Was ist neu

Die kleine Seemöwe

Mitglied
Beitritt
01.07.2003
Beiträge
20

Die kleine Seemöwe

Die kleine Seemöwe


Ein letztes Mal noch. Eine letzte Fahrt durfte er noch mit ihr machen. Aber dann würde endgültig Schluss sein. Aber diese eine Fahrt wurde ihnen noch gewährt. Und sie würden sie geniessen. Wenigstens so weit, wie man etwas geniessen kann, wenn man weiss, dass danach das Nichts kommt. Noch hatte niemand gesagt, was mit ihr geschehen würde. Schrottplatz? Schiffsfriedhof?

"Kapitän Haas?"
Grob wurde der Kapitän aus seinen Gedanken gerissen. Ein Mann in mittlerem Alter stand neben ihm. Irgendwie sah er schon von Weitem aus wie ein Beamter. Gefühle oder Verständnis für die langjährige Freundschaft zwischen der kleinen Seemöwe und Kapitän Haas suchte man in diesem Gesicht vergebens.
"Herr Möller?"
Herr Möller war im Vorstand der Reederei, für welche die kleine Seemöwe bisher gefahren war.
"Kapitän Haas. Sie können hier nicht stundenlang am Steuerrad stehen und Trübsal blasen. Wie müssen los. Mehr Leute werden wohl auch nicht kommen."
"Aber es ist doch ihre letzte Fahrt...."
"Na und? Irgendwann ist immer einmal Schluss. In zwei Tagen wird das Schiff abtransportiert und nächste Woche zerlegt. Da bleibt kein Stück übrig, welches noch an diesen Kahn erinnern könnte."
"Aber warum......?"
"Jetzt fangen Sie nicht schon wieder an. Da sind gerade mal fünf Passagiere an Bord. Das deckt nicht einmal die Kosten. Und so geht das schon die letzten Monate. Das Boot kostet nur noch Geld und belegt einen wichtigen Bootssteg. Wir können es uns einfach nicht leisten, diesen Schrotthaufen nebenher mitlaufen zu lassen. Und nun machen Sie Ihren Job und bringen es hinter sich."

Kleine Seemöwe? Früher hatten sich die Leute lustig gemacht über diesen Namen. War sie doch zu jener Zeit das grösste Ausflugsschiff auf dem Bodensee. 125 Passagiere konnte sie befördern. Von weit her strömten die Menschen, um das neue Schiff sehen zu können und auf ihm über das Wasser zu fahren. Mit ihren 22 Kilometern in der Stunde schwebte sie fast über das Wasser. Die meiste Zeit fuhr die kleine Seemöwe von Lindau nach Bregenz. Die Leute hatten Zeit, sich die Berge anzusehen und die Seeluft zu geniessen. Und immer wenn sie einen Anlegeplatz ansteuerte durfte sie laut hupen. Das war eine Freude. Alles drehte sich um und schaute ihr verzückt beim Anlegemanöver zu. Irgendwann kannte Kapitän Haas jede Ente, die ihm auf dem Weg begegnete. Jeder Strömung konnte er blind ausweichen.

Kapitän Haas versuchte krampfhaft die Tränen zurück zu halten. Wie im Traum hatte er das Horn drei Mal betätigt und dann abgelegt.. Herr Möller hatte unterdessen den Steuerraum verlassen und unterhielt sich lachend mit einem der Passagiere.

Heute aber war jedes andere Ausflugsschiff grösser als die kleine Seemöwe. Manche konnten 700 Passagiere befördern. Und die Leute fuhren lieber mit den grossen, komfortablen Schiffen, wo sogar Kaffee und Kuchen während der Fahrt serviert wurde. Manchmal spielte dazu auch noch eine Musikkapelle. Viele fuhren mit den neuen Schiffen, weil diese einfach viel schneller waren als die kleine Seemöwe. Und Zeit hatten diese Menschen ja überhaupt keine mehr. Da wurden nur noch schnell Fotos geschossen oder mit einer Videokamera gefilmt und das Ergebnis zu Hause angesehen.

Eine Zeit lang galt es noch als "chic" mit diesem nostalgischen Schiffchen über den Bodensee zu schippern. Aber immer öfter hörte man Ausdrücke wie: Alter Kahn, Nuckelpinne oder auch Nussschale. Das war schon hart für ein ehemals stolzes Schiff. Da konnte sich Kapitän Haas jedesmal gehörig aufregen. Dieses kleine Schiff hatte ihn niemals im Stich gelassen. In all den Jahren hatte es nie einen Motorschaden gegeben.

