Hi FlicFlac,
Die Kunst, einen Bus zu fahren.
Dargeboten als philosophische Geschichte.
Was erwartet mich: Nietzsche am Steuer (bloß nicht!) oder Heraklit als Passagier (schon besser).
Lasse mich überraschen.
Wenn ich abends, müde nach der Arbeit, von der S-Bahn-Untergrundstation nach oben komme, müsste ich eigentlich noch über einen Kilometer den Hügel hoch zu meiner Wohnung laufen. Es gibt jedoch eine Buslinie, deren Station nur einen Steinwurf weit vom Aufgang entfernt liegt, und der Bus fährt bis fast vor meine Haustür, wenn ich ihn bekomme. Ich bekomme ihn aber nie.
Immer wenn ich nach oben komme, sehe ich entweder, dass der Bus seine Türen schließt, um loszufahren oder den gerade losgefahrenen Bus, aber niemals und kein einziges Mal habe ich jemals diesen Bus erwischt, seitdem ich diesen Weg nehmen muss – und ausnahmslos fährt der Bus ohne mich den Hügel hinauf, an mir vorbei.
- … nach oben komme = … nach oben stiefele/ trotte/ marschiere (jedes andere Verb ist liest sich in diesem Zusammenhang angenehmer als das simple
komme)
- …
nur noch einen Kilometer (?) (die Hinzufügung – oder Weglassung – des Adverbs hängt davon ab, was du mit diesem Satz ausdrücken möchtest)
- … gibt eine Buslinie = … existiert (?)
- 4x (be-) komme
- … um ohne mich loszufahren (würde ich der Klarheit zuliebe ergänzen)
- 2x losfahren
Es spielt übrigens keinerlei Rolle, an welchem Tag oder um welche Uhrzeit ich von der S-Bahn komme – ob ich früher oder später das Büro verlasse, ob es nachmittags oder abends ist, ob Montag, Dienstag oder Samstag: Der Vorgang ist immer der gleiche. Sobald ich die Treppe oben bin, ist der Bus gerade abgefahren oder dabei, abzufahren. Gleichzeitig nah und doch unerreichbar fern fährt er dann an mir vorüber, keine zwei Meter an mir vorbei, und ausnahmslos jedes Mal muss ich mich zu Fuß den Hügel hinaufschleppen.
- ein weiteres Mal
komme
- Ist es nicht sogar derselbe Vorgang? Falls gleich, dann: der Gleiche
- Du arbeitest in dieser Story vorwiegend mit simplen Verben (handhabt Kafka in einigen seiner Geschichten ebenfalls so); ist hin und wieder okay. Aber hier liest es sich für meinen Geschmack schauderhaft:
Sobald ich die Treppe oben bin. Wie wäre es alternativ bspw. mit: Sobald ich den obersten Absatz der Treppe erreicht habe (?)
- Zum ersten Mal ein abwechslungsreiches Verb:
hinaufschleppen. Endlich!!
Jeden Tag, Woche für Woche, zerknüllt die Hoffnung auf eine Busfahrt wie ein Blatt Papier in der unnachgiebigen Faust des Lebens. Anfangs konnte ich gar nicht glauben, wie es möglich sein konnte, dass es so geschah. Ich durchsuchte Körper und Kleidung nach einem Peilsender... GPS-Signale... so was. Ich analysierte immer wieder das Szenario.
- Zerknüllt eine Hoffnung?. So noch nie gehört. Da du den Vergleich mit dem Blatt Papier anfügst, müsste es grammatikalisch korrekt heißen:
wird zerknüllt wie …
- 2x so (wird häufig als überflüssiges Füllwort zwecks Satzverlängerung eingesetzt)
Wenn man von der S-Bahn hochkommt, überblickt man nach zwei Sekunden Fußweg die Straße, auf welcher der Bus zur Station fährt. Kurz bevor der Bus sie erreicht, muss er noch über eine Ampel. Sobald der Bus ins Sichtfeld kommt, braucht er fünfzehn Sekunden bis zur Ampel und fünf Sekunden von der Ampel zur Station. Dieser Zeitraum wird um 35 Sekunden größer, wenn der Bus bei Rot an der Ampel warten muss. Wenn ich normal gehe, bin ich von der Treppe in fünf Sekunden an der Station.
