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Die Konklave von Thelm

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11.10.2016
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Die Konklave von Thelm

„Sitzt die Robe auch gut?“, fragte Kerolin.
„Du siehst zum Anbeißen aus, kleiner Bruder“, sagte Malgma. Sie musste schmunzeln. Dabei war sie selbst nicht weniger nervös und hatte dreimal Robe und Tuch gewechselt, bevor sie sich für ein blaues, schlicht geschnittenes Gewand entschieden hatte, dessen Kragen und Ärmel feine orange Stickereien schmückten. Kerolin trug eine dunkelrote Robe und einen dunkelgrünen Hut mit einer weißen Feder. Auf seiner ersten Konklave wollte er gut aussehen, der erste Eindruck bleibt.
Ganz so war es nicht, wusste Malgma. Zwar stimmte es, dass der erste Auftritt junger Magierinnen und Magier im Gedächtnis blieb. Sie hätte die Geschichte des ersten Mals von so gut wie allen zweihundertsiebenunddreißig Konklavenmitgliedern erzählen können. Von Manchen, weil sie selbst dabei gewesen, von Anderen, weil ihr davon erzählt worden war. Solche Anekdoten wurden in der Regel am Abend beim gemütlichen Zusammensein ausgetauscht. Aber ihr Bruder sorgte sich dennoch zu unrecht. Die Geschichten vom ersten Mal waren meistens lustig und immer unterhaltsam, aber sie bestimmten nicht den Eindruck, der blieb. Dazu wog die Wichtigkeit dessen, was auf der Konklave passierte, zu schwer.
„Von mir aus können wir los“, sagte Kerolin, aber rührte sich nicht vom Fleck. Malgma nahm ihn am Arm und zerrte ihn vom Spiegel weg. „Ich muss zugeben, ich bin selbst schon sehr nervös. Vielleicht nur, weil du das erste mal dabei bist und wir zusammen sprechen werden. Das erste mal mit dem Brüderlein!“, Malgma zögerte. „Aber da ist noch etwas. Irgendetwas liegt in der Luft. Mir ist, als gebe es etwas besonders Dringliches zu besprechen und als fühlten es die anderen auch. Aber ich komme beim besten Willen nicht dahinter, wie ich darauf komme. Es ist doch alles wie jedes Jahr.“
„Da kann ich dir leider nicht weiterhelfen“, sagte Kerolin. „Die anderen kenne ich ja noch nicht, abgesehen von Salnica und Gerhol. Obwohl … ein bisschen wortkarg waren die beiden gestern bei der Probe schon.“ Er senkte den Blick. „Vielleicht waren sie auch wie immer und ich habe mir ein bisschen mehr Trara erwartet, schließlich war es die letzte Probe vor dem Konzert.“
„Ein bisschen merkwürdig ist es schon“, sagte Malgma. „Bei meiner letzten Probe war Salnica ganz sentimental und ist herum gewuselt wie ein Knuld im Frühling und Gerhol hat sogar eine kleine Rede vorbereitet. Aber da waren sie auch selber noch ganz grün. Ich war ihr erster Jungspund.“

Sie nahmen den Belvang. Kerolin liebte den Wagen, manchmal kurvte er stundenlang mit eingeschalteter Automatik in den Krilchbergen herum oder an der Fältikküste entlang, während er las oder aus dem Fenster schaute und in Gedanken Texte rezitierte und eigene verfasste. Der Geist eines Magiers war seine Bibliothek. Prall gefüllt mit den Texten anderer Magier. Und er konnte dieser Bibliothek, ohne Hilfsmittel eigene Werke hinzufügen. Die Konklave war nicht zuletzt ein Ort des Austausches dieser Werke, der Erweiterung der Bibliothek, sozusagen. Aber nicht zuerst.
„Hast du Lust, uns manuell hinzufahren, Schwesterherz? Du fährst ein bisschen rasanter als der öde Computer.“
Malgma schwang sich mit einem großen Satz über das Gehäuse, griff sich das schmale, bewegliche Lenkrad und drückte auf die Tube. Der vom Magnetfeld der Straße betriebene Wagen schoss geräuschlos dahin. Das Computersystem des Autos war mit dem der Straße verbunden. Unter der Haube arbeitete ein Rechner, mit dem sich die Straße in der Umgebung des Wagens steuern ließ. Malgma scherzte manchmal, sie würde eigentlich Straße, nicht Auto fahren. Die Energie, die die Straßen, das Lebensnetz der Metropole, am laufen hielt, floss aus dem unter der Stadt brodelnden Fusionsreaktor.
Von dem am Stadtrand gelegenen kleinen Anwesen bis zur Halle waren es gute neunzig Kilometer Küstenstraße und dann noch ein Stück durch die Stadt. Mit der derzeitigen Geschwindigkeit würden sie in einer halben Stunde ihr Ziel erreichen. Die Wagen waren völlig sicher, dafür sorgte das Leitsystem. Wer Unsinn baute, konnte schon einmal für eine Verzögerung sorgen, aber das System erlaubte keine Kollisionen mit Objekten oder anderen Fahrzeugen und drosselte die Geschwindigkeit, noch bevor es zu einer gefährlichen Situation kommen konnte.
Das Meer lag in dieser klaren Nacht ruhig da. Die Lichter einzelner Boote bewegten sich langsam im Schwarz. Kerolin starrte in die Dunkelheit und ging noch einmal seine neueste Rede über die Festigkeit der Bewegung und die Beweglichkeit des Festen durch. Der knappe Text war kunstvoll gestrickt und wurde starrer, wenn es um Bewegung ging und flüssiger, wo er von der Festigkeit sprach. Er nannte diese Technik antimimetische Kontrapunktik. Soviel er auch wälzte und die Teile vor sich her murmelte, er konnte keine mögliche Veränderung mehr finden, die im sinnvoll erschien. Sicher, es gab andere Varianten, die denkbar waren, aber die würden den Charakter des Textes verändern und er hatte sich mit Grund für diesen entschieden.
„Na, noch am antimimetischen Kontrapunktieren?“, fragte Malgma, die fand, dass die Kontrapunktik eine altbekannte Magiertechnik war, die das bereits enthielt, was ihr Bruder großspurig ‚antimimetisch‘ nannte. Das kontrapunktische Verfassen von Texten meinte, dass der Stil sich dem Inhalt nicht anpasste, sondern entgegenstellt, um eine reizvolle Spannung zu erzeugen. Es war schon beinahe konventionell, es so zu machen. Und nichts anderes bedeutete antimimetisch.
„Ich weiß Schwesterlein, du hältst mein Beharren auf der Unterscheidung zwischen Antimimesis und Kontrapunkt für jugendlichen Übermut. Es stimmt schon, die Jungen wollen immer gleich das Rad neu erfunden haben. Aber in diesem Fall ist es wirklich keine reine Verdoppelung, um die Sache aufzublasen. Ich gebe die Bedeutungsüberschneidung ja zu. Kontrapunkt ist nach allen Regeln der Kunst antimimetisch. Aber es gibt eben auch einen mimetischen Kontrapunkt. Der allermeiste Kontrapunkt ist durch und durch mimetisch. Es fällt nur nicht so auf. Ein heftiger Widerspruch ist mimetischer Kontrapunkt oder eine leise Zustimmung, genauso ein sanftes Dämpfen.“
„Ich ziehe dich nur ein bisschen auf, Brüderlein. Es ist gar nicht deine Theorie, an der ich mich störe und keineswegs will ich ihr die Geistesgegenwart absprechen. Und gegen jugendlichen Übermut habe ich rein gar nichts, im Gegenteil. Es ist der jugendliche Ernst, den ich fragwürdig finde. Warte es ab, Denken ist auch ein Spiel. Vielleicht verlierst du noch den Gefallen an streng klingenden Kategorien.“

