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Die Kinder von Romo
Die Kinder von Rømø
Das Versteck
„Hei, hei“, war ihr Schlachtruf immer dann, wenn sie gut drauf waren. „Hei, hei“, grüßten Inga und Kalle, als sie sich am Dienstag Nachmittag mit Ole in der Scheune trafen. Sie war früher als Viehstall benutzt worden und hinter einem alten Schweinekoben gab es unter einer Falltür einen vergessenen Raum, den die Kinder beim Spielen entdeckt hatten.
„Ein besseres Versteck gibt es auf der ganzen Insel nicht“, flüsterte Kalle, denn er wollten die Aufmerksamkeit der Spaziergänger nicht wecken. Es staubte sehr, als sie die Falltür öffneten. Ole und Kalle stiegen auf einer Leiter hinab und leuchteten alles mit einer Taschenlampe nach Ungeziefer ab.
„Inga, wo bleibst du denn?“
„Ich gehe da nicht rein“, war von draußen mit ängstlicher Stimme zu hören, „solange dort Spinnen und Spinnweben sind.“ Inga war nicht ängstlich, aber Spinnen gehörten nicht in ihre Welt.
Erst als die Jungs alle Spinnweben entfernt hatten, stieg Inga hinab. Sie begutachteten den Raum zu dritt, er war bestens für ihren Zweck geeignet.
Sörensen
Am nächsten Morgen - es hatte längst zu Pause geläutet - verkündete Sörensen mit lauter Stimme: „Ich gebe euch nun eure Hausaufgaben und möchte kein Stöhnen hören. Ihr schreibt bis nächsten Dienstag einen Aufsatz über die Geschichte von Rømø aus dem Jahr 1826.“
Trotz der Ermahnung wurde Gemurmel in der Klasse laut. Im Jahr 1826 waren 100 einheimische Fischer vor Grönland beim Walfang ums Leben gekommen. Sörensen wurde nicht müde, sie immer wieder zu erzählen. Die Kinder mochten ihn nicht. Er trug selbst gestrickte Norwegerpullover, Gesundheitsschuhe, eine Hornbrille und obendrein schielte er. Die Schüler nannten ihn „den Briefträger“, weil er in der Lage war, mit einem Auge auf die Haustürklingel und mit dem anderen auf die Adresse des Briefes zu schauen. Er war autoritär und sein Unterricht langweilig. Lob war bei ihm so selten wie eine Sonnenfinsternis.
„Ich habe noch meinen Aufsatz aus dem letzten Jahr“, meinte Inga zu ihren Freunden, als sie gemeinsam auf dem Heinweg waren, „da spare ich mir eine Menge Arbeit.“
Kalle und Ole waren vor einem Jahr nicht so fleißig gewesen.
„Typisch Mädchen“, sagte Kalle eher neidisch als spöttisch.
Inga überhörte das. In einem waren sich die Kinder einig. Sie hassten Sörensen, weil er durchgesetzt hatte, dass in der Schule weder Kaugummi noch Gummibärchen gekaut werden durften. Wer dagegen verstieß, musste mit einer saftigen Strafarbeit rechnen.
Die Kinder sollten lieber Obst und Müsliriegel essen, hatte er einmal gesagt.
Die Bestellung
Inzwischen waren die Kinder am Haus, in dem Ole wohnte, angekommen. Niemand war dort. Sie gingen wortlos in Oles Zimmer, wo er sofort den Computer einschaltete. Die Stimmung war ein wenig bedrückt und das surrende Geräusch des Computers wirkte drohend wie ein Schwarm Hornissen.
„Hoffentlich geht das gut“, gab Inga zu bedenken.
„Wir haben uns doch alles gut überlegt“, war es Kalle, der versuchte, Ingas Bedenken zu zerstreuen. „Wir tun nichts unrechtes.“
„Ein bisschen haben wir uns das Kaugummiverbot selbst zuzuschreiben. Es ist nicht schön, wenn er unter den Schuhen klebt und auf dem Schulhof überall rumliegt.“
„Das ist zwar richtig, aber das Verbot ist trotzdem ungerecht, wenn man es mit dem Alkohollaster unserer Väter vergleicht.“
Es war bekannt, dass die Väter ein Alkoholproblem hatten und das Schnaps geschmuggelt wurde, war eine Vermutung. Etwas genaues war nicht bekannt. Selbst der Inselpolizist Erik Nielsen tappte im Dunkeln und der Kaufmann Gammelgard, Kalles Vater, der den einzigen Supermarkt auf der Insel betrieb wunderte sich, dass er in letzter Zeit kaum Schnaps verkaufte.
„Man Leute, das haben wir doch schon hundert Mal durchdiskutiert. Ich bin dafür, endlich zu handeln. Soll ich die Bestellung nun abschicken oder nicht“, wandte Ole ein, der inzwischen seine Mailbox aufgemacht und alles vorbereitet hatte.
„Natürlich wollen wir es so machen wie wir es besprochen haben“, sagte Kalle bestimmt und auch Inga stimmte endlich zu.
Ole begann, auf der Tastatur zu tippen.
