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Die Insel
Von den zweiundsechzig Insassen hatten vierzehn die Notlandung nach dem plötzlich einsetzenden Brand an Bord überlebt. Ich gehörte glücklicherweise dazu. Aber viele andere, darunter auch zwei meiner Freunde, starben. Sie werden nie wiederkommen. Ich brauchte sehr lange, bis ich diesen Fakt verarbeiten und mich an ihn gewöhnen konnte.
Die Anfangszeit war dementsprechend hart. Die toten Körper begannen zu riechen und wir kamen mit den Beerdigungen kaum hinterher. Die Kräfte schwanden, wenn sie sich nach dem Absturz nicht schon auf dem Nullpunkt befanden. Zu dieser Zeit brannte das Wrack noch lichterloh und erhitzte die Tropenluft zusätzlich, welche im Zusammenwirken mit der hohen Luftfeuchte kaum zu atmen war. Dadurch verloren wir drei ältere Überlebende.
Nach drei Tagen hatten wir alle beerdigt, das Notdürftigste aus dem Raumschiff gerettet, die Feuer gelöscht, uns an die Hitze gewöhnt und all unsere Hoffnungen mitbegraben. Ja, ich kann sagen, dass wir keine Hoffnung auf Rettung hegten. Drei Tage und kein einziges Schiff überflog die Insel. Keine Suchaktion, keine Aussicht auf Rettung.
Aber was hatten wir erwartet? Wir waren ein Flüchtlingstransport. Vollgestopft mit verkrachten Persönlichkeiten, die ihr belangloses Leben auf Roone hinter sich ließen. Für uns interessierte sich niemand. Wir waren entbehrlich. Uns wünschte man einen Absturz.
Warum im Raumschiff Feuer ausbrach und uns zur überstürtzten, unkontrollierten Landung zwang, weiß ich nicht. Einer der Überlebenden sprach von einem Kabelbrand, der sich leider auf das ganze Schiff ausbreitete und alle wichtigen Funktionen lahmlegte. Aber damit kenne ich mich nicht aus. Es war geschehen. Damit musste ich leben.
Leben? Wir hatten kein Leben mehr. Wir hingen auf der Insel fest, deren vorgelagerte, starke Strömung eine Fahrt mit Floß oder Boot von vornherein zunichte machte. Das Funkgerät war verschmort, der Rettungssender ebenso. Ob die Flugraumüberwachung auf Beyn uns überhaupt registrierte, wage ich zu bezweifeln. Als Flüchtige achteten wir peinlichst darauf, nicht entdeckt zu werden. Das hatten wir nun davon. Wir waren auf uns gestellt. Nur zehn Leute, weil Phil Sokobulas am vierten Tag seinen Verletzungen erlag.
Ich bemerkte ohne weiteres den Argwohn der neun anderen mir gegenüber. Ich gehörte nicht zu ihnen. Ich war keiner von ihnen. Mein Platz im Schiff hatte ich nur Kapitän Mollok zu verdanken, den ich über zwölf Ecken kannte und ich ihm früher einen Gefallen erwiesen hatte. Das wussten die anderen. Mein Pech.
Ich wurde geschnitten, nicht beachtet, belächelt, für dumm gehalten. Das war nun mal das Los von Leuten wie mir. Wir hatten auf Roone nichts zu sagen, wurden nicht ernst genommen und durften nicht mitreden. Wie im tiefsten Mittelalter. Deshalb bin ich geflüchtet. Für die Möglichkeit war ich Kapitän Mollok unendlich dankbar. Ich weiß sehr wohl, welches Risiko er damit einging, indem er sich während des Fluges vor mich stellte. Doch jetzt, nach dem Absturz und seinem Tod, wurde alles wieder wie vorher. Ich war allein unter Fremden.
Das gerettete Essen aus dem Raumschiff neigte sich bald dem Ende entgegen. Peter Stomish und Roger Wiskan erkranken und starben nach zwei Wochen. Wir konnten ihnen nicht helfen. Weder besaß jemand von uns medizinische Fachkenntnisse noch konnten wir Arzneimittel einsetzen. Sie waren verbrannt.