Sie näherten sich dem Konklavensaal, der das Zentrum von Thelm bildete. Eine breite Straße führte in gerader Linie von der Küste zum Saal. Entlang dieser Straße befanden sich die meisten der wichtigen öffentlichen Gebäude: die Bibliotheken, die Laboratorien, Bühnen und Ateliers. Unterm Jahr diente der Konklavensaal als offenes Forum, das niemals schloss und niemals verstummte. Jede, die wollte konnte jederzeit im Forum sprechen. Es kostete natürlich einige Überwindung, in die Debatte einzusteigen. Aber man sprach auch nicht beim ersten Mal eine Solostimme in der Hauptdebatte, eher stellte man sich zu einer der zahlreichen Chorgruppen und sprach zunächst einfach mit, bis man ein Gefühl für den Ton bekam. Viele übten ihre Reden auch zuerst in einer der vielen kleineren Diskussionshallen, die es überall in der Stadt zu finden gab. Manche dieser kleinen Hallen waren sehr alt und ihr Prestige reichte an das der Haupthalle heran. Es gab Rednerinnen, die die Akustik einer bestimmten Halle so schätzten, dass sie sie der Haupthalle vorzogen. Manche Magierinnen trafen sich auch an abgelegeneren Orten, weil sie die obskure Debatte und den intimen Rahmen einer bestimmten Halle vorzogen, die sich mitunter weit außerhalb der Stadt befinden konnte.
Nur einmal im Jahr, am Tag der Konklave, verstummte die Hauptdebatte für einen Tag. Das war der Zyklus: am letzten Abend vor der Konklave quoll die Halle vor Rednern noch über. Alle wollten bei der Abschlussdebatte mitsprechen, die für jene, die nicht Mitglied der Gilde der Magierinnen und Magier waren, das bedeutendere Ereignis darstellte. Die Konklave war die Eröffnung der nächsten Debatte, welche wieder ein Jahr dauern würde. „Ein Jahr ein Lied.“ Die Worte der Erzmagierin Jindlas, eine der ersten Sieben.
Malgma stieg aus, ging vorne um den Belvang herum und öffnete ihrem Bruder die Tür. Kerolin nahm die Hand seiner Schwester und stand auf. Sie warteten bis der Wagen weggefahren war, er war programmiert, sie später abzuholen und den Abend in einem der unterirdischen Wagenlager zu überdauern. Sie waren nicht die einzigen, die gerade ankamen. Die Magierinnen und Magier tröpfelten ein und ihre leuchtenden Roben verliehen der einfachen Halle das Feierliche, das der Tag verlangte.
Malgma bot ihrem Bruder den linken Arm und er hängte sich ein. „Ich bin so solz auf dich, mein Kerolin!“
Kerolin lächelte verlegen. Es war ihm unangenehm, dass sie ihn oft wie ein Kind behandelte, aber er wusste, dass sie es gut meinte und wusste auch, dass sie ihn nicht herabsetzen wollte, dass er für sie noch nach der zehnten Konklave der kleine Bruder, ihr ‚Brüderlein‘ bleiben würde.
Die Geschwister gingen langsam die breite Treppe hinauf, welche auf eine überdachte Ebene führte, die die Front des Gebäudes bildete. Oben angekommen drehten sie sich noch einmal um, sahen wie der Belvang auf der anderen Straßenseite in einer Bodenklappe verschwand und beobachteten die ankommenden Magierinnen und Magier.
„Das ist Belrohon“, sagte Malgma, „eine freundliche Frau. Man hat mir erzählt, bei ihrer ersten Konklave, das muss schon zwanzig Jahre her sein, war sie so vorsichtig, dass sie kaum mitsprach, aber das Wenige, das sie doch verhören ließ, beeindruckte gewaltig. Manche munkeln, sie sei eine Meisterin der Inszenierung und hätte die Zurückhaltung ganz gezielt eingesetzt. Sie gilt heute noch als Magierin der kleinen Töne, der kurzen Sätze. Sie wählt ihre Einsätze ungemein genau, aber trifft immer das richtige Wort zur rechten Zeit.“ Malgma zupfte Kerolin seinen Kragen zurecht. „Der hübsche Mann neben ihr ist übrigens Meledich, jedes Jahr hat sie einen neuen Jungmagier am Arm. Vielleicht hättest du auch Chancen, Brüderlein.“
„Die Aufregung macht dich heute wohl besonders frech.“ Kerolin lachte. „Wo ist eigentlich dein Schwarm vom letzten Jahr, Silna die Plaudertasche?“
Im Vorjahr hatte sich Malgma in der langen Nacht nach der Konklave auf ein Techtelmechtel mit einer außergewöhnlich gesprächigen Magierin eingelassen. Das hatte Silna den Spitznamen ‚Plaudertasche‘ eingebracht. Aber so schnell sie sprach, so treffsicher war das Gesagte. Kerolin wollte seine Schwester necken, indem er das Gespräch auf ihre Affäre lenkte.
„Das kann schon mal passieren“, sagte Malgma. „Du wirst schon sehen wie anregend eine aufgeheizten Konklave sein kann. Außerdem habe ich gedacht, wenn ihre Zunge im wörtlichen Sinne so flink ist wie im übertragenen –“
„So genau wollte ich das gar nicht wissen“, unterbrach Kerolin. „Ich gebe mich geschlagen, Schwesterherz, deiner Abgebrühtheit ist nicht beizukommen. Zumindest nicht von mir unschuldigem Küken.“
„Du weißt doch, eigentlich überspiele ich nur meine Unsicherheit. Im Grunde bin ich ein verschämtes und zurückhaltendes Mädchen.“
„Nagut, holde Maid, sollen wir uns hinein wagen?“

