schön raus.

 

Hallo Bernadette,

vielen Dank für den Tip.
Mit einigen Worten habe ich es wohl etwas übertrieben und habe auch schon einiges verändert.

Liebe Grüße

Raimond

 

Hallo Ane,
danke für die ausführliche Antwort.
Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Er geht abends raus, weil er die Bahn da ganz für sich allein hat und weil
er gerne für sich ist.
Er lebt nicht komplett in einer unharmonischen Welt, aber er leidet unter der mangelnden Anerkennung seines Vaters. Der Punkt bei Sandra ist, dass der Vater sich Zeit für sie nimmt und ihr Geschichten erzählt. Etwas das sein Vater nicht macht.
Er stellt sich selber Aufgaben wie nicht in den unberührten Schnee zu treten, oder aber eben die längste Spur fahren zu wollen.
Wenn ihm das gelingt, gibt ihm das ein Gefühl von Selbstwert, das ihm sein Vater verwehrt.
Er versucht das mit solchen Dingen auszugleichen, um den Schmerz der fehlenden Anerkennung ertragen zu können. In dieser Geschichte scheitert sein Versuch und das lässt ihm keine Ruhe.
Das wollte ich damit ausdrücken. Aber vielleicht muss ich noch etwas üben,bin ja noch neu dabei.:)
Deswegen ist mir hier wahrscheinlich auch etwas die Formatierung entglitten.Beim nächsten Mal bekomme ich das bestimmt schon besser hin.

Vielen Dank Ane!

Gruß
Raimond

 

Hallo Feuerwanze,

vielen Dank für die offenen Worte.
Ich werde mir überlegen, wie ich diesen Punkt noch besser einbringen kann.
Vielleicht ist es mit einigen treffenden Sätzen ja schon getan.
Es soll ja auch noch Raum für eigene Schlussfolgerungen und Gedanken bleiben.
Ich bin dankbar für alle bisherigen Kommentare und das hilft mir auch sehr weiter.


Gruß
Raimond

 

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