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Die kleine Turnerin

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27.12.2014
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Die kleine Turnerin

DIE KLEINE TURNERIN


Zoya kann in die Zukunft sehen. Das ist ihr Geheimnis.
Die Matte gibt unter ihren Fußsohlen nach, federt zurück und eine Wolke aus Magnesia wirbelt auf, bevor ihr Körper zum Stillstand kommt.
Sie kann in die Zukunft sehen. Ich habe es ihr beigebracht. Sie kann voraussehen, wo ihre linke Hand gleich sein wird und wie sie die rechte zu platzieren hat, um im übernächsten Schritt mit den Beinen richtig abspringen zu können. Jede drohende Fehlstellung bemerkt sie sofort und verbessert sie während der Bewegung. Das macht es ihr möglich zu fliegen.
Brav hebt sie die Arme, um sich von den Juroren zu verabschieden, und eilt – auf den Fußballen hüpfend – von der Matte, als wollte sie fliehen. Hinter ihr der Stufenbarren, um den sie Sekunden zuvor pflichtbewusst und emsig geturnt hat. Das Publikum, das klatscht und jubelt. Sie sieht zu mir und beschleunigt ihre Schritte.
Cheftrainer Naumkin wartet am Rand der Matte und hält sie auf. Er kniet sich zu ihr nach unten. Sie wirkt winzig und noch schmaler neben diesem bärenartigen Mann. Seine Hand auf ihrem Rücken ist so groß, dass sie beide Schulterblätter bedeckt.
Er sagt etwas. Zoya nickt, die Augen weiterhin gesenkt, und wendet sich dem Publikum zu, um ihnen mit einem Lächeln zuzuwinken. Noch mehr Beifall. Erst dann schickt sie der Cheftrainer zurück zur Bank.
Die Muskeln in ihrem Gesicht entspannen sich. „Hab ich es gut gemacht?“, fragt sie mich.
„Schau selbst.“ Ich zeige auf die Tafel mit der Wertung: 9.95.
„Oh“, ruft sie aus, „Das hab ich gar nicht gesehen.“ Hastig umarmt sie mich und ich fahre ihr durch die kurzen, schwarzen Locken.
„Eine hervorragende Leistung von Zoya Davydova“, lässt der Kommentator verlauten, „Es ist der erste internationale Wettkampf dieser jungen Sportlerin und nach einem vielversprechenden Beginn am Schwebebalken hat sie mit dieser Übung gezeigt, dass wohl endgültig sie ihren Platz in der sowjetischen Nationalmannschaft verdient hat.“
„Komm her!“ Ich hebe sie auf meine Schultern und sie lacht.
Sie gewinnt Gold am Stufenbarren. Zwischen den älteren Turnerinnen steht sie auf dem Podest und kaut auf der Unterlippe. Ihre Mannschaftskameradinnen nehmen ihre Medaillen mit stiller Würde entgegen: ruhig und zuversichtlich lächelnd. Kleine Schwäne, wie der Cheftrainer sie nennt. Seine kleinen Schwäne: dürre Mädchen in schwarz-weißen Gymnastikanzügen.
Ana, die Mannschaftsführerin, hat Gold auf dem Schwebebalken, am Boden und im Mehrkampf gewonnen, ihr weißes Gesicht glüht, als sie mit ihren Medaillen behangen und einem Blumenstrauß im Arm vor den Blitzlichtern der Kameras steht. Sie ist der Star.
Zoya wirkt verloren neben ihr. Das Band, mit dem die Auszeichnung um ihren Hals baumelt, ist beinahe so breit wie ihre Schultern. Sie steht da und spielt unruhig mit der Medaille zwischen ihren Händchen.
„Ein unruhiges Äffchen“, lacht Naumkin. Ein Äffchen unter seinen Schwänen. Damit hat er nicht gerechnet – aber ich.
„Komm her!“ Ich setze sie wieder auf meine Schultern. Noch mehr Blitzlichtgewitter. „Ihr erster großer Wettkampf“, erklärt der Cheftrainer den Journalisten.
„Es ist erfrischend“, schreibt eine Zeitung, „zu sehen, dass die sowjetische Nationalmannschaft nicht aus emotionslosen Robotern besteht. Die vierzehnjährige Zoya Davydova gewann Gold am Stufenbarren und Gold mit der Mannschaft und war eine der beliebtesten Teilnehmerinnen der Weltmeisterschaft im Kunstturnen, die dieses Jahr in Rotterdam stattfand.“

„Ich turne, seit ich sechs Jahre alt bin.“ Ana blickt mit gerunzelter Stirn in die Kamera, während sie erzählt. „Im Kindergarten konnte ich nie still sitzen. Ich war immer am Klettern oder bin auf meinen Händen gelaufen. Da kamen die Talentsucher in die Schule und haben gefragt, wer gerne turnen möchte. Ich habe mich gemeldet.“
Andere Mädchen machen im Hintergrund Aufwärmübungen.
„Ich trainiere Anastasia, seit sie acht Jahre alt ist“, fügt der Cheftrainer hinzu. Die blonde Dame vom Fernsehen nickt und quiekt entzückt, als Ana ihr anbietet, ihre Bodenübung für das Fernsehteam vorzuführen.
„Wir brauchen noch Aufnahmen von den anderen “, meint der Produzent, ein hagerer Glatzkopf, zu mir. „Der Genosse Sportminister will, dass sie viel lachen. Ein Spiel vielleicht? Fangen? Und morgen hätten wir gerne ein paar Szenen beim Massieren im Schwimmbad. Achten Sie darauf, dass die Mädchen immer in Handtücher gewickelt sind, damit man diese Adern auf der Haut nicht sieht. Das ist unschön.“
Ich nicke.
„Trainer Marmeladow ist meine rechte Hand“, brummt Naumkin, „Er weiß schon, was er zu tun hat. Und jetzt schauen Sie Anastasia zu. Sehen Sie? Wie eine Künstlerin – eine Ballerina!“
Ana tanzt über die Turnmatte und setzt aus einer Pirouette heraus zum Rückwartssalto an. Die Kür wurde von einer Choreographin vom russischen Staatsballett für sie ausgearbeitet.
„Ich wäre nicht gerne Ballerina“, sagt Ana danach, als die Blondine sie darauf anspricht, „Turnen ist viel aufregender. Ich möchte meinen Thomas-Salto bis zu den Olympischen Spielen perfekt können.“
Der Thomas-Salto ist das große Projekt des Cheftrainers. Bisher haben nur Männer dieses Element geturnt. Eineinhalb Salti rückwärts, anschließend eineinhalb Drehungen mit gestrecktem Körper.
Es ist Naumkins Spezialität: Aus einem Sport für athletische junge Frauen Kamikaze für kleine Mädchen zu machen. Er lässt sie Übungen turnen, bei denen der Zuschauer unter der ständigen Angst steht, das Kind könne sich den Hals brechen. Das macht den Charme unserer Mannschaft aus.
„Nachdem unsere Nation sich erfolgreich widersetzt und nicht an den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles teilgenommen hat“, erklärt die Fernseh-Blondine überschwänglich, „stehen Sie doch bestimmt unter besonderem Druck für das nächste Jahr in Seoul?“
Naumkin winkt ab. „Wir stehen immer unter Druck. Unsere Sportler trainieren acht bis zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche.“ Das ist untertrieben, oft sind es zwölf bis vierzehn Stunden. „Aber was ist das Turnen ohne uns? Ein Witz! Wir haben diesen Sport zu dem gemacht, was er ist. Weil sie Nadia Comaneci hatten, denken die Rumänen, sie könnten uns das Wasser reichen. Jetzt suchen sie verzweifelt eine zweite Nadia und finden keine. In Los Angeles haben sie sich von einer kleinen, dicken Amerikanerin vorführen lassen. Wie hieß die doch gleich? Mary Lulu irgendwas. Und die kann auch nur einen Handstand, weil Comanecis Trainer übergelaufen ist und es ihr beigebracht hat. Pah!“ Es macht ihm Spaß, große Reden zu schwingen, das habe ich vergessen. „Was sind denn das für Verhältnisse? In Seoul werden wir die Dinge wieder ins rechte Licht rücken.“ Er legt Ana den Arm auf die Schulter, der im Vergleich zu dem zierlichen Mädchen wie ein Baumstamm wirkt und sie schrumpfen lässt.
Ich sehe mich in der Halle nach Zoya um. Sie hat mir heute Morgen angekündigt, sie wolle sich vor dem Kamerateam verstecken. In einer Ecke albert sie mit Emilia herum. Die beiden laufen auf den Händen um die Wette und lachen, als sie gleichzeitig umfallen.
„Was soll das?“
Wie zwei Kätzchen knien sie vor mir und grinsen mich verschmitzt an, geben aber keine Antwort.
„Ihr sollt anständig üben, sonst zieh ich euch die Ohren lang.“ Ich ziehe zuerst Zoya, dann Emilia auf die Füße und gebe jeder zur Strafe einen Klaps auf den Oberschenkel.
„Entschuldigung“, murmelt Emilia und eilt davon, um sich mit den anderen aufzuwärmen.
Zoya reibt sich die schmerzende Stelle und blickt mir mit zusammengezogenen Augenbrauen entgegen. „Mir tut’s auch leid. Aber können wir nicht später weiter üben, wenn die alle weg sind?“
„Nur weil du jetzt in der Ersten Mannschaft bist“, ich hebe den Zeigefinger, „kannst du nicht tun, was du willst. Im Gegenteil. Ana und die anderen trainieren noch viel härter und das solltest du auch.“
„Ich weiß.“ Sie dreht den Kopf zur Seite und sieht hinüber zum Cheftrainer, der mit dem Kamerateam am Schwebebalken steht. Larissa und Ana knien auf dem Gerät und umarmen sich.
„Die beiden können sich nicht mal leiden“, sagt Zoya und verdreht die Augen.
„Sie sind die besten in der Mannschaft. Vielleicht sogar die besten im ganzen Land. Und wenn du dich nicht anstrengst, wirst du niemals annähernd so gut.“
„Ich weiß.“
„Ich will jetzt dreihundert Rumpfbeugen von dir sehen, aber ein bisschen plötzlich.“ Mit einem weiteren Klaps auf den Schenkel scheuche ich sie vor mir her. Der Cheftrainer hat Anweisung gegeben, die Mädchen nicht zu schlagen, während die Kameras an sind, aber keiner schenkt uns Beachtung.
Auf dem Weg durch die Halle werden wir jedoch von der Blondine entdeckt, die ihren Kameramann hinter sich her winkt, während sie mit großen Schritten auf Zoya zugeht.
„Das ist doch Zoya Davydova“, ruft sie aus und klatscht in die Hände, bevor sie in die Kamera spricht: „Zoya war in der letzten Woche bei ihrem ersten internationalen Wettkampf in Rotterdam. Oh, wie klein du bist!“
Sie stellt sich neben Zoya, die ihr nicht einmal bis zur Brust reicht, und legt ihr die Hände auf die Schultern.
„Ich wachse noch“, stellt Zoya ernst fest.
Naumkin drängt sich neben die kleine Turnerin und hievt sie auf seinen Arm, so dass sie die Moderatorin überragt. „So groß wollte sie werden, hat sie mir mal gesagt. Ich hab’ ihr erklärt, dann sei sie zu groß zum Turnen, da hat sie es sich ganz schnell anders überlegt.“ Er lacht über diese Anekdote, die er eben erfunden hat.
„Wie hat es dir gefallen in den Niederlanden?“, fragt die Blondine.
Zoya zuckt mit den Schultern. „Das Turnen hat mir großen Spaß gemacht. Aber der ganze Zirkus drum herum nicht.“
„Oh ja, du hast auf mich etwas schüchtern gewirkt.“
Zoya zuckt wieder mit den Schultern. Eine Fernsehpersönlichkeit ist dieses Kind wirklich nicht, denke ich und seufze.
„Sie hat noch nie vor so vielen Menschen geturnt“, erklärt Naumkin, „Aber während der Übungen war sie vollkommen konzentriert. Absolut. Wir bringen den Mädchen bei, alles andere auszublenden. An nichts anderes zu denken. Das ist auch zu ihrer eigenen Sicherheit, sonst verletzen sie sich. Beim Training tun wir alles, um Unfälle und Verletzungen zu verhindern. Trainer Marmeladow zum Beispiel steht selbst bei den Wettkämpfen neben dem Sprungtisch, um aufzupassen, dass kein Unfall passiert. Er ist Zoyas Onkel und sie trainiert mit ihm, seit sie fünf Jahre alt ist.“ Er stellt Zoya wieder auf ihre eigenen Füße. „Geh dich aufwärmen und wenn du damit fertig bist, zeigst du uns deine Übung am Stufenbarren.“
„Ja, Herr Cheftrainer.“ Sie geht davon und als wir sie eine halbe Stunde später suchen, ist sie verschwunden.
Auch zum Essen kommt sie nicht. Die Teller der Mädchen sind voll beladen mit Rührei, gebratenem Schinken und Kartoffeln. Der Cheftrainer hat sie gewarnt: Vor der Kamera sollen sie ein paar Bissen davon nehmen, aber er kontrolliert hinterher, dass niemand zu viel isst.
Die kleine Emilia sieht gequält auf die Speisen und reibt sich den Bauch. Ich beschließe, ihrem Leid ein Ende zu machen: „Was soll das denn? Na los, steh auf und geh auf dein Zimmer. So ein Gesicht zu ziehen! Das will doch keiner sehen! Findest du, das sieht schön aus, wenn du dreinschaust als hättest du Zahnschmerzen?“
Es ist fast Mitternacht, als ich an diesem Abend endlich selbst mein Zimmer aufsuchen kann. Unter dem Türspalt hindurch leuchtet ein Lichtschein und ich ahne, was mich erwartet.
Zoya kauerte im Schneidersitz auf dem Boden und blättert in einem Buch. „Sei nicht böse! Bitte, sei nicht böse!“ Sofort springt sie auf und fällt mir um den Hals.
Ich löse mich aus ihrer Umarmung. „Zoya, was soll das, hä? Was denkst du dir?“
„Ich hatte keine Lust auf diesen Trubel. Die waren doch sowieso nur wegen Ana da.“ Durch meine Zurückweisung entmutigt schlurft sie zum Bett und lässt sich bäuchlings auf die Matratze fallen.
„Du hast dich unmöglich benommen.“
„Tut mir leid“, flüstert sie und nimmt ihren rechten Daumen in den Mund, um darauf herumzukauen.
„Lass das, du bist kein Kleinkind!“
„Ja.“
Sie setzt sich auf und ich nehme neben ihr Platz. Meine Augen brennen vor Erschöpfung und ich will nur noch schlafen.
„Bitte, sei nicht mehr böse“, wiederholt sie und legt ihren Kopf in meinen Schoß.
„Ich war dir nie böse“, gestehe ich, „Aber für den Herrn Cheftrainer kann ich nicht sprechen. Morgen kannst du wahrscheinlich dein blaues Wunder erleben.“
Sie winkt ab und ein Lächeln legt sich auf das schmale Gesicht.