Das Foyer war eigentlich ein großes Café. Im ganzen Raum waren Tische verteilt, von denen keiner dem anderen glich. Alle waren von unterschiedlichen Sitzmöbeln umstellt. Es gab schöne gebogene Holzstühle und schwere gepolsterte Sessel, natürlich fehlten auch die beliebten verstell- und konfigurierbaren Flexis nicht, die gerade in Mode waren. Das bunte Möbelallerlei ergab einen runden, gemütlichen Gesamteindruck.
Das hatte sicher nicht zuletzt mit der ausgetüftelten Beleuchtung zu tun. Unzählige kleine Lichter, so genannte Flights, schwirrten und schwebten im Raum und veränderten die Lichtsituation beständig. Leere Bereiche versanken im Halbdunkel und dort wo Menschen saßen, leuchteten die Lichter hell und warm. Die winzigen Geräte, die wie Glühwürmchen aussahen, reagierten aber nicht nur auf die Anzahl der Menschen, sie maßen auch die Lautstärke des Gespräches und wurden bei lautstarken Wortwechseln etwas heller und dämpften sich fast ganz ab, wenn geflüstert oder geschwiegen wurde. Die Flights waren so programmiert, dass jede ihrer Bewegungen und jede Veränderung der Lichtstärke den Geschehnissen am Tisch entsprach. Man saß und man bemerkte sie gar nicht, aber sie verliehen der Situation die passende Stimmung.
In einem der Separees am Rande des Raumes entdeckte Kerolin Silna. „Da ist sie ja, wollen wir hingehen?“ Er wartete nicht auf eine Antwort, schnappte Malgma am Handgelenk und zog seine Schwester auf die gepolsterte Nische zu.
Malgma ließ es geschehen, tat ein wenig, als würde es Kerolin ihr gerade heimzahlen. Insgeheim hatte sie nichts dagegen, sich zu der wunderbaren Unterhalterin zu setzen. Sie sah Kerolin die Enttäuschung an, als er bemerkte, wie wenig unangenehm den beiden das Zusammentreffen war.
„Silna, alte Quasselstrippe!“, rief Malgma. „Du lässt auch keine Konklave aus.“ Natürlich ließ keine Magierin je eine Konklave aus, sofern ihnen nicht etwas Schwerwiegendes den Besuch verunmöglichte.
Silna legte die Hand in den Nacken: „Ich habe mir gedacht: die letzte muss schon ein Jahr her sein, also komme ich mal wieder vorbei.“ Ihr Blick wanderte zu Kerolin. „Das muss dein Brüderlein sein. Kerolin nicht wahr?“
„Kerolin, genau“, sagte Kerolin. „Silna, wenn ich nicht irre? Es ist mir ein großes Vergnügen, sie kennenzulernen. Malgma hat schon das ein oder andere erzählt, natürlich nichts Indiskretes, also nicht, dass es etwas Indiskretes zu erzählen gäbe.“ Kerolin blickte verlegen auf den Boden, bevor er den Kopf hob und Silna direkt ansah: „Ich habe viel Gutes über sie gehört, das wollte ich sagen.“
„Und mich nennen sie Labermaul“, sagte Silna. „Ein keckes Bürschchen, dein Brüderlein. Schicke Robe und scharfer Hut. Setzt euch doch zu mir, ich habe mich hier nur allein etwas entspannt, um meine Stimme zu schonen. In Gesellschaft fällt mir das tatsächlich schwer. Aber ein bisschen Warmreden wird mir nicht schaden. Bei fünf Stunden kommt es auf eine halbe nicht mehr an. Aber genug von mir. Wie ist es dir in diesem Jahr ergangen, Malgma Honig, was hast du vorbereitet?“
„Spielereien, Improvisationen, nichts Substantielles. Ich bin wohl in einer verspielten Phase. Aber mein Brüderlein hat sich fürs erste Mal einiges vor genommen,“ sie blickte Kerolin auffordern an: „Komm erzähl ein bisschen.“
„Nun ja“, er stockte ein wenig, als überlegte er, ob es eine Möglichkeit gab, um eine Erklärung herum zu kommen. Er wusste, es ließ sich nicht in einem Satz sagen. Am besten wäre es, wenn ihm ein geistreicher Witz einfiele, um elegant vom Thema abzulenken, aber er hatte nichts. „Es ist schwer, es kurz zu sagen und wenn ich jetzt davon anfange, werden sie nachher gelangweilt sein.“
„Wir haben doch Zeit“, sagte Silna. „Meiner Erfahrung nach wird eine gute Rede nicht langweilig, wenn man mehr davon erfährt. Ganz im Gegenteil.“
„Da haben sie natürlich recht. Eigentlich war das auch nur mein Versuch, sie um Rücksicht auf mich zu bitten und die Bitte als Rücksicht auf sie zu tarnen. Aber offenbar war ich zu subtil.“ Die letzten Sätze waren ihm etwas grob geraten und er versuchte, an Silnas Miene abzulesen, ob er sie gekränkt hatte. Sie schien vor allem zufrieden, dass sie ihn zum Reden gebracht hatte. Wahrscheinlich schob sie seine unwirsche Ausdrucksweise, völlig zu recht, auf Unerfahrenheit und Nervosität. „Ich nenne es antimimetischen Kontrapunkt. Sie werden sich jetzt fragen: ist guter Kontrapunkt nicht immer antimimetisch? Aber meiner Meinung nach ist das nicht unbedingt der Fall. Ich will natürlich nicht bestreiten, dass ein gelungener Kontrapunkt nicht einfach das Gesagte unterstreicht, aber er kann sich in seiner Entgegensetzung der Sache angleichen oder eben, antimimetisch, sich gegenüber ihr verschließen. Es ist, das versteht sich, gewissermaßen eine aufmerksame Weigerung, sonst wäre es ja gar kein Kontrapunkt. Ich gebe zu, die Unterscheidungen sind sehr fein.“ Er hielt kurz inne. „Aber das macht sie nur umso wichtiger.“
„Habe ich so skeptisch geschaut, dass sie sich so sehr rechtfertigen?“, sagte Silna. „Das klingt doch alles recht vielversprechend. Sie werden sich also auf den Kontrapunkt konzentrieren?“
„Ja, also nicht nur, aber in erster Linie … für den Anfang. Nicht nur den antimimetischen übrigens, der allermeiste Kontrapunkt ist nämlich eigentlich mimetisch. Das glaubt man gar nicht. Aber nun ja, wie gesagt, sie werden es ja noch hören, hoffentlich werden sie nicht enttäuscht sein.“
„Wenn ich sie so reden höre, weiß ich schon jetzt, dass sie ihre Sache gut machen werden. Wie sie mein Gesicht gelesen haben, darauf kommt es nämlich an!“
Malgma, die mit einem zufriedenen Lächeln gelauscht hatte, mischte sich jetzt wieder ein. „Sollen wir langsam rein gehen? Ich finde es immer recht nett, ein Gefühl für die Akustik an den verschiedenen Pulten zu bekommen, ihr wisst ja, ich wechsle gerne oft Positionen.“ Sie warf Silna einen verschmitzten Blick zu.