In der Polizeistation
Nielsen räumte am frühen Mittwochnachmittag gerade seinen Schreibtisch auf und hatte das Telefon unter einem Berg Papier vergraben als es klingelte. Er hatte den Hörer bereits abgenommen, als er mit der Schnur einen Stoß bereits sortierter Briefe vom Tisch stieß und laut fluchte, bevor er sich meldete.
„Nielsen, Polizeistation Rømø, was kann ich für Sie tun?“ Er war für seine Freundlichkeit bekannt.
„Na, du musst doch nicht gleich fluchen, wenn ich mal anrufe“, meldete sich sein Kollege Julius Gröben aus List auf Sylt.
„Entschuldige bitte Julius, ist mir nur so herausgerutscht.“ Nielsen erklärte, was passiert war.
„Was kann ich für dich tun? Soll ich einen Verkehrssünder für dich festnehmen oder eine Ferienwohnung für deinen Urlaub vermitteln?“
Sein Kollege war gern auf Rømø und eine Hochseeangeltour mit Nielsen war immer ein besonderes Erlebnis für ihn. Er benutzte gern den kleinen Dienstweg, wenn er so genannten „kleinen Fischen“ habhaft werden wollte, die sich gerade auf der Fähre von List auf Sylt nach Rømø befanden und dort von der deutschen Polizei nicht mehr erreichbar waren.
„Nein Erik, es ist diesmal etwas ernstes. Ich wollte Dich bitten, nach einem Schmugglerauto Ausschau zu halten. Mehr weiß ich allerdings auch nicht.“
Nielsen zog die Augenbrauen hoch, kommentierte den Wunsch mit einem lang gezogenen hhmmmm – das machte er immer, wenn er überrascht war - und notierte, was Gröben ihm über das Auto und den angeblichen Inhalt erzählte. Er versprach, sich darum zu kümmern.
„Ich wünsche dir noch einen nicht so arbeitsreichen Tag und das mit der Unordnung tut mir Leid“, versuchte Gröben seinen Kollegen zu trösten.
„Halb so schlimm Julius, bis zur nächsten Angeltour werde ich damit fertig sein“, scherzte Nielsen und legte den Hörer auf.
Nielsen schüttelte den Kopf und dachte: Eigentlich sollte die Zeit des Schmuggels vorbei sein. Aber er glaubte den Grund zu kennen. Die Lebensumstände und die Preise hatten sich zwischen beiden Ländern weitgehend angeglichen, bis auf den Alkohol, der nach wie vor teuer war.
Die Nachricht
Inzwischen war Brigitte Hagge, Oles Mutter, nach Haus gekommen, hatte das Abendessen zubereitet und rief ihre Familie zum Essen. Ausgerechnet jetzt muss das Essen fertig sein, dachte Ole. Die drei Freunde saßen immer noch vor dem Computer und surften im Internet. Ole öffnete noch einmal schnell seine Mailbox. Er gab sein Kennwort ein und ein Neuzugang wurde gemeldet. Ole öffnete die Mail und sie lasen: „UG0909-1930B“.
„Ha, super!“, rief Inga, „es hat geklappt.“
Die drei schauten zufrieden und nickten sich zu. Um die Mutter nicht zu verärgern, schloss Ole die Mailbox, fuhr den Computer herunter und schaltete ihn aus. Inga und Kalle verabschiedeten sich. Ihre Aufgaben für den Abend waren klar.
Wie immer war Ole der letzte. Greta, seine Schwester, saß bereits mit gefalteten Händen und dem Typisch-mein-Bruder-wieder-der-Letzte-Blick am Tisch. Eine Bemerkung verkniff sie sich. Ihre Mutter sah beide mit strengem Blick an. Sie ahnte, dass es wieder Streit geben würde,.
„Wieder bist du der letzte, und wie du aussiehst“, schimpfte sie.
Ole streifte sich mit den Fingern durchs Haar, aber das genügte der Mutter nicht. Er musste ins Bad und seine strähnigen blonden Haare bürsten und die Hände waschen. Es wäre alles halb so schlimm, wenn Greta nicht ihr herablassendes Grinsen zeigen würde. Er rümpfte die Nase und zischte „Zicke“ durch die zusammen gepressten Lippen. Oles Vater saß mit glasigen Augen, mürrischem Blick und hängender Unterlippe am Tisch, was nichts Gutes verhieß. Hans Hagge hatte diesen Blick immer, wenn er nicht auf See hinaus fahren konnte und sich mit den anderen Fischern im Hafen traf. Für Ole ein Zeichen, nicht unachtsam zu sein, sonst könnte es dieselben unangenehmen Folgen wie vor ein paar Tagen haben. Er verspürte sie heute noch auf seinem Allerwertesten.
Ole war als erster mit dem Essen fertig, rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und konnte es kaum erwarten, aufstehen zu können.
Bei Klaas Puul
„Das wäre geschafft“, sagte Hansen, „die Kutter sind entladen. Habt ihr die Netze geordnet und für den nächsten Fang vorbereitet?“ Statt einer Antwort bekam er nur ein vielstimmiges, eher mürrisches Gemurmel seiner Kollegen zu hören, von denen einer Hans Hagge, Oles Vater war. Bent Hansen war Wortführer der fünf Fischer, die sich im fensterlosen und mit einfachen Möbeln ausgestatteten Aufenthaltsraum der Fischfabrik Klaas Puul zusammengefunden hatten. An den Wänden standen Spinde mit ihren persönlichen Sachen. Einige Bilder von Fischkuttern machten den Raum auch nicht wohnlicher. Es war unordentlich und roch nach einer Mischung aus Fisch und Alkohol.
