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Die Karte des Lebens

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26.10.2002
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Die Karte des Lebens

Die Karte des Lebens


Sie ist angekommen, dort wo sie ihrem Leben ein Ende setzen will. In der Hand ihr Tagebuch blickt sie auf ihr Leben zurück. Ein Leben eingeschlossen in den Mauern der Einsamkeit, ein Leben voller Trauer und Schmerz. Wie fühlt man sich, wenn man geliebt wird? Was ist die Liebe? Sie hat sie nie erlebt. Was heißt es glücklich zu sein?
Auf einmal verschwimmt alles vor ihren Augen. Dicke Tränen rollen ihre Wangen hinunter. Sie leckt die salzigen Tropfen von ihren Lippen. Es ist jedoch nicht der kalte Wind, oder die Angst vor dem Tod, die ihr die Tränen in die Augen treiben. Wird man sie vermissen? Wer wird bei ihrer Beerdigung dabei sein? Wohl kaum Einer. Einige werden vielleicht sogar froh über ihren Tod sein oder es nicht einmal merken, dass sie nicht mehr da ist.
Langsam legt sich der Schleier von ihren Augen.
Plötzlich steht er vor ihr. Ein alter Mann, der sich scheinbar nur mit Mühe an einem alten Stock aufrecht hält. Sein schneeweißes, schulterlanges Haar weht sachte im Wind. Auch sein altes, runzeliges Gesicht ist von einem schneeweißen Bart umhüllt. Bekleidet ist er nur mit einer zerrissenen Stoffhose und einem dünnen Hemd aus Leinen. Darüber trägt er einen langen, viel zu großen, zerschlissenen, schwarzen Mantel.
Sie öffnet den Mund um etwas zusagen, da sieht er sie an. Es scheint ihr, als würden seine großen dunklen Augen direkt in ihre Gedanken schauen können. Sie weiß nicht warum, aber irgendwie hat sie Respekt vor diesem scheinbar hilflosen, alten Menschen. „ Wer bist du?“ bringt sie stotternd hervor. „Nenn mich, so wie du es willst“ seine Stimme klingt rau. „Ich beobachte dich schon seit einigen Tagen und ich glaube, du brauchst Hilfe.“ „Ich, Hilfe? Warum, wie kommst du darauf?“ Plötzlich wird sie wütend. Warum mischt sich dieser Penner in ihre Angelegenheiten ein? Schon so oft haben Leute gesagt, sie würden ihr helfen können, doch sie haben alles nur noch viel schlimmer gemacht. „Hau ab“, zischt sie „Ich brauche deine Hilfe nicht. Mir hat noch nie jemand helfen können. Ich bin mein ganzes Leben nur bergab gegangen, hatte nie Freunde, war immer schlecht in der Schule, hatte nie ein Erfolgserlebnis“ „ Ich war genau wie du“, entgegnet der Mann. Sie sieht ihn an. „Und was ist aus dir geworden? Ein Penner in zerrissenen Klamotten. So will ich nicht enden!“ Doch sofort ärgert sie sich über ihre Worte. Dieser alte Mann meint es ja nur gut mit ihr. Vielleicht kann er nichts dafür, dass er so ist. Beschämt blickt sie zum Boden. „Tut mir leid. Das wollte ich nicht sagen“, flüstert sie,“ es ist mir nur so rausgerutscht. „Ist schon okay, mach dir keine Sorgen“ entgegnet der Mann „Darf ich dir etwas zeigen?“ Sie nickt. Der Mann holt eine Karte aus seinem Mantel und breitet sie auf dem Boden aus. Es muss eine sehr alte Karte sein. Das dicke Pergament ist an einigen Stellen zerrissen und die Zeichnung ist nur noch blass.
Zuerst kann sie nur lauter Striche erkennen, die einfach kreuz und quer über das Pergament gemalt wurden. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt sie, dass die Striche Wege darstellen, die sich kreuzen. Einige dieser Wege sind ganz gerade, andere jedoch machen große Schleifen. Es gibt aber auch Wege, die in eine Sackgasse führen oder am Rande des Pergamentes einfach aufhören.