Kerolin stimmte eilig zu. Nicht zuletzt, um weiteren schlüpfrigen Witzen seiner Schwester zu entgehen. Aber sie hatte ohnehin recht. Er kannte den Raum zwar aus der öffentlichen Debatte, doch für die Konklave wurden die Pulte anders gestellt. Es war sinnvoll, sich ein wenig zu akklimatisieren.
Sie betraten den Raum durch einen der zahlreichen Gänge, die zwischen den Tribünen wie schmale Gräben in die Mitte des Raumes führten. Der Saal hatte die Form eines runden, zu allen Seiten geschlossenen Amphitheaters. Auf den Tribünen gab es keine Sitzplätze, nur die letzte Reihe an der Wand bildeten gepolsterte Bänke, wo sich erschöpfte Rednerinnen ausruhen konnten, um ihren nächsten Einsatz vorzubereiten.
Auf den Holztribünen waren unregelmäßig hunderte Rednerpulte verteilt. Einfache Pulte aus Holz, die aus einem Stamm geschnitten waren und über keinerlei Technik verfügten. Es gab nicht einmal Laden oder eine Halterung für Papier. Die Rednerinnen sprachen frei und die elegant gearbeiteten Holzblöcke boten eine Möglichkeit, sich abzustützen und sorgten für eine gleichmäßigere Verteilung der Stimmen im Raum. Magier lernten schon früh in ihrer Ausbildung, an diesen Pulten zu sprechen. So wie eine Sängerin die Noten vor sich liegen hat oder das Blatt in der bewegten Hand hält, spielte auch das Pult eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Rede. Es wurde sich auf das Pult gestützt, weit nach vorne gebeugt, manche klopften auch leise den Takt mit dem Zeigefinger, so dass nur sie selbst es hörten und in den Fingern fühlten. Zur Not wäre es natürlich ohne Pult gegangen, aber es gehörte zum Ritual.
In der Mitte des Raumes standen bereits einige andere Magierinnen und Magier und musterten den Raum von unten. Viele murmelten einige Worte vor sich hin, um das Verhalten der eigenen Stimme abzuschätzen, dann gingen sie nach oben an die Pulte. Manche wagten auch hier und da einen lauten kurzen Satz. Man wollte damit nicht stören, aber eigentlich sahen es viele gerne, erlaubte es doch, sich auf die Stimme der anderen einzustellen. Kaum hatten die Geschwister die Fläche betreten, kamen ihnen Salnica und Gerhol entgegengelaufen.
Salnica griff Kerolin an den Schulter. „Wo wart ihr, denn ihr müsst euch doch akklimatisieren. Wir haben euch in der Lobby gesucht.“
„Wir haben kurz mit Silna geplaudert“, sagte Malgma. „Warum denn die Hektik, es ist doch noch Zeit?“
Gerhol sagte nichts, trippelte aber nervös auf und ab und murmelte vor sich hin.
Kerolin flüsterte seiner Schwester ins Ohr: „Sie sind doch seltsam, nicht?“
„Entschuldige“, sagte Salnica. „Wahrscheinlich ist es nichts.“ Sei sah sich nervös um. „Es sind noch nicht alle da.“
„Die werden schon noch kommen“, sagte Malgma. „Es ist doch noch früh.“
„Da wäre ich nicht so sicher, Kind. Wart ihr einmal in der Halle im Krilchwald?“
Malgma verneinte, auch Kerolin schüttelte abwesend den Kopf.
„Es ist nicht nur, dass noch Magierinnen fehlen“, fuhr Salnica fort. „Es sind die Krilchwälderschen. Schon die letzten Monate haben sich kaum welche von ihnen in der Haupthalle blicken lassen und jetzt fehlen sie geschlossen. Was, wenn sie nicht kommen?“
„Ist das vorstellbar?“ Der Gedanke erschreckte Malgma. Die Meinungen der Magier mochten noch so verschieden sein, bei der Konklave zumindest, kamen alle zusammen und sei es nur, um den Debattenauftakt mitzubestimmen.
Gerhol schaltete sich in das Gespräch ein: „Möglich ist alles. Aber machen wir uns nicht verrückt. Entweder sie kommen noch und alles ist gut oder…“ Er zögerte. „Oder die Hauptdebatte ist nicht mehr die Hauptdebatte, sondern eine unter anderen. Nicht weniger würde das geschlossene Ausbleiben einer ganzen Halle bedeuten.“
„Wäre das so schlimm?“, wollte Kerolin wissen.
„Nun ja, es würde sich einiges ändern. Was auch passiert, die Welt geht davon nicht unter.“ Er wies mit weiter Geste in den Saal. „Aber jetzt macht euch mit dem Raum vertraut, bald geht es los.“