Draußen schlugen die Masten der Fischkutter lange Schatten. Die Steuerbordtonne in der Hafeneinfahrt neigte sich nach Süden und zeigte an, dass die Ebbe eingesetzt hatte. Es begann die Zeit der langen Herbst- und Winternächte, in denen sie sich mit Seemannsgeschichten und Alkohol die Zeit vertrieben.
Bent hielt die Flasche mit der Öffnung nach unten. Kein Tropfen kam heraus.
„Mist“, meinte Bent, „wo bleibt der Kerl bloß?“ Missvergnügt saßen sie in einer Runde und ließen die letzte Schnapsflasche kreisen. Die Zeit verging. Plötzlich ging die Tür auf und Fiete Jansen, ein Fahrer der Spedition Ulf Geserich aus Westerland auf Sylt, trat ein. ‚UG Internationale Spedition’ stand auf seinem Overall.
„Moin, meine Herren“, grüßte er die Runde.
„Du kommst gerade zur rechten Zeit“, antwortete Bent.
„Ich komme nur wegen der Unterschrift. Alles ist erledigt wie immer und ich muss zurück auf die Fähre“, sagte Fiete.
„Wenn du alles ordentlich abgeliefert hast, sollst du auch eine Unterschrift haben“, Bents Stimme klang gönnerhaft. Er unterschrieb so schwungvoll, als hätte er gerade einen ganzen Fang Krabben zum Höchstpreis verkauft.
Fiete steckte den unterschriebenen Lieferschein ein, wünschte einen schönen Abend, zwinkerte vielsagend mit den Augen und machte sich auf den Weg.
Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte: „Der Karton war diesmal ein bisschen kleiner als sonst, da hab ich ihn nicht in den Hof, sondern gleich in die Diele gestellt. Ich hoffe, es ist euch recht."
Nach einer Weile fragte Hans Hagge: „Wieso ist der Karton diesmal kleiner?“ Alle sahen sich fragend an. Eine Antwort fanden sie nicht und nachfragen konnten sie auch nicht mehr, denn Fiete war schon über alle Berge.
Im Hafen
Die Sonne stand tief, als Nielsen sich Donnerstagabend, den Merkzettel mit Gröbens Angaben über den vermeintlichen Schmuggler in der Tasche, auf seinem Fahrrad im Hafen ankam. Ein leichter Wind blies aus Westen durch den Hafen und die blanken Rotorblätter der Lüftungsventilatoren auf den Fischkuttern blitzten im letzten Sonnenlicht wie müde gewordene Stroboskope. Die Möwen waren stumm und von den über Bord geworfenen Fischresten satt. Nielsen stellte sein Fahrrad hinter dem Lagerschuppen der Danske Fisk Fabrik ab. Hinter einem Schuppen verborgen beobachtete er, wie die Fähre aus List entladen wurde. Sein langer Schatten blieb unbeachtet.
Ein lautes Signal der Schiffssirene zeigte um sieben Uhr die Ankunft der Fähre aus List im Hafen vom Havneby an. Gerd Brömsen, ein Kollege von Fiete Jansen, hatte eine Lieferung „Geflügelmischfutter“ auszuliefern. Er wunderte sich zwar, aber vielleicht war es eine Spezialmischung, die es in Dänemark nicht gab. Zum Auslieferungsort war es nicht weit und wenn er Glück hatte, konnte er sich eine zweistündige Wartezeit sparen und mit derselben Fähre direkt zurück fahren.
Als er über die Rampe an Land fuhr, meinte er ein weiteres Fahrzeug seiner Firma mit der Aufschrift „UG Internationale Spedition“ zu sehen, das gerade auf die Fähre gewunken wurde. Brömsen wunderte sich. War die Logistik seiner Firma so schlecht, dass zwei Fahrzeuge in dieselbe Richtung fuhren? Aber er war Fahrer und nicht für die Logistik zuständig, deshalb machte er sich weiter keine Gedanken darum.
Er kannte sich im Molby aus, fand den Romersvey sofort. Verwundert hob er die Augenbrauen, als ihn drei Kinder empfingen.
„Moin“, begrüßte Brömsen die Kinder, „ich hab hier eine Lieferung mit ‚Geflügelmischfutter’, wollt ihr eine Hühnerzucht aufmachen?“
Die Kinder schauten sich fragend an und glaubten an einen Witz.
„Klar, wir wollen Hühner züchten, die eckige Eier legen, die nicht immer vom Tisch rollen“, sagte Kalle schlagfertig.
„Und sich besser stapeln lassen“, fügte Inga hinzu. Alle lachten.
Schnell war der Karton mit Hilfe einer Sackkarre entladen und die Formalitäten erledigt. Die Kinder sagten, sie kämen schon allein klar, was Brömsen recht war. Er fuhr schnell in Richtung Hafen davon.