- erneut: 2x (hoch-) kommt
- .. auf welcher = die der Bus befährt, um …
- … muss er eine Ampel überqueren (
noch kann weg)
- … ins Sichtfeld kommt = in mein Sichtfeld gerät/ eintaucht
- … wird … größer = verlängert sich um
- 2x wenn
- .. bin ich = erreiche ich binnen
Warum ich das mit den Sekunden ins Spiel bringe? Nun, sowohl die S-Bahn als auch der Bus können ja unmöglich sekundengenau um die gleiche Uhrzeit ihre Stationen erreichen. Die S-Bahn kommt manchmal zu spät, mal fünf, mal 25 Minuten, die Straßen sind manchmal dicht, manchmal leer; manchmal gibt es Stau, dann wieder keinen; manchmal kommt der Bus noch über eine Ampel, dann wieder nicht; manchmal wird er aufgehalten, weil ein Fahrgast beim Kartenkauf vorn sein Portemonnaie nicht findet. Es gibt also Verschiebungen der Ankunftszeiten von Bus und Bahn in einem Fenster von – sagen wir – zwei bis drei Minuten – und um es genau zu wissen, nahm ich einen Vormittag frei und verbrachte ihn mit meiner Stoppuhr an der Straße, die zum Hügel hinaufführt. Um die Wahrscheinlichkeit auszurechnen, mit der man (wie ich) den Bus nicht kriegen kann, wenn man von der S-Bahn kommt. Sie liegt zwischen 5/(5+20)*100 bis 5/(5+55)*100 Prozent.
- 6x manchmal (definitiv 3x zu viel!)
- … kommt über eine Ampel = schafft er es bei Dunkelgelb gerade noch, die Ampel zu passieren
- … zwei bis drei Minuten. (Punkt)
- 2x um
- verbringt man einen Vormittag gemeinsam mit einer Stoppuhr? (hört sich zumindest komisch an)
- Klammereinschübe in Belletristik sind nie schön anzuschauen
- Wie oft der Kerl von der S-Bahn
kommt. Unglaublich!!
- Die Kalkulation gefällt mir. Wenngleich ich sie nicht nachrechnen werde.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man hochkommt, und den Bus auf seinem Abschnitt an einer Position sieht, die es unmöglich macht, ihn noch zu erreichen, liegt bei nur acht (Ampel rot) bis zwanzig (Ampel grün) Prozent. Bei fünf Versuchen bekommt man den Bus mindestens viermal, wenn man ihn sieht, sagt die Stochastik. Jedes Mal wenn ich hochkomme, kriege ich den Bus nicht, das sagt die Wirklichkeit. Und es gab bislang nicht eine einzige Ausnahme.
- Wenn du weiterhin
kommt schreibst, kommt‘s mir irgendwann hoch. Sorry für den Kalauer.
- Kein Komma nach
hochkommt
- Stochastik oder Statistik? Egal, wir befinden uns in einem Traum
- 2x wenn (zzgl. der
wenn's aus dem Abschnitt davor)
Drei Monate später aber war mein Wille, den Bus zu kriegen, irgendwie weg, ich hatte es geschafft, mit autogenem Training. Ich dachte kaum noch an den Bus oder daran, dass es in dieser Stadt überhaupt Busse gibt. Es war ein Montag, an dem ich aus der S-Bahn stieg, sogar ausgesprochen langsam nach oben trödelte und oben angekommen sah, wie der Bus – eben seine Türen schloss und abfuhr.
Wie immer. Scheinbar.
- … kriegen = erreichen
- irgendwie (reines Füllwort)
- … weg. (Punkt)
- Ich hatte es mit autogenem Training geschafft.
- eben = soeben
Aus einem rätselhaften – zumindest mir nicht plausiblem – Grund springst du nun in der Erzählzeit vom Präsens in die Vergangenheit.
Denn plötzlich wurde der neokortische Teil meines Hirns aktiv und begann zu kombinieren: Okay, du kamst hoch und der Bus fuhr dir davon, insofern nichts Neues, oberflächlich betrachtet. Denn – diesmal hast du getrödelt. Wenn du nicht getrödelt hättest, wärst du heute um mindestens zwölf Sekunden schneller oben gewesen – und dann, mein Freund, hättest du ganze sieben Sekunden mehr gehabt als nötig, um ihn zu erwischen! Ganz leicht zu erwischen!
- Weshalb
denn? Die begründende Konjunktion ergibt an dieser Stelle mMn keinen rechten Sinn.
