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Die kleine Waldhexe Pilipina
Die kleine Waldhexe Pilipina
Auch ich war mal ein kleines Mädchen. Ein ganz normales neunjähriges Mädchen. Ich ging gern in die Schule, trug am liebsten lange Hosen, meine Lieblingsspeise waren Kirschpfannkuchen und ich hatte einen kleinen Hund. Der hieß Flecki, denn er hatte auf der Nase einen niedlichen kleinen weißen Fleck. Außerdem habe ich noch einen älteren Bruder.
Wenn ich nach der Schule mit meinen Hausaufgaben fertig war, aß ich mit meiner Mutter und meinem Bruder zu Mittag. Jeden Tag um die gleiche Zeit! Da hat meine Mutter immer sehr viel Wert drauf gelegt. Einmal in der Woche traf ich mich nachmittags mit meiner Umweltgruppe in der Schule.
Mein Vater spielte oft nach dem Abendbrot mit uns Mensch ärgere dich nicht.
Meistens habe ich mich trotzdem geärgert und manchmal sogar vor lauter Wut geheult.
Um acht Uhr musste ich ins Bett. Ich durfte bis zum Einschlafen noch meine Lieblingskassette von der kleinen Hexe hören. Ich wünschte mir sehr eine Hexe zu sein. Ich wollte auf einem Besen reiten und freche Lieder singen und alles verhexen, wie es mir gerade Spaß machte.
Zum Beispiel hätte ich meinen Bruder, der mich ständig ärgerte, in einen Goldfisch verhext. Dann hätte er mir stumm aus seinem Wasserglas beim Spielen zuschauen müssen und über meine Bilder hätte er nicht mehr lachen können. Höchstens noch mit einem Blubblub, aber wer stört sich schon an solch einem Blubblub.
Dann hätte ich noch mit einem Hexenspruch mein Hündchen Flecki die Menschensprache gelehrt. Aber nur für uns beide, so dass er mich und ich ihn verstehen könnte. Ach, wäre das schön gewesen.
An einem Tag, der wie alle anderen war, fragte ich meine Mutter, ob ich nach dem Mittagessen mit Flecki im nahe gelegenen Wald spazieren gehen durfte. Ich bekam die Erlaubnis, aber nur mit dem Versprechen schön in der Nähe der Straße zu bleiben und auf gar keinen Fall zu weit in den Wald hinein zu laufen. Ich versprach es natürlich hoch und heilig.
Ich ging nur, ich schwöre es, ein ganz kleines Stück hinein in den Wald, weil ich ein Stöckchen suchen wollte um mit Flecki zu spielen. Dabei lief ich wohl, ohne es zu merken, immer ein bisschen weiter ins Dickicht. Flecki war bei mir und passte auf mich auf.
Ich schaute immer noch zu Boden, um nach einem besonders gut geeignetem Stock Ausschau zu halten, da machte es BUMS und ich stieß mit jemandem zusammen.
Ich saß auf meinem Hosenboden und starrte mein Gegenüber an. Es war auch ein Mädchen. Aber nicht so ein Mädchen wie ich, das fiel mir sofort auf. Es hatte seltsame Kleidung an, ziemlich zerrissen und in eigenartigen Farben und genauso seltsam waren ihre Schuhe. Spitz und lang, hochgeschnürt und schwarz.Ihre Haare waren ganz strubbelig und voller Blätter.
Mir wurde irgendwie schon ziemlich unheimlich zumute. Ich schaute nach hinten, aber ich konnte die Straße nicht mehr sehen. Und wo war Flecki? Dieser kleine Feigling! Er hatte sich bestimmt vor lauter Schreck in einem Busch versteckt. So starrte ich wieder auf das seltsame Mädchen und machte vorsichtshalber mal ein böses Gesicht. Sie sollte auf keinen Fall merken, dass sie mir ein wenig Angst einjagte.
Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und schimpfte: „Hey, kannst du nicht besser aufpassen? Was tust du überhaupt hier in meinem Wald?“
„In deinem Wald..?“, fragte ich erstaunt, „wieso ist das dein Wald, der gehört doch allen Menschen in dieser Stadt!“ „Pff, von wegen. Ihr Menschen benehmt euch zwar als würde er euch gehören, aber er gehört ganz sicher nur mir. Und das nun schon seit 135 Jahren. Davor gehörte er viele hundert Jahre meiner Mutter und davor meiner Großmutter!“, schnaubte das verwuschelte Mädchen.
Ich war nun so überrascht, dass mir die Worte fehlten. Hinter mir raschelte es. Endlich, da war Flecki. Ich nahm ihn ganz fest in den Arm und fühlte mich gleich etwas sicherer. „Ich habe für meinen Hund nach einem Stock gesucht“, erklärte ich, „ und dabei bin ich wohl ein bisschen zu weit in den Wald gelaufen. Doch was du mir da erzählst ist ja wohl ziemlich gelogen, oder?“
„Ich und lügen“, fauchte mein Gegenüber,“ pass auf, dass ich dich nicht in eine Kröte verwandle!“
Jetzt konnte ich nicht mehr anders, ich musste kichern. Das seltsame Mädchen sah mich erstaunt an. Aus meinem Gekicher wurde ein Lachen. Ich lachte so sehr, dass mir die Tränen über die Wangen rollten und mein Bauch weh tat. Das Mädchen schaute immer noch erstaunt. Doch dann fing sie ebenfalls an zu lachen. Und so saßen wir zwei mitten im Wald und lachten uns halb schief. Flecki bellte laut dazu. Er war froh, dass alle so lustig waren.
„Wie heißt du überhaupt?“, prustete ich. „Pilipina“, kam es prustend zurück, „und du?“ „Katie“, sagte ich ganz atemlos.
Als wir uns ein wenig beruhigt hatten, schauten wir uns wieder von oben bis unten an.
Dann sagte ich: „Hör mal Pilipina, dein Name ist sehr ungewöhnlich, deine Geschichte vom Wald auch und aussehen tust du auch nicht wie die anderen Mädchen, die ich kenne!“ „Ist ja auch kein Wunder“, antwortetet Pilipina, „ich bin ja auch eine Waldhexe!“
„Niemals“, protestierte ich, “Hexen gibt es nur in Märchen und Geschichten, aber sicher nicht hier in unserem Wald!“
„Nur weil du keine Hexe kennst und wahrscheinlich noch nie eine gesehen hast?“ Pilipina war beleidigt. „Aber wenn du mir nicht glaubst..., dann geh ich jetzt wieder und du vergisst einfach, dass wir uns jemals begegnet sind.“
Aber ich wollte überhaupt nicht, dass Pilipina fort ging.
Irgendwie mochte ich sie und ich versuchte auch ihr zu glauben, darum forderte ich sie heraus: „Du Pilipina, wenn du eine Hexe bist, dann beweis es mir doch. Verhexe doch irgendetwas.“ „Aber bitte nicht mich!“, fügte ich noch schnell hinzu. Sicher war sicher.
„Mmh,“ überlegte Pilipina, „warum eigentlich nicht. Aber versprich mir, dass es unter uns bleibt und ich verhexe auch nur etwas ganz, ganz kleines, denn eigentlich darf ich nicht einfach so ohne Grund hexen!“ „OK“, antwortete ich, „ich verspreche es!“
„Also gut, siehst du da vorne die leere Coladose, die irgendwelche Leute achtlos weggeschmissen haben? Ich verhexe sie jetzt in einen Fliegenpilz, pass schön auf!“
Pilipina machte ein ernstes Gesicht.
Sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf die Dose und sprach: „ Entenbein und Mäusefilz, aus der Dose wird ein Pilz.“ Über die Coladose legte sich eine rosa Nebel. Als er sich auflöste, stand dort tatsächlich ein Pilz. Ein Pilz, aber kein Fliegenpilz.
Ich schaute Pilipina an. Auch wenn es nicht der richtige Pilz war, so war ich trotzdem schwer beeindruckt. Pilipina aber wurde ganz verlegen.