Auf der Fähre
Gerd Brömsen und Fiete Jansen trafen sich auf der Fähre. Im Windschatten auf dem Deck genossen sie die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
„Sag mal Fiete, hast Du schon mal Geflügelmischfutter ausgeliefert?“
„Nö, hab ich noch nie gehört.“ Sehr gesprächig war Fiete nicht, sagte aber nach einer Weile: „Komisch, sonst hatte ich für meine Kunden immer eine große schwere Kiste mit Schnaps und heute war es nur ein kleiner leichter Karton.“
„Hast Du eine Ahnung, warum wir überhaupt zu zweit in den selben Ort geliefert haben?
Beide konnten sich keinen Reim daraus machen und kamen zu dem Schluss, dass Enno – der Bürolehrling - vielleicht einen Fehler beim Ausstellen der Lieferpapiere gemacht hatte. In List angekommen beschlossen sie, in die Hafenkneipe zu gehen. Sie bestellten sich Krabbensalat und Bier und ließen es sich gut gehen.
In der Scheune
Als die Kinder den Lieferschein genauer lasen, wussten sie, warum Brömsen sie nach den Hühnern gefragt hatte. Warum auf dem Schein ‚Geflügelmischfutter’ stand, konnten sie sich jedoch nicht erklären.
Kalle holte sein Messer aus der Tasche, schnitt den Karton auf und öffnete ihn. Doch was war das? Er traute seinen Augen nicht.
„Seit wann werden Gummibärchen in Flaschen abgefüllt?“
Sie beugten sich alle drei über den Rand des Kartons, nahmen eine Flasche nach der anderen heraus. Schnaps! Sie sahen sich ratlos an.
„Oh man, wer versteht das denn?“, entfuhr es Ole. „Wir hatten doch Kaugummi und Gummibärchen bestellt, haben Schnaps geliefert bekommen und ‚Geflügelmischfutter’ stand auf dem Lieferschein.“
Kalle und Inga sahen Ole an. Er hatte die Bestellung gemacht und fühlte bohrende Fragen in ihren Blicken.
Aber er war sicher, alles richtig gemacht zu haben, ignorierte diese Andeutung und fragte: „Was machen wir damit. Wenn unsere Eltern etwas davon erfahren, wird es ungemütlich.“
Das Knacken eines Astes hinter der Scheune war zu hören und ein aufgescheuchter Hase rannte in Richtung Kiefernwald davon. Den Kindern wurde es unheimlich. Wurden sie beobachtet?
Kalle war es, der sich ein Herz fasste und hinter der Scheune nachsah, ob jemand dort war. Er blickte vorsichtig um die Ecke. Alles sah aus wie immer. Dass Nielsen sich hinter einem Holzstapel am Rande des Grundstücks versteckt hatte, sah er nicht. Die drei waren erleichtert und glaubten sich allein.
„Heute können wir nicht mehr klären, was bei der Bestellung schief gegangen ist“, meinte Ole. „Lasst uns erst einmal alles in unserem Versteck verstauen.“
„Wir müssen die Flaschen einzeln hinunter tragen, damit sie nicht kaputt gehen“, fügte Kalle hinzu „und wir müssen uns beeilen, damit wir nicht zu spät nach Haus kommen.“
Sie arbeiteten zügig und hatten es bald geschafft, alles unbeschadet in das Versteck zu bringen. Nachdem sie sich versprochen hatten, niemandem etwas davon zu erzählen, machten sie sich auf den Heimweg. Morgen wollten sie darüber nachdenken, was mit dem Schnaps passieren sollte.
Im Puppenmuseum
Hans Hagge war am späten Donnerstagabend mit seinem Fischerkollegen Knut Berger unterwegs ins Puppenmuseum im Lyngveyen. Beide waren guter Dinge, denn heute war der große Tag.
„Hast du in der Zeitung gelesen, dass Morten Olsen den Ebbe Sand gegen Deutschland nicht aufstellen will? Wo der doch im letzten Spiel das entscheidende Tore für uns geschossen hat“, fragte Hans Hagge seinen Kollegen.
„Das war klasse wie Peter Madsen den Verteidiger der Deutschen aussteigen ließ, Ebbe Sand mit einer Maßflanke bediente und der dem Kahn den Ball ins Netz knallte“, freute sich Knut im nachhinein noch einmal über das tolle Spiel.
Das Museum wurde von Bent Hansens Frau betrieben. Es verschaffte den Hansens ein kleines Nebeneinkommen und war eine unauffällige Lieferadresse. Jeder kam zu Fuß aus einer anderen Richtung. Sie gingen ins Haus, wo sie von Bent Hansen und den anderen schon erwartet wurden.
„Ich hab schon alles vorbereitet“, sagte Bent, „die Lieferung steht in der Diele.“
Die Frage Warum ist der Karton so klein? lag in der Luft, doch niemand sprach sie aus.
Sie umstellten den von Fiete Jansen gelieferten Karton wie Indianer den Marterpfahl. Hans Hagge öffnete ihn mit gekonntem Griff, aber leicht zitternder Hand. Alle sahen gespannt zu und trauten, nachdem alle Laschen des Kartons zur Seite geklappt waren, ihren Augen nicht.
„Kannst du mich mal kneifen“, bat Hans Hagge seinen neben ihm stehenden Fußballfreund Knut, der schaute wie Obelix, dem man gerade ein gebratenes Wildschwein gestohlen hatte.
