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Die Indoktrination der Zahnpasta

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12.05.2003
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Die Indoktrination der Zahnpasta

„Und dafür machen Sie die Ponyhöfe verantwortlich, Herr Loggenbeck?“
„Selbstverständlich. Überlegt man mal rein logisch, so wird einem schnell klar, dass aufgrund der genannten Argumente die Ponyhofindustrie in ganz Nordamerika – und damit meine ich ganz Nordamerika – die Gedanken der Kinder und Jugendlichen kontrolliert. Da gibt es kein Entkommen.“

Herr Zurlutter hob die Brauen. Die Sonne prallte auf die Lachfalten des etwa 30 Jahre alten Herrn und lies sie im Licht härter wirken. Verwunderte Überraschung kennzeichnete sein Gesicht. Sein Gegenüber griff mit ernstem Blick den Springer und schickte ihn in einen Angriff auf die weiße Dame. Er drückte auf die erdfarbene Schachuhr, die neben dem Holzbrett lag und lehnte sich mit einem Anflug von Lässigkeit zurück. Herr Zurlutter dachte sofort sichtlich angestrengt über den Zug nach.

„Aber wissen Sie, Herr Zurlutter, was das Schlimmste ist?“

Zurlutter fuhr hoch. Er schaute Loggenbeck erwartungsvoll an.

„Das Schlimmste“ – Loggenbeck seufzte – „das Schlimmste sind die Fluortabletten.“
„Weshalb Fluortabletten?“, fragte Zurlutter mit ernster Miene.
„Na, Herr Zurlutter, kennen Sie denn nicht die gängigen Theorien? Sie, als Mann von Welt, müssten doch darüber bescheid wissen.“
„Es tut mir leid, Herr Loggenbeck, aber ich weiß nicht, was Sie meinen.“
„Da haben wir´s. Der Staat betreibt natürlich Selbstschutz. Aber ich bin mir durchaus darüber im Klaren, was gespielt wird. Ach ja, ihre Zeit läuft.“

Halbherzig zog Zurlutter seine Dame zur Seite und drückte auf den Knopf. Er musste einen Bauern opfern. Loggenbeck setzte sich wieder geradewegs vor das Brett und hielt die zerfurchte, behaarte Altmännerhand vor das Gesicht, um es von der Sonne abzuschotten.
Er zog geschwind und drückte die Uhr.

„Nun“, hob er an, „in den staatlichen Kindergärten wurden in den 70er Jahren jeden Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück Fluortabletten verteilt.“
Loggenbeck fixierte seinen Spielpartner. „Und in Flourtabletten ist natürlich Flour.“
Zurlutter zog die Stirn in Falten und hob den Blick vom Schachbrett.
„Ja, das weiß ich, aber was ist daran so schlimm?“
„Was daran so schlimm ist?“ Loggenbeck nahm einen großen Schluck aus seiner Cola und setzte aufgeregt zu sprechen an, aber eine zierliche junge Frau schlenderte mit einem kleinen Klemmbrett und wirr herumflatternden Zetteln an ihnen vorbei.

„Guten Tag Fräulein Suttberg!“, lächelte Loggenbeck ihr euphorisch entgegen. Sie nickte ihm freundlich zu. Die junge Frau beugte sich rüber zu Zurlutter. „Wie macht er sich, Doktor?“, flüsterte sie in sein Ohr. „Keine Chance. Absolut keine Chance.“, antwortete Zurlutter, ebenfalls im Flüsterton. Die junge Frau und er tauschten ein Augenzwinkern aus, dann ging sie weiter.

„Was Sie beide wohl immer zu tuscheln haben. Nun ja, hier im Stadtpark sind immer viele Leute“, meinte Loggenbeck, „da kommt man ganz aus der Puste beim Reden. Wie schön, dass Frau Suttberg uns immer so freundlich passiert, wenn wir hier sitzen und spielen. Nur warum trägt sie ständig diesen weißen Kittel?“

„Das ist natürlich eine gute Frage.“ Zurlutter öffnete zwei Knöpfe seines Hemds, wischte sich über die Stirn und zog seinen König. Sofort zog Loggenbeck ebenfalls. Das Schachspiel schien ihm keine Mühe zu machen.