„Das kann nicht wahr sein!“ Ana zieht scharf die Luft ein und wirft die Arme in die Luft. „So werden wir nie gewinnen! Die werden uns auslachen! Die Rumänen vor allem! Die werden sich auf den Boden werfen vor Lachen. Sie werden lachen über Larissa, dieses Trampel. Dieses fette Schwein!“
Der Cheftrainer ist nach Moskau gefahren, um sich mit den Genossen vom Sportverband zu treffen. Er hat Anweisung gegeben, sie ohne seine Aufsicht nicht den Thomas-Salto üben zu lassen, aber das passt ihr nicht.
„Wenn du dich so aufführst, ändert das auch nichts.“
„Ach ja?“ Sie stellt sich mit verschränkten Armen vor mich und reckt das Kinn in die Höhe. „Zoya kommt damit anscheinend jedes Mal durch.“
„Zoya kommt mit überhaupt nichts durch, Ana“, sage ich ruhig.
„Als die Leute vom Fernsehen da waren, hat sie sich wie eine debile Idiotin im Lagerraum versteckt. Das ist nicht das Holz, aus dem Sieger gemacht sind, Herr Trainer. Das meint auch der Herr Cheftrainer.“
Sie versucht mich zu provozieren, aber diesen Gefallen tue ich ihr nicht. Naumkin war wütend auf Zoya, aber hat sich beruhigt, als die Fernseh-Blondine das unterhaltsam fand: „Entzückend! So jung, so schüchtern und trotzdem so eine herausragende Turnerin.“
„Ich arbeite fast mein ganzes Leben lang für all das hier! Warum wollen mir alle meine Karriere kaputt machen?“, schreit Ana.
Nachdem ich mich von ihr abwende, geht sie hinüber zu den jüngeren Mädchen, die auf der Matte üben.
„Was soll das denn werden?“, kreischt Ana hinter meinem Rücken.
Stöhnend drehe ich mich nach ihr um, meine rechte Schläfe pocht unangenehm und ich entdecke, dass Ana sich neben den Schwebebalken gestellt hat, auf dem Emilia eine Drehung versucht.
„Du bewegst dich wie eine behinderte Kuh! Du ...“
Emilia rutscht beim nächsten Sprung ab und landet seitlich auf der Matte. Mit geweiteten Augen sieht sie auf und Ana versetzt ihr einen Schlag, den das jüngere Mädchen mit dem Unterarm abwehrt.
„Schluss damit! Ana!“ Bevor ich bei den beiden bin, um sie auseinander zu halten, lässt Ana von Emilia ab.
Emilias Augen sind glasig, aber sie hievt sich zurück auf den Schwebebalken, ohne etwas zu sagen.
Etwas später beobachte ich, wie Ana Emilia am Sprungtisch einen Vortrag hält. Zoya steht hinter Ana und schneidet Grimassen, die nur Emilia sehen kann – und die senkt den Kopf, um ein Lachen zu unterdrücken.
„Was ist denn daran so lustig, dass du eine trampelige Kuh bist?“, ereifert sich Ana.
„MUH!“, macht Zoya laut und sie und Emilia brechen in schallendes Gelächter aus.

„Warum hast du Ana nicht geschlagen?“, will meine Nichte am Abend bei unserem gemeinsamen Spaziergang wissen.
„Weil ich das nicht gerne tue, das weißt du.“
„Hm.“ Sie knetet nachdenklich die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. „Sogar der Herr Cheftrainer schlägt sie, dabei ist sie sein Liebling. Eigentlich ist sie, glaube ich, die einzige, die er leiden kann.“
„So, meinst du?“
„Ja.“ Sie nickt mit gewichtiger Miene.
„Du musst dich nicht wundern, dass er dich nicht mag, wenn du dich vor ihm und den Fernsehleuten versteckst.“
„Die waren doch wegen Ana da.“
„Du hast auch Eindruck gemacht in Rotterdam.“
Wir schlendern eine Weile schweigend am Waldrand entlang. Zoya beobachtet den Sonnenuntergang vor uns und ich beobachte sie.
„Deine Mutter hat es geliebt, vor vielen Menschen aufzutreten.“
„Sie war Balletttänzerin, das ist was anderes.“
„Aber ich war Turner. Und mir haben Zuschauer nichts ausgemacht.“
„Mir machen die Zuschauer auch nichts aus“, widerspricht sie und vergräbt die Hände in den Taschen ihres Mantels. „Ana ist jedenfalls eine doofe Ziege. Ich versteh’ nicht, warum sie sich so aufführt. Alle sagen, sie ist die Beste. Alle bewundern sie. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, wäre ich glücklich.“
„Du musst sie verstehen: Sie ist achtzehn, in Seoul wird sie neunzehn sein. Für die übernächsten Spiele, wenn du auf jeden Fall teilnehmen kannst, ist sie vielleicht zu alt. Für die Spiele vor drei Jahren in Los Angeles wäre sie im richtigen Alter gewesen, aber du weißt ja ...“
„Wir haben nicht teilgenommen“, sagt sie.
„Stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wenn jemand den wichtigsten Wettkampf deines Lebens absagt, obwohl du bereit bist.“ Ein sowjetischer Sportler, der nie Gold geholt hat, ist nichts wert, das weiß ich aus bitterer Erfahrung.
Wie bleiben beide stehen und ich sehe ihr direkt in die blauen, mandelförmigen Augen. Das Licht des Sonnenuntergangs taucht die linke Hälfte ihres Gesichts in gleißendes Rot und auf den ersten Blick erinnert es an eine Wunde. Als habe sie sich verletzt.
„Bin ich bereit?“, fragt Zoya.
„Es fängt im Kopf an.“ Mit dem Zeigefinger tippe ich ihr an die Schläfe. „Sag dir da oben, dass du bereit bist – und dann geh und hol dir, was du willst.“ Ich lege ihr die Hand auf die Schulter und führe sie weiter.
„Ich könnte an drei Olympiaden teilnehmen“, rechnet sie, „An genau so vielen wie Larisa Latynina.“ Latynina, die erfolgreichste sowjetische Kunstturnerin, ihr großes Idol. Neun olympische Goldmedaillen. Zoya hat sich mit sieben bereits ausgerechnet, wie viele Medaillen sie braucht, um Latyninas Rekord zu brechen.
Sie wird im nächsten Monat erst dreizehn, wir haben behauptet, sie sei vierzehn, damit sie mit nach Rotterdam und im nächsten Jahr nach Seoul kann.
Ich weiß noch, wie sie mit fünf aussah, als ich sie von ihrem Vater weggeholt habe: mutter- und hoffnungslos, das Gesicht vollkommen verdreckt und verklebt, das dunkle Haar strähnig und fettig. Seit Tagen nichts mehr gegessen, dafür übersät mit blauen Flecken.
„Ich nehm’ dich mit“, sagte ich zu ihr.
Die treue kleine Seele antwortete: „Ich kann Papa nicht alleine lassen.“
In dem Moment habe ich mir gewünscht, so geliebt zu werden. So geliebt zu werden wie dieser Mann, der im eigenen Schmutz auf dem Boden lag, weil er bis zur Besinnungslosigkeit getrunken hatte.
„Die einzige, die hier alleine ist, bist du!“, erwiderte ich. Das war eine Lüge, denn ich war ebenso alleine.