Kerolin und Malgma trennten sich und gingen von Pult zu Pult, blieben bei manchen eine Weile stehen, murmelten etwas vor sich hin und zogen weiter. Malgma interessierte sich eher für die unteren und mittleren Pulte, während Kerolin am meisten Zeit in den oberen Reihen verbrachte. Malgma wunderte sich darüber ein bisschen, weil im allgemeinen die tiefen Pulte als für den Kontrapunkt prädestiniert angesehen wurden. Aber vielleicht war das schon Teil der Antimimesis. Wahrscheinlich, wollte er einen auf rebellisch machen, sich ein bisschen aufspielen und gegen die Konventionen verstoßen. Und warum auch nicht.
Sie selbst bevorzugte es, ganz brav, einige Pulte im mittleren Teil zu verwenden. Das erlaubte ihr, ein Gefühl für einen Bereich zu bekommen und doch, sofern es notwendig war, ein bisschen nach oben oder unten zu rutschen. Seitliche Rotationen vermied sie dagegen fast ganz.
„Und, welche Pulte lachen dich an?“, fragte Malgma ihren Bruder, als sie sich wieder unten in der Mitte trafen.
„Ich werde wohl eher an den beiden Pulten dort oben stehen, aber wer weiß, was der Abend für Überraschungen bereit hält. Vielleicht rotiere ich auch die oberen Reihen ein wenig entlang, falls mich der Schwung der Debatte in Fahrt bringen sollte.“
„Davon kannst du ausgehen, Brüderlein“, sagte Malgma und kratzte sich unter der Robe. „Jetzt sollte es bald losgehen. Die alte Hylge hat schon ihre ernste Miene aufgesetzt und wippt nervös mit dem Fuß.“
„Fängt sie wieder an? Salnica hat erzählt, dass sie letztes Jahr eröffnet hat.“
„Möglich wäre es schon, aber im Grunde ist das nicht festgelegt. Der Saal füllt sich nach und nach bis sich schließlich jemand einen Ruck gibt und loslegt.“
„Heißt das ich könnte jetzt einfach loslegen?“, fragte Kerolin. „Reizen würde es mich ja …“
Malgma sah, dass er schon von dem Gedanken ans Loslegen plötzlich ganz nervös geworden war, sie hörte fast sein Herz schlagen. „Sicher, keine höfliche Scheu. Jungmagier eröffnen oft, sie können es nicht erwarten und haben meistens etwas Wichtiges zu sagen. Wie du ja auch.“
„Naja, mal sehen, man kann ja schlecht mit dem Kontrapunkt beginnen. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, würde gerade das gut in meine Theorie passen.“
Malgma kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass er keiner jener Neulinge war, die mit stolzgeschwellter Brust die Konklave eröffneten. Er war nachdenklich, würde solange darüber nachdenken, bis ihm die Entscheidung abgenommen würde. „Wenn es auch noch in deine Theorie passt, worauf wartest du dann?“
„So einfach ist es auch wieder nicht, ich habe viel mehr über Einsätze nachgedacht und gar nicht über Auftakte. In diese Richtung bin ich gar nicht vorbereitet.“ Kerolin hatte insgeheim gehofft, Hylge würde anfangen und er könnte aufatmen, aber andererseits war es eine gute Gelegenheit – die perfekte Gelegenheit – seine Theorie zur Debatte zu stellen.
Er war schon an einem der Pulte in den oberen Rängen und hatte sich einige Zeilen zurecht gelegt, die er zunächst in einer Schleife sprechen würde, da fiel ihm wieder ein, dass seine Theorie eigentlich fein und subtil sein wollte und das Losprusten ihr gar nicht entsprach. Dann kam ihm wiederum, dass gerade dieser Gegensatz der Rede den Charakter verleihen könnte, um den es ihm ging. Aber eben das wollte er ja nicht. In diesem Zirkel gefangen stand er eine ganze Weile unentschlossen am Pult. Immer wenn er kurz davor war, den Mund aufzumachen und zu sprechen, schlug ihm das Herz bis in den Hals und beruhigte sich erst wieder, sobald er beschlossen hatte, doch zunächst abzuwarten. Dieser Ablauf wiederholte sich solange, bis er sich endgültig beruhigen konnte: Hylge ergriff an einem mittleren Pult das Wort.
Vielen der Magierinnen war es nicht anders als Kerolin gegangen und fast alle standen schon an einem Pult. Es war jetzt ganz still in der Halle und man hörte nur Hylges raue, feierliche Stimme.

Kunst ist die Soldatin des Gegenreichs und ward, sobald das Reich der Notwendigkeit geschlagen, der Grundlage ihres Daseins beraubt. Indem sie siegt, verliert sie. Doch die Menschheit, der sie diente, tritt ins Reich der Freiheit ein, in dem die Menschen ihre Geschichte machen, wie es zuvor nur der Kunst vergönnt war.

Nachdem die ersten Sätze gesprochen waren, setzten zahlreiche Stimmen ein. Zunächst vernahm man nur einzelne Wörter oder Laute, ‚Ahs‘ und ‚Ohs‘, deren Tonfall den Charakter der Rede kommentierte und transformierte. Hylge setzte ihre Rede fort, während sich am anderen Ende des Raumes, von einem der untersten Pulte, die tiefe Stimme der jungen Kolmai zur Widerrede erhob. Und bald wurde auch ihre Rede von Sätzen und Worten anderer unterstützt und getragen, sodass die beiden Reden als gleichwertige den Raum erfüllten. Malgma schmückte die Rede Kolmais aus.

Die Kunst ist mit den Verhältnissen verschworen. Ohne sie, könnte das Bestehende sein Dasein nicht rechtfertigen. Seine Sinnlosigkeit läge offen zutage.

Malgma hörte Silnas angenehme Stimme immer wieder sehr schnell verschiedene Phrasen in Variationen wiederholen.

Sie läge zutage wie das Glitzern der Blätter im Silber, wie das Silbern der glitzernden Blätter, das Blättern des glitzernden Silbers.

Ihre Stimme klang selbst wie das Rascheln von Silberblatt im Wind. Da fuhr Kerolin dumpf dazwischen, sprach von der Festigkeit der Bewegung, in einer Stimme, die sich vom Klangteppich der Rede und Widerrede drastisch abhob. Seine Rede fügte sich nicht ins Ensemble ein, sie stand daneben, bildete eine eigene Schicht. Derart gegen das Konzert versteift, variierte er sein Motiv und erstarrte in einer blanken Schleife, die die Beweglichkeit des Festen behandelte.

Indem sich der Kontrapunkt dem Kontrastierten entgegenstellt, macht er sich ihm gleich. Die Milde gebietet die Härte, der Angriff die Parade. Der antimimetische Kontrapunkt verläuft parallel. Darunter und darüber, dahinter und davor, darüber und dahinter, darunter und davor…

Da verstand Malgma, das etwas daran war, am antimimetischen Kontrapunkt. Und sie war nicht die Einzige. Einige Magierinnen schlossen sich seiner Rede an, verstärkten sie zu einer echten Nebenwelt, die sich den Oberstimmen beiordnete.
Kein kleiner Erfolg für einen Jungmagier auf seiner ersten Konklave, freute sich Malgma für ihr Brüderlein. Und auch sie stimmte einige Sätze lang in seine Rede ein und unterstrich sie gerade an dem kritischen Punkt, nicht jeder Kontrapunkt sei antimimetisch. Der allermeiste ist mimetisch.
Als beinahe zu viele in Kerolins Rede eingefallen waren und sie drohte, sich dadurch selbst zu widerlegen, lösten sich einige Stimmen von seinen Worten ab. Sie kehrten nicht einfach zum Ausgangspunkt zurück, denn sie versuchten, Kerolins Ansatz zum Äußersten zu treiben. Ein alter Magier sprach eine neue Rede, die sich wiederum vom Teppich löste. Einige folgten ihm, einige versuchten Schicht um Schicht zu erschaffen, sodass der Gesamtklang des Symposiums zu einer Vielzahl nebeneinander bestehender Reden anschwoll.
Zuerst hatte Malgma Belrohons Ruf für den abenteuerlichen Versuch gehalten, den Schichten noch eine weitere zur Seite zu stellen und sei es auch nur durch einen hohen Ruf.

