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Die kleine Biene Naseweiß
In einem kleinen Wäldchen, nahe einem wunderschönen Ort, lebte eine kleine Biene. Sie wurde von allen „Biene Naseweiß“ genannt, weil mitten auf ihrer Nase ein großer, weißer Fleck saß. Diesen konnte niemand wegwischen, so sehr man auch daran rubbelte. Aber dadurch unterschied sie sich immer von ihren zahlreichen, großen und kleinen Bienengeschwistern.
Als der Frühling kam versammelte die Bienenkönigin alle ihre Bienen im Großen Saal ihres Bienenhäuschens. „Meine lieben Bienen“, sagte die Bienenkönigin mit freundlicher, be-stimmter Stimme, „nach diesem langen, kalten Winter brauchen wir viel Nahrung, um unsere Vorräte wieder aufzufüllen. Darum fliegt bitte hinaus und holt so viel leckeren Blütennektar, wie ihr tragen könnt!“ So flogen nun die unzähligen Bienen los, um Nektar aus den Blumenblüten zu saugen. Denn Nektar ist die Lieblingsspeise der Bienen. Auch die kleine Biene Naseweiß durfte zum ersten Mal in ihrem Leben mitfliegen und suchte nach einer ganz besonders schönen Blume, aus der sie den besten Nektar saugen könne.
Nach kurzer Zeit sah sie am Waldrand eine herrliche, rote Tulpe stehen, die ganz alleine auf einer großen, grünen Wiese im Winde wiegte. Die kleine Biene Naseweiß juchzte erfreut auf und streckte ihren Bienenrüssel aus, mit dem sie den Nektar aus den Blumen saugen konnte. Und schon stürzte sie sich rüsselvoraus auf die Blume.
Doch kurz bevor Naseweiß in die Tulpe zum Nektar holen hinein fliegen konnte, presste die Blume plötzlich ihre Blütenblätter ganz fest zusammen. Da Naseweiß nicht so schnell abbremsen konnte, prallte sie mit voller Wucht an die Blütenblätterwand und prellte sich den weißen Fleck ihrer Stupsnase.
„So eine Unverschämtheit“, rief die kleine Biene Naseweiß zornig und wurde rot vor Wut, „lass mich gefälligst rein, Tulpe!“
„Tut mir leid“, antwortete die rote Tulpe lachend, „Nektar holen ist dir nicht gestattet.“
Verärgert über die gemeine, unverschämte Tulpe flog die kleine Biene beleidigt fort und setzte sich schimpfend auf einen nahe gelegenen Grashalm, von dem aus sie die Tulpe unbemerkt beobachten konnte. So eine gemeine Tulpe, dachte sie bei sich, der werde ich es schon zeigen.
Nach kurzer Zeit sah die kleine Biene Naseweiß, dass die herrliche, rote Tulpe ihre Blüten wieder zur Sonne hin öffnete.
„Na warte“, flüsterte die kleine Biene leise vor sich hin, „jetzt hol ich mir von dir den guten Nektar und dann werde ich über dich lachen, Tulpe!“
Da erhob sich die Biene wieder in die Luft und flog unauffällig an die Tulpe heran.
Ganz flach und leise flog sie durch das grüne Gras und kam der Tulpe immer näher. Sie war ihrem Ziel, dem wunderschönen Blütenkelch, bereits ganz nah. Schon hatte sie ihren Saugrüssel wieder ausgestreckt, schon machte sie sich bereit, die Tulpe zu überraschen, schon holte sie tief Luft zum Eintauchen in den Nektar und schon, schon, ...
… schon wieder verschloss die Tulpe schnell ihre Blüten und die kleine Biene krachte erneut mit ihrer weißen Nasenspitze gegen die rote Blütenwand. Die Blume lachte lauthals los, da sie sich so über das Aussperren der kleinen Biene freute.
„Du sollst mich endlich reinlassen!“, befahl die wütende Biene Naseweiß. „Was bildest du dir eigentlich ein?!? Ich bin eine Biene und ich will an deinen Nektar, ich will, ich will, ich will!“
„Was du nicht alles willst“, entgegnete die Tulpe ruhig, „meinst du denn, ich bekomme alles was ich will?“
„Es ist mir egal, was du willst“, schimpfte die kleine Biene weiter, „für mich ist wichtig, was ich will.“
„Na, da musst du noch einiges lernen, kleine Biene“, sagte die Tulpe in ruhigem Ton.