Langsam steuerte Kapitän Haas auf die Hafenausfahrt zu, glitt zwischen Leuchtturm und dem grossen steinernen Löwen hindurch. Gut, es kamen nicht viele Passagiere an Bord und es war auch möglich, dass sich das Schiff nicht mehr rechnete, aber warum gleich verschrotten?

"Entschuldigen Sie, wenn ich einfach so hier hereinplatze."
Schnell wischte sich Kapitän Haas mit dem Jackenärmel über die Augen. Brauchte ja nicht jeder mitbekommen, wie er sich fühlte.
"Tut mir leid, wenn ich mich im Moment nicht umdrehen kann, aber das erfordert hier meine ganze Aufmerksamkeit", versuchte er den Mann abzuwimmeln, der gerade den Raum betreten hatte. Passagiere hatten auf der Brücke auch nichts zu suchen. Die sollten sich draussen die Gegend ansehen und die Fahrt geniessen.
"Ich will Sie auch gar nicht lange stören. Ich habe nur zufällig eben das Gespräch mitbekommen. Stimmt es, das dies die letzte Fahrt dieses schönen Schiffes sein soll?"

Schönes Schiff? Den Typen musste sich Kapitän Haas nun doch einmal genau ansehen. Da stand ein junger Mann vor ihm in weissen Hosen, mit einem dunkelblauen Hemd, ganz Freizeitkapitän. Die Kamera, die an seinem Hals hing, wies ihn als Tourist aus.

"Stimmt. Nächste Woche gibt es das Schiff nicht mehr", antwortete Kapitän Haas knapp. Was ging das den Typen an?
"Ist aber schade um dieses Boot. Sieht doch noch recht schön aus."
"Recht schön?" donnerte Kapitän Haas plötzlich los. "Dieses Schiff ist um einiges schöner als diese Geldmaschinen, die hier als Ausflugsschiffe fahren. Da interessiert es niemanden, wo es fährt. Oder ob es den Passagieren gefällt. Hauptsache die Einnahmen stimmen. Einnahmen aus den Fahrtkosten. Einnahmen aus Kaffee und Kuchen. Einnahmen aus Sonderveranstaltungen. Einnahmen, Einnahmen, Einnahmen!"
"Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen." Der Passagier blieb ganz ruhig.
Auch Kapitän Haas beruhigte sich wieder.
"Ich habe mich zu entschuldigen. Sie können ja nichts dafür. Aber ich hänge nun einmal an diesem Schiff. Am Besten die verschrotten mich gleich mit ihm zusammen."
"Nicht gleich den Kopf hängen lassen."
"Was soll ich denn noch tun? Meine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben und Kinder haben wir nicht. Die kleine Seemöwe ist alles, was ich habe. Und jetzt wollen sie mir die auch noch nehmen."
"So weit muss es doch gar nicht kommen."
"Wie meinen Sie das nun?"
"Warten Sie einen Moment."

Ohne ein weiteres Wort verliess der seltsame Besucher die Steuerkabine und liess einen verwirrten Kapitän Haas zurück. Eine Zeit lang sah er ihn auf Herrn Möller einreden. Aber Herr Möller lachte nur abfällig. Zwischendurch wies er mit der Hand zur Brücke und lachte wieder. Aber der junge Mann hörte nicht auf zu reden. Sein Gesicht verwandelte sich von freundlich über ernst bis hin zu böse. Und Herrn Möller verging das Lachen.

Plötzlich zückte Herr Möller sein Handy und entfernte sich von dem jungen Mann. Kapitän Haas sah wie er hastig in das kleine Telefon hinein sprach. Dann klappte er es wieder zusammen und begab sich zurück zu dem jungen Mann. Kapitän Haas konnte sich nicht vorstellen, um was es bei dieser ganzen Sache gehen konnte. Aber eigentlich war es ihm ja auch egal. Oder?

Ein paar Minuten war Kapitän Haas abgelenkt. Er musste sich ab und zu doch auf das Lenken des Schiffes konzentrieren. Da gerieten immer wieder Freizeitsegler und Tretbootfahrer in seine Spur. Und wie schnell konnte da etwas passieren?

