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Die Hinrichtung

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27.09.2009
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Die Hinrichtung

"Meine Schuld steht ausser Frage. Es geht mir keineswegs darum, Ihr Verständnis oder gar Ihre Vergebung zu erbitten. Mein Leben ist auch nicht lehrreich gewesen. Wenn es nun zu Ende geht, so ist das nur gut so. Was soll ich also berichten? Ich würde Sie langweiligen."

Erzähle!

"Also gut.
Ihr müsst wissen, dass ich als Student ein sehr zurückgezogenes Leben geführt habe. Ich brütete über genetischen Landkarten und schob die Gene wie Legosteine von einem Ort zum anderen. Wie viele andere träumte ich vom perfekten Menschen und ‚Natur‘ war ein Wort von gestern.
Nachts, vor allem wenn ich darauf wartete, dass der Computer die Ergebnisse der Berechnungen ausspuckte, setzte sich manchmal der Teufel auf mein Bett und lächelte mir zu. Erst war er blass und stumm, doch im Laufe der Monate gewann er an Kontur und begann dann auch zu reden.
‚ Sehr gut, Victor! ‘ sagte er ‚Lass uns weiter zusammen arbeiten. ‘
‚Du irrst dich. ‘ widersprach ich. ‚Ich bin nicht auf deiner Seite. ‘
‚Ich irre mich nicht. ‘ sprach der Teufel und verblasste.
Immerhin - so dachte ich – verdienen es die Menschen nicht anders. Die menschliche Natur ist zu fehlerhaft. Gott hat nicht gut gearbeitet.
Ich mahnte mich zur Bescheidenheit und konzentrierte mich darauf, mein Studium zu einem Ende zu bringen.“

Weiter!

„Meine Doktorarbeit war ein musikalisches Pattern. Es war gut portierbar und robust, konnte also leicht ins menschliche Erbgut integriert werden. Meine Professoren waren des Lobes voll und ich war nicht wenig stolz auf meine Kreation.
Als frischgebackener Gendesigner suchte ich nach einer Arbeit und fand auch bald eine Anstellung als Kundenbetreuer im CoHI Glasgow."

CENTER of HUMAN IMPROVEMENT GLASGOW.

"Bis dahin war ich ein lichtscheuer Schnösel. Nun sollte ich die werdenden Eltern beraten und überzeugen.
Überraschenderweise verstand ich mich mit den meisten Kunden auf Anhieb. Meine Trockenheit und sogar meinen verklemmten Charakter nahmen sie als Kompetenz. Zu dieser Zeit waren die Paare auch noch viel weniger selbstsicher als die heutigen. Sie kamen noch nicht mit dieser herrischen Selbstverständlichkeit in die HICs.
Und ich hatte auch dieselbe Leidenschaft wie die Eltern.“

Das perfekte Kind.

"Sicher. Leider war das Material oft nicht überzeugend. Es bedrückte mich, wenn ich erkannte, mit was für einem Erbe viele Menschen zu leben gezwungen waren. Wie sollte man daraus vernünftige Nachkommen herstellen?
Aber ich liess mich niemals zu den billigen Tricks herab, die unsere Branche so in Verruf gebracht haben. Ich bediente mich nicht an den Samenbänken und den Eierlagern. Selbst Defektgene entfernte ich nur, wenn nach einer gründlichen Analyse nicht viel dagegen sprach. Ich war vorsichtig und konservativ.
Abends meditierte ich dann viele Stunden über den Genkarten und suchte nach der optimalen Kreation für den jeweiligen Fall. Eltern sind masslos: Sie wollen das wissenschaftlich hochbegabte, sportlich-musikalische, pflegeleichte und durchsetzungsstarke Kind. Hier eine Wahl zu treffen und sie dann überzeugend zu präsentieren – das war eine sehr schwere Aufgabe für einen wie mich."

Ist ER wiedergekommen?

"Ja. Mein Teufel besuchte mich von Zeit zu Zeit. Oft nachts, wenn ich abgespannt und mit vollem Kopf in den Spiegel schaute. Wir waren nun miteinander vertraut. Er war zufrieden mit mir.
Ich lebte damals auch nicht allein. Ich hatte eine Frau und sogar einen Sohn. Das Kind hatte leider viele Fehler, seine Unvollkommenheit machte mich krank. Mein Elend steigerte sich von Monat zu Monat, schliesslich flehte ich Ingrid um Vergebung an und versprach ihr, dass unser zweites Kind besser gelingen würde.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war sie verschwunden. Ich habe weder von ihr noch dem Jungen je wieder etwas gehört."

Sie war deine bessere Hälfte.