„Ach je“, sagte sie, „das war wohl nicht so toll.“ „Nicht toll?“, rief ich, „Und ob das toll war. Du hast aus einer leeren Dose einen Pilz gemacht.“ „Ja schon, aber keinen Fliegenpilz.“, gab Pilipina zu bedenken. „Ach was, das stört mich nicht“, antwortete ich großzügig. „Hauptsache der Müll ist weg.
So ein Pilz ist hier im Wald viel schöner anzusehen.“
Ich schaute auf meine Armbanduhr, denn Flecki war etwas unruhig geworden. „Oh je, schon so spät. Meine Mutter wird sich Sorgen machen, ich muss nach Hause!“ „Och, schade“, meinte meine neue Freundin, „ich hätte dich noch gerne auf einen Tee mit schön viel Zucker eingeladen!“ „Ich kann ja morgen wieder kommen. Aber ich muss jetzt wirklich gehen. Sei nicht traurig!“, sagte ich schnell und rannte mit Flecki nach Haus.
Zum Glück kamen wir noch rechtzeitig und keiner stellte mir komische Fragen. An diesem Abend konnte ich kaum einschlafen, auch auf meine Lieblingsgeschichte konnte ich mich nicht konzentrieren.
„Pilipina!“, murmelte ich leise mehrmals hintereinander. Irgendwann überkam mich dann doch die Müdigkeit und ich schlief ein.
Ich glaube in dieser Nacht träumte ich einen sehr verwirrten Traum, denn am nächsten Morgen, als Mutti mich weckte, sah ich selbst aus wie eine kleine Hexe. Meine Haare standen in einem wirren Durcheinander vom Kopf ab und meine Mutter hatte große Mühe mich zu kämmen.
Die Schule dauerte mir an diesem Tag viel zu lange. Ich war beim Klingeln auch die Erste, die ihre Sachen gepackt hatte und nach Hause lief.
Meine Hausaufgaben machte ich ganz schnell und nicht so ordentlich wie immer. Mutti schimpfte ein wenig, ließ aber ausnahmsweise mal Fünf gerade sein.
Sofort nach dem Mittagessen lief ich mit Flecki los.
Ich hatte etwas Mühe die Stelle zu finden, an der ich mit Pilipina zusammengestoßen war.
Das Hexenmädchen war noch nicht da. Auch einige Zeit später nicht. Ich überlegte schon, ob ich vielleicht doch alles nur geträumt hatte, als mir jemand mit einer Feder im Nacken kitzelte und kicherte.
„Hallo Katie!“ , flüsterte eine vertraute Stimme. Ich drehte mich um. Pilipina grinste. „Ich hoffe du hast nicht zu lange gewartet, aber ich musste heute nachsitzen.“ „Nachsitzen?“, fragte ich ungläubig, „Ja gehst du denn zur Schule?“ „Natürlich!“, antwortete Pilipina empört, „denkst du vielleicht, ich kann einfach so hexen?“
„Ja aber, dann gibt es ja noch mehr Hexen in diesem Wald und eine Hexenschule und Hexenlehrerinnen und...“ „Halt, stopp, nein, nein!“ , rief Pilipina. Keine Hexenschule, keine anderen Hexen in diesem Wald und auch keine Hexenlehrerinnen!.“
„Wieso musstest du dann nachsitzen?“, hakte ich nach. „Na weil das zu den Hexenregeln gehört. Wir jungen Hexen erziehen uns selbst. Wenn ich Blödsinn mache, dann muss ich mich auch selber bestrafen!“, erklärte Pilipina.
„Hihi, das stelle ich mir aber komisch vor.“ kicherte ich. „Na hör mal, Nachsitzen ist doch nicht komisch, oder?“ maulte Pilipina.
„Nein natürlich nicht!“ beruhigte ich sie, „Nur der Gedanke sich selbst zu bestrafen ist komisch.
Bei mir machen das meine Eltern oder meine Lehrerin.“ „Bei mir ist es eben anders!“ meinte Pilipina trotzig.
