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Die Insel

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22.03.2009
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Die Insel

Die Insel​

Von den zweiundsechzig Insassen hatten vierzehn die Notlandung nach dem plötzlich einsetzenden Brand an Bord überlebt. Ich gehörte glücklicherweise dazu. Aber viele andere, darunter auch zwei meiner Freunde, starben. Sie werden nie wiederkommen. Ich brauchte sehr lange, bis ich diesen Fakt verarbeiten und mich an ihn gewöhnen konnte.
Die Anfangszeit war dementsprechend hart. Die toten Körper begannen zu riechen und wir kamen mit den Beerdigungen kaum hinterher. Die Kräfte schwanden, wenn sie sich nach dem Absturz nicht schon auf dem Nullpunkt befanden. Zu dieser Zeit brannte das Wrack noch lichterloh und erhitzte die Tropenluft zusätzlich, welche im Zusammenwirken mit der hohen Luftfeuchte kaum zu atmen war. Dadurch verloren wir drei ältere Überlebende.

Nach drei Tagen hatten wir alle beerdigt, das Notdürftigste aus dem Raumschiff gerettet, die Feuer gelöscht, uns an die Hitze gewöhnt und all unsere Hoffnungen mitbegraben. Ja, ich kann sagen, dass wir keine Hoffnung auf Rettung hegten. Drei Tage und kein einziges Schiff überflog die Insel. Keine Suchaktion, keine Aussicht auf Rettung.
Aber was hatten wir erwartet? Wir waren ein Flüchtlingstransport. Vollgestopft mit verkrachten Persönlichkeiten, die ihr belangloses Leben auf Roone hinter sich ließen. Für uns interessierte sich niemand. Wir waren entbehrlich. Uns wünschte man einen Absturz.

Warum im Raumschiff Feuer ausbrach und uns zur überstürtzten, unkontrollierten Landung zwang, weiß ich nicht. Einer der Überlebenden sprach von einem Kabelbrand, der sich leider auf das ganze Schiff ausbreitete und alle wichtigen Funktionen lahmlegte. Aber damit kenne ich mich nicht aus. Es war geschehen. Damit musste ich leben.
Leben? Wir hatten kein Leben mehr. Wir hingen auf der Insel fest, deren vorgelagerte, starke Strömung eine Fahrt mit Floß oder Boot von vornherein zunichte machte. Das Funkgerät war verschmort, der Rettungssender ebenso. Ob die Flugraumüberwachung auf Beyn uns überhaupt registrierte, wage ich zu bezweifeln. Als Flüchtige achteten wir peinlichst darauf, nicht entdeckt zu werden. Das hatten wir nun davon. Wir waren auf uns gestellt. Nur zehn Leute, weil Phil Sokobulas am vierten Tag seinen Verletzungen erlag.

Ich bemerkte ohne weiteres den Argwohn der neun anderen mir gegenüber. Ich gehörte nicht zu ihnen. Ich war keiner von ihnen. Mein Platz im Schiff hatte ich nur Kapitän Mollok zu verdanken, den ich über zwölf Ecken kannte und ich ihm früher einen Gefallen erwiesen hatte. Das wussten die anderen. Mein Pech.
Ich wurde geschnitten, nicht beachtet, belächelt, für dumm gehalten. Das war nun mal das Los von Leuten wie mir. Wir hatten auf Roone nichts zu sagen, wurden nicht ernst genommen und durften nicht mitreden. Wie im tiefsten Mittelalter. Deshalb bin ich geflüchtet. Für die Möglichkeit war ich Kapitän Mollok unendlich dankbar. Ich weiß sehr wohl, welches Risiko er damit einging, indem er sich während des Fluges vor mich stellte. Doch jetzt, nach dem Absturz und seinem Tod, wurde alles wieder wie vorher. Ich war allein unter Fremden.

Das gerettete Essen aus dem Raumschiff neigte sich bald dem Ende entgegen. Peter Stomish und Roger Wiskan erkranken und starben nach zwei Wochen. Wir konnten ihnen nicht helfen. Weder besaß jemand von uns medizinische Fachkenntnisse noch konnten wir Arzneimittel einsetzen. Sie waren verbrannt.
Doch nach und nach besserte sich die Lage. Die Inselwelt gab einiges her und irgendwie schien ich die einzige Person zu sein, die etwas von Überlebensstrategien verstand. Mein Wissen beruhte auf Fernsehsendungen. Wir bauten aus dem ausgebrannten Wrack eine Behausung, gewannen Trinkwasser, beschafften essbares Obst, gingen hin und wieder erfolgreich jagen, hatten eine klare Tages- und Arbeitseinteilung und gewöhnten uns aneinander.
Ich erarbeitete mir Respekt, wurde langsam geachtet und mein Stellenwert wuchs. Ich hatte ihnen gesagt, was sie tun, suchen oder bauen sollen, wie man jagt, Feuer macht, Trinkwasser gewann. Es war, als hörten sie einige Dinge zum ersten Mal. Mir ging es gut dabei und allmählich machte ich mir kaum noch Gedanken darüber, dass ich anders war und eigentlich nicht zu ihrem Stand gehörte.
Ihnen erging es genauso. Dass ich war, was ich bin, interessierte keinen mehr. Meine Leistungen wurden bestaunt und respektiert. Ich rettete ihr Leben und währenddessen wurde ich irgendwie zum Anführer der achtköpfigen Gruppe.
Ausgerechnet ich.