„Was soll das darstellen?“ Sie ist irritiert. Was möchte der Mann ihr wohl mit dieser Karte zeigen? „Das ist die Karte des Lebens“, antwortet er, „hier, das stellt den Anfang des Lebens da“ Er zeigt auf ein kleines, gemaltes Häuschen in der unteren Ecke des Pergamentes. „In deinem Leben hast du am Anfang noch alle Wege offen. Du kannst entscheiden, welchen Weg du gehst. Oft geht dein Weg geradeaus“, er zeigt auf einen geraden Weg, „ Es gibt aber auch Schleifen und Umwege mit Schwierigkeiten, die du zu überwinden hast, wie z.B. dieser Weg . Doch egal, wie gewunden dein Weg auch ist und egal wie lange du brauchst, du kommst immer ins Ziel, wenn du nicht aufgibst .“ dabei deutet er auf ein anderes Häuschen in der oberen linken Ecke des Pergamentes, wo in geschnörkelter Schrift das Wort Ziel zu erkennen ist.
„ Oh nein, ich habe es versucht“ sagt sie „ich komme nie zum Ziel, deshalb wäre es sinnvoll hier und jetzt mein Leben zu beenden.“ „ Du hast nie versucht, den richtigen Weg zu finden“ entgegnet der Mann „ich zeige dir einmal, wo du dich gerade befindest.“ Er deutet auf einen geraden Weg nicht weit vom Anfang entfernt, der jedoch nicht Richtung Ziel, sondern in die entgegengesetzte Richtung führt, wo der Weg am Rand des Blattes ohne Abzweigung aufhört.
„ Du bist in deinem Leben immer nur bergab gegangen. Du hast dich geradeaus immer weiter vom Ziel entfernt. Und jetzt möchtest du aufgeben, ohne dem Ziel auch nur ein Stück näher gekommen zu sein.“ Er legt die Hand auf ihre Schulter:“ Ich weiß, dass du hier her gekommen bist, um dir dein Leben zu nehmen“ Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Plötzlich kann sie sich nicht mehr beherrschen. Dicke Tränen rollen ihre Wangen herunter. „ Ja“ ,schluchzt sie, „ ich habe aufgegeben. Ich habe doch keinen, der mir hilft. Keine Freunde, keine Familie. Ich...“Er unterbricht sie. „ Es gibt Menschen, die dich lieben und sich Sorgen um dich machen. Du willst sie nur nicht sehen. Du bist immer nur weggelaufen, wenn sich jemand um dich kümmern wollte, wie du es bei mir am Anfang auch wolltest. Du hast dich immer mehr zurückgezogen und somit dich dem Ziel immer weiter entfernt“ Jetzt fließen ihre Tränen unaufhörlich. Dieser Mann hat ja recht, denkt sie. Sie wollte nie Hilfe, ja, sie hat sich gegen Hilfe regelrecht gewehrt. „ Was kann ich tun?“ Ihre Stimme zittert. Er zeigt auf das Pergament. „ Gehe den Weg zurück und fange noch einmal von vorne an. Egal wie lange du brauchst und mit wie vielen Windungen, du wirst dein Ziel erreichen.“ „Darf ich dich mal was fragen?“ Sie klingt unsicher. Er nickt. „Warum...?“Sie schluckt. Sollte sie diesen Mann wirklich fragen, warum er so ärmlich gekleidet ist, ja, so aussieht, als wäre er obdachlos.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen sagt er „ Ich erwähnte bereits, dass ich genauso war wie du. Ich habe jedoch zu spät verstanden, dass ich in die falsche Richtung laufe.“ Er lächelt „ Aber trotz allem, obwohl ich nie die Chance haben werde, noch einmal von vorne anzufangen, bin ich meinem Ziel doch schon sehr nahe gekommen.“ Er zeigt auf das Pergament , auf einen kleinen Weg, der nicht vom Anfang ausgeht, sondern eine Abzweigung des geraden Weges ist, der sich vom Ziel entfernt. „ Hier“ sagt er „ ich habe es geschafft, diesen kleinen Weg, der vom falschen abzweigt, Richtung Ziel zu gelangen. Dieser Weg aber ist der Schwierigste von allen und ich habe sehr viel Kraft gebraucht, ihn zu gehen“ Sie sieht ihn an. Sie bewundert ihn, denn er ist der erste Mensch seit langem, der sie ernst nimmt.„ Was kann ich tun, um zum Anfang zu gelangen“ fragt sie. Er lächelt. „ Den ersten Schritt hast du bereits getan. Du hast dich entschieden, dir nicht das Leben zu nehmen und den richtigen Weg einzuschlagen. Auch ich bin meinem Ziel viel näher gekommen. Ich habe dich nun in die richtige Richtung geschickt, Da“ er deutet auf das Pergament „nimm es und hilf anderen Menschen, den richtigen Weg zu finden.“ Er dreht sich um , um zu gehen. „Warte“ ,sie springt auf und läuft zu dem alten Mann. „Danke“ ,flüstert sie, „danke.“. Wieder lächelt er, dann ist er zwischen den Bäumen und der Dunkelheit verschwunden.
Sie nimmt das Pergament, faltet es zusammen und steckt es in die Tasche. Jetzt weiß sie, was zu tun ist.