„Aber wer kümmert sich denn um dich? Lebst du etwa ganz alleine?“, fragte ich neugierig. „Nein, nicht ganz alleine“, entgegnete das Hexenmädchen, „ich lebe mit meinem Kater Bruno und meinem Raben Schwarzrock zusammen.“
Mir kam eine Idee. „Du Pilipina, kann ich die beiden nicht mal kennen lernen? Du wolltest mich doch sowieso auf einen Tee einladen!“,
„Na klar“, freute sich Pilipina, „jetzt sofort?“
„Wie weit ist es denn von hier?“ wollte ich wissen.
„Also.. wenn wir auf meinem Hexenbesen fliegen, keine fünf Minuten.“ ,überlegte sie laut, „Also was ist, fliegen wir?“
„Fliiieeegen?“, stotterte ich verwirrt, „Auf einem Besen? Ist das denn nicht gefährlich?“ „Du musst dich nur gut an mir festhalten, dann kann dir gar nichts passieren. Vertraue mir!“, versprach Pilipina.
Natürlich vertraute ich ihr. Schließlich war sie ja jetzt meine Freundin. Und einer Freundin sollte man vertrauen.
Ich klemmte mich hinter sie auf ihren Besen, Flecki unterm rechten Arm, und wie von Zauberhand hob dieser uns in die Luft und schwebte vollkommen geräuschlos über den Wald bis zu einem kleinen Häuschen auf einer Lichtung. Flecki hatte ein wenig gezittert, genau wie ich. Der Besen setzte uns sanft auf dem Boden ab und stellte sich in eine Ecke.
Vor mir stand ein kleines schiefes weißes Häuschen. Im Vorgarten wuchsen viele Kräuter, von denen ich einige kannte. Rosmarin, Lavendel und Salbei zum Beispiel. Auf dem Dach schlummerte ein schwarzer Kater. Alles sah sehr einladend aus. „Schön ist es hier“, staunte ich. „Na warte erst, bis du drinnen bist!“, entgegnete Pilipina stolz. Im Haus war es richtig gemütlich.
Auf einer Feuerstelle stand ein schwarzer Topf, aus dem ein wunderbarer Duft strömte. Auf einem kleinen Tisch standen zwei Teetassen ein kleiner runder Kuchen mit Puderzucker. Wir setzten uns.
Eine Weile kauten wir schweigsam an Pilipinas selbstgemachten Kuchen, der so herrlich schmeckte und schlürften einen süßen Tee.
„Weißt du, ich habe mir schon oft gewünscht eine Hexe zu sein.“, erzählte ich meiner neuen Freundin, „aber ich glaube so ganz allein zu leben und dann so viele Jahre, das würde mir wohl nicht so gut gefallen. Ich würde meine Familie bestimmt sehr vermissen! Sogar meinen Bruder!“ „Man kann nichts vermissen, was man nicht kennt.“, entgegnete Pilipina, „Wenn du immer alleine warst, dann weiß du es eben nicht anders.“
„Ja aber du hattest doch auch eine Mutter, das hast du mir doch selbst erzählt!“, forschte ich nach.
„Ach Katie, das ist schon so lange her, dass ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Wir Hexen sind schnell selbstständig. Wenn wir in einem gewissen Alter sind, dann suchen wir uns unseren eigenen Wald oder wir erben einen, so wie ich. Leider wird die Waldsuche für Hexen immer schwerer, weil es immer weniger gesunde Wälder gibt. Viele Hexen sind heimatlos. Es werden auch keine Hexen mehr geboren. Wir sind vom Aussterben bedroht!“, erklärte mir Pilipina traurig.
„Du siehst ja, wie die Menschen mit der Natur umgehen. Sie werfen ihren Müll in den Wald. Anfangs habe ich noch versucht kleinere Müllreste in eine Pflanze, einen Pilz oder ein kleines Tierchen zu verhexen. Doch der Müll wird immer mehr. Ich schaffe es nicht mehr alleine.“
„Ja kann ich dir denn nicht helfen? Wenn du mir zeigst wie man hext, dann könnten wir doch zusammen den Müll verhexen!“ fragte ich erwartungsvoll.