Alle kamen näher und starrten gebannt in den Karton. War das ein schlechter Scherz? Litten sie unter Halluzinationen? Sie entleerten den Karton bis auf den Grund, in der Hoffnung, weiter unten auf den begehrten Stoff zu stoßen. Aber die Männer fanden nur Gummibärchen und Kaugummi. Hans Hagge und seine Kollegen waren verwirrt. Wie sollten sie die langen Winterabende ohne Schnaps überstehen?
„Wenn wir das mal nicht Kaufmann Gammelgard zu verdanken haben“, sagte Bent Hansen, der sich als erster von dem Schock erholt hatte. „Er hat mich schon öfter spöttisch gefragt, ob wir dem Alkohol abgeschworen hätten.“
„Wir sollten erst einmal abwarten und nichts überstürzen“, schlug Hans Hagge vor. „Morgen können wir klären, wie es zu der Lieferung gekommen ist. Es ist spät am Abend und morgen sehen wir weiter. Treffen wir uns morgen um sieben Uhr wieder hier.“
Alle stimmten ihm zu. Sie versteckten die Süßigkeiten an der Stelle, wo normalerweise ihre Schnapsvorräte lagerten. Mit Ungewissheit beladen und ohne einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, traten sie mürrisch den Heimweg an.
Inga
Zur selben Zeit wurde Inga von ihrer Mutter mit den Worten empfangen: „Du kommst schon wieder so spät. Sei froh, dass Dein Vater nicht zu Haus ist, sonst bekämst du jetzt einen kräftigen Rüffel.“
Um nicht länger Mutters schlechter Laune ausgesetzt zu sein, ging sie auf ihr Zimmer und machte ihre restlichen Hausaufgaben. Während sie schrieb, es war inzwischen fast zehn Uhr abends, wurde es laut im Haus. Die Türen wurden zugeschlagen, was immer ein Zeichen für schlechte Laune des Vaters war. Im Laufe der Zeit wurde die Unterhaltung der Eltern immer lauter. Inga hörte Wortfetzen wie, „alles bei Bent im Puppenmuseum - Gammelgard – Kaugummi – falsche Lieferung“. Ingas Aufmerksamkeit wurde geweckt, sie hatten heute auch eine falsche Lieferung bekommen. Sie lauschte: „Kaugummi und Gummibärchen.... Frechheit ...“ konnte sie jetzt verstehen und auf einmal wurde ihr alles klar, was passiert war. Wussten ihre Eltern Bescheid? Leise schlich sie aus ihrem Zimmer und ging die Treppe hinunter bis vor die Badezimmertür. Sie musste aufpassen, denn die altersschwache Treppe knarrte, wenn man auf die falschen Stellen der Stufen trat. Unten angekommen konnte sie hören was gesprochen wurde und falls jemand kam, würde sie schnell im Bad verschwinden.
„Wenn ich den zu fassen kriege, der uns das eingebrockt hat“, polterte der Vater, „der kann was erleben.“
Inga fuhr ein Schauer über den Rücken.
„Bestellt haben wir Cognac und Korn. Und was bekommen wir geliefert?“ fragte er weiter, um sich gleich selbst die Antwort zu geben, „Süßkram!“
Inga hörte, wie Stühle hin und her geschoben wurden.
„Aber noch weißt du nicht wie es dazu kam“, antwortete die Mutter. „Es kann sich doch nur um eine Verwechselung handeln. Alles wird sich aufklären und wenn ihr euch morgen um sieben Uhr wieder trefft, werdet ihr mehr wissen.“
Schritte näherten sich der Tür, Inga huschte schnell ins Bad und tat so, als würde sie sich kämmen. Sie hatte genug gehört.
Aufklärung
Am nächsten Morgen hatte Sörensen wieder seinen Allerweltsunterricht über die Geschichte der Fischer von Rømø gehalten. Inga rutschte auf ihrem Stuhl herum und konnte die Pause kaum erwarten. Sie ließ ihre Hände wie Pedale kreisen und gab so Ole und Kalle zu verstehen, dass sie sich hinter dem Fahrradständer auf dem Schulhoftreffen wollten. Endlich klingelte es und die Kinder rannten hinaus.
Inga erzählte den beiden, was sie gehört hatte, wobei sie es geschickt verstand, ihren Mut bei der Lauschaktion zu erwähnen. Die Lieferungen waren vertauscht worden.
Als die Glocke zur dritten Stunde läutete, verabredeten sie sich für den Nachmittag in der Scheune. Sie mussten sich überlegen, wie es weitergehen sollte.
Der Plan
„Wie kommen wir aus der Geschichte wieder raus?“ wollte Kalle wissen. Er spähte nach draußen und vergewisserte sich, dass niemand sie belauschte. „Wenn mein Vater erfährt, dass wir heimlich Kaugummi und Gummibärchen bestellt haben, haut er mich grün und blau.“
Ihnen war auch nicht ganz wohl bei der Sache. Sie hatten sich zwar ausgedacht, wie sie an ihre geliebten Gummibärchen kommen sollten, aber mit einer Verwechselung der Lieferungen war nun wirklich nicht zu rechnen gewesen.