„Zoya hat übrigens wieder Post bekommen. Ich hab’ dir die Briefe da hinten auf den Schreibtisch gelegt.“ Sascha räkelt sich gähnend und legt einen Arm um mich, als er sich umdreht. Er beaufsichtigt die Mädchen außerhalb der Turnhalle, wenn sie essen oder Hausaufgaben machen. Viele von ihnen kennt er deshalb gut, hört sich ihre Sorgen an oder schlichtet die Streitigkeiten unter ihnen. Mit den anderen Betreuern ist er für über hundert Mädchen zwischen sechs und achtzehn Jahren verantwortlich und ich beneide ihn nicht um seine Aufgaben. Er teilt außerdem die Post aus und ich habe ihn gebeten, mir alles zu geben, was an Zoya adressiert ist.
„Drei Briefe gleich. Wer schreibt ihr da so viel? Ein Verehrer, den du nicht magst?“
„Niemand Wichtiges.“ Der einzige, der ihr schreibt, ist ihr Vater. Wirre Nachrichten, teilweise unleserliches Gekrakel, das er volltrunken zu Papier gebracht hat. Zusammenhanglos wirft er seiner zwölfjährigen Tochter vor, sie würde ihn hintergehen, würde sich benutzen lassen von ihrem bösen Onkel, er verflucht und beschimpft sie – „Du bist ein Miststück wie deine Mutter!“ – und im nächsten Absatz beteuert er ihr, wie sehr er sie liebe und dass er sie holen komme, keine staatliche Anordnung der Welt könne ihn daran hindern. „Du bist noch viel zu jung, viel zu unschuldig, du weißt nicht, was sie dir antun. Sie quälen dich, das spüre ich. Ich beschütze dich, ich komme, halte durch!“
Es ist erbärmlich und mir wird übel, wenn ich diese Briefe lese, deshalb zeige ich sie Zoya nicht.
„Wenn du mich fragst, musst du dir keine Sorgen mache. Dass Jungs existieren, hat sie noch nicht gemerkt. Andersherum ...? Nun ... Die anderen Trainer haben zu viel Respekt vor dir. Außer Naumkin, aber der hat seine kleine Ana.“ Er sieht mir in die Augen und zieht die Stirn leicht in Falten. „Zoya hat Glück. Sie hat dich.“
Er ist nicht der erste, der mir das sagt. Nicht der erste, der es missversteht. „Ich habe Glück. Ich habe sie.“
An ihrem dritten Geburtstag schlug sie mit ihren älteren Cousinen im Wohnzimmer um die Wette Purzelbäume und war die Beste. Ich erholte mich von einer Operation am Bein – meine letzte Hoffnung – und hatte ein paar Tage zuvor erfahren, dass meine Karriere als Turner vorbei war. Die letzte große Schlagzeile über mich: Die Olympischen Spiele ohne Marmeladow. Ich war am Ende.
„Das ist doch sowieso nur verlogene Propaganda.“ Mein Schwager freute sich über meine Niederlage. „Sie saugen ihre eigene Bevölkerung aus, um dem Rest der Welt weiszumachen, wir hätten es hier so toll. Einen Dreck haben wir!“
„Nicht traurig sein.“ Zoya kletterte auf meinen Schoß und tätschelte mir die Wange. „Wenn ich mal eine Goldmedaille bekomme, schenk’ ich sie dir.“
Ich bin der Glückliche: Ich habe sie. Dieses kleine, begabte Mädchen, das seit seinem sechsten Lebensjahr unermüdlich arbeitet. Andere Kinder spielen sorglos auf der Straße, essen Schokolade und Kuchen, treffen sich mit ihren Freunden. Zoya hat das nie gehabt – und sich mit keinem Wort beklagt.
All unsere Mädchen sind so: Zielstrebig, konzentriert. Erwachsene Seelen, eingesperrt in diesen Kindskörpern, die sie sich durch Hungern erhalten. So wollen wir sie haben. Das Ideal des sozialistischen Kindes: Überragend, folgsam, darauf erpicht zu entbehren.
Sowjetische Kinder stopfen sich nicht mit Süßigkeiten voll und lungern herum. Sie schweben über den Boden und springen und tanzen mit Anmut und Energie. Sie sind nicht verkommen, sie sind vollkommen.
Zoya wird die Beste von ihnen sein. Ich habe ihr versprochen, sie dazu zu machen. Ich wollte, dass sie mich liebt. Vergiss deine tote Mutter, vergiss deinen nichtsnutzigen Vater, du hast mich und ich werde dir die Sterne vom Himmel holen. Nein: Ich werde dich zu einem Stern machen.
„Ich kann Papa nicht alleine lassen.“
Was ist mit mir? Ich bin auch alleine, Zoya – ohne Eltern, ohne Schwester, ohne Traum. Alles verloren. Nur dich habe ich. So will ich von dir geliebt werden: So, dass du mich nicht alleine lassen wirst. Denn ich kann dir die Welt zu Füßen legen. Wenn du mir folgst, erwartet dich Ruhm, wir reisen an Orte, die sonst unmöglich zu erreichen sind und dort werden dich alle bewundern.

„Larissa, nun stell dich nicht so an!“ Der Cheftrainer ist wütend. Larissa ist zu vorsichtig beim Training. Sie hat sich das Bein verletzt, aber darauf kann er keine Rücksicht nehmen. Er glaubt daran, dass ein starker Wille die Unzulänglichkeiten des Körpers überwinden kann.
Larissa sieht verzweifelt zu mir, doch ich wende mich ab. Ich bin nicht der Cheftrainer. Ana steht mit verschränkten Armen ein Stück entfernt und lächelt. „Sie ist so eine Heulsuse!“, meint sie zu mir.
Ich habe mit einem angebrochenen Knöchel geturnt – das war das letzte Mal, dass ich an einem Wettkampf teilnehmen konnte.
Zoya steht auf dem hohen Holm des Stufenbarrens, wirft sich furchtlos nach hinten zu einem Korbut-Salto, aber als sie mit den Händen nach der Stange greift, rutscht sie ab und landet auf der Matte.
„Konzentrier dich!“ Der Trainer, der daneben aufpasst, zieht sie am Oberarm auf die Beine. „Na los doch!“
Stöhnend schwingt sie sich zurück auf das Gerät, versucht es erneut und fällt.
„Jetzt reicht es! Geh da rüber, los!“ Der Trainer packt sie. „Geh nach da drüben und üb deine Sprünge. Aber ein bisschen plötzlich! Ich würd’ dich am liebsten an die Wand werfen, das sag’ ich dir! Heute will ich nichts mehr von dir sehen!“
Emilia kommt als nächste an den Stufenbarren, sie stürzt beim Überschlag und der Mann verliert die Geduld. Er ohrfeigt sie und schubst sie in Zoyas Richtung. „Du auch, da rüber! Kommt mir ja nicht mehr unter die Augen, sonst schlag’ ich euch grün und blau, ich schwör’s!“
Zoya zuckt nicht mit der Wimper, aber Emilia nimmt sich die Worte des Trainers zu Herzen. Mit großen Augen wirft sie mehrmals einen Blick über die Schulter zu ihm und beißt sich auf die Unterlippe.
„Alles in Ordnung?“ Zoya legt ihr die Hand auf die Schulter und umarmt sie kurz.
„Zoya, komm her!“, rufe ich sie. Sie zögert und sieht mich ausdruckslos an.
„Sofort.“
Langsam lässt sie das andere Mädchen los und gehorcht.
„Was machst du heute, hä? Was soll das?“
„Es tut mir leid“, erwidert sie ungerührt und blickt mir direkt ins Gesicht.
„Ihr müsst euch konzentrieren, verstehst du? Euch zusammen nehmen. Da eben am Stufenbarren hättest du dich verletzen können. Also pass gefälligst auf! Du hast verdammten Mist gebaut, ich bin enttäuscht.“
Kein Muskel zuckt in ihrem Gesicht.
„Los, geh da rüber zur Matte. Wir machen mit deiner Bodenübung weiter.“
Sie gibt sich Mühe, doch bei ihrer letzten Bahn – Überschlag, Drehung, Salto, Überschlag – reißt sie der Schwung ihres eigenen Körpers am Ende von den Füßen.
„Das kann doch nicht wahr sein! ZOYA!“ Mir rutscht die Hand aus, als sie an mir vorbei trottet, aber sie macht keinen Mucks, als ich sie mit der flachen Hand im Nacken treffe. „Jetzt hab’ ich aber auch die Nase voll!“
„Tut mir leid.“
„Du hast zu viel Schwung. Beim letzten Rückwärtssalto musst du den Oberkörper früher nach vorne nehmen, damit du bei der Landung nicht umfällst.“
Sie versucht es, aber stürzt trotzdem.
Vielleicht fehlt ihr die Kraft in den Beinen, überlege ich, wir sollten mehr Übungen dafür machen. Ich werde von einem Schrei aus meinen Gedanken gerissen. Dieses Geräusch hält für einen Moment die Zeit an – alles erstarrt, alles verstummt.
Danach dreht sich die Welt weiter, viel schneller und unkontrolliert: Drei der Trainer, darunter Naumkin, rennen los. „Bleibt, wo ihr seid, es ist alles in Ordnung!“, ruft der Cheftrainer den Mädchen zu, die mit geweiteten Augen umherblicken.
Ana liegt am Boden und Naumkin redet auf sie ein, sie solle sich nicht bewegen. Das Mädchen stöhnt und schluchzt.
„Holt den Arzt, holt den Arzt!“