„Nein“, entgegnete Pilipina, „das geht leider nicht. Du bist ein Menschenkind und kein Hexenkind. Du wirst das Hexen niemals lernen können!“
Nach einer kurzen Pause sagte sie: „Aber vielleicht gäbe es eine andere Lösung.“ „Und die wäre?“ wollte ich wissen. „Also, zur zeit übe ich das Bäumehexen. Für einen Baum brauche ich aber einen vollen Sack Müll. Es ist sehr viel Arbeit den Müll im Wald alleine aufzusammeln. Dabei könnte ich wirklich Hilfe gebrauchen!“
„Ich helfe dir!“ rief ich spontan.
„Aber nun muss ich wieder nach Hause. Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Bringst du mich zurück?“
„Sehen wir uns denn morgen wieder?“ bettelte Pilipina. „Auf jeden Fall!“ versprach ich.
Sie brachte Flecki und mich wieder zu der Stelle unserer ersten Begegnung.
Schnell liefen wir zwei nach Hause.
Ich war noch ziemlich satt von Pilipinas leckerem Kuchen und zum Umfallen müde. Meine Mutter wunderte sich sehr, dass ich kein Abendbrot haben wollte. Sie steckte mich direkt ins Bett und mir das Fieberthermometer in den Mund. Aber ich hatte kein Fieber. Die roten Wangen kamen von der ganzen Aufregung.
Am nächsten Tag fielen in der Schule die letzten beiden Stunden aus.
Hausaufgaben bekamen wir auch nicht auf. Meine Mutter überredetet ich, dass ich mir ausnahmsweise unterwegs ein paar Brötchen kaufen durfte, denn das Wetter wäre so schön und Flecki und ich bräuchten dringend frische Luft. Da Mutti Kopfweh hatte, war es ihr ganz recht. „Aber sei pünktlich zum Abendbrot zu Hause!“ rief sie mir noch hinterher.
Diesmal war Pilipina schon an unserer Stelle im Wald. Aber sie war nicht alleine. Auf ihrer Schulter saß ein Rabe. Der schaute mich neugierig mit seinen kleinen, runden Knopfaugen an. „Hallo Schwarzrock“, sagte ich zu ihm und zu meiner Verwunderung krächzte er „Hallo Katie.“
Ich sah Pilipina an.
Sie lachte:„Schwarzrock war gestern mit ein paar Rabenfreunden unterwegs, deswegen hast du ihn nicht beim Hexenhaus gesehen. Ich habe ihm alles von dir und unserem Plan erzählt, er will uns helfen!“ „Na super, dann sind wir ja schon zu dritt!“ erwiderte ich. „Nein zu viert“, verbesserte mich Pilipina, „Flecki ist doch auch noch dabei!“ „Na ja, ob der aber Müll einsammelt, das glaube ich nicht so richtig!“ kicherte ich.
So gingen wir vier an die Arbeit. Von Muttis Brötchengeld hatte ich mir keine Brötchen gekauft, sondern große Müllsäcke. Ich wusste ja, dass ich bei Pilipina mit Essen versorgt wurde. Außerdem war es für eine gute Sache, deswegen hatte ich auch kein schlechtes Gewissen.
Wir liefen fast zwei Stunden durch das Dickicht und sammelten zwei große Säcke voll Müll. „Unglaublich“, staunte ich, „wie viel Müll hier herum liegt, kennen die Leute keine Mülleimer?“ „Die finden sie noch nicht mal, wenn sie mit ihrer Nase davor stehen!“, schimpfte die kleine Hexe.
Der Flug zu Pilipinas Haus war dieses Mal etwas beschwerlich. Sie und ich, Flecki, der Rabe Schwarzrock und zwei volle Müllsäcke, das war auch für einen Hexenbesen nicht so leicht.
Der verkrümelte sich direkt nach unserer Ankunft am Hexenhaus erschöpft in seine Ecke.