Sechs Wochen waren vorüber und das Leben normalisierte sich halbwegs, wenn man denn von normal reden konnte. Teilweise genossen wir das Leben auf der Insel. Ich war stolz auf das Geleistete und auch auf mich. Niemand hätte mir das zugetraut, nicht jemanden wie mir. Ich hatte nichts dagegen, dass alles so weiter gehen würde. Die Insel war wie ein Kleinod, das ich mir für mich immer erträumt hatte.
Doch dann kamen sie.

Das Raumschiff des Militärs von Beyn schwebte bedrohlich über uns. Wir wurden Tags zuvor per Satellit entdeckt und anscheinend hatten sie etwas dagegen, dass es sich Flüchtlinge auf einer ihrer unbewohnten Inseln gemütlich machen. Sie schritten ein.
Glücklicherweise hielten sie sich an interstellare Gesetze, d.h. sie verhandelten. Als Flüchtlinge hatten wir ihren Boden betreten, jetzt mussten wir unsere Kapitulation regeln, darüber galt es zu verhandeln.
Würden die Beyner unsere Bedingungen nicht akzeptieren, könnten sie uns wieder fortschicken oder gar ins Gefängnis stecken. Wir würden jedoch keine Bedingungen stellen und völlige Aufgabe beantragen. Das sollten sie annehmen, denn es war die übliche Herangehensweise von und mit Flüchtlingen in diesem Quadranten und der erste Schritt zur Erlangung des Asylrechtes.
Aber es gab ein Riesenproblem.
Sie verlangten nach unserem Anführer, dem Verhandlungspartner.

Meine sieben Mitstreiter schauten mich an. Skepsis machte sich breit, dennoch nickten sie mir zu. Ich lächelte und mein Herz schlug schneller. Sie standen hinter mir. Ich sollte der Verhandlungspartner sein. Aber würden das die Beyner auch so sehen?
Das beschäftigte mich, als wir ihnen den Fakt übermittelten. Es blieb lange Zeit ruhig, in der sie sicherlich diskutierten. Innerlich wusste ich irgendwie, dass es nicht gut enden würde. Jemand wie ich darf nicht Anführer sein oder ein Kommando inne haben. Nicht in diesem Teil des Universums. Dafür sind wir nicht vorgesehen.
Was auf einer abgelegenen Insel funktioniert, interessiert in der großen, weiten Galaxie niemanden. So sahen es auch die Militärs von Beyn und ihre Antwort fiel knapp, hart und unmenschlich aus.
„Wir verhandeln nicht mit Frauen!“

 

Hallo Earl,

zunächst mal ein Lob: Der erste Satz ist hervorragend. Er weckt Neugier, ich lese weiter.

Nun zur Kritik :D

Show, don't tell!
Du erzählst mit wilden Sprüngen zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Dingen, die noch früher geschahen, aber du lässt uns nicht am Geschehen teilhaben. Daher wird es wenig spürbar, die Figuren bleiben anonym. Freilich ist das für die Pointe notwendig, weil du persönliche Fürwörter vermeiden musst. Damit bin ich beim letzten Punkt:

Die Pointe ist böse, aber doch ziemlich dünn. Die ganze Story ließe sich auf einen Satz reduzieren (den letzten). Der ganze Text wird durch die Pointe entwertet, weil das Geschehen ziemlich irrelevant ist. Bös ausgedrückt, ist deine Story nicht mehr als ein mit überaus umfangreicher Vorrede in die Länge gezogener Witz.

Sozialkritik, die du vielleicht beabsichtigt hast, bleibt im Ansatz stecken, denn in dem Moment, in dem es zum Konflikt kommt, ist die Geschichte zuende.

Fazit: Sprachlich okay, inhaltlich nur ein länglicher (wenngleich böser) Witz.

Uwe
:cool:

 

Malhzeit.
Ich danke dir für Kritik und Lob (immerhin ein Satz :D).
Sozialkritik hatte ich eigentlich gar nicht beabsichtigt. Sie ergibt sich einfach aus dem letzten Satz. Man könnte sicherlich sozialkritisch werden und hinterfragen, warum es in diesem Teil des Universums solche Zustände gibt, doch das wollte ich aussparen.
Die wilden "Sprünge" sind "halbwegs" gewollt und erforderlich. Sie sollen die wechselnden Standpunkte (bzw. Umstände) der Hauptperson darstellen. Gibt sicherlich bessere stilistische Mittel, bezieht sich aber alles auf den letzten Satz.
Nochmals Danke und Grüße,
Earl Hickey.

