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Die Krankheit

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07.02.2013
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Die Krankheit

06. Dezember 1992
Es ist kalt und der Schnee knirscht unter den Rädern meines Rollstuhls. Mein Vater schiebt mich zum Auto, weg vom Krankenhaus. Ich lasse mein Leben hinter mir. Der graue Abendhimmel ist dicht mit Wolken bedeckt und es sieht so aus als würde es bald wieder anfangen zu schneien. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde, hätte mir ein bisschen mehr Zeit erhofft. Vergebens. Nun ist meine Zeit abgelaufen, vielleicht bleiben mir noch Tage womöglich nur Stunden. Ich friere, doch der Gedanke an den einzigen Ort an dem ich mich je wirklich wohl Gefühlt habe lässt mich die Schmerzen, die trotz der starken Schmerzmittel in mir toben, vergessen. Zuhause. Wie lange habe ich mir schon gewünscht wieder dort zu sein, alles vergessen, die Krankheit hinter mir lassen. Einfach ein ganz normaler Teenager sein, ein Wunsch der sich für mich nicht mehr erfüllen wird.
Die Krankheit ist nun schon so lange ein Teil meines Lebens, das ich mich kaum an die guten, sorglosen Tage erinnern kann. Die Diagnose kam für uns alle völlig unvorbereitet. Ich war immer ein sehr fröhliches, aufgewecktes Kind, doch durch die Krankheit sollte sich mein Leben unwiderruflich verändern.

15. Mai 1990
Eine Woche nach meinem elften Geburtstag saß ich mit meiner Mutter zusammen im Behandlungszimmer meines Hausarztes, schon den ganzen Tag lang hatte ich Bauchschmerzen, konnte kaum noch aufrecht stehen. Der Arzt hat meinen Bauch untersucht und mir Blut abgenommen. Nun warteten wir auf das Ergebnis. Ich bekam etwas gegen die Schmerzen und lag auf der Liege neben dem Fenster. Ich fühlte mich schwach, so schwach wie schon lange nicht mehr, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, damit sich meine Mutter nicht noch mehr sorgte als ohnehin schon. Sie hielt meine Hand und flüsterte mir beruhigende Worte zu, doch ich merkte, wie besorgt sie wirklich war. Genau wie ich, fürchtete sie sich vor der bevorstehenden Diagnose. Was passiert, wenn es wieder die Krankheit ist?
Würde ich den Kampf auch ein zweites Mal überleben?
Nach fünfzehn qualvollen Minuten kam mein Arzt herein, er schaute sehr ernst aus, ein ungutes Gefühl beschlich mich. „Ich habe leider keine guten Nachrichten. Deine Milz ist angeschwollen und wir haben festgestellt, dass du wieder viel zu viele weiße Blutkörperchen hast. Du musst sofort ins Krankenhaus. Verdacht auf aku¬te lym¬phob¬las¬ti¬sche Leuk¬ämie.“

06. Dezember 1992

Meine Mutter legt beschwichtigend eine Hand auf meine Schulter, bevor mir mein Vater aus dem Rollstuhl helfen muss. Ein schmerzvoller, erniedrigender Akt. Als ich endlich im Auto sitze und mein Vater losfährt ist die Atmosphäre angespannt, fast bedrückend. Ich gucke aus dem Fenster, sehe einen kleinen Jungen der mit seinem Vater die Straße überquert. Er sieht glücklich aus, strahlt wie ein Honigkuchenpferd als sein Vater ihn hochhebt und auf seine Schultern setzt. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Die Szene erinnert mich an meinen siebten Geburtstag.

08. Mai 1986
Ich war ziemlich nervös, konnte in der Nacht zuvor kaum schlafen. Ob ich wohl die neue Puppe bekommen würde, die ich mir so sehr gewünscht hatte? Am nächsten Morgen wurde ich liebevoll von meinen Eltern geweckt. Nach dem gemeinsamen Frühstück ging es hinaus in den Garten, dort sollte eine Überraschung auf mich warten. All meine Verwandten und Freunde waren um eine große Hüpfburg versammelt, sie waren gekommen um mit mir zu feiern. Es wurde ein wundervoller Tag. Der perfekte Geburtstag.