Doch nach und nach besserte sich die Lage. Die Inselwelt gab einiges her und irgendwie schien ich die einzige Person zu sein, die etwas von Überlebensstrategien verstand. Mein Wissen beruhte auf Fernsehsendungen. Wir bauten aus dem ausgebrannten Wrack eine Behausung, gewannen Trinkwasser, beschafften essbares Obst, gingen hin und wieder erfolgreich jagen, hatten eine klare Tages- und Arbeitseinteilung und gewöhnten uns aneinander.
Ich erarbeitete mir Respekt, wurde langsam geachtet und mein Stellenwert wuchs. Ich hatte ihnen gesagt, was sie tun, suchen oder bauen sollen, wie man jagt, Feuer macht, Trinkwasser gewann. Es war, als hörten sie einige Dinge zum ersten Mal. Mir ging es gut dabei und allmählich machte ich mir kaum noch Gedanken darüber, dass ich anders war und eigentlich nicht zu ihrem Stand gehörte.
Ihnen erging es genauso. Dass ich war, was ich bin, interessierte keinen mehr. Meine Leistungen wurden bestaunt und respektiert. Ich rettete ihr Leben und währenddessen wurde ich irgendwie zum Anführer der achtköpfigen Gruppe.
Ausgerechnet ich.
Sechs Wochen waren vorüber und das Leben normalisierte sich halbwegs, wenn man denn von normal reden konnte. Teilweise genossen wir das Leben auf der Insel. Ich war stolz auf das Geleistete und auch auf mich. Niemand hätte mir das zugetraut, nicht jemanden wie mir. Ich hatte nichts dagegen, dass alles so weiter gehen würde. Die Insel war wie ein Kleinod, das ich mir für mich immer erträumt hatte.
Doch dann kamen sie.
Das Raumschiff des Militärs von Beyn schwebte bedrohlich über uns. Wir wurden Tags zuvor per Satellit entdeckt und anscheinend hatten sie etwas dagegen, dass es sich Flüchtlinge auf einer ihrer unbewohnten Inseln gemütlich machen. Sie schritten ein.
Glücklicherweise hielten sie sich an interstellare Gesetze, d.h. sie verhandelten. Als Flüchtlinge hatten wir ihren Boden betreten, jetzt mussten wir unsere Kapitulation regeln, darüber galt es zu verhandeln.
Würden die Beyner unsere Bedingungen nicht akzeptieren, könnten sie uns wieder fortschicken oder gar ins Gefängnis stecken. Wir würden jedoch keine Bedingungen stellen und völlige Aufgabe beantragen. Das sollten sie annehmen, denn es war die übliche Herangehensweise von und mit Flüchtlingen in diesem Quadranten und der erste Schritt zur Erlangung des Asylrechtes.
Aber es gab ein Riesenproblem.
Sie verlangten nach unserem Anführer, dem Verhandlungspartner.
Meine sieben Mitstreiter schauten mich an. Skepsis machte sich breit, dennoch nickten sie mir zu. Ich lächelte und mein Herz schlug schneller. Sie standen hinter mir. Ich sollte der Verhandlungspartner sein. Aber würden das die Beyner auch so sehen?
Das beschäftigte mich, als wir ihnen den Fakt übermittelten. Es blieb lange Zeit ruhig, in der sie sicherlich diskutierten. Innerlich wusste ich irgendwie, dass es nicht gut enden würde. Jemand wie ich darf nicht Anführer sein oder ein Kommando inne haben. Nicht in diesem Teil des Universums. Dafür sind wir nicht vorgesehen.
Was auf einer abgelegenen Insel funktioniert, interessiert in der großen, weiten Galaxie niemanden. So sahen es auch die Militärs von Beyn und ihre Antwort fiel knapp, hart und unmenschlich aus.
„Wir verhandeln nicht mit Frauen!“