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Die Hexe Rumpelpumpel und der Schoffel
Tief im finsteren Finsterwald, wo es finsterer kaum sein konnte, lebte die Hexe Rumpelpumpel. Viele lange Jahre hatte sie Könige in quakende Kröten, Prinzessinnen in picklige Puten und so manche Magier in mickrige Maden verwandelt. Nun aber war sie alt und des Zauberns müde geworden und verbrachte ihren Lebensabend in ihrem kleinen, aber feinen Hexenhäuschen, umringt von hohen Tannen.
Eines Abends, als sie schon im Bett lag und das Licht löschen wollte, hörte sie ein sonderbares Geräusch.
Krrrk, krrrk, krrrk, krrrk, krrrk ...
Was ist das nur?, fragte sie sich. Und woher kommt es?
Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und machte sich auf leisen Sohlen hinunter ins Erdgeschoss. Unten angekommen, lauschte sie wieder in ihr Haus hinein.
Krrrk, krrrk, krrrk, krrrk, krrrk ...
Das kommt doch aus der Küche, meinte sie.
Doch als sie in die Küche kam und das Licht anmachte, fiel ihr nichts auf. Alles war an seinem Platz.
Mmmh, vielleicht in der Vorratskammer.
Behutsam öffnete sie die Tür zur Kammer und schaltete auch dort das Licht an. Und dann sah sie es. Da. Hinter dem Vorhang, vor dem Fenster, da war ein kleiner, dunkler Schatten. Sie schob den Vorhang zur Seite und als sie erkannte, was sich dahinter verbarg, fiel sie fast aus den Pantoffeln. Von der oberen der beiden Metallstreben, die zwischen Vorhang und Fenster befestigt waren, hing kopfüber ein ulkiges Wesen. Es war so groß wie ein Küken, schaute aber mehr wie eine runde, behaarte Orange mit zwei Knopfaugen aus.
„Bitte tu mir nichts!“, sagte das Wesen.
Na toll, dachte die Hexe. Das sieht nach Ärger aus. Adieu, wohlverdienter Ruhestand!
„Hab keine Angst, ich tu dir nichts“, beruhigte die Hexe das Wesen. „Aber wer oder was bist du überhaupt?“
„Ich bin ein Schoffel“, erwiderte der Schoffel mit zitternder Stimme.
„Aha!“, sagte die Hexe. Von Schoffeln hatte sie noch nie etwas gehört. „Und was machst du in meinem Haus?“
„Ich verstecke mich.“
„Vor wem?“
„Vor dem bösen Räuber Borrodor!“
„Und warum hast du Angst vor ihm?“
„Er will mich fangen. Obwohl ich panische Angst vor der Dunkelheit habe, soll ich für ihn die Lapislazuli in der Grorgerhöhle finden. Ich besitze nämlich eine Gabe. Ich kann Edelsteine riechen.“
„Die Lasip... was?“, fragte die Hexe verwundert.
„Die Lapislazuli. Das sind wunderschöne, blaue, glitzernde Steine, die einem magische Kräfte verleihen können.“
„Wirklich? Ist das wahr?“
„Ja“, nickte der Schoffel eifrig. „So wahr Golottel mein Zeuge ist. Lapislazuli sind Lichtbringer. Wer sie hat, kann alles sehen, verstehen und erkennen, sogar Gedanken lesen.“
Nicht schlecht, dachte die Hexe. Vor zehn Jahren hätte sie auch einiges dafür getan um an diese Lasipblabuli oder so zu kommen.
„Also, wenn du willst, kannst du ...“
Weiter kam die Hexe nicht.
Bomm, bomm, bomm. Jemand hämmerte gegen die Tür.
„Aufmachen! Aufmachen!“, schrie dieser Jemand und schlug wieder gegen die Tür. Der Schoffel machte sich noch kleiner, als er ohnehin schon war und begann wieder zu zittern.
„Das ist er“, jammerte er. „Räuber Borrodor.“
„Warte hier“, sagte die Hexe. „Ich kümmere mich um ihn.“
Sie lief in den Flur und stellte sich vor den Eingang.
„Wer bist du? Was willst du?“
„Ich bin Räuber Borrodor und ich weiß, dass der Schoffel sich bei dir versteckt hält. Gib ihn mir, dann wird dir nichts geschehen.“
Die Hexe überlegte nicht lange.
„Hier ist kein Scholoffel oder was auch immer du suchst. Geh jetzt, sonst verzaubere ich dich in eine stinkende Kröte. Ich bin nämlich die Hexe Rumpelpumpel.“
„Ha“, lachte der Räuber Borrodor. „Du brauchst mich nicht für dumm verkaufen. Hexen können nur verzaubern, was sie sehen. Und du kannst mich gar nicht sehen, haha.“
So ein Mist, dachte die Hexe. Der Räuber Borrodor war nicht so blöd, wie sie gehofft hatte.