"Absolut.
Zu dieser Zeit begann auch mein beruflicher Aufstieg. Ich wurde schon bald zum Supervisor. Es gab bei uns ganz lausige Designer. Statt mathematischen Genies erzeugten sie Menschen mit einem Zählzwang und wollten sie ein kreatives Künstlerkind mit sprudelnder Phantasie, dann reichte es meistens nur zu einem durchgeknalltem Psychotiker.
Die Skandale sind Legion. Nicht wenige der Schwangeren sind direkt an die Abtreibungsabteilungen weitergereicht worden, als das Ausmass des jeweiligen Pfusches erkannt war.
Ich aber sorgte wieder für Zucht und Ordnung. Ich wurde unnachgiebig, giftig und entwickelte mich mehr und mehr zu einem Führer. Ich war ein grosser Fachmann und deckte kompromisslos die Schwachstellen der mir vorgelegten Patterns auf, doch ich war kein guter Mensch. Wenn ich jemanden erniedrigen konnte, so bereitete mir das eine nicht geringe Freude."

Du redest und redest.

"Ich bitte um Verzeihung. Wenn Sie mit ihren strengen, gerechten Augen so auf mich herabblicken, dann erfasst mich eine solche Liebe, dass ich davon ganz redselig werde. Ich will auch rasch zu einem Ende kommen.
Meine Karriere setzte sich fort, ich drang immer tiefer in die Wissenschaft ein, wurde zum Harmonisator, zum Aberrator und schliesslich auch zum Obfuskator. Wir stellten uns also die Frage, wie man aus dem Material, welches uns die Natur nun einmal zur Verfügung stellte, den bestmöglichen Menschen erzeugen konnte. Und worin sollte das Ideal überhaupt bestehen? Wir waren uns ja nicht einmal darüber einig, wonach wir überhaupt strebten."

Es wird Zeit.

"Einmal erwachte ich in tiefer Nacht und spürte, wie die Stille dabei war, mich zu töten. Ich bemerkte auch bald, dass ich Besuch hatte.
‚Es reicht nicht, was du tust. ‘ erklärte mein Teufelchen mit sanfter Stimme.
‚Ich tue vieles. ‘ rechtfertigte ich mich.
‚Warum so ängstlich? ‘ beharrte er. ‚Was liegt am Menschen? Schaffe etwas, was besser ist. Sammle Gleichgesinnte um dich und tue, was zu tun ist. Es braucht eine Schöpfung, die diesen Namen verdient. ‘ "

Den Rest können wir und schenken. Glaube nicht, dass es uns Freude bereitet, Dich hinzurichten. Wir verabscheuen die Gewalt. Aber könnten wir dich etwa begnadigen? Würdest Du Deinen abscheulichen Umtrieben abschwören? Nicht als Bekehrter und Mitstreiter würdest du uns dann dienen, sondern als Verstummter: als Mahnmal der Scham und des Verderbens.

"Aber das ist unmöglich. Ich verstehe Euch sehr gut. Man kann mir nicht trauen, ich bin bis ins Mark hinein verdorben. Mit Freude würde ich euch hinters Licht führen. Nein, ein solcher Gedanke kann wahrscheinlich nicht einmal erwogen werden. Verlieren wir also nicht noch mehr Zeit und fangen wir an."

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Der Gendesigner Victor Hunkelheimer ist gestern tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Es wird davon ausgegangen, dass er von Radikalen des Netzwerkes BlutRotes Kreuz ermordet worden ist. Der Wissenschaftler geriet ins Visier der Terroristen, nachdem er sich in einem Interview klar dazu bekannt hatte, dass seine Forschungen das Ziel verfolgten, die Grenzen der menschlichen Natur zu sprengen.
'Wir treiben die Derivation mit einer solchen Kraft voran, dass in absehbarer Zeit die Genoptimierten ihre Fortpflanzungsfähigkeit mit den Naturbelassenen verlieren werden.', so Hunkelheimer wörtlich.
Er wäre nach den Robotikern Heston und Wailey und der Medizinerin Tazuka bereits das vierte Glasgower BRK-Opfer dieses Jahres.

Obwohl der Verstorbene auf Platz 13 der offiziellen Todesliste der Terroristen stand, ist auch die Möglichkeit eines Selbstmordes nicht auszuschliessen. Dafür spricht, dass jegliche Zeichen von Gewaltanwendung fehlen.
Auch litt Hunkelheimer seit Jahrzehnten an Schizophrenie. Wiederholt erklärte er, Besuche vom Teufel zu bekommen.

Das Ergebnis der Autopsie wird Ende der Woche erwartet.

(The Glasgow Reporter)

 

Hallo Steffen,

tja, nun, hm, nach dem Lesen bleibt mir hauptsächlich die Frage: Was sollte das nun?
Ein Gendesigner wird hingerichtet und darf vorher noch ein letztes Plädoyer (?) abgeben. Weswegen wird er hingerichtet? Zu wem spricht er? Wozu genau hat sein Teufel ihn verführt?
Sein Richter (?) sagt gegen Ende "Den Rest können wir uns schenken." Leider schenkst du dir da für meinen Geschmack zu viel denn außer offenen Fragen kann ich der Geschichte leider nichts entnehmen.

Vielleicht bin ich aber auch nur ein ungeeigneter Leser... ;)

Ach ja, dass der Titel der Geschichte auch noch das Ende vorwegnimmt, empfinde ich als ungeschickt.

Viele Grüße,
Teetrinker.

 

Hallo Steffen,

Teetrinker hat schon recht. Da der (Richter/Henker/Werauchimmer) so nebulös bleibt, bleiben zu viele Fragen offen, die Spannung eher gering.
Wo liegt dein Fokus? Bei der "Homunkolisierei" des Prot?

Ansonsten sprachlich etwas gewöhnungsbedürftig. Ohne die Gendesignkomponente hätte es auch eine Geschichte aus dem 13./14. Jahrhundert sein können. Alchemistisch angehaucht halt.

lg
Dave

 

Hallo Steffen!

Hmm, also zunächst fragte ich mich, auf Grund welcher „Verbrechen“ der Prot hingerichtet wird.
Sollte sich der interessante Teil, die Erschaffung irgendwelcher Gen-Monster, hinter diesem Ausspruch verbergen: „Den Rest können wir und schenken“
Schade eigentlich, denn so ist und bleibt die Geschichte langweilig und uninteressant.

Am Ende hatte ich einen anderen, gegenteiligen Eindruck.
Der Protagonist wird hingerichtet, weil er in seiner Arbeit zu streng und vorsichtig ist, und somit der Firma und der Verbesserung der menschlichen Rasse im Weg steht.
Okay, das ist eine interessante Variante, aber leider immer noch fürchterlich langweilig.

Letzte Worte unterm Galgenbaum sind halt in jedem Fall letzte Worte, und so kommt keine Spannung auf.
Das Ganze mit mehr Feuer und Überzeugungskraft als Schlussplädoyer konzipiert, mit anschließendem Richterspruch, wäre eine spannendere Erzählweise.


Gruß

Asterix

 

Victor wird hingerichtet, weil die innere Natur seiner Arbeit darauf abzielt, die menschliche Natur abzuschaffen. Es geht nicht um dieses oder jene besondere Vergehen, sondern um die tiefe Schuld, die in der Wissenschaft selbst steckt.
Der Protagonist ist scheinbar ein streitbarer Vertreter der wissenschaftlichen Klasse. Durch Kompetenz und Zurückhaltung stärkt er seine Organsiation und das, wofür sie steht. Gegen Ende setzt er die Konsequenzen um, die aus seinem Engagement folgen. Er muss den Genpool als Materialsammlung ansehen, aus dem das Bestmögliche herzustellen ist. Der 'Mensch' gerät so in die Bedeutungslosigkeit. Als er diesen Plan umzusetzen beginnt, gerät er ins Visier der antimodernistischen Terrorgruppen, die führende Wissenschaftler kidnappen und töten.
Oder aber Victor wird von seiner verdrängten Schuld heimgesucht, überschreitet die Grenze zum Wahnsinn - Richter und Teufel sind nur halluziniert.
Ein Plädoyer mit zunächst offenem Ausgang ist nicht möglich, weil Victor seine Schuld übernimmt und etwas anderes als ein definives Urteil gar nicht akzeptieren könnte.
In der Geschichte geht es nicht um 'Genmonster' oder dergleichen, die Idee ist eigentlich weniger krude und beängstigender: die Zwangsläufigkeit einer Zukunft, die bereits begonnen hat.
Steffen

 

gerät er ins Visier der antimodernistischen Terrorgruppen, die führende Wissenschaftler kidnappen und töten.

Hallo Steffen,
kannst du mir mal anhand der Geschichte zeigen, wie ich als Leser darauf kommen soll?
Interpretationsspielraum ist ja schön und gut, aber er sollte nicht in Beliebigkeit ausarten meiner Meinung nach.
Das Thema, wie weit die Wissenschaft gehen darf und bis wohin der Mensch ein Mensch bleibt ist natürlich gleichermaßen Klassiker wie hochaktuell, daher nicht schlecht gewählt für eine Geschichte. Aber leider wird das Thema hier nicht mit einem Leben gefüllt, das mich als Leser zur Reflektion anregen würde.

Viele Grüße,
Teetrinker.

P.S.: Beitrag 100 :)

 

Hallo Teetrinker,

wo Du recht hast, hast Du recht. Die Geschichte war noch nicht fertig.

Steffen

 

Gott

Lass ihn vor Gott seine Sünden gestehen, nicht vorm Henker. Sehr cool wäre ein Disput mit Gott über die Grenzen der Ethik und dem gesellschaftlichen Druck der solche Gentechniken ermöglicht.

Fand ich sehr inspirierend!

 

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