Und so bemerkte Kapitän Haas auch nicht, das Herr Möller und der junge Mann ihre Unterhaltung beendet hatten. Er erschrak sogar ein bisschen, als der junge Mann plötzlich wieder hinter ihm stand.
"Kapitän Haas?"
"Was? Oh Mann, haben sie mich jetzt erschreckt. Das dürfen sie mit einem alten Mann nicht machen."
"Entschuldigen Sie, das war nicht meine Absicht. Aber ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen."
"Was für einen Vorschlag?"
"Ich hätte einen neuen Job für Sie."
"Ich brauche keinen neuen Job. Ohne meine Seemöwe geh ich in Rente."
"Ich dachte auch an einen neuen Job für Ihre Seemöwe."
Fast hätte Kapitän Haas das Steuerrad losgelassen.
"Wieso neuer Job? Das Boot soll doch verschrottet werden?"
"Warum soll ich ein Boot verschrotten lassen, welches ich eben erst gekauft habe?" Der junge Mann lächelte still vor sich hin.
"Wieso gekauft? Was wollen Sie mit so einem Boot? Und was hat das mit mir zu tun?"
"Ich bin Gesellschafter eines Freizeitparks. Wir haben da einen recht grossen See. Das einzige was uns noch fehlte, war ein Boot, damit wir unseren Gästen auch auf dem Wasser etwas bieten können."
"Aber was hat das dann mit mir zu tun?" wiederholte Kapitän Haas seine Frage.
"Wer könnte denn besser dieses Boot steuern als Sie? Und wir brauchen nun einmal jemanden, der das Boot steuert. Nebenbei könnten Sie den Gästen auch etwas über die kleine Seemöwe erzählen. Vielleicht auch ein paar nette Anekdoten."
"Ich das wirklich Ihr ernst oder verschaukeln Sie nur einen alten gebrochenen Mann?"
"Das ist mein ernst. Und schon im nächsten Monat könnten Sie mit der kleinen Seemöwe über den See in unseren Park schippern. Das wird bestimmt eine Spass gerade für unsere jungen Gäste. Aber Sie könne es sich ja auch noch überlegen. Bis Lindau bin ich auf jeden Fall noch auf dem Schiff", grinste der junge Mann und verliess die Brücke.

Überlegen? Was gab es da noch zu überlegen? Wo die kleine Seemöwe hinging, da wollte auch Kapitän Haas hingehen. Und ob er nun Passagiere über den Bodensee fuhr oder Kinder über irgendeinen See in einem Freizeitpark, das war doch egal. Hauptsache, er war mit seiner Seemöwe zusammen.

Fröhlich vor sich hinpfeifend liess Kapitän Haas das Horn ertönen. Drei Mal lang. Viele Leute fragten sich, was das nun für ein Signal war. Nur der junge Mann in blauem Hemd und weisser Hose lächelte wissend vor sich hin.


* * * * *
E N D E

 

Hallo Holli-Would,

dieses scheint mir eigentlich nicht wirklich eine Geschichte für Kinder zu sein. Okay, das sagt man über meine auch manchmal... ;-) Welches Alter schwebt Dir denn als Zielgruppe vor? Hast Du den Text womöglich schon an irgendwelchen Kindern getestet?

wenn man weiss, dass danach das Nichts kommt
Irgendwie sah er schon von Weitem aus wie ein Beamter
Ich glaube nicht, daß Kinder mit diesen Beschreibungen viel anfangen können. Und mit dem alten Kapitän werden sie sich wahrscheinlich auch nicht identifizieren können.

Das Motiv (ein altes Schiff soll außer Dienst gestellt werden, der Kapitän hängt aber daran) eignet sich sicher für eine Kindergeschichte. Wie wäre es, wenn Du ein paar Kinder einführen würdest, denen der Kapitän das Problem schildert und die womöglich sogar zur Rettung beitragen, bspw. indem sie wiederum den Besitzer des Freizeitparks informieren?

Eine Alternative wäre, die Erzählung in eine andere Rubrik zu verschieben. Hast Du sie gezielt für Kinder geschrieben, oder ist sie hier eher zufällig gelandet?

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo

Du hast natürlich recht. Diese Geschichte ist vielleicht wirklich nichts für die Rubrik Kinder. Aber in welche sollte ich sie denn nach deiner Meinung verschieben? Und wie mache ich das dann?

Und schönen Dank für die Tipps. Ich muss wohl noch einiges lernen, bevor ich meine Geschichten auf Kinder loslassen kann ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Wenn du dir eine Rubrik ausgesucht hast, dann brauchst du mir nur kurz Bescheid zu sagen. Ich verschiebe sie dann.

Und: Herzlich Willkommen auf kg.de. :)

Kitana


Editiert: Da der Autor sich nicht meldet, verschieben ich nach Sonstige. Bei Einwänden bitte an mich wenden.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom