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Die Himmelstore schweben nicht.
Die Himmelstore schweben nicht. Sie thronen nicht auf großen weißen Wolken. Mitten zwischen gigantischen Bergen und steilen Klippen stehen die kilometerhohen Tore am Ende des Weges, dem die jungen Seelen folgen müssen. Jeden Tag, jede Minute und jede Sekunde sieht man die Gestalten und ihre Lichtkugeln in bunten Farben zu ihrem letzten Ziel ziehen. Manche strahlen ein glänzendes, beinahe schon blendendes Licht aus, andere schimmern schwach, aber dennoch schön.
Die Seelen sehen nicht, was hinter den Pforten auf sie wartet. Sie sehen nur ihren großen schwarzen Vater, den Hüter der Wegkreuzungen, denn er schützt den Himmel vor all den bösen Geistern, die Gevatter Gott und seine Kinder heimsuchen wollen.
Papa Legba, der Wächter, urteilt nicht, denn das Urteil ist bereits gefällt. Er sieht, was Gott sieht. Und Gott weiß, welche Seele hinter die Himmelstore schreiten darf.
Seelen wissen, ob sie die heilige Ruhestätte verdienen. Die Meisten auf jeden Fall.
Manchmal nicht. Dann muss Papa Legba, der bärtige Mann mit dem Zylinder, sie in die Fluten werfen. Er ist beinahe unsterblich. Seelen können stark sein. Dann muss er kämpfen.
Seit Anbeginn der Zeiten war es so.
Heute schweifen Papa Legbas Blicke über ein stummes Tal. Heute kommen keine Seelen. Die Himmelsebene ist leer, kein Zeichen von Leben ist zu sehen.
Papa hat Angst.Er weiß was jetzt kommt, denn die Prophezeiung, die seit Anbeginn seiner Zeit auf den Toren eingraviert ist, besagt, dass an dem Tag, an dem das Himmelstal leer steht, der Tod die Himmlischen heimsuchen wird. Ein Unwetter zieht auf und sein Donner grollt, dann passiert alles wahnsinnig schnell.
Papa wird auf den Boden gerissen, die Last endloser Sünden liegt nun auf ihm und erschweren ihm das Stehen. Aus weiter Ferne fliegen ihm die vier Ketten der letzten Recken entgegen und fesseln ihn, denn ihre Siegel wurden aufgetan und jetzt suchen sie ihn heim.
In dem fernen Horizont erscheinen Schemen. Es sind drei Ritter und ein Sensenmann mit grausamen Fratzen, thronend auf Pferden, die aussehen wie eine Satire aller Sagen, wie teuflisch gewordene silberne Einhörner.
Der erste Reiter mit Pfeil und Bogen, gekleidet in Weiß, seine Miene gezeichnet durch ein selbstzufriedenes Grinsen.
Der zweite Reiter mit dem Schwert für Krieg, sein Antlitz sieht aus, wie das eines Wahnsinnigen im Todesrausch.
Der dritte Reiter mit der Waage für Teuerung und Hungersnot, er sieht aus wie ein dürrer Bettler.
Der vierte Reiter teilt das Schicksal Papas, er liegt in Ketten. Er ist der Tod.
Papa Legba hat auf sie gewartet. Sie kennen ihn. Er kennt ihren Führer. Hinter ihnen schwebt er, Luzifer, Ausgeburt und doch Erschaffer der Hölle, der endlosen See, die den Himmel umgibt und immer wieder gegen seine Klippen und Berge schwappt und seine natürlichen Mauern langsam wegfrisst.
Der Wächter hebt seinen mächtigen Dussack, eine altertümliche Stichwaffe, und ruft die Engel zu sich.
Die Engel fliegen herbei und wie ein gewaltiger Schwarm stürzen sie sich hinab auf die Reiter der Apokalypse.
Luzifer stößt ein tiefes Lachen aus und seine schrecklichen Diener wappnen sich mit der Bösartigkeit von hunderttausend Jahren. Der Reiter mit der Waage reißt das Firmament entzwei, sodass der ganze Horizont auf dem Kopf steht.
Da fallen die Engel vom Himmel. Ihre Gesichter verdorrt und ausgezehrt, ihre Flügel zusammengeschrumpft und verkümmert. Sie sind dem Hunger erlegen.
Der Weiße Bogenschütze hebt seinen Bogen und schießt. Der Pfeil durchbohrt Papas Legbas Hals und das Blut spritzt. Doch der Himmel ist stark. Die Himmelspforten beginnen zu leuchten, bis sie schließlich hellrot glühen und die Ketten, die Papa Legba fesseln, schmelzen. Er muss nicht denken, im selben Moment springt er und rammt dem Bogenschützen sein Dussack in sein schwarzes Herz und die zerfressenen Engel werfen mit letzten Kraft ihre Speere auf den Reiter mit der Waage. Er wird von tausenden Speeren durchbohrt.
Niemand sieht es kommen. Das Schwert, das der Reiter des Kriegs ihm in den Rücken rammt. Papa Legba grollt, das Tal erbebt und dann bricht er zusammen.
Beelzebub landet auf dem Boden und tritt einen Schritt vorwärts. Er bricht dem Schwerträger das Genick und nimmt dessen Schwert. „Du und ich, wir wussten, dies würde eines Tages passieren, denn so steht es geschrieben“, sagt er. „Nun sieh mir zu, wie ich dir das gewähre, was ich all den kleinen Schäfchen, die du beschützen wolltest, verwehre. Ich töte dich.“, schallen seine Worte durch das Tal. Der Teufel, Mephisto, der Satan hebt das Schwert und lässt es auf den Beschützer der Welten niederschnellen, doch kaum hat es Papa Legba berührt, so zuckt Luzifer zusammen und spuckt schwarzes Blut. Das geraubte Schwert hat Papas Herz aufgespießt, doch zu Papa Legbas Überraschung sieht er ihn vor seinen Augen „NEEEEIIIIIIN“ schreien und zu Staub verfallen. Hinter ihm sieht man jetzt zwei Finger der Hand des vierten Reiters, des Sensenmannes, befreit von seinen Ketten durch die glühenden Himmelstore, die des Teufels Gestalt berühren, was Luzifers Licht erlöschen lässt.
„Er war sich der wahren Bedeutung der Prophezeiung nie bewusst, Papa“, spricht der Tod. „Du hingegen hast es sicher geahnt. Ich, nicht der Teufel, bin hier um das zu tun, woran Luzifer und du mich vor so langer Zeit gehindert habt. Ich werde euch jetzt alle in das wahre Jenseits schicken.“, mit diesen Worten rammt der Tod seine Sense in den Boden des Himmeltals und die Tore erbeben und fallen, die Reiter verschwinden und Papa, der Beschützer, verglüht langsam in einem glänzenden goldenen Licht.
Der Tod sieht noch einmal auf und dann schickt Gevatter die Welt in einen Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachen wird. Er lässt seine Sense über den Himmel fliegen und hüllt ihn in einen dunklen Schleier und dann wird es kalt, tödlich kalt, so kalt, dass das Himmelsmeer zufriert, dass die Protonen, auch die Gammastrahlen, unerkennbar werden und die Sterne aufhören zu brennen und schließlich alles in sich zusammenbricht. Erst kam der Urknall. Jetzt die große Kälte. Das ist Gottes Wille.