Zoya sitzt auf meinem Bett, als ich in mein Zimmer komme. Draußen ist es dunkel, aber sie hat das Licht nicht angemacht.
„Stimmt es, dass Ana nie wieder gehen kann?“, fragt sie unvermittelt.
„Ihr Unfall ist erst eine Woche her. Das kann man noch nicht sagen“, weiche ich aus.
„Aber sie kann nicht mit nach Seoul, oder?“
„Wir werden sehen.“
Sie senkt den Blick und betrachtet ihre Hände, die gefaltet vor ihr liegen. „War der Herr Sportminister deshalb da? War er wütend?“
„Wie kommst du darauf?“
„Mir kommt er immer wütend vor.“
„Er war hier, weil wir über einen möglichen Ersatz für Ana gesprochen haben.“ Das ist die halbe Wahrheit: Wir werden auf jeden Fall eine andere Turnerin brauchen. „Wenn Ana nicht mitkommt, wirst du umso wichtiger.“ Ich setzte mich zu ihr auf die Bettkante.
„Manchmal wünschte ich mir, du wärst normal.“ Sie hält die Augen gesenkt und redet so leise, dass ich genau hinhören muss. „Du würdest Frauen mögen, dann könntest du heiraten und eigene Kinder haben.“
Ich habe das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Als hätte ich vergessen, wie man Luft holt. Für ein paar Sekunden geht es mir wie Ana: Mein Körper gehorcht mir nicht, ist lahm und nutzlos.
„Keine Angst, ich bin nicht blöd. Ich verrat’s niemandem. Dass du Sascha so magst. Und andere Männer.“ Schließlich blickt sie mir in die Augen, ruhig und ohne eine Regung in der Mimik. „Ich fänd’s nur manchmal schön, wenn du anders wärst. Normal. Meinetwegen. Dann würdest du mich in Ruhe lassen.“
„Willst du das denn wirklich? Dass ich ... Dass ich dich in Ruhe lasse?“ Mein Mund ist trocken und hinter meinen Augen beginnt es zu brennen. Wie schafft das dieses kleine Biest? Wieso tut sie mir das an? Wie ...
„Nur manchmal. Aber eigentlich nicht. Denn dann hab’ ich nichts mehr.“
„Hast du Angst, dass es dir so geht wie Ana? Das ist ein ... ein dummer Unfall gewesen, Zoya.“ Sie ist bei ihrem Thomas-Salto auf dem Kinn gelandet und hat sich zwei Halswirbel gebrochen – sie wird tatsächlich nie wieder gehen können.
„Nein. Ich hab vor gar nichts Angst.“
„Du bist noch sehr jung, deshalb glaubst du’s mir vielleicht nicht, aber ich tue das alles für dich. Wir tun das gemeinsam. Weil du etwas schaffen kannst, was andere nie erreichen können. Eines Tages wird sich das alles auszahlen, dann wirst du froh sein, dass du durchgehalten und so hart gearbeitet hast.“
Ihr Oberkörper schnellt nach vorn und sie wirft ihre Arme um mich. Für einen Moment taumle ich nach hinten, finde das Gleichgewicht aber, bevor ich abrutsche. „Ist ja gut!“ Wie klein sie ist, fällt mir auf. Ich bin überrascht, denn so zerbrechlich wirkt sie nie, wenn ich ihr beim Turnen zusehe. Jeden Knochen kann ich ertasten – Rippen und Wirbel und Schulterblätter. Nichts, unter dem sie sich verstecken kann.
„Das ist deine Chance, Zoya. Enttäusch mich nicht.“

„Ein Kilo. Eineinhalb vielleicht. Sie hat zugenommen. Sie war zu schwer, deshalb hat sie versagt!“, verkündet Naumkin am Tag nach dem Besuch des Sportministers. Er ist am Boden zerstört. Ana war sein Mädchen. Durch und durch. Er hat sie zu dem gemacht, was sie war. Was sie jetzt ist – ein armer kleiner Krüppel! –, dafür will er nicht verantwortlich sein. Das erträgt er nicht, das sieht man ihm an: Dunkle Ringe unter seinen Augen, das sonst glatt rasierte Kinn bedeckt mit schwarzen und weißen Bartstoppeln. Immer wieder reibt er sich mit beiden Händen über das Gesicht, während er auf mich einredet.
„Wir müssen mehr darauf achten, was die Mädchen essen. Ich habe neue Diätpläne, alles durchdacht und mit Experten abgesprochen. Ich hab’ mich schlau gemacht.“
Morgens um halb sechs weckt er die Mädchen zum Waldlauf, danach frühstücken sie – drei Scheiben Salami, eine Hand voll Mandeln – und trainieren drei Stunden. Die Lehrer kommen für den Schulunterricht in die Turnhalle, bevor sie bis in die Nacht weiter trainieren. Naumkin gibt seinen Zoo aus Schwänen, Äffchen und „unfähigen Kühen“ nicht mehr aus der Hand.
Zoya macht mit. Sie wirft einem Lehrer das Matheheft entgegen und beginnt sich für den Stufenbarren aufzuwärmen, taub für die Rufe, sie solle zurückkommen und lernen. Naumkin zuckt mit den Schultern und ich gebe vor, die Szene nicht bemerkt zu haben, sondern biete Hilfestellung an.
„Brauch’ ich nicht“, sagt sie brüsk und schwingt sich auf den unteren Holm. Der Stufenbarren war immer ihr Lieblingsgerät. Die Bodenübung macht den Turner sympathisch, es gibt Musik und Tanz. Der Schwebebalken fordert heraus, verlangt einem mehr Konzentration und Selbstdisziplin ab als die anderen Geräte. Der Sprungtisch ist der tückische Freund – entweder man triumphiert oder geht unter. Dazwischen gibt es nichts. Einen Moment von größter Stärke und Geschicklichkeit muss man aufbringen, dann ist es vorbei.
Der Stufenbarren ist zum Fliegen da, meinte Zoya, als sie mit dem Turnen angefangen hat.
„Deine Wechsel sind schlampig“, tadle ich sie, als sie fertig ist.
„Sind sie nicht“, erwidert sie, „Aber ich hab nicht genug Schwung für den Abgang, hast du’s nicht gesehen?“
„Nein, der Abgang war gut.“
„Du hast nur nicht aufgepasst, er war nicht gut!“
„Doch, aber ...“
„Nein!“
„Der Abgang war wirklich schlampig.“ Naumkin stellt sich neben mich und fuchtelt mit den Armen herum. „Na los, mach noch mal. Und streng dich an, mehr Schwung und die Beine ganz durchstrecken!“
„Ja!“ Sie nickt eifrig und nimmt die Übung erneut in Angriff.
„Ich kümmere mich drum, Marmeladow, schauen Sie nach Larissa.“

„Du musst lächeln, Mädchen, lächeln! Niemand will so einen Griesgram sehen!“ Marcel, unser Choreograph, läuft händeringend am Rand der Matte auf und ab. „Lächeln!“
Zoya bleibt nach einem Überschlag stehen und biegt die Mundwinkel nach oben.
„Das ist doch kein Lächeln!“, brüllt Marcel und stampft mit dem Fuß auf.
„Komm her, komm her!“ Naumkin winkt sie auf ihre Ausgangsposition. „Nochmal. Konzentrier dich. Denk dran, deine Zehenspitzen richtig zu durchzustrecken.“
„Und lächeln! Lächeln!“, fügt Marcel hinzu.
Sie reibt sich die Augen und atmet schwer, als sie auf uns zukommt. Ich kann sehen, dass sie erschöpft ist. Ihr Gesicht ist blass und schweißnass, aber sie sagt nichts und beginnt ihre Kür.
Naumkin hat den Choreographen mit einer neuen Bodenkür für Zoya beauftragt. Die Übungen der anderen entsprechen der typisch russischen Art des Bodenturnens, mit der wir seit Jahrzehnten den Ton angeben: angelehnt ans klassische Ballett, elegant. Nach ihrem waghalsigen Thomas-Salto beispielsweise tanzte Ana mit fließenden Bewegungen weiter. Zwischen den halsbrecherischen Sprüngen und Drehungen war sie ein Schwan, war sie Anmut.
Zoya ist das Äffchen. „Wie ein Lausejunge “, erklärte Naumkin, „So soll’s aussehen. Alle täuschen Jugend vor – wir haben Jugend.“ Zu einem pfiffigen Charleston hüpft sie umher, wackelt mit Armen und Beinen, springt und rennt. Dass Äffchen, der Lausejunge, ein spielendes Kind, das gar nicht spielt.
Sie meint es ernst. Es ist eine Kriegserklärung an die Welt.
Nur noch die Mädchen aus der Ersten Mannschaft – die, die wir zu den Wettkämpfen mitnehmen – sind in der Halle, es ist fast Mitternacht. Wir haben die Fenster geöffnet, denn es war ein heißer Tag und die Kühle der Nacht tut allen gut.
„Höher, höher!“, brüllt Naumkin, „Und jetzt streck den Arm richtig durch. Los! Nicht so. Streck den verdammten Ellbogen durch!“
Am Ende ihrer Kür kniet sie auf dem Boden, den Rücken durchgebogen, den linken Arm triumphierend erhoben. Jede Muskelfaser in ihrem Körper angespannt. Ihr Atem geht schwer und sie japst nach Luft, als sie versucht zu lächeln.
Naumkin dreht sich kopfschüttelnd zur Seite. „Was sagen Sie?“
Ich beobachte Zoya, wie sie von der Matte abgeht. Sie ist dreizehn, drei Wochen nach den Olympischen Sommerspielen wird sie vierzehn. Aber ihr Körper ist der einer Zehnjährigen. Kurvenlos vom Hals bis zu den Zehenspitzen - so gerade wie mit dem Lineal gezogen.
„Sie hat Fortschritte gemacht“, gebe ich zu. Der Cheftrainer nickt.
„Die Rumänen werden sehen ... Alle werden sehen. Haben Sie gelesen, was die Presse in Rumänien schreibt?“ Er lacht trocken auf. „Dass wir ohne Anastasia nichts mehr haben. Ha! Sie werden sehen ...“
„Apropos: Wie geht es ihr?“
Er schüttelt den Kopf. „Es ist vorbei. Aber das darf uns nicht aufhalten. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen, können Sie eine Weile das Kommando führen? Dankeschön.“ Er verabschiedet sich mit einem Schulterklopfen und lässt mich mit den Mädchen zurück.
„Wir müssen zum Stufenbarren“, verlangt Zoya sogleich und geht voran, ohne auf mich zu warten.
Sie ist keine Dreizehnjährige. Sie hat kein Alter mehr, kaum noch ein Geschlecht. Sie ist ein Meter fünfundfünfzig Hoffnung: für Olympisches Gold, für Erfolg. Ein dreiundvierzig-Kilo-Aushängeschild der sozialistischen Überlegenheit. Die Kinder in unserem Staat sind keine Kinder, sie sind Überkinder.