„Ich lass dich nicht rein. Geh jetzt, es ist zwecklos.“
Die Hexe holte ihren Zauberstab. Sie schwang ihn in die Lüfte und rief: „Eeene, meene Popüren, vor alle Fenster und Türen, eene, meene Schmiegel, Doppelschloss und Doppelriegel. Hex, hex!“
In Windeseile flogen Schlösser und Riegel wie aus dem Nichts vor die Fenster und Türen und verbarrikadierten die Eingänge. Die Hexe war beruhigt. Ha, dachte sie, da kommt der Räuber Borrodor niemals durch.
Es hämmerte noch ein paar Mal gegen die Tür, aber auch der Räuber Borrodor spürte beim Schlagen, dass die Tür keinen Millimeter nachgab. Er gab auf.
„Hab keine Angst“, sagte die Hexe Rumpelpumpel, als sie dem Schoffel von der Metallstange half und ihn in die Küche trug. „Bei mir bist du in Sicherheit.“
Der Schoffel beruhigte sich. Seine Beinchen zitterten nicht mehr und sein Fell war jetzt flauschig und entspannt.
„Ich habe Hunger“, sagte er.
„Das kann ich gut verstehen“, meinte die Hexe. „Angst macht hungrig. Soll ich dir ein Marmeladenbrot schmieren?“
„Ein paar Kieselsteine wären mir lieber!“
„Kieselsteine?!“, fragte die Hexe verwundert.
„Ja, Kieselsteine. Marmelade mag ich nicht so gerne.“
„Ach so. Ja dann bleiben ja nur noch Kieselsteine."
Die Hexe lief in den Flur. Unter den Sohlen ihrer Schuhe, in den Rillen, fand sie ein paar Kieselsteine. Die brachte sie dem Schoffel, der sie sofort hastig in sich hineinstopfte.
„Wir sollten schlafen gehen“, meinte die Hexe. „Hier bist du vorerst sicher. Morgen sehen wir weiter.“
Der Schoffel nickte. Dann gähnte er laut, legte sein Köpfchen, also seinen ganzen Körper, auf den Tisch und war sofort eingeschlafen. Die Hexe Rumpelpumpel nahm einen Karton, kleidete ihn mit Handtüchern aus und legte den Schoffel behutsam hinein.
Krrrk, krrrk, krrk, krrk, krrk, kam es zufrieden von dem Schoffel.
Die Hexe ging nach oben, legte sich ins Bett und fiel ebenfalls in einen tiefen Schlaf.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte sie sofort den kalten Windzug, der durchs Haus fegte. Sie fuhr aus dem Bett und hastete hinunter ins Erdgeschoss. Bestürzt sah sie die Eingangstür sperrangelweit offen stehen, ein kalter Sturm blies ins Haus.
Oh, nein, wie schrecklich, dachte die Hexe und lief weiter in die Küche. Dort bemerkte sie sofort den leeren Karton und die Handtücher auf dem Boden.
Oh nein, er hat den Schoffel mitgenommen. Räuber Borrodor hat den Schoffel mitgenommen. Aber wie ist er hinein gekommen? Ich hatte doch alles versperrt.
Als sie im Wohnzimmer den Ruß vor dem Kamin sah, da wusste sie die Antwort: Durch den Schornstein, natürlich. Er war durch den Schornstein geklettert, hatte sich den Schoffel geschnappt, die Eingangstür entriegelt und war dann abgehauen.
Was mache ich denn jetzt bloß? Was mache ich denn jetzt bloß? Der arme Schoffel.
Dann fiel es ihr ein.
Natürlich! Ich muss sofort zur Grorgerhöhle. Oh, dieser böse Räuber! Einfach so in mein Haus eindringen, na dem werd ich es zeigen.
Unterdessen war der Räuber Borrodor mit dem Schoffel bei der Grorgerhöhle angekommen.
„So“, brummte der Räuber und zündete eine Fackel an. „Los jetzt, rein da.“
„Ich will nicht“, sagte der Schoffel mit zittriger Stimme. „Ich will nicht in die Höhle.“
„Du gehst jetzt sofort da rein und findest die Lapislazuli für mich, ist das klar?“, schrie Borrodor wütend. „Sonst kannst du was erleben!“
Der Schoffel spürte einen heftigen Stoß im Rücken und stolperte in den dunklen Eingang der Höhle. Er hatte keine Wahl, er musste tun, was der Räuber Borrodor von ihm verlangte. Langsam tastete er sich in das Innere der Höhle vor. Im Schein der Fackel sah er das Gestein bedrohlich vor ihm aufflackern. Schatten wanderten hin und her, Formen und Figuren erwachten auf den Felsen zu gespenstischem Leben.
„Weiter! Schneller!“, brummte der Räuber und schubste den Schoffel wieder und wieder.