Rauch

Dann roch sie es selbst. Eine Stimme nach der anderen brach ab, zuletzt auch Kerolins, der den Rauch, hinten an einem der obersten Pulte stehend und vom Erfolg seiner ersten Rede berauscht, als einer der letzten bemerkt hatte. Die Magierinnen und Magier strömten aus dem Saal Richtung Straße. Die Flights flirrten und glühten und tauchten die Lobby in ein gleißendes Weiß. Die Löschanlage versprühte eine mit kühlenden Chemikalien gemischte Flüssigkeit, die den Raum in dichten Nebel hüllte und das Licht der Flights in alle Farben des Lichtspektrums zerstäubte.
Malgma suchte ihren Bruder und fand ihn. Es herrschte keine Panik. Niemand schrie oder lief. Alle suchten ihre Lieben und verließen das Gebäude. Feuer hatten seine Bedrohlichkeit lange verloren, die Löschdrohnen brachten jeden Brand binnen Minuten unter Kontrolle. Die Geschwister fanden ihren Lehrer Gerhol, die alte Salnica und Silna.
„Was ist das?“, fragte Malgma Salnica.
„Sie sind nicht gekommen“, antwortete Salnica. „Die Krilchwälder fehlen.“
„Ich Knöld“, sagte Gerhol. „Ich dummer gutgläubiger Knöld. Wieso haben wir nicht auf sie gehört, Salnica? Wir waren doch selber in der Halle. Sie haben es doch gesagt, ganz unverhohlen und offen. Dass sie die Stadt verachten: das Gerede, die Villen, die Künste, den Luxus. ‚Rau wie die Krilchwand‘, steht schon über dem Hallenportal geschrieben.“
„Wissen wir, das sie es waren?“, fragte Salnica. „Können sie es überhaupt. Wie soll eine handvoll Magierinnen den Reaktor destabilisieren?“
„Wie könnten sie nicht?“, Gerhol fuchtelte mit den Armen in der Luft. „Die Magier haben ihn doch errichtet. Das Herz der Stadt wird von der Magie der Magier zusammengehalten. Hätten die ersten Sieben nicht Alles in den Kern gelegt, die Magierinnen wirkten ihre Kräfte noch.“
„Sie opfern die Stadt für Taschenspielertricks“, sprach es Salnica aus. „Sie hätten uns warnen können.“
Kerolin legte seine Hand in die seiner Schwester und Malgma drückte sie.

Die Luft vor der Halle glühte, die Straße flimmerte als wäre sie aus Wasser und aus den für die Autos bestimmten Öffnungen leckten Flammen. Löschroboter bedeckten den Himmel. Schwarze Wolken, die hilflos auf den heißen Boden regneten. Glühende spuckende Schwalben. Der Dampf stand dicht in den Häuserschluchten der Stadt, eine dicke, heiße Nebelsuppe. Flammen und Rauch kämpften mit dem Nebel und gewannen die Schlacht. Der Dampf schwärzte sich und bald blies der unterliegende Nebel zum Rückzug.
Die Konklave hatte sich auf den Stufen versammelt. Malgma stand zwischen Silna und ihrem Bruder. Salnica hatte ihre Hand auf Gerhols Schulter gelegt, der ausdruckslos auf die sichtbar gewordene Verwüstung starrte. An einigen Stellen war die Straße gerissen. In den Spalten brodelte weiße Glut, die die Stadt wie ein verzweigter unterirdischer Fluss unterspülte. Die Bibliothek gegenüber stand schief: ein havariertes Schiff in einem Meer aus sengender Hitze.
„Ich fürchte“, sagte Malgma, „das geruhsame Zusammensein fällt dieses Jahr aus.“
Malgma legte den Arm um ihren Bruder und um Silna.
„Habe ich gut geredet?“, wollte Kerolin wissen.
Malgma nahm ihm den Hut vom Kopf und strich über sein Haar. Dann zog sie ihn näher zu sich. „Du warst wunderbar, Brüderlein.“ Sie sagte es ohne Ironie und mit großem Ernst.

 

Hallo Malinska und herzlich Willkommen bei den Wortkriegern.

