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Die kleine rosa Socke
Es war ein Tag wie jeder andere, als die kleine rosa Socke in der großen Fabrik geboren wurde. Die Strickmaschine ratterte und ratterte und auf einmal war sie da. Es gab noch eine Zwillingsschwester und damit die Beiden auch zusammenblieben wurden sie durch ein kleines Stückchen Plastik fest miteinander verbunden. Zum Schluss gab es noch ein Pappschildchen, damit die beiden rosa Socken auch zweifelsfrei identifiziert werden konnten.
Die ersten Tage im Leben der kleinen Socke waren recht unspektakulär. Sie lag mit vielen anderen Sockenzwillingspärchen in einem großen Karton und schlief die meiste Zeit. So bekam sie auch das Gewackel nicht mit, als der Karton aus der Fabrik gebracht und auf einen Lastwagen geladen wurde. Im Halbschlaf merkte sie das Schaukeln des Lastwagens auf der Autobahn, aber das war so beruhigend, dass sie sofort wieder einschlief.
Als sie wieder erwachte, stellte die rosa Socke fest, dass es nicht mehr schaukelte. Es gab einen heftigen Ruck und der Karton wurde auf eine Sackkarre geladen und ins Lager eines Kaufhauses gefahren. Die Socke konnte sich aber kaum von dem Schreck erholen, da wurde es auch schon schlagartig hell. Alle Socken versuchten sich in eine Ecke des Kartons zu verdrücken, aber das gelang nicht, denn er war randvoll. Die Socken fingen aufgeregt an zu wispern, denn es war klar, dass etwas passieren würde.
Eine Dame in einem grünen Top beugte sich über den Karton und griff nach den Socken. Das Top murmelte: "Och, seid ihr aber süß!" Die Socken staunten ziemlich und lauschten gebannt den Erzählungen des Tops. Es beklagte sich, dass es selten getragen wurde, weil es zu lang war und immer das Bauchnabelpiercing der Dame bedeckte. Es schaute die Socken neidisch an und meinte, dass man als Babysocke bestimmt ein tolles Leben habe.
Aber lange dauerte die Unterhaltung mit dem Top nicht, denn die Socke und ihre Zwillingsschwester wurden an einen Haken gehängt. Vor, hinter, über und unter ihnen hingen viele andere Sockenzwillingspärchen in allen erdenklichen Farben und Mustern und harrten der Dinge, die da kommen würden.
So hingen sie nun eine ganze Weile im Kaufhaus herum. Sie wurden angeschaut und befühlt, hin und her geschoben, manchmal sogar abgenommen und wieder aufgehängt. Viele andere Sockenpaare waren in der Zwischenzeit verschwunden und neue dazugekommen. Die rosa Socke dachte, dass das Top sich wohl geirrt habe, denn dieses Leben war außerordentlich langweilig.
Eines Tages wurde das Sockenpärchen mal wieder gegriffen von einer netten jungen Frau in einem dicken Strickpulli. Die Frau zeigte die Söckchen ihrem Mann und sagte: "Guck mal, Tom, die Farbe ist doch genau richtig für unsere Tochter!"
Der Mann nickte, fühlte kurz an den Socken und legte sie behutsam in den Einkaufswagen. Darin waren schon viele andere Kleidungstücke, die aufgeregt durcheinanderredeten, denn alle waren sehr gespannt, was nun passieren würde.
Der Strickpulli der jungen Frau beruhigte alle und meinte, dass die Familie sehr nett sei und man immer mit dem besten Waschmittel gewaschen würde. Während die Socken und die anderen Kleidungsstücke noch darüber nachdachten, was wohl Waschmittel sei, bedauerte der Strickpulli, dass diese lustigen kleinen Gesellen wohl auch nur kurz bei der Familie verweilen würden.
Die Babykleidung wurde aus dem Wagen genommen und die Kassiererin hielt etwas Piepsendes an das Pappschild der Socken, die sich mächtig erschraken. Kaum hatten sie sich von dem Schreck erholt wurden sie unsanft gepackt und mit Bodys, Hosen und Pullöverchen in eine fürchterlich knisternde Plastiktüte gestopft. Das war vielleicht ein Gezeter. Ein Pullover kreischte eine Jeans an, dass die Jeans doch gefälligst ihr Bein aus seinem Ausschnitt nehmen solle. Nach einer Weile waren alle vom Zanken und Streiten so müde, dass sie die Heimfahrt verschliefen.
Die Sockenzwillinge erwachten erst, als sie ein lautes Schnipp hörten und feststellten, dass sie getrennt worden waren. Irgendwie ein blödes Gefühl, denn seit ihrer Geburt waren sie doch immer zusammen gewesen. Sie wurden in eine dunkle, muffige Tonne gesteckt und warteten, was nun passieren würde.
Ein Unterhemd erzählte ihnen, dass das nächste Abenteuer die Waschmaschine sein würde. Das Waschmittel würde zwar etwas in der Nase kitzeln, aber alles in Allem sei das eine spaßige Angelegenheit.