„Ich habe mir was überlegt!“ Beide schauten Ole fragend an. Zu ihrer Überraschung grinste der. „Eigentlich ist es ganz einfach. Wir haben in Deutschland Süßigkeiten bestellt, weil es auf der Insel keine zu kaufen gibt und das ist nicht verboten.“
Kalle und Inga stimmten zu. Inga nickte heftig, wobei ihr Pferdeschwanz wild hin und her wippte.
„Unsere Väter haben auch Waren in Deutschland gekauft, nämlich Schnaps und das ist verboten.“ Ole schaute sie stolz an. Inga und Kalle wussten nicht, worauf er hinaus wollte und machten ein dummes Gesicht.
„Ihr guckt wie Gänse wenn’s donnert. Kapiert ihr denn nichts? Wir haben ein dickes Pfund, mit dem wir wuchern können“, rief Ole. „Wenn Nielsen davon Wind bekommt, haben unsere Väter ein Problem.“
„Du meinst, wir sollten mit ihnen verhandeln?“, fragte Inga ungläubig.
„Bingo, du sagst es.“ Wir geben unseren Vätern ihren Schnaps und die geben uns unsere Gummibärchen.
„Wenn mein Vater erfährt, was wir haben und was wir wollen, kann ich mein Testament machen“, meinte Kalle.
„Das muss nicht sein.“ Ole machte eine kleine Pause, „wenn wir geschickt vorgehen, kann er dir nichts anhaben.“
„Wie jetzt ..., du kennst meinen Vater nicht.“
„Passt doch mal auf“, versuchte Ole die beiden Zweifler zu überzeugen, „wir können uns absichern, indem wir Nielsen mit in unseren Plan einbeziehen.“
Nun verstanden die beiden überhaupt nichts mehr.
„Wie soll die Sache gut gehen, wenn wir offiziell zur Polizei gehen und unsere Väter des Schmuggels bezichtigten“, wollte Inga wissen.
„Von anzeigen oder bezichtigen kann keine Rede sein. Ich habe mir gedacht, dass wir in einem Brief alles wahrheitsgemäß aufschreiben. Diesen Brief stecken wir in einen verschlossenen Umschlag und bringen ihn zu Nielsen.“
„Und was soll der damit machen?“, fragte Kalle.
„Nun, wenn wir mit unseren Väter verhandeln, werden wir ihnen sagen, dass, wenn wir nicht alle drei innerhalb einer bestimmten Zeit wieder bei Nielsen erscheinen, er den Brief öffnen soll.“
„Und du meinst, das funktioniert?", bohrte Kalle nach.
„Na klar, den Väter wird nichts anderes übrig bleiben.“
„Und hinterher gehen wir zu Nielsen, holen unseren Brief und niemand erfährt davon?“
„Und es kann nichts mehr schief gehen?“
„Klasse, hast du es nun endlich geschnallt?“
Eine Pause entstand.
„Und wer sagt es den Väter, und wo soll das Treffen stattfinden?" wollte Inga wissen.
„Das lass nur meine Sorge sein.“ Ole fühlte sich inzwischen wie der König von Rømø.
„Lass uns in einer Stunde wieder hier treffen.“
Letzte Vorbereitungen
Inzwischen war es Nachmittag geworden und Ole winkte schon von weitem mit dem Briefumschlag in der Hand.
„Hier, dies ist unsere Versicherung“, sagte Ole. „Ich habe alles aufgeschrieben was wir wissen. Nachher gehen wir zu Nielsen und bringen ihm den Brief.“
„Aber wie sagen wir es den Vätern?“, fragte Inga.
„Kein Problem“, meinte Kalle. „Wenn sich unsere Väter nachher im Puppenmuseum treffen, gehen wir einfach hin. Ich freue mich auf ihre verdutzten Gesichter, wenn wir dort auftauchen.“
„Gut“, bestätigte Ole, „dann gehen wir vorher zu Nielsen und bringen ihm den Umschlag.“
„Und danach wird es ernst.“
Als hätten sie die Verhandlungen schon gewonnen oder um sich Mut zu machen, klatschten sie sich die Hände ab. Dann machten sie sich auf den Weg zu Nielsen.
Briefübergabe
Es grummelte und blitze in der Ferne. Das Wetter schien sich der Stimmung der Kinder angepasst zu haben.
Nielsen kannte die Kinder gut, sie grüßten freundlich und blieben bei ihm stehen.
„Guten Tag Herr Nielsen, es ist so ... “ Ole brachte den Satz nicht zu Ende.
„Na, was macht ihr denn für bedröppelte Gesichter?"
„Tja, es ist so, dass wir hier ... also in dem Umschlag ist ...“, stotterte Ole weiter.
„Na, na nun mal langsam, ihr seid ja ganz durcheinander. Nun erzählt eins nach dem anderen.“
„Es ist so, wir haben hier einen Umschlag mit einer Nachricht, den wir gern bei ihnen hinterlegen wollen“, brachte Ole den Satz endlich zu Ende.
„Das ist kein Problem und kein Grund zu stottern.“
„Na ja, da ist noch was“, fügte Ole kleinlaut an. „Wir möchten gern, dass, wenn wir heute Abend nicht um 20.00 Uhr wieder bei ihnen sind, sie den Brief öffnen.“
„Huiiii, das klingt ja wie in einem Kriminalroman“, sagte Nielsen. „Ich hoffe, ihr macht nichts gefährliches.“
„Nein, nein, so schlimm ist es nicht“, erklärte Kalle, der seine Sprache wieder gefunden hatte. „Es ist nur ein Spiel“, fügte er hinzu, um die Neugier von Nielsen nicht noch mehr zu wecken.
„Na gut, hoffentlich vergesse ich es nicht, wenn ich mir nachher das Fußballspiel im Fernsehen anschaue“, meinte Nielsen mit einem Augenzwinkern „und holt euch bei dem Spiel keine blutigen Nasen.“
Das Bild mit den blutigen Nasen gefiel Inga überhaupt nicht.
Es war inzwischen sechs Uhr geworden und das Treffen sollte in einer Stunde sein. Wohl war ihnen bei dem Gedanken nicht, gleich mit den Vätern verhandeln zu müssen. Aber alles war in die Wege geleitet und sie hatten es sich gut überlegt. Wenn es so geschah, wie sie es sich ausgedacht hatten, konnte nichts schief gehen.
Der Wind frischte auf, die ersten Regentropfen fielen vom Himmel und die ersten Blätter von den Bäumen, als sie sich auf den Weg ins Puppenmuseum machten.
Die Entscheidung
Alle hatten sich im Museum versammelt. Dort, wo tagsüber die Besucher ihren Spaß hatten, lag Bier- und Tabakgeruch in der Luft. Bent Hansen, umringt von den anderen “Leidtragenden“, wollte gerade einen Schluck aus der Bierflasche nehmen, als es an der Tür klopfte. Sie schauten sich überrascht an. Wer konnte das sein? Wer wusste von dem Treffen? Kaufmann Gammelgard? Kommissar Nielsen? Er nickte Hans Hagge zu, der am nächsten zur Tür saß. Der stand auf und öffnete die Tür.
„Wie kommt ihr denn hierher“, entfuhr es Hansen, als er die drei Kinder sah. Ole zuckte ein wenig zusammen, denn er kannte seinen Vater und wusste, was der Gesichtsausdruck bedeuten konnte.
„Nun, wir wollen ... ich meine ... es gibt da etwas, das wir mit euch besprechen wollen“. Es kam genau so stotternd über Kalles Lippen wie vorhin bei Nielsen.
„So, so ihr habt etwas mit uns zu besprechen? Da sind wir aber gespannt.“ Bent Hansen schaute in die Runde und sah erstaunte Gesichter. Die bärtigen Anwesenden zogen die Augenbrauen hoch und hatten einen Gesichtsausdruck wie: ‚Könnte das mit unserem Problem zusammen hängen?’ Hansen musste vorsichtig sein, er stellte die Bierflasche auf den Boden und lächelte.
„Wo drückt der Schuh?“ Und weil Hansen ahnte, dass es mit der verwechselten Lieferung zusammen hängen konnte, fügte er vorsichtig und mit sanfter Stimme hinzu: „Können wir euch helfen?“
„Nein, nicht direkt, sondern wir wollten fragen ...“ und ehe Ole seinen Satz beendet hatte, bemerkte er im Rücken der Väter einen Schatten am Fenster.
„Na, nun mal raus mit der Sprache“, ermunterte Kalles Vater.
Ole war durch den Schatten ein bisschen irritiert.
„Wir wollten fragen, ob wir mit euch tauschen können. Wir haben etwas, worauf ihr gewartet habt.“ Eine kleine Pause entstand. „Und ihr habt etwas was für uns bestimmt war.“ Kalle war erleichtert, als er es gesagt hatte.
Um Zeit zu gewinnen tat Hansen so, als wüsste er von nichts. Auch war ihm im Moment nicht klar, wie er sich verhalten sollte.
„Wollt ihr uns erpressen?“, entfuhr es Oles Vater und auch die umstehenden Fischer äußerten ihren Missmut. „Wo ist der Schnaps?“, wurde er immer lauter. „Wir sollten euch den Hosenboden stramm ziehen. Ihr habt also Süßigkeiten bestellt ohne uns zu fragen?“ Er stand auf und sah bedrohlich aus.
„Halt, halt“, schrie Inga, „wenn ihr uns etwas tut, kommt ihr ins Gefängnis.“
Die Spannung im Raum stieg. Im selben Moment gab es ein lautes schepperndes Geräusch und alle zuckten zusammen. Die Katze der Hansens hatte einen an der Tür stehenden Blecheimer umgestoßen. Erst als sie wie zur Entschuldigung miaute, entspannte sich die Situation wieder.
Bent Hansen jagte die Katze laut fluchend aus dem Raum und fragte die Kinder dann in ruhigem Ton. „Wieso sollten wir ins Gefängnis kommen, wenn wir unsere Kinder verhauen.“
„Wenn wir nicht bis acht Uhr bei Nielsen sind, wird er einen Briefumschlag öffnen, in dem steht, was ihr hier macht“, sagte Ole mit fester, klarer Stimme.
Alle schwiegen und schauten betreten auf die Uhr. Es waren noch dreißig Minuten. Bis dahin mussten sie sich geeinigt haben. Ganz schön raffiniert die Kleinen, dachte Hansen.
Eine Weile herrschte Ruhe, nur das Prasseln des Regens war auf dem Dach zu hören.
