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Die Japanische Geliebte
Sie saß in einem kurzen durchsichtigen Kleid unter einem blauen Wasserfall, der sie mit gierigen Liebkosungen umwarb. Über dem Scheitel ihrer langen Haare wirbelte eine weiße Gischtwolke. Die junge Frau stützte beide Ellenbogen auf die Knie und hielt die Finger ineinander verflochten. Ihre nackten Zehen stemmten sich haltsuchend in das poröse Lavagestein, in dem eine kleine Konifere um ihr Überleben kämpfte.
Je intensiver ich die Frau betrachtete, desto deutlicher schien sie mir von einer magischen Aura umgeben, die ihre zarte Haut und ihr tintenschwarzes Haar vor dem direkten Anprall des Wassers schützte. In ihrem blasses Gesicht mit den schrägen, halb geschlossenen Augen spiegelte sich ein sinnlicher Traum.
In dem japanischen Antiquitätenladen, den ich zufällig betreten hatte, wandte sich der Besitzer in einer Phantasiesprache an mich, die er für Englisch hielt. Alles was ich verstand war ein Name: Kuniyoshi.
Endlich kapierte ich, dass er mir den Künstler des Farbholzschnitts nannte, den ich seit zehn Minuten bewunderte.
Wie ein Echo gingen mir die Namen der berühmtesten japanischen Holzschnittmeister durch den Kopf, klangvolle Namen: Utagawa Kunisada, Hiroshige, Hokusai, Toyohara Kunichika, der vierzig Mal verheiratet gewesen sein soll, und ein bedeutender Künstler mit dem deutsch klingenden Namen Eisen, der zeitweise Bordellbesitzer war. Mein Wissen über japanische Kunst beschränkte sich leider auf Anekdotisches.
Ich kaufte die geheimnisvolle "Frau unter dem blauen Wasserfall", weil sie meine Phantasie anregte. Ob ich beim Erwerb dieses Blattes (von 1856) übervorteilt wurde oder einen reelen Preis bezahlte, war mir in diesem Augenblick egal.
Als ich den sorgfältig verpackten Holzschnitt unter den Arm klemmte und mich umwandte, schlug mir ein lautloser Blitz zwischen die Lenden. Ich blickte direkt in das lebensgroße Gesicht der Frau unter dem Wasserfall. Sie hielt den Blick gesenkt. Ihr lasziv geöffneter Mund entblößte die obere Reihe ihrer kleinen weißen Zähne. Auf den hohen Wangenknochen spielte ein bleicher Glanz. Ihr verheißungsvolles Lächeln verstörte und erregte mich zugleich.
Ich konnte mir nicht erklären, weshalb die Frauenmaske, die neben der Tür an der Wand hing, eine solche Wirkung auf mich ausübte. Der klügste Ausweg aus dieser Situation hieß Flucht. Ich riss meinen Blick von dem verführerischen Antlitz los und stürmte auf die Straße hinaus.
Siegesgewiß rief mir der Ladenbesitzer ein "Bye- bye" hinterher.
Lächerlich! Mein Orientierungssinn ist miserabel und die japanischen Straßennamen konnte ich erst recht nicht entziffern. Ich wußte nicht einmal in welchem Teil der alten Kaiserstadt Kyoto ich mich befand. Ein Taxi brachte mich ins Hotel zurück.
Nachts wurde ich von erotischen Träumen heimgesucht, in denen die halbnackte Frau aus dem blauen Wasserfall hervortrat, kühl und trocken in mein Bett stieg und meine japanische Geliebte wurde. Am Morgen kam ich mir wie gerädert vor.
Um einem persönlichen Kulturschock zu entgehen, verordnete ich mir einen sight-seeing-freien Vormittag. Ich hatte in kurzer Zeit so viele Tempel, Pagoden, Shinto-Schreine, Ziergärten, Buddhastatuen und andere Kunstwerke gesehen, dass sie sich nur noch in unscharfen Überblendungen in meinem Gehirn speicherten.