06. Dezember 1992
Das war ich, vor der Krankheit, ein glückliches, fröhliches Mädchen. Nun fühle ich mich kraftlos, eine leblose Hülle meiner selbst. Vielleicht hätte ich die Krankheit ein zweites Mal besiegen können, ich weiß es nicht. Meine Eltern waren immer für mich da, ich war nie allein aber irgendwie doch.
Das erste Mal als die Krankheit bei mir festgestellt wurde war ich acht Jahre alt. Es war anders als beim zweiten Mal, ich wusste nicht was auf mich zukommen würde, hatte Hoffnung auf Besserung. Die Chemotherapien waren hart doch ich hatte genug Kraft um sie zu überstehen. Insgesamt verbrachte ich neun Monate im Krankenhaus, während dieser Zeit durfte ich immer nur tageweise nach Hause. Aber ich hatte es geschafft, drei Jahre lang durfte ich ein ganz normales Kind sein. Ohne Krankheit. Ohne Sorgen.
Das zweite Mal verlief es anders, ich hatte schon länger das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt, fühlte mich oft unwohl, krank. Doch ich verdrängte den Gedanken, ignorierte die Schmerzen.
Nun ist es zu spät. Ich merke, wie mir die Zeit davon läuft. Spüre, dass ich bald sterben werde. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Habe mich mit dem Gedanken abgefunden. Doch wie wird es meinen Eltern gehen, wenn ich Tod bin?

 

Die Chemotherapien waren hart[,] doch ich hatte genug Kraft[,] um sie zu überstehen.

Du wärst heute 33, wenn die von Dir erzählte Geschichte Parallelem zu Deinem Leben aufzeigte. Tatsächlich aber schätze ich Dich viel jünger ein, wenn auch etwas älter als die Icherzählerin während ihrer Erzählung ist, und damit,

liebe Katie,

erst einmal herzlich willkommen hierselbst!

Es ist immer ein Tragödie, nahezu auswegslos zu erkranken, für den Erkrankten wie für sein Umfeld. Du schließt daher richtig und konsequent

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Habe mich mit dem Gedanken abgefunden. Doch wie wird es meinen Eltern gehen, wenn ich Tod bin?,
denn genau so ist es: das Umfeld wird in ein tiefes Loch fallen, in Trauer und / oder Melancholie, was uns nicht davon abhalten wird, auf die auffällige Komma-Schwäche – wie schon im einleitenden Zitat hier – hinzuweisen. Um den Kommentar nicht länger als den Muttertext werden zu lassen, werde ich nur den je ersten Auftritt (mit Ausnahme der oben schon angezeigten) aufzeigen.

… und es sieht so[,] als würde es bald wieder anfangen zu schneien.
Die vergleichende Konjunktion (als, kommt öfters vor) leitet einen vollständigen Satz ein, der auch am Anfang stehen kann, wie hier
Als ich endlich im Auto sitze und mein Vater losfährt[,] ist die Atmosphäre angespannt, …

Vor nachgestelltem Zusatz ist ein Komma zu setzen, wie hier
…, vielleicht bleiben mir noch Tage[,] womöglich nur Stunden.

bei Relativsätzen, wie hier
Ich friere, doch der Gedanke an den einzigen Ort[,] an dem ich mich je wirklich wohl Gefühlt habe[,] lässt mich die Schmerzen, …
oder auch hier, wahrscheinlich deutlicher
…, sehe einen kleinen Jungen[,] der mit seinem Vater die Straße überquert.

Bei Infinitivsätzen, die mit um (u. a.) beginnen
..., sie waren gekommen[,] um mit mir zu feiern.

Einmal wird das und dass verwechselt (oder Flüchtigkeit?)
Die Krankheit ist nun schon so lange ein Teil meines Lebens, das ich mich kaum an …

Nun noch einige Vorschläge, wo Du abwägen musst, ob Du ihnen folgen willst! Beginnen wir wieder mit einem Satzzeichen:

Vergebens.
Diese Ellipse hätte mehr verdient, als ein einfacher Aussagesatz zu sein! Warum nicht die Aussage verstärken zum Ausruf, Schreck oder doch Hoffnungslosigkeit als
Vergebens[!]

Nun gut, die Icherzählerin will leben. Aber es geht auch ohne Flut von Possessivpronomen, wie hier
Eine Woche nach meinem elften Geburtstag saß ich mit meiner Mutter zusammen im Behandlungszimmer meines Hausarztes, schon den ganzen Tag lang hatte ich Bauchschmerzen, konnte kaum noch aufrecht stehen.
zB so
Eine Woche nach meinem elften Geburtstag saß ich mit […] Mutter zusammen im Behandlungszimmer [unseres/alternativ: des] Hausarztes, schon den ganzen Tag lang hatte ich Bauchschmerzen, konnte kaum noch aufrecht stehen.
Mit wessen Mutter sonst?
Ist das nur der Hausarzt der Prot?

Ja, so nennt man das Gefühl wohl beschönigend:

…, er schaute sehr ernst aus, ein ungutes Gefühl beschlich mich.
Aber warum die Negation „ungut“, warum nicht ein „schlimmes / schlechtes“ Gefühl?

Zum Abschluss eine nahezu flapsig wirkende und darum unangemessen wirkende Bemerkung zu dem Satz

Mein Vater schiebt mich zum Auto, weg vom Krankenhaus. Ich lasse mein Leben hinter mir …
Lässt nicht jeder sein Leben hinter sich, selbst wenn er’s noch vor sich hätte?

Gruß

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscth!

 

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