„Ich will nichts lernen, ich will Nektar“, schrie die kleine Biene außer sich vor Wut.
„Dann musst du dir aber überlegen, wie man das erreichen kann, was man will“, sprach die herrliche, rote Tulpe und wendete sich schmunzelnd von der Biene ab.
Vor sich herschimpfend flog die kleine Biene Naseweiß nun abermals weg.
Die Tulpe soll mir endlich geben, was ich will, dachte sie, da muss ich nicht viel überlegen, wie ich das erreichen kann. Ich stecke meinen Saugrüssel in die Blüte, hole den Nektar heraus und so erreiche ich was ich will, so einfach ist das.
Wiederum wartete die kleine Biene Naseweiß auf einem nicht weit entfernten Grashalm. Wie-derum öffnete die Tulpe ihre Blüten, wiederum schlich sich die kleine Biene an die Tulpe heran und wiederum scheiterte sie und stieß sich dabei fürchterlich ihre Nase an. Die kleine Bienennase mit dem weißen Fleck wurde allmählich ganz rot und dick von dem ständigen Zusammenprallen und begann weh zu tun.
Nachdem sie es beim vierten, fünften, sechsten und siebten Versuch auch nicht geschafft hatte, an den Nektar zu kommen und ihre Nase nun fast so dick und rund war wie ihr ganzer Kopf, setzte sich die kleine Biene Naseweis ins Gebüsch und dachte angestrengt nach. Der weiße Fleck auf ihrer angeschwollenen Nase leuchtete wie eine kleine Laterne.
Da kamen ihr die Worte der Tulpe in den Sinn. Sie solle überlegen, wie sie das, was sie erreichen wolle, auch bekommen könne, hatte die Blume zu ihr gesagt. Mmmh, das war schwer. Schließlich wehrte sich die rote Tulpe doch so sehr. Sie, die kleine Biene Naseweiß, war doch viel zu klein und schwach, um die Blüten der Tulpe mit Gewalt aufzubiegen. Mmmh, wie sollte sie das nur schaffen.
„Ich hab’s“, rief die kleine Biene Naseweiß nach einer Weile aus und der Fleck auf ihrer Nase sah aus, als würde er hell blinken, „ich weiß es, ich weiß es, wie ich es schaffen kann.“
Fröhlich erhob sie sich in die Luft und flog hoffnungsvoll auf die Tulpe zu.
„Na, kleine Biene“, begrüßte sie die Tulpe freundlich lächelnd, „ schmerzt deine Nase noch immer nicht genug? Willst du es nochmals versuchen?“
„Ich weiß, was du vorher gemeint hast“, antwortete die kleine Biene Naseweiß bestimmt.
„Sooooo?!? Da bin ich aber gespannt“, sagte die schelmisch grinsende Tulpe. Da nahm die kleine Biene eine aufrechte Haltung an, holte tief Luft, streckte ihre leuchtenden Stupsnase stolz in die Höhe und bat die Tulpe in einem freundlichen Ton:
„Liebe Tulpe, darf ich bitte, bitte etwas von deinem Nektar haben?“
„So, du bittest mich also“, wiederholte die rote Tulpe die Worte der Biene, „sonst nichts?“
„Doch, schon“, entgegnete die kleine Biene Naseweiß, „ ich möchte mich nämlich auch noch bei dir entschuldigen, dass ich so ungehobelt zu dir war.“
Die Tulpe bekam strahlende Augen, nickte der Biene zu lachend und schloss Naseweiß in ihre großen, grünen Blätterarme.
„Das freut mich jetzt aber, du kleine naseweiße Biene“, sprach die Tulpe und öffnete langsam ihre Blüten. „Du hast es verstanden, dass das kleine Wörtchen ‚Bitte’ viel mehr bewirken kann, als deine ganze Wut zuvor. Freundlichkeit ist immer der beste Weg, um etwas zu erreichen. Lass dir meinen Nektar schmecken!“
„Das werde ich ganz sicher, liebe Tulpe“, antwortete die kleine Biene Naseweiß und saugte glücklich lächelnd an dem leckeren Blütennektar.