„Hast du schon mal daran gedacht zu heiraten?“, fragt mich Sascha eines Nachts, als wir beide nicht einschlafen können.
„Ist die Frage ernst gemeint?“
„Ja klar! Wenn du verheiratet wärst, wär’s weniger auffällig. Du weißt schon ...“
„Hast du vor zu heiraten?“
„Ich denke schon. So ein Mädchen, mit dessen Familie wir uns früher die Wohnung geteilt haben. Sie arbeitet in einer Bäckerei in Noginsk. Sie ist nicht besonders hübsch anzusehen, deswegen findet sie keinen Kerl, hat mir ihr Vater geschrieben.“
„Und dich gefragt, ob du sie nimmst?“
„So ähnlich. Hübsch ist sie wirklich nicht, sehr dick – und auch nicht helle. Aber umso besser. Hässliche Frauen haben weniger Ansprüche, sagt mir mein Bruder zumindest. Und wenn sie dumm ist, kommt’s mir ebenfalls gelegen.“
„Das klingt gut“, lüge ich, weil ich mich gezwungen fühle, etwas zu sagen. Ich sollte ihm die Idee nicht ausreden, denke ich, denn er hat Recht. Zu heiraten ist durchdacht.
„Ein paar Kinder wären nett“, fährt er fort, „Ich mag Kinder sehr. Ein paar kräftige Jungs. Denen würd’ ich Boxen beibringen. Das hab ich früher gemacht. Diese ganze Turnerei finde ich nicht gut, um ehrlich zu sein. Ich seh’ ja, was sie aus es aus den Mädchen hier macht. Ich hab’ Emilia erwischt, wie sie aus der Toilette getrunken hat.“ Naumkin hat seit zwei Tagen das Wasser rationiert, sogar die Wasserhähne abgestellt, aber darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Er meint, die Rumänen würden das auch so machen. Er hat sich genau informiert.
„Das verrückte Ding!“ Ich schüttle den Kopf. „Wenn sie so viel Energie darauf verwenden würde, mit uns zu arbeiten anstatt gegen uns ...“
„Sie ist nicht die einzige. Die Mädchen nehmen alle Gläser mit auf die Toilette.“
„Zoya auch?“
„Ich denke nicht. Aber in letzter Zeit wirkt sie verändert auf mich.“
„Ja, das ist mir schon aufgefallen. Sie ist nicht mehr so kindisch und hat noch einmal große Fortschritte gemacht. Das sieht sogar Naumkin.“
„Das meinte ich nicht. Ob diese Diät so gut für sie ist? Ich seh’ ein, dass man zum Turnen zierlich sein muss, aber ein paar Muskeln braucht man, oder? Zoya sieht so abgemagert aus, als habe man sie eben aus dem Gulag geholt. Außerdem verhält sie sich anders. Vor ein paar Wochen haben sie und Emilia jeden Abend im Zimmer herumgetobt, als ich sie ins Bett schicken wollte. Die beiden waren ein Herz und eine Seele, haben viel gelacht. Das tun sie schon lange nicht mehr.“
„Sie wird erwachsen.“
„Mag sein. Aber da ist noch was anderes. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Früher war sie fröhlich und warmherzig, aber in letzter Zeit ... Sie beleidigt sogar Emilia. Früher hat sie unsere kleine Heulsuse getröstet und aufgeheitert – heute bringt sie Emilia zum Weinen.“
Auch mir wird Zoya fremd. Es ist kein Gehorsam, den sie seit Anas Unfall an den Tag legt. Es ist Konzentration. Sie trainiert und hungert und trainiert, aber nicht, weil wir es von ihr verlangen, sondern weil sie es will. Ihr diese Einstellung zu vermitteln war mein Ziel. Oder etwa nicht?
„Sie kann nicht schwimmen, weißt du“, platzt es aus mir heraus.
„Wie?“
„Ich wollte es ihr beibringen als sie sechs war. Wir waren am Meer, aber jedes Mal, wenn ich mir ihr ins Wasser bin und sie losgelassen habe, hat sie geschrien und geweint. Ich hab’ es drei Tage lang immer wieder versucht, aber sie wollte mich einfach nicht loslassen.“ Am Ende ging es mir nicht mehr darum, sie zum Schwimmen zu überreden. Ich stand mit ihr im Arm brusthoch im Wasser und wollte spüren, wie sie sich an mich drückt. Nicht loslassen, nicht loslassen, Onkel Eugen!
„Niedlich“, murmelt Sascha unbeeindruckt. „Wolltest du denn nie eigene Kinder?“
„Nicht wirklich. Als meine Karriere vorbei war, hat das Sportministerium vorgeschlagen, ich solle eine Eiskunstläuferin heiraten. Nettes Mädchen, etwas schüchtern, aber ganz reizend eigentlich. Wir waren sogar verlobt.“
„Was ist draus geworden?“
„Meine Schwester ist gestorben und ich hab ihr vorgemacht, ich wolle ihr nicht zumuten, ein fremdes Kind mit mir großzuziehen. Sie haben sie dann mit einem Skifahrer zusammen gebracht, glaube ich.“
Saschas Hand fährt in Kreisen über meinen Rücken. „Verrückte Welt, nicht?“
Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf die Hitze, die von seiner Handfläche ausgeht. Eine Gänsehaut legt sich über meinen ganzen Körper. „Verrückte Welt."

 
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Liebe Tell,

deine Geschichte hat mich berührt. Aus doppelter Sicht. Meine Eltern sind in der DDR groß geworden (ich selbst habe nur 5 Jahre mitbekommen ;)), haben also viel von sowjetischen/sozialistischen Idealen bzw. Vorstellungen von Disziplin und vor allem von der Außenwirkung mitbekommen. Das war ja in der DDR auch besonders wichtig: den Kapitalisten, der ganzen Welt zeigen, wie stark, wie perfekt man ist - keine Schwäche zeigen! Ich selbst finde ja den Gedanken des Kommunismus schön, nur leider sind die Menschen irgendwie nicht in der Lage, ihn so zu leben, wie er gedacht ist und schon landen wir in einer Regierungsform, die unterdrückende Formen annimmt. Und ich finde, dass du diese Stimmung mit deiner Geschichte sehr gut eingefangen hast. Zum Beispiel mit Sätzen wie diesem hier:

Sie hat kein Alter mehr, kaum noch ein Geschlecht. Sie ist ein Meter fünfundfünfzig Hoffnung: für Olympisches Gold, für Erfolg. Ein dreiundvierzig-Kilo-Aushängeschild der sozialistischen Überlegenheit.

Zweitens finde ich, dass du den Sport, das Turnen, gut beschreibst. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, du kennst dich damit aus. Oder aber du hast gut recherchiert. So oder so klingt es gekonnt. Ich habe selbst früher geturnt und jahrelang Ballett getanzt und fand das wirklich passend beschrieben. Vor allem, wie trainiert wird. Die eiserne Disziplin, die verlangt wird. Ich habe mich ja früh dazu entschieden, nicht in diese krasse Wettbewerbsschiene zu gehen, einfach weil ich meine Freizeit haben wollte und weil meine Eltern da sehr auf mich geachtet haben. Steht man als Kind aber anders im Leben da, dann ist der Sport einfach alles für einen und der Trainer hat leichtes Spiel, sich seine Turnroboter zu züchten. Das alles gefällt mir wirklich wirklich gut!

Auch die eingestreuten Informationen über die sexuelle Ausrichtung des Erzählers und die Vergangenheit von Zoya sind sehr geschickt eingearbeitet. Nicht so plakativ.

Ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

Hastig um umarmt sie mich und ich fahre ihr durch die kurzen, schwarzen Locken.
Das "um" ist doppelt gemoppelt.

„Ein unruhiges Äffchen“, lacht Naumkin. Ein Äffchen unter seinen Schwänen. Damit hat er nicht gerechnet – aber ich.
„Komm her, mein Äffchen!“ Ich setze sie wieder auf meine Schultern. Noch mehr Blitzlichtgewitter. „Ihr erster großer Wettkampf“, erklärt der Cheftrainer den Journalisten.
Auch die Presse liebt das Äffchen.
Vielleicht ein bisschen viele "Äffchen".

„Nachdem unsere Nation sich erfolgreich widersetzt und nicht an den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles teilgenommen hat“, erklärt die Fernseh-Blondine überschwänglich, „Stehen Sie doch bestimmt unter besonderem Druck für das nächste Jahr in Seoul?“
Du unterbrichst den laufenden Satz hier doch nur, muss daher das Wort "stehen" nicht klein geschrieben werden?

Geh’ dich aufwärmen und wenn du damit fertig bist, zeigst du uns deine Übung am Stufenbarren.“
Habe ich erst vor ein paar Tagen durch meine eigene Geschichte gelernt. Das ist ein Imperativ, hier braucht es keinen Apostroph, also "Geh".

Ebenso hier:

Lass’ das, du bist kein Kleinkind!“
--- "Lass"

Und hier:

Sag’ dir da oben, dass du bereit bist – und dann geh’ und hol’ dir, was du willst.“
Mehr Beispiele suche ich jetzt nicht raus, schau den Text einfach nochmal nach diesen Imperativen durch.

Mein Schwanger freute sich über meine Niederlage.
"Schwager"

Deine Personenbeschreibungen mag ich total. Ich konnte die perfektionistische Ana von Anfang an nicht leiden und habe die wilde kleine Zoya sofort ins Herz geschlossen. Die Fallhöhe für Ana ist natürlich extrem, für sie ist die Verletzung das Ende, sie wird allein gelassen. Aber nicht nur das ist tragisch, sondern auch Zoyas Entwicklung am Ende der Geschichte macht traurig. Sie hat ihr Kindsein verloren. Der Erzähler ist ebenfalls gut beschrieben. Er ist sensibel, muss seine Sexualität verbergen, überlegt sogar, zur besseren Tarnung zu heiraten - auf der anderen Seite lässt er sich nach außen nichts anmerken (außer bei Zoya und seinem Freund) und spielt den harten Trainer. Das fand ich gelungen charakterisiert.

Toll, Tell :), gerne gelesen!
RinaWu

 

Liebe Tell,

ich möchte mich RinaWus Kommentar anschliessen. Auch ich habe den Text sehr gerne gelesen - und da ich mich im Turnen so gut auskenne und daran interessiert bin wie ein Elefant im bzw. am Disco-Fox, war ich umso erstaunter, wie mich die Geschichte durch diese Turnszenen getragen hat.

Ich fand die verschiedenen Figuren sehr schön gezeichnet, vor allem die Turnerinnen. Sascha hingegen konnte ich nicht so richtig fassen, aber vielleicht liegt das daran, dass er nicht so eine grosse Rolle spielt; aber vielleicht habe ich da auch ein paar Dinge überlesen.

Einen kleinen Fehler habe ich noch entdeckt:

„Ich trainiere Anastasia, seit sie acht Jahre alt sind (ist?)

Ein wenig enttäuscht war ich vom Schluss - nicht, ich ihn schlecht finde, sondern weil die Geschichte nach meinem Empfinden fast mittendrin aufhört. Ana ist aus dem Rennen; mich hätte es noch interessiert, ob Zoya ihre "Gabe" ("Zoya kann in die Zukunft sehen. Das ist ihr Geheimnis.") in Seoul zu aller Zufriedenheit nutzen kann. Die Beziehung: mich wundert, ob die beiden einmal auffliegen? Zoya hat es ja gemerkt, vielleicht noch eine andere Turnerin? Zoyas Schwimmkünste; die Olympiade in Seoul.

Ich glaube ja, dass du die Enden absichtlich alle offen lässt - aber du siehst, dass mich die Geschichte so gefesselt hat, dass ich gerne wüsste, wie das alles aus-, bzw. weitergeht. :)

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüsse
Raki

 

Hallo Tell!

Zoya kann in die Zukunft sehen. Das ist ihr Geheimnis.
Die Matte gibt unter ihren Fußsohlen nach, federt zurück und eine Wolke aus Magnesia wirbelt auf, bevor ihr Körper zum Stillstand kommt.
Sie kann in die Zukunft sehen. Ich habe es ihr beigebracht. Sie kann voraussehen, wo ihre linke Hand gleich sein wird und wie sie die rechte zu platzieren hat, um im übernächsten Schritt mit den Beinen richtig abspringen zu können. Jede drohende Fehlstellung bemerkt sie sofort und verbessert sie während der Bewegung. Das machte es ihr möglich zu fliegen.