 

Hallo Sarandrea!

Deine Geschichte hat mir zwar nicht allzu gut gefallen, aber schlecht war sie nicht. Insgesamt mittelmäßig.

Anfangs dachte ich, mal wieder eine dieser zahllosen Selbstmordgeschichten zu lesen, die immer wieder aufs gleiche enden, aber das war hier ja glücklicherweise nicht der Fall.
Spätestens an der Stelle, an der du die Karte erwähnst, ist der Text interessant geworden.

Eine inhaltliche Sache:

"Ich bin mein ganzes Leben nur bergab gegangen, hatte nie Freunde, war immer schlecht in der Schule, hatte nie ein Erfolgserlebnis" [...] "ich komme nie zum Ziel, deshalb wäre es sinnvoll hier und jetzt mein Leben zu beenden"
Ich glaube nicht, dass ein Mädchen, das kurz vor dem Selbstmord steht, einem fremden Mann solche Eingeständnisse anvertraut. Konnte ich persönlich nicht ganz nachvollziehen.

Dass der unbekannte Mann wie aus dem Nichts auftaucht und auch wieder dorthin verschwindet, ist zwar unwahrscheinlich in einer solchen Situation, aber für den Verlauf der Geschichte gefällt mir sein Erscheinen ganz gut.
Etwas merkwürdig ist, dass er gut über das Leben der Protagonistin Bescheid gewusst haben muss. Sonst hätte er nicht wissen können, dass sie ihr ganzen Leben immer vor den Menschen davongelaufen ist.
Realistisch betrachtet ist sein plötzliches Auftauchen also eher unwahrscheinlich.

Der Text selbst las sich flüssig und war sprachlich in Ordnung. Allerdings würde ich während des Dialogs noch einige Absätze setzen. Und zwar immer an der Stelle, wenn ein Personenwechsel eintritt. Liest sich dann besser. Auch würde ich bei der wörtlichen Rede die Leerzeichen nach den ersten Anführungsstrichen rauslöschen; ist unüblich.

Einige Kleinigkeiten, dir mir während des Lesens aufgefallen sind:

Wohl kaum Einer
Wohl kaum einer.
Sie öffnet den Mund um etwas zusagen, da sieht er sie an
zu sagen
Zuerst kann sie nur lauter Striche erkennen, die einfach kreuz und quer über das Pergament gemalt wurden.
umgangssprachlich - Vorschlag: zahlreiche
Dieser Weg aber ist der Schwierigste von allen
schwierigste (Bezug auf "Weg")
Er lächelt.
Wiederholung, da der Satz an zwei Stellen vorkommt.

Insgesamt keine schlechte Geschichte, könnte aber noch verbessert werden. Würde dir bestimmt auch gelingen, wenn du dich noch einmal mit dem Text befasst.

Also, dranbleiben und weiterschreiben.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Hallo Sarandrea!

Deine Geschichte hat mir gefallen und auch nicht.
Was ich schön finde, ist die Handlung, die Idee, wie Du dieses Thema in eine Geschichte einbaust. Den alten Mann finde ich gut und sympathisch charakterisiert.

Was mir nicht so gefallen hat, ist die Behandlung des Themas der verschiedenen Wege an sich. Sie ist ziemlich flach und oberflächlich, obwohl sie eigentlich das Wichtigste in Deiner Geschichte darstellt. Es macht nichts aus, wenn die Geschichte doppelt so lang wird, wenn Du dafür mehr ins Detail gehst, tiefere oder noch besser: mit der Realität vergleichende Gedanken einfließen läßt.

Bei "In deinem Leben hast du am Anfang noch alle Wege offen. Du kannst entscheiden, welchen Weg du gehst." konnte ich mir ein lautes "Ha ha" nicht zurückhalten. Man kann schon auch ganz schön - nicht nur durch die Erzieher - in eine Richtung gedrängt werden, ohne daß man eine Wahl hat und muß dann später meist mühsam den Weg suchen, der eigentlich von Anfang an der eigene gewesen wäre. Ein Glück, wenn man ihn dann auch findet. ;)

Alles liebe,
Susi

 

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