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Die Hochzeit im Wald
Unter schattigen Farnblättern und Grashalmen führte ein kleiner schmaler Weg, vielleicht einen fingerbreit, zu einer Anhöhe am Rande des Waldes. Dort oben befand sich ein runde Wiese, die so gut versteckt war, dass kein Menschenfuß sie jemals betreten hatte.
Und genau dorthin, über trockene Zweige, über Sand und Steine, wollten Käfer und Raupen, Ameisen und Schnecken, Blindschleichen und Flöhe. Naja, eigentlich hüpften die letzteren, denn Flöhe springen gerne.
Alle waren schwer bepackt und schnaubten und prusteten, stöhnten und hechelten. Es wimmelte und raschelte, es schmatzte und donnerte.
Neugierige Regenwürmer streckten die Köpfe aus der Erde und wunderten sich über den Lärm.
"Was ist los? Ist ein Feuer ausgebrochen?", fragten die Regenwürmer, und ihre Köpfe schwankten dabei hin und her.
"Nein", antwortete eine Schnecke, die so langsam lief, dass sie dabei eine ganze Geschichte erzählen könnte. "Wir sind zur Hochzeit eingeladen!"
"Siehst du!", sagte Frau Regenwurm zu ihrem Mann. "Ich hab dir doch gesagt, dass du das Ahornblatt nicht vollsabbern sollst, das wir im Briefkasten gefunden haben. Das war bestimmt die Einladung!"
"Achwas", antwortete der Mann, "als ob an uns einer denkt."
"Doch, doch!", sagte die Schnecke. "Alle sind eingeladen, so steht es auch auf der Tafel, die unten im Tal an der Kleeblattpromenade hängt."
"So weit bist du gelaufen?", staunten die Regenwürmer.
"Sogar noch weiter!", stöhnte die Schnecke. "Wollte auch meiner Freundin Bescheid sagen. Die wohnt in der Gurkenallee am Seeufer. Ich muss eigentlich nur durch die Tomatengasse und über die Efeubrücke laufen, aber die Brücke war gesperrt, weil die Kinder des Schildkröten-Kindergartens ein Wettrennen veranstalteten. So musste ich wieder zurück und einem Umweg über die Schilfrohrstraße machen, die, wie ihr wisst, unendlich lang ist."
"Na, dann müssen wir uns wohl glücklich schätzen, denn wir haben es nicht weit bis zur Friedenswiese.", freuten sich die Regenwürmer.
"Frau Schnecke", sagte Frau Regenwurm voller Mitleid, "ruhen sie sich kurz aus. Wir machen uns gleich fertig und dann können wir Sie begleiten."
Frau Regenwurm wollte sich für die Feier richtig schick machen und schrubbte jedes einzelne Sandkörnchen von ihrer Haut, bis sie rosa glänzte.
Heute konnten sich alle zeigen, wie sie wollten. Heute war ein besonderer Tag. Heute waren alle Freunde und keiner musste Angst um sein Leben haben. Es gab nämlich ein Gesetz, das besagte, dass bei allen Feierlichkeiten, egal, ob Hochzeit, Geburtstag oder Taufe, bis Mitternacht niemand um sein Leben bangen musste.
Kurz darauf glitten die Drei den Berg hinauf und zogen eine silbrige Spur hinter sich her. Ganz zum Ärger der Ameisen, die diese Spur umgehen musste, um sich ihre Füßchen nicht schmutzig zu machen. Denn wie wir alle wissen, sind Ameisen sehr pingelig und sauber.
Auf der Wiese war schon ganz schön was los. Überall wimmelte es von Gästen, einer auffälliger als der andere.
Ein in die Jahre gekommener Mistkäfer lief mit eingezogenem Bauch umher, seine schillernden Flügel stolz aufgestellt.
Ein Igel mit gut gebürsteten und glänzenden Stacheln versuchte möglichst am Rand zu bleiben.
Es gab bunte Schmetterlinge, deren Flügel in den Sonnenstrahlen wie Gold und Silber glänzten; sportliche Flöhe, die von Grashalm zu Grashalm sprangen; junge, eingebildete Käfer, die steif umherstolzierten und Stöckchen in ihren Händen umherdrehten und Feuerkäfer, die sich an den Händen hielten, sodass sie eine lustige rote Kette bildeten.
Eine übermäßig gepuderte Motte flatterte von der Sonne geblendet zwischen den Gästen umher und hinterließ eine Staubwolke, sodass alle husten mussten.
Eine Spinne, die gerade ihr Netz drapierte, schimpfte angewidert: "Also ich muss schon bitten, gnädige Frau! Als würde es nicht schon reichen, dass Sie sich einen Sack Puder über den Kopf gegossen haben, Sie haben damit auch noch mein Netz bepudert und es unbrauchbar gemacht. Ich empfehle Ihnen eine Brille!" Die Motte versteckte sich beschämt hinter einem Tannenzapfen und schwor sich, sich nur noch bei Mondlicht blicken zu lassen.
Links, entlang der Sträucher, befand sich ein länglicher Tisch aus Baumrinde, der sich unter den vielen Spenden der Gäste bog. Alle hatten ihre Vorratskammern geplündert, um die Hochzeitsfeier mit genügend Speisen zu versorgen.
Selbst an die Kinder wurde gedacht. Unter dem Tisch, im Schatten, befand sich in kühlen Maiglöckchenkelchen Blattlausmilch. Eine dicke Raupe rauchte daneben eine Pfeife, angeblich, um die gierigen Bienen mit dem Rauch zu vertreiben, aber in Wahrheit war sie einfach verrückt nach dem Pfeiferauchen.
Auf runden Stühlen aus winzigen Pilzen saßen drei Amseln und häkelten fleißig eine Tischdecke aus Spinnenfäden. Dabei trällerten sie im Takt mit vier Grillen, die hungrig auf dem Rasen ihre Musikinstrumente stimmten, in der Hoffnung, eine kostenlose Mahlzeit abzugreifen.
Nicht weit entfernt, auf einem Baumstamm, saß eine Eule mit dicker Brille, die empört ihre Feder aufplusterte.
"Hört auf zu klimpern!“, sagte sie genervt. "Ihr habt keine Ahnung von Musik, ihr trefft nicht eine einzige Note. Das ist die reinste Beleidigung für meine Ohren!“
Die vier Grillen versteckten sich eingeschüchtert unter einem verwelkten Maiglöckchenblatt und warteten hoffnungsvoll auf ein paar Reste von den üppigen Speisen.
Gleich daneben, auf einem trockenen Ast, saß ein Wiedehopf, der aufgeregt und mit schnellen Bewegungen seinen Kopf hin- und herdrehte.
"Sieh einer an“, sagte er sich wütend, "den ganzen Tag sitzt die Madame so hoch wie breit auf dem Stamm und tut gar nichts außer Befehle zu erteilen! Ich hingegen musste zwei ganze Tage die Einladungen verteilen, bin fix und fertig, hatte keine Zeit zum Baden, zum Frisör habe ich es auch nicht geschafft und meine Federn stehen in alle Richtungen! So wie sie sich verhält könnte man denken, sie habe alles alleine arrangiert!“
"Ruhe!“, schrie auf einmal die Eule. "Ich höre die Glocken läuten, das Hochzeitspaar muss jeden Augenblick hier sein. Verteilt euch in Reihen und lasst Platz in der Mitte!“, sagte sie, sich ihrer Wichtigkeit voll bewusst.
Alle Gäste fingen an sich zu schubsen, um einen besseren Platz zu bekommen. Schließlich teilten sie sich rechts und links in langen Reihen. Alle hielten Gänseblümchen hoch, die einen Tunnel bildeten.
Und schon war die Musik zu hören und kurz darauf erschienen lustige und fröhliche Marienkäfer in roten, mit schwarz Tupfern gepunkteten Kleidchen. Jeder hatte in der Hand ein Körbchen mit Rosenblättern, die sie auf dem Weg verteilten. Dahinter trappten kräftige Flöhe, die die Hochzeitskutsche zogen. Eine zweite Kutsche rollte hinterher.
Die Kutschen waren aus halbem Walnussschalen gebaut und die Räder waren zusammengerollte Kellerasseln. Bunte Girlanden und Zweige dekorierten beide Kutschen, es sah aus, als ob ein Blumenmeer den Berg hinaufrollte.
In der ersten Kutsche saß die Braut, eine zarte durchsichtige Libelle mit Wespentaille, die sich graziös einen Strauß Vergissmeinnicht an die Brust hielt. Sie war wunderschön und leuchtete von Kopf bis Fuß. Eine kleine Krone mit grünen Perlen schmückte ihren Kopf und ihre Augen glänzten vor Freude. Drei winzige Feen flatterten über ihr, hielten den langen Schleier hoch und streuten goldenen Feenstaub auf ihre transparenten Flügeln.
Neben ihr saß der Bräutigam, der zwar schmunzelte, dennoch war ihm der ganze Trubel etwas zu viel. Seine Mutter, die sehr gläubig war, hatte auf eine kirchliche Hochzeit bestanden, vielleich aber auch nur deshalb, weil sie gut mit der Frau des Pfarrers befreundet war.
In der zweiten Kutsche saß die Pfarrerin, eine blassgrüne Gottesanbeterin, die aussah wie eine Mumie. Sie schaute sehr gerührt zu dem jungen Paar und betete dabei leise vor sich hin. Neben ihr saß der Pfarrer, eine mächtige Heuschrecke, der ein goldenes Buch in den Zangen hielt und einen sehr frommen Eindruck machte. Die Flöhe mussten sich mächtig anstrengen, um die beiden samt Kutsche hochzurollen.
"Liebe Gäste!“, rief die Eule ungeduldig, "wir wissen alle, dass das Paar nicht allzu lange Zeit hat, um sich über ihr Glück zu freuen, die Sonne geht langsam unter und außerdem sind wir alle hungrig. Also lasst uns feiern, solange es noch hell ist!“
Die Grillen fingen an zu spielen und es war egal, ob sie falsch spielten oder nicht, wer hatte da denn noch Zeit drauf zu achten. Es war eine besondere Feier auf der Friedenswiese, denn bis um Mitternacht durften manche Gäste ihre Tischnachbarn nicht anrühren. Heute waren alle gute Freunde.