„Ich schlage vor, dass wir uns beraten“, brach Hansen das Schweigen. „Kinder, geht bitte fünf Minuten vor die Tür.“
Die Umstehenden nickten zustimmend.
Die Kinder verließen den Raum. Lange würden sie nicht warten müssen. Schließlich war es bald acht Uhr.
Oles Vater fragte als erster: „Was geschähe, falls es stimmt, was die Kinder sagen? Nielsen hat einen Brief, in dem alles genau aufgeschrieben steht was wir hier tun. Haben wir eine Wahl?“ Die anderen schwiegen oder murmelten sich unverständliches Zeug in den Bart.
Hansen fügte hinzu: „Leider ist es verboten Schnaps einzuführen, aber es ist nicht verboten, Kaugummi im Ausland zu kaufen.“
Allen wurde bald klar: sie mussten auf jeden Fall ihr Gesicht wahren und die Kinder waren in einer besseren Position. Nielsen durfte auf keinen Fall von dem Schmuggel erfahren.
Sie beschlossen, auf das Tauschgeschäft einzugehen. Sollten doch die Kinder ihr Kaugummi und die Gummibärchen haben. Nachdem alle zugestimmt hatten, riefen sie die Kinder wieder herein.
„Also gut“, sagte Hansen zu den Kindern, „wir bekommen den Schnaps und ihr bekommt die Süßigkeiten. Aber nur unter der Bedingung, dass ihr das Kaugummi nicht auf den Boden spuckt und die Gummibärchen nicht im Unterricht kaut“, sagte Bent Hansen.
Kalle überlegte einen Moment und sagte dann: „Und ihr müsst versprechen, euren Schnaps in Maßen zu trinken, euch nicht immer zu besaufen und in Zukunft nicht mehr zu schmuggeln.“ Er fühlte sich richtig gut, als er diesen Satz ausgesprochen hatte.
„Wenn nicht, haben wir immer noch die Gelegenheit, zu Nielsen zu gehen, um ihm alles zu sagen“, hängte er noch hinten dran, damit war klar, wie ernst es den Kindern war. Die Väter nickten ihr Einverständnis und schwiegen. Die Übergabe wurde auf den nächsten Tag festgelegt.
Sie hatten noch zehn Minuten, um zu Nielsen zu gehen und den Umschlag wieder in Empfang zu nehmen.
Als sie das Puppenmuseum verließen, sah Ole wieder den Schatten, der gerade hinter der Hausecke verschwand.
Nielsen
Als sie atemlos an Nielsens Haustür klingelten sahen sie, wie er gerade mit dem Fahrrad um die Ecke kam. Er hätte noch eine Spazierfahrt gemacht, weil die Luft nach dem Regen so schön klar ist, wie er sagte. Den Umschlag? Ach ja den Umschlag, den könnten sie natürlich wieder haben, holte ihn aus der Tasche und gab ihn Ole.
„Kann ich denn nicht ein bisschen von eurem Geheimnis erfahren?“, fragte Nielsen, dem natürlich klar war, dass es ein ‚bisschen Geheimnis’ nicht gab. Ole überlegte kurz und übergab Nielsen den Umschlag wortlos zurück. Inga und Kalle wollten gerade kräftig protestieren, aber Ole gab ihnen zu verstehen, das sei schon in Ordnung und sie müssten sich keine Sorgen machen. Sie bedankten sich bei Nielsen und machten sich auf den Weg.
Endlich geschafft
In einiger Entfernung von Nielsens Haus blieben sie stehen.
„Sag mal Ole, hast du noch alle Latten am Zaun? Warum hast du Nielsen den Umschlag gegeben? Wir haben doch fair mit unseren Väter verhandelt und nun hast du ihm den Brief trotzdem gegeben?“, wollte Inga wissen.
Ole lachte: „Glaubt ihr denn wirklich, ich würde unsere Väter bei der Polizei anzeigen? Das Blatt war doch leer.“
Der Bluff war Ole gelungen. Nicht einmal Inga und Kalle hatten etwas davon gemerkt. Jetzt freuten sie sich um so mehr. Am nächsten Tag würde die Welt auf Rømø anders aussehen.
„Ich bin gespannt wie die anderen Kinder reagieren, wenn wir ihnen auf dem Schulhof Süßigkeiten zum Kauf anbieten“, sagte Kalle.
„Gegen einen kleinen Aufpreis versteht sich“, fügte Ole lachend hinzu.
Besonders gespannt waren sie auf das Gesicht von Sörensen, dem alten Miesepeter. Sie fühlten sich wie Helden.
Entwarnung
Nielsen wunderte sich, warum die Kinder ihm den Umschlag gegeben hatten. Als er aber ein leeres Blatt Papier aus dem Umschlag nahm, schmunzelte er. Er ging in sein Büro, griff zum Hörer und rief seinen Kollegen Gröben in List an.
„Hallo Julius, wie geht es?“ fragte er, „ich möchte dich zu einer Angeltour auf einem Krabbenkutter einladen.“
Gröben nahm die Einladung gern an, und bevor er auflegen konnte, erwähnte Nielsen so beiläufig wie möglich, dass die Schmuggelgeschichte sich erledigt hätte.
Den Rest des Abends konnte Nielsen in Ruhe das Fußballspiel im Fernsehen anschauen.