- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Die Jahreszeiten
Der Winter ist ein alter Mann. Er sitzt in seinem dicken Mantel aus weißem Eisbärenfell auf einem Berg im Schnee. Der März ist schon fast vorbei, aber der Nordwind hat noch einmal viel Frost und Eis gebracht. Er ist der Diener des Winters, und der Alte freut sich, wie schön kalt und weiß alles ist. Oh ja, er will noch lange bleiben.
Da kommt ein junger Mann herbeigetanzt. Aber wie sieht er aus! Er hat ganz grüne Kleider an und Blumen im Haar wie ein Mädchen. Sogar seine Socken sind grün und voller Blümchen.
„Was willst du denn hier, Frühling?“, ruft der Winter. „Verschwinde, sonst rufe ich den Nordwind und alle deine bunten Blümchen werden zu Eis!“
„He Alter, denkst du, ich habe Angst vor dir?“, lacht der junge Mann frech. „Hau du ab, deine Zeit ist vorbei, jetzt komme ich und lasse dein schönes weißes Eis zu Dreckwasser schmelzen.“ Er pfeift auf den Fingern. Da schiebt die Sonne die Wolken beiseite und guckt vom blauen Himmel herunter.
„Hallo, Frühling!“, ruft sie. „Endlich bist du da! Ich habe schon auf dich gewartet!“
„Halt den Mund, Sonne!“, ruft der Winter. Aber die Sonne lacht nur und schickt warme Strahlen auf die Erde. Da wird das Eis zu Wasser. Überall fängt es an zu tropfen. Der Frühling patscht mit dem Fuß in eine Pfütze.
„Bist du verrückt?“, schreit der Winter. „guck mal, was du gemacht hast! Mein schöner weißer Pelz ist ganz schmutzig!“
„Magst du das nicht?“, ruft der Frühling. „Dann verzieh dich doch!“ Und er patscht noch einmal so richtig schön in das Dreckwasser hinein.
„Nordwind“, brüllt der Winter, „komm schnell her!“
Aber der hat drei Monate lang schwer gearbeitet und ist müde. Er kann gerade noch den Winter auf seine Schulter setzten und mit ihm nach Norden fliegen.
Der Frühling ist Sieger. Schnee und Eis tauen weg, die Grashalme stecken ihre Spitzen aus der Erde, die Forsythienbüsche sind über und über voller leuchtend gelber Blüten, und überall riecht es nach frischem Grün. Die Bauern ernten das erste Gemüse, drei Monate lang blühen überall die Blumen und Bäume.
Dann kommt der Sommer. Das findet der Frühling okay, denn der Sommer ist sein Freund. Die Menschen lieben den Sommer genauso wie den Frühling. Er lässt das Getreide reifen und schenkt den Kindern die großen Ferien. Er möchte es überall schön heiß haben. Aber diesmal hat er zu viel getan. Die Menschen stöhnen unter der Hitze und wünschen ihn weit weg. Und der Sommer? Der möchte jetzt selbst weg, denn er hat von seiner eigenen Hitze Kopfschmerzen bekommen. Aber das geht nicht so einfach, denn er muss auf den Herbst warten. Und der kommt dann auch endlich. Er bringt große Körbe voller Obst mit.
„Bitte, hilf mir, lieber Herbst!“, ruft der Sommer. „Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen von der Hitze, die ich gemacht habe.“
„Du hast mal wieder übertrieben, nicht wahr?” sagt der Herbst kopfschüttelnd.
„Na ja ... Ich wollte doch nur, dass die Kinder in den Ferien schönes Badewetter haben.”
„Und was hast du ihnen gebracht? Backofenhitze. Na, schon gut. Hier, iss ein paar schöne saftige Pflaumen, das hilft“, sagt der Herbst.
Der Sommer isst die Pflaumen, aber die Kopfschmerzen gehen nicht weg. Da ruft der Herbst den Westwind. Der bringt einen tüchtigen Regenguss mit.
„Ah, das tut gut!“, ruft der Sommer. Er ist pitschnass geworden, aber die Kopfschmerzen sind weg.
„Dankeschön, Herbst“, sagt er und fliegt davon.
Wenn der Herbst kommt, werden die Menschen ein bisschen traurig, weil nun bald die Blätter von den Bäumen fallen und der Winter kommt. Da muss der Herbst die Leute fröhlich machen. Deswegen hat er das viele Obst mitgebracht. Schwer lassen die Bäume die Äste hängen und warten, dass all das viele Obst, das sie tragen müssen, endlich gepflückt wird, damit sie von ihrer Last befreit werden. Die Menschen lassen sich nicht lange bitten. Sie kommen mit großen Körben und da wandern nun alle die Äpfel, Birnen, Pflaumen und Weintrauben hinein. Die Bäume atmen erleichtert auf. Aber der Herbst weiß, dass es nicht genug ist, wenn er Obst bringt. Also pinselt er schnell noch alle grünen Blätter bunt: gelb, rot, orange und braun. Das finden die Leute schön und stellen sich große Sträuße mit den bunten Herbstblättern in die Wohnungen. An den Abenden lässt er weiße Nebelgestalten über die Wiesen tanzen. Das sieht wie im Märchen aus, manchmal aber auch richtig gruselig.
Aber bald kommt wieder der Nordwind geflogen. Auf seinen Schultern sitzt der Winter in seinem langen, weißen Pelzmantel. Er weiß, dass die Menschen eigentlich gar nicht richtig traurig sind, wenn er kommt. Er bringt ja das Weihnachtsfest, wo es viele Geschenke gibt! Die Kinder können skilaufen, Schlitten fahren, einen Schneemann bauen und Schneeballschlachten machen. Zuhause sitzen sie am warmen Ofen, und Mutter macht Bratäpfel. Die Kinder haben also auch im Winter jede Menge Spaß. Nur wenn der Alte zu lange bleibt, finden sie es nicht so schön. Aber sie wissen genau, dass der Frühling ihn am Ende doch wieder vertreibt. Und das weiß der Winter auch selbst. Er hofft nur, dass der freche junge Mann ihm das nächste Mal nicht wieder den Pelz dreckig macht.