- 2x denn
- 2x getrödelt
- 2x erwischen
Den nächsten Tag trödelte ich nicht, bekam auch den Bus nicht – aber das war auch nur ein letzter Test, denn: Ich weiß jetzt, was zu tun ist! An den Füßen trage ich 200-Euro-Laufschuhe für 100-Meter Sprinter und am Körper nur leichte Sportkleidung. Die S-Bahn fährt ein, ich steige aus. Aber ich bin nicht blöd. Von Mittwoch an trödele ich eine Woche lang wieder konsequent, trotz der neuen Ausrüstung, als ob ich sie gar nicht hätte. Ich schlendere desinteressiert nach oben, summe gemütlich eine Melodie vor mich hin und sehe oben ohne innere Anteilnahme dem Bus zu, wie er an mir vorbeifährt. Bis Donnerstag. Am Freitag jedoch steige ich aus und - hehehe! das ist der Trick! - tue auch erst so, als würde ich wieder trödeln, schmeiße dann meine Aktentasche zu Boden und renne hoch so schnell ich kann.
- 3x trödeln
- … hätte = am Leib hätte
- 2x oben
- Das (großschreiben, da vorher ein Ausrufezeichen steht) ist der Trick …
- … tue ich zuerst so, als …
Es wird viel getrödelt in diesem Absatz. Einmal hast du freundlicherweise in
schlendern ausgewechselt.
Der Bus steht schon da. Als der Fahrer mich sieht, schließt er hektisch – fast panisch – die Türe und klemmt eine alte Frau dabei ein, die zu schreien anfängt. In wenigen Sätzen bin ich heran. Die Alte befreit sich mit einem Ruck und torkelt. Die Tür schließt. Soll sie ruhig! Während mein rechter Arm sich an der Halterung des Außenspiegels einhakt, zerre ich mit dem linken den Hammer aus der Gürtelschlaufe. Die Alte macht einen Schritt auf die Tür zu und wird von einer Passantin gestützt. Der Fahrer schert aus der Haltebucht und rammt ein Taxi, das hupend stehen bleibt.
- … schließt (sich?)
Verständnisfrage: wo kommt der Hammer auf einmal her? Den hattest du bisher mit keinem Wort erwähnt. Der wird ja nicht außen am Spiegel des Busses hängen, sondern der Prota hat ihn bei sich. Weshalb? Hatte er von vornherein vor, an diesem Tag jemanden zu erschlagen?
Es handelt sich um einen Traum. Deshalb leicht verworren. Schon klar. Trotzdem erstaunt mich der plötzlich auftauchende Hammer jetzt ein bisschen.
Ich hole mit dem Hammer aus und treffe die Alte an der Stirn, dass sie tot auf die Straße fällt. Leider, weil die Stirn der Alten den Schwung des Hammers bremste, so dass die Fahrertür nicht gleich beim ersten Schlag birst, sondern erst beim zweiten und dritten und vierten und fünften. Es regnet Splitter. Fahrgäste kreischen. Die Passantin hält mich fest, ich haue auch ihr den Hammer auf dem Kopf und zwänge mich durch die gesplitterte Tür.
- … an der Stirn, woraufhin sie …
-
fällt evtl. in
kippt umwechseln
- Da der Kopf (um die WWH Stirn zu umgehen) der Greisin den Schwung des Hammers hemmte, birst die Fahrertür (leider) nicht beim ersten, sondern erst beim zweiten, dritten, vierten, fünften Schlag.
- … auf den (Akkusativ) Schädel (Synonym für Kopf und Stirn)
Der Fahrer hebt seinen blutigen Kopf vom Lenkrad, ich zerre ihn vom Sitz und trete ihn nach draußen. Setze mich ans Steuer, mache alle Türen auf, drücke mit dem Bug das Taxi zur Seite und fahre los, über den Taxifahrer drüber, der im Weg steht und rumgestikuliert. Polizeisirenen heulen, schreiende Fahrgäste springen aus dem fahrenden Bus, denn ja! das stimmt: Ich fahre! Ich fahre mit dem Bus! Jetzt fahre ich den Bus selbst den Hügel hinauf! Und das ist alles, was im Augenblick zählt – der Bus, der Hügel und ich.
Weshalb ist der Kopf des Fahrers blutig? Auf den hatte der Prota bisher gar nicht eingeschlagen.