Ich hätte nie gedacht, dass ein Besen mir jemals leid tun könnte.
„Jetzt stärken wir uns erst einmal mit einem heißen Kakao und dann mach ich mich ans Bäume hexen“, sagte Pilipina. Flecki bekam auch Kakao in ein Schüsselchen. Wenn das meine Mutter wüsste. Gestern Kuchen, heute Kakao. Aber Flecki freute sich.
Mit Pilipinas Kater Bruno verstand er sich prima. Normalerweise würde er bei jeder Katze bellen, aber bei Bruno wedelte er fröhlich mit dem Schwänzchen und legte sich zu ihm an den Kamin.
Pilipina nahm ein großes rotes Buch mit goldener Schrift von ihrem Nachttisch und schlug es auf. Sie murmelte irgendwelche für mich unverständlichen Worte und sagte dann ungeduldig: „Komm lass uns vor die Tür gehen, denn in mein Haus passt kein Baum.“
Wir nahmen die zwei Müllsäcke und suchten uns einen geeigneten Platz im Wald, ganz in der Nähe von Pilipinas Hexenhaus.
Ich platzierte einen der beiden Säcke an die Stelle, an welcher der neue Baum stehen sollte. Dann setze ich mich gespannt auf einen Grasbüschel etwas abseits und wartete.
Pilipina war sehr konzentriert. Ihr Gesicht war ernst und ihre Augen halb geschlossen. Sie zielte mit ihrem Zeigefinger auf den blauen Müllsack und rief laut: „Hundert Jahre ist es her oder auch vielleicht noch mehr, hundert Jahre grüner Traum, aus diesem Müll wird nun ein Baum!“ Ein rosa Nebel, genau wie damals bei der leeren Coladose, legte sich über den Müllsack.
So gespannt war ich noch nie.
Ich traute mich kaum hinzuschauen vor lauter Aufregung.
Als der Nebel sich auflöste, stand dort tatsächlich etwas sehr großes.
Ein riesengroßer Löwenzahn!
Wir schauten uns beide entsetzt an. Pilipina hatte Tränen in den Augen.
„Ach Katie, ich schaffe es einfach nicht. Seit 25 Jahren übe ich nun und noch nie ist es mir gelungen aus einem Müllbeutel einen Baum zu hexen.“ Nun weinte sie richtig.
Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm „Hey Pilipina, lass den Kopf nicht hängen. Einen Baum zu hexen ist sicher superschwer. Du hast doch noch einen Müllsack. Versuche es bitte, bitte noch einmal. Wenn es dann nicht klappt, fällt uns ganz bestimmt etwas anderes ein.“, tröstete ich sie.
„Na gut, einmal versuche ich es noch, aber nur noch ein einziges Mal!“ Trotzig sah sie auf den riesengroßen Löwenzahn. „Und aus dem machen wir uns später Tee und Salat, jawohl!“
„Jawohl!“, bekräftigte ich ihre Worte und setzte mich wieder auf den Grasbüschel.
Ich drückte so fest meine Daumen, dass alles Blut aus ihnen wich.
„Bitte, bitte, lass Pilipina einen Baum hexen.“, flüstere ich in mich hinein. Ich schaute Pilipina an. Wieder war sie hochkonzentriert.
Wieder zielte sie mit dem Zeigefinger auf den Müllsack direkt neben dem Löwenzahn und sprach laut: „Holz und Holz und noch mal Holz, grüne Blätter, aufrecht und stolz, gibst den Vögeln ein Zuhaus, gibst dein Leben für ein Haus, im Wind raschelt dein Blättertraum, hier wächst nun ein großer Baum.“
Ich spürte es ganz deutlich. Das war bestimmt der richtige Hexenspruch. Rosa Nebel legte sich über den Müllsack und dann stand er vor uns.
Kräftig und schön, groß und stolz! Der Baum! Es war eine Eiche, bestimmt schon so alt wie Pilipina und sehr beeindruckend.
Pilipina schaute fast erstaunt auf ihr Hexenwerk und verfiel dann in ein Jubelgeschrei und ich gleich mit. Wir tanzten umher und kreischten was das Zeug hielt, so sehr freuten wir uns. Immer wieder liefen wir zu der Eiche und streichelten und küssten sie.
Sie dankte es uns mit einem Windlied, das sie mit ihren Blättern sang.
Vollkommen glücklich aßen wir am Fuße des Baums ein paar Kräuterbrötchen. Dann musste ich leider schon wieder nach Hause.
„Und denk dran Katie, du darfst mit niemanden darüber sprechen. Nicht über mich und nicht über den verhexten Müll.“, sagte Pilipina zum Abschied. Ich versprach es ihr ganz fest.
Wir verabredeten uns für den übernächsten Tag, denn am folgenden Nachmittag traf ich mich in der Schule mit meiner Umwelt-Gruppe. Gemeinsam mit einigen Jungen und Mädchen machte ich mich bei diesen Treffen für die Umwelt stark. Wir bauten zum Beispiel Nistkästen für Vögel oder legten mit unserer Lehrerin in unserem Schulgarten ein Teich-Biotop an, wo Fische, Frösche und viele andere kleine Lebewesen ein neues Zuhause fanden.
Dieses Mal kam ein Vorschlag von mir:
Eine Müllsammelaktion in unserem Wald!
Natürlich würde ich mich um die vollen Müllsäcke kümmern. Ich hätte da gute Kontakte, sagte ich zu meiner Lehrerin. Die war ganz begeistert von der Idee. Gleich in der nächsten Woche wollten wir anfangen.
Abends erzählte ich meinen Eltern von dem neuen Umweltprojekt. Ich verschwieg lediglich die Tatsache, dass ich mich um die Müllsäcke kümmern wollte. Wie hätte ich das auch erklären sollen? Meine Eltern waren sehr stolz auf mich. Sie sagten, dass man für die Umwelt gar nicht genug tun könnte. Wenn die beiden wüssten, was ich alles so trieb.
Als ich am nächsten Tag Pilipina von dem Projekt erzählte, war sie ganz begeistert. „Das ist ja toll,“, rief sie, „der Müll verschwindet und die Bäume werden dank meiner Hexerei immer mehr!“
In der Woche darauf schaffte es unsere Gruppe fünf Müllbeutel voll zu sammeln. So sauber war der Wald sicher noch nie.
Ich zeigte den anderen die Sammelstelle und versprach mich darum zu kümmern. Die anderen vertrauten auf meine guten Kontakte und stellten keine Fragen. Zum Glück!
Und Pilipina? Die hexte und hexte. Jeder Baum war wieder anders. Mit dem gleichen Hexenspruch hexte sie Kastanien, Buchen, Eichen, Ahornbäume und noch viele andere Arten.
Eines Tages bat ich sie, ob sie nicht Flecki so verhexen könnte, dass er mich und ich ihn verstehen würde.
Sie sagte: „Katie, das ist doch Quatsch. Ich glaube ihr versteht euch auch so sehr gut. Er versteht an deinem Tonfall was du sagst und du verstehst ihn durch seine Körpersprache.“ „Du hast Recht“, antwortete ich, „das wäre eine blöde Hexerei. Flecki ist auch so der tollste Hund auf der Welt.“ Ich gab meinem Hündchen ein dicken Kuss auf die Nase und er leckte mein Gesicht zum Dank.
Meine Hexenfreundin und ich trafen uns noch über viele Jahre. Heute mache ich mich immer noch für die Umwelt stark. Oft gehe ich durch den Wald und überlege, welcher der Bäume vielleicht mal ein Müllsack war. Dann muss ich kichern und an Pilipina denken, meine kleine Hexenfreundin.
Wenn ihr einmal eine Hexe kennen lernt, denkt immer daran: „Nichts verraten!“ Und bis dahin wäre es schön, wenn ihr mithelft die Umwelt sauber zu halten. Denn nur in gesunden großen Wäldern leben freundliche Hexen.
Und glaubt mir: „Böse Hexen, die gibt es nur im Märchen!“