„Jetzt riech schon! Wo sind die Lapislazuli? Wo sind sie? Finde sie!“
Der Schoffel reckte sich und hielt seinen Schnabel in die Höhe. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Der Geruch der Höhle strömte durch die zwei kleinen Öffnungen am Schnabelansatz. Der Schoffel roch den Kalk, er roch die Schlacke und die Mondmilch, aber Lapislazuli roch er keine.
„Ich kann nicht“, wimmerte der Schoffel verzweifelt. „Ich kann nicht.“
„Doch, du kannst. Du musst können, du musst!“, schrie ihn der Räuber an.
Da, plötzlich, erlosch die Fackel. Der Räuber und der Schoffel konnten nichts mehr sehen. Um sie herum war es pechschwarz.
„So ein Mist aber auch“, rief der Räuber Borrodor und kramte in seiner Westentasche nach den Streichhölzern.
Doch bevor er diese ertasten konnte, leuchtete die ganze Höhle auf. Vor dem Räuber Borrodor und dem Schoffel tat sich wie aus dem Nichts ein brennendes Feuer auf. Es stach beiden unmittelbar in die Augen und brannte siedend heiß. Erst als der Räuber und der Schoffel zurückgewichen und auf den Boden gefallen waren, sahen sie, dass es mehr als nur ein Feuer war. Ein majestätisch großer Vogel tat sich vor ihnen auf, mit flammenden Flügeln und glühend roten Augen. Sein Schnabel hatte die Form zweier scharfer Messer und vor seinem Brustkorb schwebte ein knisternd heißer Feuerball.
„Was wollt ihr hier“, krächzte der Vogel. „Das ist meine Höhle.“
Räuber Borrodor griff nach dem Schoffel und warf ihn dem Feuervogel vor die Füße.
„Das war seine Idee“, rief er. „Er will dir die Lapislazuli klauen.“
„Verschwindet von hier!“, donnerte der Feuervogel. „Oder ich mache euch zu Staub.“
Jetzt kam der schwebende Feuerball auf Räuber Borrodor zu. Er sprang auf die Füße und hechtete nach vorne, Richtung Ausgang. Er nahm seine Beine in die Hand und rannte so schnell er konnte, ohne sich nach links oder rechts oder dem Schoffel umzuschauen. Doch der Feuerball ließ nicht von ihm ab. Wie ein Magnet heftete er sich an die Fersen des Räubers und setzte ihm nach. Der Räuber beschleunigte. Er verlangte seinem Körper noch einmal alles ab. Endlich tauchte der Tunneleingang vor ihm auf. Mit einem letzten Satz sprang er ins Freie. Als er auf dem Boden vor der Grorgerhöhle aufkam, stolperte er und stürzte polternd den Hang hinunter, wie ein Schneeball. Die Hexe Rumpelpumpel und der Schoffel hörten sein Geschrei bis in die Höhle. Unten angekommen, schlug er mit dem Unterkörper auf einem Felsen auf. Es machte laut ‚Knack’. Bewusstlos, mit gebrochenem Schienbein, blieb der Räuber liegen.
Der Feuerball jedoch machte kehrt und schwebte zum Vogel zurück. Er legte sich auf der erloschenen Fackel nieder und verschwand in den wieder aufkommenden Flammen. Das Licht war zurück.
„Ha, ha“, lachte der Feuervogel und schaute den Schoffel aus jetzt warmen Augen an. „Der wird mindestens die nächsten zwei Monate im Rollstuhl verbringen. Das soll ihm eine Lehre sein.“
Bevor der Schoffel es so richtig begreifen konnte, hatte der Feuervogel sich zurückverwandelt. Die feurigen Flügel verschwanden, der Vogelkopf verwandelte sich in einen Menschenkopf und der Brustkorb bekam Arme und Beine.
„Hexe Rumpelpumpel!“, rief der Schoffel voller Erstaunen.
„Die bin ich“, lachte die Hexe stolz. „Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich alleine lasse mit diesem ungehobelten Halunken, oder?“
Der Schoffel atmete erleichtert auf und lachte schließlich.
„Danke, danke“, sagte der Schoffel.
„Gern geschehen“, lachte die Hexe.
Plötzlich leuchteten die Augen des Schoffels auf. Er hob seinen Schnabel in die Höhe und schnupperte.
„Warte einen Augenblick“, meinte er und verschwand hinter einem Felsvorsprung. Etwas später kam er wieder hervor. In seinem Schnabel steckte ein kleiner, wunderschöner, blauer Glitzerstein.
„Den möchte ich dir schenken“, sagte der Schoffel.
„Ist das etwa ein Lalipzazuli?“, fragte die Hexe.
„Ein Lapislazuli, genau“, sagte der Schoffel und schmiegte sich mit seinem orangefarbenen Fell an die Hexe.
„Sag ich ja“, lachte die Hexe und streichelte dem Schoffel übers haarige Fell.
Gemeinsam liefen sie aus der Höhle ins Freie.