- Nach
draußen entweder ein Komma, dann kann es mit
setze mich ans Steuer weitergehen oder einen Punkt setzen. In diesem Fall muss der nachfolgende Satz jedoch umgestellt werden.
- Mache alle Türen auf = öffne alle/ sämtliche Türen
- .. los. (Punkt)
- … denn ja! Es stimmt: …
Zwischenfazit Stil: gefällt mir. Die Geschichte – bzw. der (Alb-) Traum – ist flott geschrieben. Ich musste – bis auf einige grammatikalische Wackler – an keiner Stelle stoppen. Das Fieberhafte des Inkubus hast du gut dargestellt. So laufen halt manche nächtlichen Fantasien ab, mit denen das Unterbewusstsein uns quält.
Erinnert phasenweise tatsächlich an Kafka. Und zwar sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Er benutzte ebenfalls eine Flut simpler Verben. Bin immer wieder erstaunt, wie wenig er abwechselte. Die Wucht seiner Erzählungen rührte mMn eher vom Inhalt her denn von seiner Formulierkunst.
Bei aller Wertschätzung dieses großen Autors vertrete ich trotzdem die Auffassung, dass Abwechslungen bei der Wortwahl dem Lesegenuss zuträglich sind. Deshalb würde ich dir eine Reduktion von kommen (+++), trödeln (+++), kriegen (++) und oben (++) ans Herz legen.
Du schreibst zu 80% in der Jetztzeit. Wird bei der Schilderung von Träumen oft so gehandhabt. Allerdings springst du im Mittelteil plötzlich ins Präteritum. Und zwar beginnend mit der Stelle, in der du von den drei Monaten beim autogenen Training berichtest. Mir ist allerdings nicht klar, weshalb du jetzt in die Vergangenheit wechselst. Denn anschließend geht’s dann wieder im Präsens weiter. Ich kann hinter der unterschiedlichen Zeitauswahl keine Logik entdecken. Falls der eingeschobene Teil zeitlich zurückliegt, dann müsstest du mMn Vergangenheit II (also Perfekt) verwenden.
Inhalt
Erzähler beschreibt einen immer wiederkehrenden (Alb-) Traum. Er verlässt die unterirdische S-Bahn, läuft die Treppe hoch und verpasst den Anschlussbus. Jeden Tag aufs Neue. Egal, ob die Bahn pünktlich, zu früh oder spät in den Bahnhof einfährt. Er stoppt den Vorgang mit der Uhr, berechnet statistische (oder stochastische) Wahrscheinlichkeiten, legt sich teure Sportklamotten zu. Alles vergebens.
Bis ihm endlich ein Licht aufgeht. Die missliche Angelegenheit hat nichts mit Pünktlich- und Wahrscheinlichkeit zu tun, sondern richtet sich als perfiden Angriff gegen ihn selbst. Der Bus (bzw. dessen Fahrer) wird immer weg sein; egal wann der Prota den oberen Treppenabsatz erreicht. Noch schlimmer: der Bus startet mit voller Absicht zu früh, sobald der Prota oben auftaucht.
Jetzt keimen Mordgedanken auf. Der Erzähler veranstaltet ein kleines Massaker im Busbahnhof. Dem Fahrer geschieht es recht. Denn der handelte durchgängig bösartig und schadenfroh. Die arme Alte war halt zur falschen Zeit am falschen Ort. Manchmal läuft es eben dumm im Leben. Wäre sie besser zu Hause im Bett geblieben.
Prota kann endlich mit dem Bus den Hügel hinauffahren und wacht dort hoffentlich aus seinem Traum auf.
Gefällt mir! Wenngleich der Mittelteil mit den eingeschobenen drei Monaten beim Psychologen (bzw. autogenen Training) m.E. unlogisch ist. Denn davon träumt der Prota ja nicht. Kann mich bei mir an keine nächtliche Fantasie erinnern, in der ein Vierteljahr ins Land geht. Dieses ständige dem Bus hinterherrennen hat was. Kann ich mich sofort reinversetzen. Plastische Schilderung einer in den Tiefen des Unterbewusstseins abgespeicherten Urangst. Gut gelöst.
Ob’s direkt Philosophisch ist, wage ich leicht anzuzweifeln. Trotzdem sehr gerne gelesen!
Vllt kannst du einige meiner Anmerkungen gebrauchen. Die Hinweise basieren - wie sämtliche Literaturkritik - ausschließlich auf meinem individuellen Sprachempfinden.
Vg sinuhe