Hat mir wirklich gut gefallen, deine Geschichte. Ein wenig vielleicht auch deswegen, weil ich gerne Fantasygeschichten lese (kleiner Bonus). Toll fand ich, dass du Fantasy mit Sci-Fi vermischt hast und das ganze für mich nicht, wie das dann manchmal passiert, unschön zusammengefummelt wirkt sondern sich zu einer flüssigen Geschichte formt.
Ein Bonus auch dafür, dass keine Zwerge/Barbaren/Orks mit Äxten/Schwertern/Eisenkeulen herumlaufen und alles zu Klump hauen, was ebenfalls bewaffnet ist (leider fast obligatorisch).
Den Einstieg in die Geschichte finde ich auch geschickt gewählt, ich hatte sofort ein Bild der beiden im Kopf und am Ende des ersten Absatzes hast du mich gleich mit zwei Spannungselementen gepackt: Die erste Konklave, der Einstand des jungen Magiers Kerolin und das diffuse ungute Gefühl der erfahreneren Schwester Malgma, das auf ein explosives Show-down hoffen lässt (was es wohl sein wird?).
Danach passiert eigentlich nicht wirklich viel, außer dass der Leser etwas über die Welt erfährt, über das Leben der Prots, einige Anekdoten und Details. Das kann schon etwas zäh werden, ich fand es aber an keiner Stelle langweilig, weil du die beiden wirklich symphatisch darstellst. Allerdings habe ich mich dann doch gefragt, in was für Familiensystemen in deiner Welt gelebt wird, denn an keiner Stelle wird etwas von Eltern erwähnt. Und die beiden sind schließlich Geschwister, oder?
Auch, was ein Magier eigentlich so tut, wenn er grade nicht auf einer Konklave ist, hab ich mich gefragt. In die Nervosität des Jungmagiers, der zum ersten Mal auftreten muss, konnte ich mich dann wieder sehr gut reinfinden.
Die Schwierigkeit bei Fantasy- und/oder Science-Fiction-Geschichten ist eigentlich immer, die Welt, die man sich grade ausgedacht hat, zur Zufriedenheit des Lesers schlüssig und möglichst umfassend darzustellen. Mit der Verschmischung der beiden Genres hast du dir das Problem nicht unbedingt kleiner gemacht, das ist mir durchgängig aufgefallen. Auf der einen Seite wollte ich unbedingt mehr darüber erfahren, hätte aber auch die persönlichen Details an den Prots nicht missen wollen. So richtig Sci-Fi spürte ich eigentlich nur in dem Teil über die Fahrzeuge (Belvang), die Lichtkugeln (Flights) und die Löschdrohnen. Der tatsächliche Sinn der Konklave geht mir auch etwas ab, obwohl du das ganze Prozedere sehr toll und mystisch zu umschreiben verstehst. Das Konzept hat mir gut gefallen, ich wüsste nur gerne, warum sie das (als Magier) tun. Eine Tätigkeit um der Tätigkeit willen ist nicht sehr befriedigend.
Und dann kommt eben der Schluss, auf den ich mich gefreut hatte, das Spannungselement dass du im ganzen Mittelteil völlig wegfallen lässt (da hast du wirklich Potenzial einfach liegen lassen): Das ungute Gefühl, das Versprechen auf etwas Großes, etwas das alle Magier zu spüren schienen (und von daher zwangsläufig von imenser Bedeutung), der große Knall! ...
...
...
Rauch!
:dozey:
...

„Es ist geschehen“, antwortete Salnica. „Etwas war falsch. Schon die letzten Wochen. Wir haben es gewusst.“
Ja was denn? Ich will es doch wissen! Was war es denn jetzt? Doch wohl keine durchgeschmorte Leitung?
Ich hab den Schluss ein paarmal gelesen, weil ich dachte ich hab es einfach nicht gecheckt oder überlesen, aber nee. Du umschreibst, wie in der ganzen Geschichte, das Ganze wirklich spannend und detailliert, aber du unterschlägst mir den wichtigsten Teil der Geschichte: die Auflösung eines zentralen Konfliktes der Geschichte.
In den Spalten brodelte weiße Glut, die die Stadt wie ein verzweigter unterirdischer Fluss unterspülte. Die Bibliothek gegenüber stand schief: ein havariertes Schiff in einem Meer aus sengender Hitze.
Bedeutet das, dass ein Vulkan ausgebrochen ist? Wenn ja, wird das nicht gut deutlich (auch wenn ein Prot Malgma heißt).
Also, so großartig deine Geschichte formuliert und geschrieben ist, so ratlos lässt mich der Schluss zurück. Aber das sollte für dich eigentlich leicht zu beheben sein.
Eine Sache fiel mir dann noch auf:
Feuer hatten sein Bedrohliches lange verloren,
Klingt seltsam, "Feuer hatte seine Bedrohlichkeit lange verloren" würde gehen.

Alles in allem eine tolle und liebevoll geschriebene Geschichte, finde ich, nur am Ende müsste noch etwas gebastelt werden. Ich habe sie sehr gerne gelesen.
Liebe Grüße,
Konfusius

 

Hallo Malinska,

auch von mir ein herzliches Willkommen!

Ich möchte mich weitgehend Konfusius anschließen. Auch mir hat die Verbindung zwischen SF und Fantasy gefallen, du hast da eine sehr schöne und stimmige Welt kreiert mit vielen kleinen Einfällen, die dem Szenario Farbe verleihen. Und sprachlich ist das sehr souverän geschrieben. Ein paar Kleinigkeiten wie etwa die Namen waren für meinen Geschmack ein bisschen sehr "gewollt anders". Aber das ist wirklich Geschmackssache.

Allerdings habe ich mir schon deutlich früher als Konfusius gewünscht, dass die Handlung der Geschichte Fahrt aufnehmen würde. So interessant die beschriebene Welt ist, fiel es mir doch ein bisschen schwer, aufmerksam zu bleiben. Zwei inhaltliche Dinge haben mich (neben dem schönen Schreibstil und dem Worldbuilding) bei der Stange gehalten: die Hoffnung auf einen spannenden Schluss (mit Magie!) und die Frage nach der antimimetischen Kontrapunktik. Leider haben mich beide Punkte am Ende nicht zufriedengestellt.

Das etwas maue Ende hat Konfusius ja schon analysiert, ich fasse das mal folgendermaßen zusammen: Rauch steigt auf, und man weiß nicht, wieso; etwas war falsch, aber man weiß nicht, was; und Feuer ist so oder so keine Bedrohung mehr. Hm. Das würde sich vielleicht als erstes Kapitel eines Romans eignen - vorausgesetzt, im weiteren Verlauf erschließt sich, dass hinter diesem klitzekleinen Zwischenfall eine große, weltumspannende Bedrohung/Verschwörung steckt, gegen die die Helden dann kämpfen müssen. ;)

Und die antimimetische Kontrapunktik klingt erst mal toll, wird auch wortreich umschrieben, womit du ernsthaft mein Interesse weckst, was denn nun wirklich dahintersteckt - und als sie dann in der Debatte tatsächlich angewendet wird, erweist sie sich als leere Sophisterei:

Keine Wiederholung ist reine Wiederholung. Die Variation des Selben ist unähnlich. Wiederholung gibt es nicht: noch Dasselbe ist nicht Dasselbe. Noch Dasselbe ist nicht Dasselbe.
Say what?! Das ist leider nicht philosophisch, das ist nur verquast. :( Auch hier gilt: Wenn das der Anfang eines Romans wäre und sich dieses Gehabe der Magier z.B. später als die Schaumschlägerei entpuppt, nach der es für mich klingt, und Kerolin das vielleicht überwindet, um sozusagen die etwas degenerierte Magie in seiner Welt auf neue Füße zu stellen - dann fände ich das neckisch. Aber wenn du das hier ernst meinst: Hm.

Zu deiner Verteidigung möchte ich sagen, dass es natürlich echt schwer ist, etwas kluges Neues im Bereich Philosophie zu kreieren. Der Letzte, der das im SF-Kontext geschafft hat, war nach meiner Kenntnis Karl Schroeder mit seinem Thalience-Konzept. Der hat aber ebenfalls einen ganzen Roman dafür gebraucht.