Die Fahrt in der Waschmaschine war ziemlich wild. Die kleinen rosa Socken wurden ziemlich durcheinander gewirbelt. Sie versuchten noch, sich an den Händen zu halten, aber das gelang nicht. Die kleine Socke bemühte sich, ihre Schwester wiederzufinden , aber vor lauter Schaum konnte sie nichts mehr sehen. Ein schwarzer Kniestrumpf tröstete die Socke, dass man sich auf der Leine oder spätestens in der Schublade wiedertreffen würde. Es sei sehr selten, dass eine Socke ihren Zwilling für immer verlieren würde.
So war es auch. In der Schublade sahen die Socken sich wieder und hielten sich engumschlungen fest. Doch nicht für lange. Sie wurden aus der Schublade genommen und über niedliche Babyfüßchen gestülpt. Das Top im Kaufhaus hatte sie beneidet, dass es doch toll sei, eine Babysocke zu sein aber nun stellten die Zwillinge fest, dass dem keinesfalls so war. Sie wurden aneinander gerieben, lang gezogen, ausgezogen und fallengelassen. Am schlimmsten war es immer, wenn sie von den kleinen Zähnchen bearbeitet wurden. Da war eine Fahrt in der Waschmaschine die reinste Erhohlung.
So ging das nun Tag für Tag. Babyfüße, Wäschetonne, Waschmaschine, Leine, Schublade und wieder von vorne. Das Sockenzwillingspärchen hatte sich nun langsam daran gewöhnt, dass sie hin und wieder getrennt wurden. Irgendwann fiel ihnen aber auf, dass sie nun schon eine ganze Weile gemeinsam in der Schublade lagen und nicht mehr herausgenommen wurden. Eine Tennissocke meinte, dass gehe allen kleinen Socken so und irgendwann würden sie ganz verschwinden.
Eines Tages ging die Schublade auf und die rosa Socken wurden herausgenommen. Die junge Frau strich noch einmal vorsichtig über die Socken und legte sie behutsam in einen Karton. Hier trafen sie auf das Pullöverchen und die Jeanshose und sie erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Irgendwann merkten sie, dass der Karton bewegt wurde. Nach einer Fahrt mit dem Auto wurde der Karton getragen, abgestellt und ausgepackt. Socken, Pullover und Jeans kamen auf einem großen Tisch zu liegen. Sie wurden angeguckt und angefasst und die kleinen Socken wurden von einer Frau in die Handtasche gesteckt.
Von einer schönen Ledergeldbörse erfuhren die Socken, dass sie gegen den Inhalt der Geldbörse eingetauscht worden waren. Auch hier war der Alltag wieder sehr eintönig. Babyfüße, Waschmaschine usw. Oft passierte es nun, dass die Sockenzwillinge sich erst an den Babyfüßen wiedertrafen. Es war nicht so schön wie in ihrer ersten Familie. Den Socken ging es gar nicht gut, sie wurden fusselig und unansehlich.
Bei einem Aufflug mit dem Kinderwagen passierte es dann. Die kleine rosa Socke sah, wie ihre Schwester vom Fuß gezogen, über den Rand des Kinderwagens gehalten und losgelassen wurde. Sie hörte einen lauten Schrei und fragte sich,ob sie ihre Schwester je wiedersehen würde. Zu Hause wurde sie mit Zeitungspapier ausgestopft und diente nun als Katzenspielzeug. Immer wieder wurde sie von tapsigen Pfoten hin und her geschubst.
Die kleine rosa Socke wollte sich am liebsten in Luft auflösen.
Das ging zwar nicht, aber vor Kummer über ihr Schicksal und durch die unsanfte Behandlung der Katze, begann sie, langsam aufzuribbeln.
Nachdem die Katze eines Tages das Interesse an ihrem Spielzeug verloren hatte, nahm die Frau die Socke und steckte sie mit anderen Kleidungsstücken in eine raschelnde Tüte.
Irgendwann wurde die Tüte an die Straße gestellt und mit einem Lastwagen abgeholt. In einer Lagerhalle wurde die Tüte ausgekippt und die Kleidung wurde sortiert. So landete die kleine Socke auf einem riesigen Sockenberg.
Eine alte Dame mit einer Häkelweste ordnete die Socken, so dass viele wieder auf ihren Sockenzwilling trafen. Die kleine rosa Socke wurde hochgehoben und vorsichtig neben eine andere rosa Socke gelegt, welche ziemlich schmutzig war. Doch trotz des Drecks erkannte sie gleich ihre Zwillingsschwester wieder und kuschelte sich fest an sie.
Die alte Dame hob das Sockenpärchen hoch und betrachtete es.
"Hm, du brauchst ein Bad und dich müssen wir verarzten!", murmelte sie und steckte die schmutzige und die aufgeribbelte Socke in ihre Handtasche.
Die Häkelweste freute sich sehr über die neue Gesellschaft und lächelte den Zwillingen aufmunternd zu.
Die alte Dame wusch und flickte die rosa Socken und zog sie ihrem alten Teddybären an, der immer kalte Füße hatte.
Und so verbrachten die Sockenschwestern den Rest ihres Lebens auf dem Sofa der alten Dame und wärmten dem Teddybären die Füße.