Das finde ich, ist sehr schön geschrieben. Macht auch neugierig auf mehr ...

Ich finde, dass Du ausgesprochen anschaulich und treffend schreiben kannst. Hut ab.

Allerdings würde ich Dir raten, Dir "brisantere Themen" zu suchen, oder die "Kurzgeschichte" anders zu strukturieren.
Mich konnte die Geschichte nicht fesseln; mir war das zu glatt. - Also ein toller Einstieg, aber dann ... Rumgeturne, hohe Punktzahl, andere Turnerinnen ... wo ist da der Konflikt, das Problem, die Tiefe?

Mag sein, dass das dann im späteren Verlauf ersichtlich wird. Mag sein, dass hier - und auch grundsätzlich - einige Leser freundlich alles lesen, was Du geschrieben hast.
Ich persönlich habe es - leider - nicht getan, einfach weil ich nicht gefesselt genug war.

Möglich also, dass es einfach nicht mein Thema war. Möglich auch, dass Du vielleicht noch an Deinem "Spannungsbogen" und deiner "Hauptthematik" arbeiten könntest.
Das wollte ich Dir mitteilen, weil ich wirklich finde, dass Du gut schreiben kannst.

Und: Hab vorhin Deinen Komment unter der "Alpentrennungsgeschichte" gelesen. Gerne würde ich eine solche Geschichte mal lesen von Dir, denn sprachlich hast Du es drauf. ;)


Viele Grüße

Runa

 
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Es ist Naumkins Spezialität: Aus einem Sport für athletische junge Frauen Kamikaze für kleine Mädchen zu machen.

Zwölf Seiten Manuskript unter Time New Roman pt.12, heiliger bimbam, wollt’ doch zur Zeit keine Romane mehr lesen, der Piketty will doch endlich auch hier Einzug halten (und hat mir zugeflüstert: Am liebsten wär ich beim Kapital …, natürlich auf engl., da mein frz. abgrundtief schlecht ist), aber, naja, bissken Kondition hab ich ja noch,

liebe Tell.

Was da zwischen dem Eingangszitat und dem

Sie ist keine Dreizehnjährige. Sie hat kein Alter mehr, kaum noch ein Geschlecht. Sie ist ein Meter fünfundfünfzig Hoffnung: für Olympisches Gold, für Erfolg. Ein dreiundvierzig-Kilo-Aushängeschild der sozialistischen Überlegenheit. Die Kinder in unserem Staat sind keine Kinder, sie sind Überkinder.
abspielt, folgt in totalitären (und auch autoritären) Systemen nach dem immergleichen Schema ab und wir erleben hier ein paar Mechanismen. Es sind Mittel der Disziplinierung, wie am Anfang der Industrialisierung die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und damit der Volksarmeen ein Mittel war, Arbeiter zu disziplinieren. Selbst den Turnvater Jahn können wir in dieses System einbeziehen, der mittels der Turnkunst Gemeinschaftsbildung und Nationalbewusstsein förderte. Selbst die Abschaffung der Kinderarbeit geschah nicht aus Nächstenliebe, sondern weil die lieben Kleinen verkrüppelten und zumindest für den Militärdienst untauglich wurden.

Das Du erzählen kannst, was sag ich da, dass Du gut erzählst, weiß ich. Gleichwohl gibt es – bei einem Text dieser Länge nicht außergewöhnlich – gelegentliche Schnitzer, wie direkt am Anfang ein mir unverständlicher Gezeitenwechsel

… sofort und verbessert sie während der Bewegung. Das machte es ihr möglich zu fliegen.
Brav hebt sie die Arme
Der weiter unten sich wiederholt
„Deine Wechsel sind schlampig“, tadle ich sie, als sie fertig ist.
„Sind sie nicht“, erwiderte sie, …
und
…, sondern biete Hilfestellung an.
„Brauch’ ich nicht“, sagte sie brüsk und schwingt sich auf den unteren Holm.

Hier wurde schon drauf hingewiesen
Hastig um umarmt sie mich …
Weiteres Aufscheinen von Unkonzentriertheit (in der Reihenfolge ihres Auftritts)
„Ich trainiere Anastasia, seit sie acht Jahre alt sind“, fügt der Cheftrainer hinzu.
„Bitte, sei nicht mehr böse“, wiederholt sich und legt ihren Kopf in meinen Schoß.
„Ich nehm’ dich mit“, sagte ihr zu ihr.
Mein Schwanger freute sich über meine Niederlage.
„Konzentriert’ dich!“
Naumkin stellt sich nehmen mich
„Und jetzt streckt den Arm richtig durch. Los! Nicht so. Streck den verdammten Ellbogen durch!“
Ab und zu scheinstu dabei gegensätzliche Formulierungen im Kopf gehabt zu haben, wobei die unterlegene Konstruktion noch durchscheint. Sozusagen eine Art Rache de Verlierers ...

Sonstiges

„Ist die Frage ernst gemeint.“
Klingt’s nicht selber wie eine Frage?

Ein einziges Mal ist ein Komma nachzutragen

Zoya sieht so abgemagert aus[,] als habe man sie eben aus dem Gulag geholt

Hier nun wäre das „getrunken“ ohne Reflexivpronomen zu verwenden, aber an „sich“ weist es auf ein „sich betrinken“ hin

… und sich besinnungslos getrunken hatte.

Es ist erfrischend, schreibt eine Zeitung, zu sehen, dass die sowjetische Nationalmannschaft nicht aus emotionslosen Robotern besteht. Die vierzehnjährige Zoya Davydova gewann Gold am Stufenbarren und Gold mit der Mannschaft und war eine der beliebtesten Teilnehmerinnen der Weltmeisterschaft im Kunstturnen, die dieses Jahr in Rotterdam stattfand.
(wäre hier nicht Konjunktiv I, indirekte Rede halt, anzuwenden?)

Achten sie darauf, dass die Mädchen immer in Handtücher gewickelt sind
(Hie wäre m. E. die Höflichkeitsform „Sie“ angesagt)

Eine Fernsehpersönlichkeit ist dieses Kind wirklich nicht, …
(Hm, warum „Persönlichkeit“, wenn „fotogen“ doch auch fürs bewegte Bild gilt?)

Ich habe sie. Dieses kleine, begabte Mädchen, das seit ihrem sechsten Lebensjahr unermüdlich arbeitet …
(Kommt der Wechsel „Dieses … Mädchen, das … IHREM …“ nicht zu früh? Besser „seit seinem sechsten …“)
die sie sich durch Hungern erhalten.
(Das Substantiv „Hunger“ oder das Verb „hungern“)

So viel oder wenig und ohne Gewähr auf Vollständigkeit für heute!

Gern gelesen vom

Friedel

 

RinaWu
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar, ich hab ihn gestern Nachmittag gelesen und das war genau das, was ich nach einem bescheidenen Morgen gebraucht habe! :) Wenn du praktisch eine Turn-Expertin bist, bin ich gleich noch viel mehr geschmeichelt. ;) Bei mir ist es übers Kinderturnen (was eher ein wildes Herumtoben war) nicht hinausgekommen, aber Gymnastik, v.a. zur Zeit des Kalten Krieges, ist so eine Art Steckenpferd von mir (Olga Korbut, Nellie Kim etc.) und es freut mich, dass meine Recherchen gut waren und ich mich nicht sofort als absoluten Laien enttarnt habe durch groben Schnitzer.

Ich muss zugeben (wenn ich einmal ein bisschen plappern darf), dass Staaten wie die UdSSR und Rumänien (und auch die DDR) Turnerinnen hervorgebracht haben, die einfach beeindruckend sind in ihrer Körperbeherrschung. Allerdings wundert es mich nicht, wenn heute ans Licht kommt, was für Trainingsmethoden das waren. Ich möchte fast sagen: Man hätte es sich auch denken können ... Und das ist, wenn ich mich noch weiter aus dem Fenster lehnen darf, nicht nur ein Problem von "damals" und von "hinter dem Eisernen Vorhang", sondern hier und heute noch zu finden.

Da sollten auch mehr Eltern so sein wie deine und öfter überlegen, was wirklich das Beste für's Kind ist - anstatt sich von recht vagen Versprechungen bezüglich Erfolg leiten zu lassen.
Ich wollte mal Eiskunstläuferin werden und mir ging es ähnlich wie dir: Irgendwann kam der Punkt, an dem war das alles zu krass, zu viel Wettbewerb, zu viel einfach. Wenn man als Kind keine Freizeit hat, wann denn dann? Als Erwachsener schon zweimal nicht!

Auch mit dem Kommunismus muss ich dir zustimmen: Die Grundidee finde ich sehr ansprechend. Es gibt dieses Gedankenspiel: Man soll sich vorstellen, man ist in einem Kommittee, das die Macht hat, die Weltordnung neu aufzustellen und man muss aber damit rechnen, dass man selbst in diese neue Ordnung als der Schwächste hineingestellt wird. Die Hypothese dazu ist, dass so - unter diesen Voraussetzungen - die gerechteste Weltordnung entsteht. Die Idee fand ich immer sehr interessant.
Ich denke, der Kommunismus (bzw. die Idee) ist das, was dem am nächsten kommt. Allerdings ist es wie du sagst: Es entstand in der Realität daraus kein Staat, der Wert auf Gerechtigkeit etc. gelegt hat, sondern nur ein weitere totalitäres Regime, das dazu diente, die Machtgelüste weniger auf Kosten sehr, sehr vieler zu befriedigen. Nur der Name waren eben anders. Und im Angesicht der jüngsten aktuellen Entwicklungen kann man sagen: Es geht gerade so weiter. Ähnliche Brutalität, andere Bezeichnung.
Oh, aber ich schweife ab, pardon.

Das mit den vielen "Äffchen" sieht wirklich scheußlich aus, das werd ich ändern.
Und das mit den Apostrophen wusste ich so auch noch nicht, vielen Dank für den Hinweis! :)
Ebenso vielen Dank für den Hinweis auf die anderen Fehler, das ist super! (Ich bin so ein Schlamper!)

Dein Kommentar hat mich total gefreut, wie gesagt, auch im Hinblick darauf, dass du die Figuren so mochtest. ;) Ich muss sagen, die Geschichte entstand einfach in meinem Kopf und ich hab drei oder vier Ansätze gehabt, bis ich so weit war, dass ich mehr als zwei Sätze schreiben konnte, um sie zu erzählen.

Allerdings bin ich jetzt immer noch nicht ganz zufrieden, auch mit dem all zu offenen Ende und ich denke darüber nach, sie noch einmal neu zu schreiben aus auktorialer Sicht mit dem Fokus auf Zoya. Und vielleicht kann ich dir Ana da nochmal sympathischer machen, denn eigentlich hat sie es auch nicht leicht und ist ebenso Opfer der Umstände.

Raki Auch dir vielen Dank - für dein Lob, den Hinweis auf den Fehler (irgendwann schaff ich's mal, nicht so viele Leichtsinnsfehler reinzuhauen ... in 100 Jahren oder so, aber immerhin, ich geb' die Hoffnung nicht auf). Du hast wirklich sehr aufmerksam gelesen und es freut mich, dass es dich so begeistern konnte (auch als Turn-Interessierter).
Wegen des Endes: Wie gesagt, ich bin mit der Geschichte, wie sie so geworden ist, auch nicht mehr ganz glücklich und habe eine andere Fassung mit einem konkreteren Ende im Sinn. (Das hat mir gestern Nacht schon den Schlaf geraubt und ich denke, ich werde es nochmal umschreiben).


Jetzt ist fast Mitternacht und mir geht leider die Puste aus, aber ich werde morgen weitermachen ...
Ich wünsche allen angenehme Nachtruhe. :)

 

Endlich Zeit weiter zu antworten, jippie! :)
Runa Phaino Vielen lieben Dank für das Kompliment bezüglich meiner Sprache. ;) Deine lieben Worte haben mich sehr gefreut.

Und was du bezüglich des Spannungsbogens gesagt hast ... Hm ... Das hatte ich befürchtet bzw. da gebe ich dir recht.
Ich habe die Geschichte - die Personen, den Sport - die ich schreiben wollte im Kopf, da ist es ein ganzes Komplex (auch die Nebencharaktere haben eine eigene Geschichte und es gibt Details, die den Rahmen einer Kurzgeschichte dazu eindeutig sprengen würden). Deshalb habe ich beim Schreiben bzw. danach schon wieder radikal gekürzt, umgeändert und das war so viel Feinarbeit, dass ich dachte: Okay, so sitzt das jetzt. Aber Tage später - und als ich dann deinen Kommentar dazu las - war ich wieder nicht damit zufrieden. Es braucht eine Art Höhepunkt, die Verwandlung Zoyas läuft zu still ab, die Entfremdung zwischen ihr und ihrem Onkel/die Änderung der Mannschafts-Hierarchie als Zeichen für die Austauschbarkeit der Mädchen (und der Menschen). Nein, so gefällt es mir auch nicht. Und mehr Action!
Ich hab dazu auch schon einen Ansatz, bei dem es mir hoffentlich gelingt.

Die Alpentrennungsgeschichte, damit meinst du "Seelenverwandte"? Das ist lieb, dass du das sagst, dass du gerne eine "romantische" Geschichte von mir lesen möchtest, aber ich glaube, das wird grauenvoll werden. XD Eine romantische Ader habe ich nicht. Ich könnte es höchstens autobiographisch versuchen, aber das wäre dann zum Heulen. Und zwar nicht im schnulzig-emotional-Titanic-Sinn, sondern "grauenvoll zum Heulen". :P Aber ich verstehe, was du meinst.
Nochmal vielen Dank für deine Worte.


Friedrichard
Jetzt bekomme ich ein doppelt schlechtes Gewissen, dass du meinetwegen deine Vorsätze gebrochen hast und du dir dann auch noch die Mühe gemacht hast, alle meine Schlampereien aufzuzählen.
Deshalb erstmal: Ein FETTES (oh, pardon: ein adipöses) Dankeschön an dich. ☺ Ich werd’ gleich alles ausbessern (tut mir leid, dass ich bisher noch nicht dazu gekommen bin).

Vor allem freue ich mich natürlich, dass dir die Geschichte gefallen hat. ;)
Da ich mich ja selbst als desillusionierten Menschen sehe, der auch nicht mehr dran glaubt, dass etwas aus Nächstenliebe passiert, überrascht es mich nicht, was du zur Abschaffung der Kinderarbeit etc. geschrieben hast. Allerdings waren mir die konkreten Beweggründe dahinter nicht klar, gut zu wissen. ;) Danke.

Bei einer Anmerkung bin ich mir nicht sicher:
„die sich sich durch Hungern“
Ich dachte, Hungern sei hier ein substantiviertes Verb. Weil man ja auch sagen könnte: „Die sie sich durch (das) Hungern“ erhalten?
Was zumindest meine Annahme.

Viele liebe Grüße
Tell

 

Jetzt bekomme ich ein doppelt schlechtes Gewissen,
Nee, 's muss aber nicht sein,

liebe Tell,

und welche Schlampereien soll ich aufgedeckt haben? Da ist eher die Dudenredaktion gegenüber den eher unglücklichen Rechtschreibreformatoren schlampig und die Beschlüsse, die sie zu Anfang mitgetragen hat, aushebelt (Beispiel: 'noch einmal' zunächst in der umgangssprachlichen Verkürzung 'noch mal' zu akzeptieren und hernach nach zahlreicher Verwendung vor allem in SMS aufgekommene Zusammenschreibung 'nochmal' zuzulassen, dass die Message um ein Smiley bereichert werden kann ...)

Ähnlich geht's in unserm etwas anderen "Hunger"-strike zu:

Erwachsene Seelen, eingesperrt in diesen Kindskörpern, die sie sich durch Hungern erhalten.
Ginge es allein nach der Dudenredaktion, ginge "durch hungern" und "durch Hungern" durch, wiewohl die amtl. Richtlinie der Reformkommission empfiehlt, die Großschreibung entweder mit Artikel (wie Du es andeutest, was auch durch Zusammenziehung mit "durch" zum "durchs" geschehen kann), oder durch ein Attribut - ich nenn mal das Beispiel "durch strenges Hungern", kennzeichnen und somit sicherstellen sollte.

Nix zu danken & gern geschehn, sagt der

Friedel

 

Friedrichard
Ach Friedel, und ob ich dir zu danken habe. ;)
Schraiben wir in Zukunft einfach so, wie wir Wollen, dass ist bestimmd lustik. Wenn wir das nur hartnäckig genug durchziehen, passt sich die Rechtschreibreform schon an.
Ich kriege ja in manchen Foren schon einen Horror, wenn ich sehe, dass manche Leute nicht verstehen, dass man Substantive groß und Verben klein schreibt, und das konsequent andersherum machen.
"Letzten sommer Hab ich einen typen Kennengelernt" ... Also, wenn sich das irgendwann durchsetzt, dann wandere ich aus und mache chinesisch zu meiner Muttersprache!

Viele liebe Grüße
Tell

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tell,

gestern habe ich endlich Deine Geschichte fertig gelesen und eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass Du mehr als einen besonderen Draht zum Turnen hast und wenn Du schreibst, Du seist Laie auf dem Gebiet, dann ist es mir nicht aufgefallen - muss aber einräumen, dass ich überhaupt nicht turnen kann oder konnte.

Es gibt einige Stellen, in denen Du immer wieder darauf hinweist, wie klein und zerbrechlich die Mädchen sind

Seine Hand auf ihrem Rücken ist so groß, dass sie beide Schulterblätter bedeckt. [...] legt Ana den Arm auf die Schulter, der im Vergleich zu dem zierlichen Mädchen wie ein Baumstamm wirkt

das gefällt mir gut. Denn zum einen bekomme ich als Leser ein Gefühl dafür, welche Statur die Kleinen haben, aber auch, welche Macht von den Trainern ausgeht.

Vielleicht fehlt ihr die Kraft in den Beinen, überlege. ich, wir sollten mehr Übungen dafür machen Ich werde von einem Schrei aus meinen Gedanken gerissen.

Mit dem Unfall von Ana (auf Seite 12 und 13, ich bervorzuge Courir New) habe ich nicht gerechnet. Zuerst bin ich ganz bei dem "Äffchen" und dann liegt der Focus auf einem Unglück und erst acht Zeilen später präsentierst Du dem Leser die Verünglückte. Auch das hat mir sehr gut gefallen.

Was mir leider nicht so gut gefallen hat, war das offene Ende. Dass die Welt verrückt ist, also die Turnwelt, beschreibst Du die ganze Zeit. Meines Erachtens muss das am Ende nicht mehr erwähnt werden. Aber vielleicht wolltest Du auch noch eine gemeinsame Szene der Männer haben?
Für mich war der Text zu Ende, als das "Äffchen" so klar und hart wie Ana wirkt. Zoya erfährt einen Trainerwechsel, wird in die Rolle der Hoffnungsturnerin gedrängt und zack ist sie ein anderer Mensch, ist nicht mehr herzlich und will nur noch trainieren, trainieren, trainieren.

Die Stelle

heute bringt sie Emilie zum Weinen.

ist mir dahingehend zu wage. Ein
heute ist sie es, die Emilia zum Weinen bringt
gefiele mir da besser.

Sag' dir da oben, dass du bereit bist - und dann geh' und hol' dir, was du willst.
An der Stelle habe ich mich gefragt, was will sie denn? Will sie den Sieg?
Und die gekürzte Stimme des Onkels/der Trainer fand ich nicht angebracht. Die Trainer sind so unerbittlich und genau, dass sie in meinen Ohren keine Buchstaben verschlucken.
Die Sprachkürzungen für Zoya sind in Ordnung, sie ist ein Kind, das erst zu dieser Genauigkeit erzogen wird.

Die letzten Anmerkungen ändern aber nichts daran, dass mir Dein Text sehr gut gefallen hat und ich ihn gerne gelesen habe, auch wenn es mir nicht möglich war, ihn in einem Ruck zu lesen, habe ich ihn wieder aufgegriffen und weiter lesen wollen.

Grüße, Nina

 

Liebe Nina,

auch dir vielen Dank für's Lesen, Kommentieren und vor allem freut es mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. :)
Sehr inspirierend, die Statur der Turnerinnen zu beschreiben, fand ich die youtube-Videos dieser Turnerinnen (v.a. aus Russland und Rumänien) aus der Zeit zwischen 1970 bis 1980. Wenn man sich die ansieht, merkt man jedoch, dass ich dem Gefühl, das man beim Zusehen hat, nicht so ganz gerecht werde. Aber das lässt mehr Knautschzone, sich noch zu verbessern (siehe unten). ;)

Die Stelle mit Emilia und weinen (noch dazu hab ich den Namen falsch geschrieben, argh!) geb ich dir recht, das werd ich wohl so ändern.
Mit "hol", "geh" etc. empfinde ich das etwas anders; ich hab gerade die Textstelle gelesen und es mir laut vorgesagt: "Sage dir, dass du ... gehe und hole", das klingt für meine Ohren irgendwie nicht gut, aber ist ja auch Geschmackssache. ;) Und es wäre langweilig, wenn wir da alle denselben hätten (hab aber deine Anregung ernst genommen und es überdacht).

Mit dem Schluss bzw. dem Handlungsverlauf bin ich auch nicht glücklich, ich bin auch bei Zeit dabei, das zu überarbeiten. Es freut mich aber sehr, dass dir die Charakterveränderung von Zoya aufgefallen ist, darauf kam es mir nämlich an. Auch wenn ich eine Idee habe, wie ich das noch deutlicher herausarbeiten kann. Dann wird auch die Beziehung zwischen den beiden Männern noch einmal anders dargestellt.

Vielen Dank nochmal für dein Feedback.
Liebe Grüße

Tell

 

Liebe Tell,

eine starke Story und ich habe sie gelesen, obwohl ich mich so überhaupt nicht für irgendwelche Turnerinnen interessiere und dialoglastige Geschichten mühsam zu lesen finde. Dennoch habe ich zu Ende gelesen und war erstaunt, wie es dir gelingt mit einigen Dialogfetzen einen ganzen Charakter aufzuzeigen.....denn so ist die Wirklichkeit meistens....

Du solltest ein Drehbuch daraus machen :) wirklich, diesen Film würde ich gerne sehen !

Einzig der Schluss .... ich würde gerne lesen, wie sich die Charaktere weiterentwickeln, Zoya besonders.... gibt es Hoffnung oder geht alles weiter wie bisher ? Womöglich wäre es wirksam erzählerische Elemente, Beobachtungen, Stimmungen von der Gewichtung her auszubauen....
wenn du weiter daran feilst wird es noch besser.....:)

viele Grüße aus der Dämmerung
Isegrims

 

Halo Isegrims,

erstmal muss ich mich bei dir entschuldigen, dass ich deinen Kommentar erst jetzt bemerkt habe! Ich bin eben beim Umschreiben der Geschichte, wollte was nachschauen und seh, dass du auch Feedback gegeben hast. Es ist nicht meine Art, nicht darauf einzugehen (zumal sich jemand die Mühe gemacht hat, meinen ewig langen Schinken zu lesen und dann noch zu kommentieren ...). Ich hoffe, du siehst es mir nach.
Aber es hat mich riesiig gefreut!!! Vielen herzlichen Dank an dich. :) V.a. das Dialoglastige ... Irgendwie fallen mir Beschreibungen schwer, Dialoge leichter und entsprechend gewichtet sind dann auch meine Geschichten. Ich arbeite dran (also, an der Dialoglastigkeit allgemein und an dieser Geschichte im Speziellen, wie gesagt, ich bin eben am radikalen Umschreiben.)
Werde mich dann, wie du angemerkt hast, auch auf Beobachtungen etc. konzentrieren.

Viele Grüße (es dämmert jetzt ebenfalls bei mir ;))

Tell

 

Hallo Tell,

ui, da bin ich aber jetzt schon gespannt auf die neue Version. Fand die alte ja schon gut :thumbsup:

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo Tell,

auf der Sprachebene funktioniert Deine Geschichte für mich ganz gut. Ich finde, der Erzählton passt zur Figur des Assistenztrainers. Aber der Text hat ein Konstruktionsproblem, glaube ich. Und das liegt in der Gliederung. Es mag daran liegen, dass in der Geschichte ständig vom Turnen und Trainieren die Rede ist – mir fehlt eine Akzentuierung, ein Schwerpunkt, ein Fokus.

Jede Kunst basiert auf Gliederung, und bei einer Geschichte hängt die davon ab, auf welche Dinge die Aufmerksamkeit des Lesers gelenkt werden soll. Akzente helfen, die Aufmerksamkeit an bestimmten Stellen zu bündeln. Solche Akzente fehlen mir. Ich sehe zwar, dass Du eine problematische Entwicklung beschreibst, aber Du arbeitest die entscheidenden Momente dieser Entwicklung nicht so deutlich heraus, wie es möglich wäre. Das gilt beispielsweise für den Unfall von Ana.

Ich empfehle dringend, die Geschichte zu kürzen, bzw. das Problem der Weitschweifigkeit zukünftig im Auge zu behalten. Außerdem ist die Vermischung der beiden Konflikte (Ethik im Leistungssport und Verleugnung der sexuellen Identität) keine gute Idee, denn um das in den Griff zu bekommen, müsstest Du diese Konflikte irgendwie verbinden.

Die Lösung dieses Problems ist eine Methode des Schreibhandwerks, die darauf basiert, vor dem Schreiben eine Prämisse zu formulieren, die der Text beweisen soll. Was behauptet der Text? Wenn Du das selbst weißt, kannst Du darangehen, die Situation zu schaffen, die Deiner Prämisse entspricht. Dazu musst Du dann eben Figuren "engagieren", die auf authentische und plausible Weise Deine Prämisse in die Tat umsetzen.

Wenn man sich darüber keine Gedanken macht, erhält man einen Text, der zwar gut geschrieben sein mag, aber Dinge behauptet, an die man selbst nicht so recht glaubt. Und noch wichtiger: Die Figuren eiern rum und wissen eigentlich nicht, wohin die Reise gehen soll. Wer seinen Text gliedern möchte, sollte deshalb damit beginnen, sich zu fragen, was der Text im Kern behauptet. Um diesen Kern herum, kann alles andere arrangiert werden.

Tja, und wenn ich die Geschichte von dieser Perspektive her betrachte, dann bin ich nicht so ganz mit Deiner Kritik am sozialistischen Leistungssport einverstanden. Ganz einfach, weil der Leistungssport in den nichtsozialistischen Ländern um keinen Deut besser ist. Man muss bloß schauen, was das für eine Katastrophe im Radsport (Doping) ist oder wie es bei der Millionen-Schacherei im Profifußball zugeht. Und das wiederum legt nahe, dass das Problem nicht mit der Frage zu tun hat, ob Leistungssport in einem sozialistischen Land ausgeübt wird oder nicht, sondern, dass das Prinzip des Leistungssports an sich fehlerhaft ist. (Persönlich würde ich noch ein Stück weitergehen und Sport überhaupt in Frage stellen, aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich weiß nicht, ob Dir meine Gedanken zu Deinem Text helfen konnten, aber ich hoffe, Du schreibst bald wieder eine Geschichte.

Gruß Achillus

 

maria.meerhaba Achillus

Hallo ihr beiden,

ich habe eure Reviews gelesen und danke euch dafür! :) Es hat mich sehr gefreut, eure Kommentare zu lesen. Und ich möchte sie auch gebührend würdigen, indem ich auf sie eingehe. Leider bin ich momentan sehr im Stress und schaffe es nicht, aber ich melde mich am Wochenende (endlich!).

Viele Grüße
Tell

 

So, jetzt – auch wenn (leider!) nicht mehr Wochenende ist –*finde ich endlich Zeit, euren Kommentaren die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Noch einmal: entschuldigt, dass es so lange gedauert hat.
Achillus
Ich freue mich, dass du im Großen und Ganzen so etwas wie "Gefallen" an der Geschichte gefunden hast, was das Sprachliche angeht.

Bezüglich des Fokus/Schwerpunktes gebe ich dir Recht. Daran fehlt es an der Geschichte. Da ist zu viel, zu verworren - es ist ersteinmal eine ganz andere Welt (die Turnwelt, der Sozialusmus, die UdSSR). Ich muss sagen, diese sehr spezielle Subkultur, auf die ich da durch Zufall gestoßen bin, hat es mir einfach angetan.
Für mich ist da so viel Handlungsspielraum als Autor, so viel Beklemmendes, womit man den Leser konfrontieren kann ... Es kommt mir einfach nicht ausgelutscht vor und beflügelt nach wie vor meine Phantasie (mehr dazu gleich).

Deshalb auch das:

Tja, und wenn ich die Geschichte von dieser Perspektive her betrachte, dann bin ich nicht so ganz mit Deiner Kritik am sozialistischen Leistungssport einverstanden. Ganz einfach, weil der Leistungssport in den nichtsozialistischen Ländern um keinen Deut besser ist. Man muss bloß schauen, was das für eine Katastrophe im Radsport (Doping) ist oder wie es bei der Millionen-Schacherei im Profifußball zugeht. Und das wiederum legt nahe, dass das Problem nicht mit der Frage zu tun hat, ob Leistungssport in einem sozialistischen Land ausgeübt wird oder nicht, sondern, dass das Prinzip des Leistungssports an sich fehlerhaft ist. (Persönlich würde ich noch ein Stück weitergehen und Sport überhaupt in Frage stellen, aber das ist eine andere Geschichte.)

Darum ging's mir auch nicht. Ich wollte hier nicht den Sozialimus verunglimpfen und eine Erklärung für das "Durchsetzen" des Kapitalismus schaffen; ich wollte nicht sagen, "die" waren eben schlecht, bei "uns" ist es so viel besser. Vielmehr sollte es eine Parabel sein (i.S.: Da könnte überall passieren ... Hier war es eben auf diese Weise krass, bei uns ist es ebenso krass, auch wenn Details anders sein mögen).
Aber meine Intention ist eben nicht klar, weil das viel "rumgeeiert" wird. Da stimme ich dir zu. Es fehlt die Richtung. Oder hat einfach, so wie ich es mir wünsche, nicht das Potential für eine Kurzgeschichte.
Wenn ich dir etwas verraten darf: Ich schreibe die Geschichte nun seit Monaten in meinem Kopf (und in Word) um, bin inzwischen bei Version 5. Und denke, es wird in Richtung Novelle gehen. Aber auch hier muss Stringenz rein und da hat mir dein Kommentar geholfen. Vielen Dank dafür - und für's Lesen und deine Geduld.

maria.meerhaba
Auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung, die mich wahnsinnig gefreut hat. So viel habe ich hier auch noch nicht veröffentlicht (eigtl. nur zwei KG) und das ist diejenige, mit der ich am unzufriedensten bin, um ehrlich zu sein. XD
Dass du das Training als so plastisch empfunden hast, nehme ich als großes Kompliment - hat mich sehr gefreut. :) Gerade jetzt, wo die Olympiade in Rio ansteht, finde ich das Thema sehr inspirierend. Wie ich auch schon Achillus geschrieben habe: Diese Periode/Subkultur weckt einfach meine Muse.
Und die Tatsachen mit der Salami und dem Wasser auf dem Klo fand ich genauso WTF?!?! O.O Aber anscheinend war das wirklich so. Und ich wollte das unterbringen, ohne plakativ zu sein (oder in die Unglaubwürdigkeit abzurustchen).

Vll ist es einfach das: Unabhängig von der Zeit/dem Land/dem Regime stellt die Turnwelt einen Mikrokosmos dar, der unseren "Makrokosmus" gut widerspiegelt: Man arbeitet mit "Menschenmaterial", hat ein Ziel, für das man sich/andere kaputt macht; und dann wird das ganze noch staatlich reglementiert (was die Note "Beklemmung" für den Leser ausmacht, die ich persönlich auch sehr gerne in Geschichte habe, die ich lese) und da ist eine Art Leidenschaft im Einzelnen, bei der man am Ende nicht sagen kann, ist sie in- oder extrinsisch motiviert. Oder beides? Wahrscheinlich sind die Grenzen fließend.

Auf jeden Fall werde ich es noch einmal aufarbeiten, bzw. bin dran. Vll wird es ja meine erste Novelle. Oder ein Kurzroman (weil ich mich mit dem Konzept des "Dingsymbols" einfach noch nicht anfreunden konnte).

Noch einmal vielen lieben Dank für deine Zeit und Mühe, ich habe sehr gerne von dir gelesen (und freue mich auf einen regen Auftausch in der Zukunft).

Mit vielen Grüßen
Tell

 

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