Unternehmungslustig ließ ich mich im Stadtkern absetzen, um mir den neuesten DVD-Camcorder zu kaufen.Doch es war wie verhext. Kein Fotoladen weit und breit. Nicht genug damit, ich schien auch noch im Kreis zu laufen. Genervt brach ich in die nächste Seitenstraße aus. Nach kaum hundert Schritten stand ich vor dem Antiquitätengeschäft, vor dem mich der Besitzer lächelnd begrüßte, als habe er mich schon erwartet. Verblüfft und widerstandslos folgte ich ihm in seinen Laden, den ich nach zehn Minuten mit einer kunstvoll verpackten Lackschatulle wieder verließ. Statt für den Camcorder hatte ich mich für die teuere No-Maske entschieden. Für beides reichte meine Reisekasse nicht. Immerhin hielt ich mich an den Vorsatz, das Paket erst nach meiner Rückkehr auszupacken. In zwei Tagen startete mein Flieger nach Deutschland.
*********
Die Windböen rüttelten leise an den Fenstern meiner Single-Wohnung an der Außenalster. Das Geschrei der Möwen hieß mich in Hamburg willkommen.
Vor einer Stunde hatte ich feierlich die grüne Seidenkordel von der Lackschatulle gelöst und meiner Freundin Verena die japanische Theatermaske wie einen Fetisch präsentiert. Doch das asiatische Gesicht mit den halb geschlossenen Augen und dem erstarrten Lächeln schien ihr nicht ganz geheuer. Das Motiv der Frau unter dem blauen Wasserfall gefiel ihr hingegen so gut, dass ich mich verpflichtet fühlte, ihr den Farbholzschnitt zu schenken.
Danach nahm ich kurz entschlossen eine Horst Janssen-Lithographie von der Wand und hängte die Maske an den frei gewordenen Nagel. Ein Ehrenplatz.
Verena war schlank, ziemlich groß, brünett und attraktiv. Zudem besaß sie Stil. Ihr Parfum verströmte einen dezent sinnlichen Duft. Das kleine Begrüßungssouper, das sie vorbereitet hatte, schmeckte vorzüglich. Der Chablis in den klassischen Weißweingläsern war gut gekühlt und aus den Boxen der Stereoanlage klang Whitney Hustons "Exhale". Im Raum verteilt brannten zwölf Kerzen; eine für jeden Tag, an dem wir getrennt waren.
Unwillkürlich zog die Maske immer wieder unsere Blicke auf sich. Der kleinste Beleuchtungswechsel, schon eine flackernde Kerzenflamme genügte, um ihren Gesichtsausdruck zu verändern; geradezu unheimlich.
Nachdem wir die Flasche geleert hatten, überfiel mich Verena mit dem Einfall, die restlichen Aufnahmen meines letzten Japanfilms zu verknipsen. Im Flur stand meine erst halb ausgepackte Reisetasche, aus der ich meine Minolta kramte. Es waren noch 13 Aufnahmen in der Kamera. Dreizehn.
Als ich ins Zimmer trat, saß Verena mit lässig gespreizten Beinen unter der Stehlampe in meinem Rattansessel. Sie hatte ihre Scheu überwunden und sich die Maske umgebunden. Ihre Stimme klang etwas hohl: "Du hast m i c h hinter der Maske gesehen, deshalb war es Liebe auf den ersten Blick!" Ihr fliederfarbenes T-Shirt umspannte ihe kecken Brüste und mit ihren langen Beinen machte sie Nadja Auermann Konkurrenz.
Während ich zu fotografieren begann, erzählte ich ihr, dass die alte Maske noch jungfräulich sei, da sie noch nie von einem Schauspieler getragen wurde, sonst hätte sein Gesichtsschweiß die leicht gerippte Innenform zersetzt. (In den traditionellen No-Spielen werden auch die Frauenrollen von Männern dargestellt).
Verena erfand im Schutz der Maske immer neue Posen. Sie spielte die Burschikose, die Verruchte, die Schüchterne, die große Dame und geile Kokotte. Zuletzt streifte sie ihre Jeans ab und behielt nur den schwarzen Spitzenslip und ihre High Heels an. Und die Maske natürlich. Genußvoll klemmte sie sich eine Zigarette zwischen die geschnitzten, rot bemalten Lippen, die mich höhnisch anzugrinsen schienen.
Das automatische Rückspulgeräusch des Films weckte mich aus einer Art Trance.Ich hätte ewig so weiter fotografieren können.
Erschöpft legte Verena die Maske ab, schüttelte ihre braunen Locken zurecht und fiel mir mit einem Seufzer der Erleichterung in die Arme.
Wie die Maske danach in unser Bett kam, weiß ich nicht. Jedenfalls drängte sie sich auf eine perverse Art in unsere Zärtlichkeiten und geriet immer wieder zwischen unsere nackten Körper. Ein Mal klebte sie an Verenas Brust, sprang als Schutzschild vor ihre Scham, oder drückte sich lüstern zwischen meine Lenden. Ich kam mir vor wie bei einer heimlichen ménage à trois.
Wie heißt es so schön? Wenn der Sex sich die Phantasie zur Geliebten nimmt, wird Erotik daraus.
******
Drei Tage später rief mich Verena nach einer Vorlesung an: "Stell dir vor, ich habe mit zwei Männern zugleich geschlafen!" Sie klang äußerst animiert.
Ich ließ beinahe mein Handy fallen. "Was?"
"Ich habe unsere Fotos abgeholt. Sie werden dir gefallen. Ich habe sie vorhin einem japanischen Kommilitonen gezeigt -"
"Du hast sie einem Fremden -?"
"Nur die harmlosen", unterbrach sie mich.
"Was hat das mit den zwei Männern in Deinem Bett zu tun?"
"Paß auf: Beim NO-Theater arbeiten die Schauspieler mit stilisierten Typenmasken. Jeder Figur wird eine bestimmte Charaktermaske zugeordnet. Der jungen Frau, der Mutter, dem Alten -"
"Ich weiß das, Liebling", unterbrach ich sie. Das `Liebling` hätte ich mir in dieser Situation sparen können.
"Also kurz und gut, deine NO-Maske ist gar keine Frauenmaske." Kunstpause. Dann schoß sie ihre Pointe ab: "Sie stellt einen jungen Prinzen dar!"
"Aber das weiche Gesicht, der lüsterne Mund, die fein konturierten Augenbrauen -", protestierte ich.
"Genau das sind die typischen Merkmale. Ja, mein Lieber, du hast dich in Kyoto in einen Mann verliebt. Gott sei Dank hat er im sechzehnten Jahrhundert gelebt, oder so."
"Oder so."
"Und da er vor drei Nächten in unserem Bett lag, habe ich mit zwei Männern geschlafen." Sie unterdrückte ein Lachen.
"Und ich mit dir und einem Prinzen."
"Aber nicht, dass Du mir jetzt auf den Geschmack kommst!"
"Keine Bange", verkündete ich im Brustton der Überzeugung, "ich sperre diesen aufdringlichen Kerl augenblicklich in seine Lackschatulle!"
"Oh bitte warte noch ein bißchen! Falls ich in keinen Stau komme, bin ich in einer halben Stunde bei dir, Liebster. Mir ist da etwas eingefallen, das wir noch ausprobieren könnten. Ich eile!"
Als ich das Handy weglegte, fiel mein Blick auf den Holzschnitt. Noch war er ohne Rahmen und meine japanische Geliebte hinter keine entspiegelte Glasscheibe gesperrt. Noch konnte sie wie in meinem Traum in Kyoto unter dem Wasserfall hervortreten und...
Doch dann wären wir schon ein Quartett im Bett.
GeFel