„Nun, das Fluor. Wissenschaftliche Tests haben ergeben, dass sich in unserem Gehirn ein spezieller, kleiner Bereich befindet, der uns zu Selbstvertrauen verhilft und unser eigenständiges Denken fördert.“ Loggenbeck tippte sich an den Hinterkopf.

Zurlutter nickte gespannt, schielte aber mit einem Auge auf das Schachbrett.

„Sie sollten mir zuhören, Herr Zurlutter. Ich rede von Weltpolitik.“, sagte Loggenbeck streng.
Ihm entgeht auch nichts, seufzte Zurlutter innerlich, zog und schaute dann erneut überaus interessiert gen Loggenbeck.

„Nun – ein Team französischer Wissenschaftler unter der Leitung des angesehenen Experten Phillippe Balzác hat vor einigen Jahren herausgefunden, dass Fluor in stetig zugeführten kleinen Mengen diesen wichtigen Bereich des Gehirn nach und nach beschädigt.“

Loggenbeck beugte sich über das Schachbrett und stieß dabei beinah seinen König um.
“Und jetzt kommen Sie.“, sagte er mit ehobenem Zeigefinger, dann lehnte er sich mit genüsslichem Ernst zurück. Er zog seinen Läufer eine gewagte Strecke über das Brett und drückte die Uhr.

Zurlutter fehlten die Worte. Diesmal machte er aber nicht den Fehler, auf das Schachbrett zu blinzeln. „Ich, ähm -“

„Ist ihnen klar, was alles damit zusammenhängt? Die Kinder in den staatlichen Gärten werden indoktriniert! Die Administration will ihre Untertanen im Zaum halten! Und jetzt raten Sie mal, Herr Zurlutter, wie die Regierung das noch anstellt. Na?“

Loggenbecks Gegenüber holte durch die Nase tief Luft. Er musste ein Gähnen unterdrücken.

„Zahnpasta! Ist doch klar. Zahnpasta ist DAS Grundkonsumgut Nummer 1. In jeder Zahnpasta ist Fluor. In jeder!“ Loggenbecks erschütterter Ernst wandelte sich in ein sporadisches Lächeln. „Ihre Zeit ist um.“

„Wie jedes Mal“, meinte Zurlutter.

„Ich werde jetzt nach Hause gehen. Sie sollten es sich durch den Kopf gehen lassen! An Ihrer Stelle würde ich mir vorerst nicht mehr die Zähne putzen, Herr Zurlutter. Sagen Sie das auch Frau Suttberg. Die ist noch viel zu jung, um ihr Leben zu verderben. Ach ja, gutes Spiel. Nun, nicht traurig sein. Schwarz war schon immer meine Stärke.“

Doktor Zurlutter seufzte und machte sich daran, das Schachspiel einzuräumen.

Herr Loggenbeck leerte seine Cola und stand auf. Er verließ den kleinen Park der Irrenanstalt und ging gemächlich zurück in seine Zelle. Die Zähne putzte er sich nicht.

 

Okay, tobbi, sei vorgewarnt: heute bin ich kritisch!

Also, der Text ist gut, daran gibt es nichts zu rütteln.

Aber er ist noch nicht reif. Er kann noch einige stilistische Überarbeitungen vertragen! Zum Beispiel:

Herr Zurlutter hob die Brauen. Die Sonne prallte auf die Lachfalten des etwa 30 Jahre alten Herrn und lies sie im Licht härter wirken. Verwunderte Überraschung kennzeichnete sein Gesicht.

Was sagt dieser Absatz mehr aus als:

Zurlutter hob die Brauen.
.

Verwunderte Überraschung ist eine Tautologie, Lachfalten passen nicht zu einem Gesicht, das gerade die Brauen hebt (Wenn Du schreiben willst, dass er Lachfalten nur hat, ohne gerade zu lachen, dann solltest Du das Wort Lachfalten meiden wie die Hölle!).