Und dann muss ich noch eine sprachliche Sache anmerken, die zwar klein ist, mich aber überproportional gestört hat: Im Deutschen ist es nicht die, sondern das Konklave. Man kann natürlich in SF und Fantasy neue Wörter erfinden und alte umdeuten, aber das Genus zu ändern, ist einfach irritierend. (Du kannst übrigens den Titel des Threads nicht selbst ändern. Wenn du das gemacht haben willst, schreib einfach eine PN an mich oder einen anderen Moderator.)

Fazit: schöne Sprache, interessantes Worldbuilding, wenig Spannung und unbefriedigende Philosophie. Falls du hier tatsächlich einen Roman beginnst, würde ich ihn wahrscheinlich lesen; auf jeden Fall freue ich mich auf weitere Werke von dir.

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ihr Beiden,

vielen Dank für eure freundlichen und ausführlichen Kommentare. Ich habe mich sehr über das Lob und die Kritik gefreut und mich gleich daran gemacht, die Anregungen einzuarbeiten.

Man erfährt jetzt wesentlich mehr über die Ursache der Katastrophe und die Philosophie schließt befriedigender ab. Außerdem versuche ich, das von Konfusius erwähnte Potential im Mittelteil zu realisieren.

Wahrscheinlich habe ich bei meinen Änderungen ein paar stilistische Schnitzer eingebaut, aber ich war zu ungeduldig, um sie liegen zu lassen und noch einmal zu überarbeiten. Werde das nächste Woche nachholen.

Großen Dank noch einmal für eure Mühe. Ich bin gespannt, zu hören, was ihr von den Neuerungen haltet.

Damit ihr die Änderungen besser findet, eine kleine Liste:

- Am Anfang, wie die Straße beschrieben wird, erkläre ich, dass ein Fusionsreaktor die Stadt mit Energie versorgt.

- Wie von den kleinen Hallen die Rede ist, deute ich an, dass so etwas wie politische Zirkel existieren, die sich außerhalb der Stadt treffen.

- Im Konklavensaal treffen die beiden die eingangs erwähnten Gerhol und Salnica und man erfährt von den „Krilchwäldern“.

- Kerolins Rede in der Konklave war in der Tat wenig substantiell und ich habe sie neu geschrieben und sie ist jetzt mit seiner Theorie konsistent.

- Am Ende erfahren wir von Gerhol und Silnica, was vermutlich geschehen ist.

- Nach etwas Recherche habe ich entschieden, beim Femininum für Konklave zu bleiben: Erklärung.

 

Hallo noch mal, Malinska!

Ich habe die Änderungen aus Zeitgründen nur überflogen. Hier mein Eindruck:

Der Schluss gefällt mir deutlich besser, die Erklärung des Reaktorunglücks rundet das Ende ab.

Die Krilchwälder haben mich irritiert (kann auch am Überfliegen liegen). Ich dachte erst, das wären Wälder (im Sinne von Baumansammlungen) - aber es sind Leute, richtig? Die aus ... Krilchwalde oder so? Dann fände ich "Krilchwäldler" klarer.

Kerolins Rede mag jetzt konsistenter mit seiner Theorie sein, aber ich finde die ganze Kontrapunktik - sowohl die mimetische als auch die antimimetische - leider immer noch ziemlich verschwurbelt und sinnleer, sorry.

- Nach etwas Recherche habe ich entschieden, beim Femininum für Konklave zu bleiben: Erklärung.
Deine Quelle scheint sich als orthographisch-grammatikalischer Bilderstürmer zu gefallen und verweigert sich offenbar u.a. auch der neuen Rechtschreibung (er schreibt daß, muß, schloß, läßt usw.). Seine Analyse zum Genus von "Konklave" folgt mehr der Logik, wie es eigentlich sein sollte, als dem, wie es nun mal ist.
Kann man natürlich so machen. Aber dann musst du damit rechnen, dass noch weitere Leser darüber stolpern und das als Fehler monieren.

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Malinska,

eine interessante Welt die du hier entworfen hast. Insgesamt liest sich die Geschichte recht flüssig und wird auch nicht langweilig.

Die "philosophischen" Passagen waren mir jedoch oft unverständlich oder drehten sich im Kreis. Die Idee des Konklaves und der Reden die dann eine Art dynamisches Konzert bilden fand ich aber interessant und du hast dies auch spannend geschildert.

Ich frage mich ob der Sci-Fi teil wirklich nötig ist, da du nicht wirklich was daraus machst, bzw. es keine wirkliche Rolle für die Geschichte spielt. Es gibt eben Strom und Schienenautos, das war’s dann aber auch. Auch bin ich mir nach dem Lesen der Geschichte nicht im Klaren ob es jetzt hier wirklich Magie im Fantasysinne gibt oder nicht, wir sehen ja nichts davon. Dies könnte ja durchaus einen interessanten Konflikt abgeben, wenn Technologie in eine magische Welt (oder umgekehrt) eintritt und dass eine eventuell versucht oder im Begriff ist das andere zu verdrängen. Davon würde ich gern mehr erfahren in solch einer Welt.

Das Ende deiner Geschichte ist etwas antiklimatisch und unbefriedigend. Es werden mehr neue Fragen aufgeworfen als beantwortet (wer sind die Krilchwälder genau? was sind ihre Motive/ihre Agenda? was genau ist eigentlich vorgefallen mit dem Reaktor? welche Auswirkungen hat das nun?). Es liest sich wie das erste Kapitel eines Romans oder der erste Akt einer längeren Kurzgeschichte oder Novelle. Solltest du derartiges planen, könntest du auch die angesprochenen Fragen, Unklarheiten und möglichen Konflikte beantworten, ausräumen und ausbauen.

Insgesamt finde ich ist dies ein guter Anfang. Meine Emfehlung: Entweder die vorhandene Geschichte noch stark erweitern und am Ende feilen, oder noch besser, die Geschichte einfach fortführen und ausbauen, denn ich habe das Gefühl da steckt noch viel drinn in dieser Welt und der Geschichte!

Beste Grüße
FJ

PS: Was ich oftmals an Geschichten vermisse, obwohl es beim Lesen manchmal nicht auffällt, sind physische Beschreibungen der Personen, wie sehen die Protagonisten aus, also nicht nur Kleidung, sondern, Gesicht(sausdrücke), Haare, Körperbau, Haltung usw. Wird irgendwie ganz oft einfach übergangen, der Leser füllt dann eben die Lücken mit seiner Vorstellung, was ja auch ok ist, aber vielleicht nicht im Sinne des Autors.

 

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