 

Hi Earl,

Malhzeit.
Ich danke dir für Kritik und Lob (immerhin ein Satz :D).
Sozialkritik hatte ich eigentlich gar nicht beabsichtigt. Sie ergibt sich einfach aus dem letzten Satz. Man könnte sicherlich sozialkritisch werden und hinterfragen, warum es in diesem Teil des Universums solche Zustände gibt, doch das wollte ich aussparen.
Aber was willst du dann mit der Story sagen?

Ferner: Mit einem Raumschiff auf einer Insel abzustürzen ist schon ein hartes Stück. So ein Ding hat viel mehr Fahrt drauf als ein Flugzeug und ebenso fängt es mal nicht so eben Feuer. Da müsste schon ein anderer Schaden herhalten, mit dem sie dennoch eine Bruchlandung hinlegen.
Dass sie sich dann darüber beschwert, dass kein anderes Raumschiff die insel überfliegt klingt danach, als würde sonst überall Raumschiffe den Planeten umkreisen nur eben dort nicht - seltsam.
Und überhaupt: Warum SF? Alles klingt eher nach einem Flugzeugabsturz.
Eine gute Schreibe (finde ich) aber die Story ist mau.
Grüße,
Tyll

 

Hallo Earl,

neue Woche, neuer Hickey ;)

Ich stimme meinen Vorrednern zu: gut geschrieben, aber die Pointe ist zu mau. (Die von Tyll angesprochenen Probleme finde ich nicht so relevant. Ich gehe mal davon aus, dass es sich nicht um einen orbitalen Absturz handelte, sondern dass er während eines atmosphärischen Fluges stattfand. Vielleicht ließe sich das aber entschärfen, wenn du statt von Absturz von Notlandung sprächest.)

Was ich aber interessant finde, ist die Sprache der Erzählerin: sehr sachlich, distanziert, nüchtern. So, als fände im Nachhinein eine Untersuchung statt, in der sie eine Aussage macht oder Ähnliches. Auf jeden Fall nicht eine zeitnahe Darstellung des aktuen Überlebenskampfes. Das lässt mich vermuten, dass die Oceanic Ten die Insel doch noch verlassen haben.
Da stellt sich mir die Frage: wie? Und welche Auswirkungen hatte das? Spontan sehe ich eine Art Befreier der Unterdrückten vor mir, der durch sein Beispiel und den Respekt den er sich bei seinen Gefährten erworben hat, den Weg zu einer Gleichberechtigung geebnet hat und jetzt rückblickend seinen Enkeln erzählt, wie es dazu gekommen ist, und wie das Leben in Zeiten der Diskriminierung gewesen ist. (Übrigens schreibe ich hier "er", weil ich in dem Falle die Diskriminierung an etwas anderem als dem Geschlecht festmachen würde, das kommt mir dann doch etwas zu platt vor.)
Aber wahrscheinlich ist das sowieso schon eine ganz andere Geschichte ;)

Gruß,
Teetrinker.

 

Mahlzeit Teetrinker.
Wie immer sehr treffende und ausführliche Bemerkungen deinerseits. Vielen Dank. Die Idee mit der Notlandung statt Absturz ist klasse. Werde ich die nächsten Tage mal einbauen, wenn ich die Zeit habe und ich die Idee von dir "übernehmen" darf ;).
Die nüchterne Erzählweise ist bewusst gewählt. Ich dachte beim Schreiben eher an folgendes Szenario: Da nicht mit Frauen verhandelt wird, werden die Oceanic ten, insbesondere die Hauptakteurin wegen Amtsanmaßung (in diese Richtung) festgenommen. Und während des Fluges ins Gefängnis lässt sie die Geschehnisse Revue passieren. Sachlich und resignierend. Wie der Prozess ausgehen könnte, ob sie(er) die Krallen der Diskriminierung abstoßen kann, und zur Befreierin der Unterrückten werden kann ..... ja, ist wirklich eine andere Geschichte. Hätte ich mir vielleicht vorher schon klar machen sollen. Habe mich vielmehr auf den letzten Satz konzentriert und dazu eine Vorgeschichte aufgebaut.
Beste Grüße, Earl Hickey.

 
Zuletzt bearbeitet:

und ich die Idee von dir "übernehmen" darf ;).

Klar, deswegen habe ich es ja vorgeschlagen.

Vielleicht wird die Geschichte ja irgendwann mal die Keimzelle einer größere, wer weiß.

Gruß,
Teetrinker.

P.S.:

Mahlzeit Teetrinker.
Wie immer sehr treffende und ausführliche Bemerkungen deinerseits. Vielen Dank.
Danke für das Lob. Ich sage nur meine Meinung zu den Geschichten, die ich lese. Wenn das für dich hilfreich ist, freut es mich sehr.

 

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