Ausserdem: Wenn ein Irrer über etwas fabuliert, dann sollte er seinen Gegenüber in den Bann ziehen, der sich dann später erst wundert, wie er auf solchen Quatsch reinfallen konnte. Dazu muss auch der Leser auf den Quatsch hereinfallen. Dazu wiederum wäre es gut, wenn der Irre etwas sehr schlüssiges -- unsinnig, aber durchdacht -- von sich gäbe, was sein krankes Hirn seit Jahren durchkaut, und Du solltest beschreiben, wie der Irre mit seiner ganzen Zähigkeit hinter dieser Idee steht, dass man sie infach glauben muss. Er muss die Idee leben, verkaufen, vergöttern, nicht einfach nur stet vor sich her faseln.

Wie gesagt, ich bin heute etwas streng.

Gernot

P.S.: Das Schachspiel ist eine etwas zu abgegriffene Metapher, sie wirkt auf den Leser wie ein Wink mit dem Zaunpfahl (Hallo!! Hier beteutungsschwangerer Konflikt!!), wenn nicht wie ein Wink mit einer Betonplatte aus der Berliner Mauer.

 

Vielen Dank, Gernot, für deine Kritik.

Ich kann allerdings nicht ganz nachvollziehen was - abgesehen von der Tautologie - an dem von dir genannten Absatz stilistisch ungenau ist.

lg,
- tobbi

 

Hallo tobbi,

ich habe mich ja zu Beginn deiner Geschichte gefragt, wie man aus Fluor eine Verschwörungstheorie aufbauen kann, aber das ist dir glaubwürdig gelungen. ;)
Allerdings ist mir nicht klar, wie die Ponyhofindustrie die Gedanken aller nordamerikanischen Kinder und Jugendlichen kontrollieren kann.

Die stilistischen HInweise, die mir aufgefallen sind, hat Gernot dankenswerterweise schon gemacht. In einem Punkt möchte ich ihm aber widersprechen. Das Schachspiel halte ich in dieser Konstellation der Geschichte für in Ordnung, da der Brocken aus der Berliner Mauer ja völlig zu unrecht auf eine angebliche Gedankenschwere hinweist ;)
Ich würde das Gespräch deiner Protagonisten allerdings nicht in einer Klinik ansiedeln. Die Konstellation ist mir zu deutlich, und du vermittelst damit schoon beim Leser den Eidnruck, er solle die Gedanken deines Prot nicht ernst nehmen. Du wertest deinen eigenen Prot durch den Hinweis er sei Verrückt ab. Auch dass du das Krankenhaus "Irrenanstalt" nennst, wertet deinen Prot negativ. Das fände icheher dann berechtigt, wenn die Theorien deines Prot naheliegend wären, wenn man sich also als Leser fragen würde, warum er für seine vernünftigen Ideen in der Klinik landet.
Wenn du also den Handlungsort und die Profession der Protagonisten änderst, den Dialog aber belässt, könnte deine Geschichte eine nette Satire auf Verschwärungstheorien sein. Wie viele Verschwärungsthoretiker laufen frei herum, veröffentlichen viel gelesene Bücher und werden trotz ihrer unsinnigen Theorieen auch noch hoch geachtet?
Lasse deine Prots also statt Doktor und Verrückter, lieber ernsthafte Vorsitzende einer politischen Partei sein, und der gesellschaftliche Bezug ist hergestellt. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

danke für die gute Idee. Tatsächlich fällt mir jetzt auf, dass ich meinen Prot unnötigerweise herabwerte.
Allerdings soll nicht der Protagonist und die Verschwörung im Mittelpunkt stehen, sondern mehr der genervte Doktor, der leider täglich mit seinem - salopp gesagt - "armen Irren" Schach spielen muss und dabei nicht einen klaren Gedanken fassen kann.

Gruß,
- tobbi

 

hi tobbi,

dazu hast du in der Erzählung zu viel Gewicht auf die Zahnpastatheorie und ihren Erläuterer gelegt. Um das Gewicht zu verlagern, müsstest du noch mehr der Reaktionen des Doktoren oder mehr seiner inneren Vorgänge deutlich schildern.
(Die andere Idee, gefiele mir aber besser :D)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

du hast Recht. Möglicherweise setze ich mich an eine entsprechende Überarbeitung zu Gunsten der Gedankenwelt des Herrn Zurlutter...Obwohl, nun ja, vielleicht ist die Geschichte es auch nicht wert. Mal schaun :)

Danke für die Tipps!

lg,
tobbi

 

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