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Die Hetzjagd
Während der Tag immer älter wurde, trottete das erschöpfte Pferd den unebenen Weg entlang. Getrockneter Dreck klebte an dem Tier. Yrry umklammerte mit der einen Hand die Zügel, damit Aethur nicht vom Weg abkam. Die andere Hand hielt das erschöpfte Mädchen fest. Es war eine ungemütliche Schlafposition. Das Mädchen blies konstant Luft aus ihrer kleinen Nase und drehte murrend ihren Kopf weg, als die drückend heiße Sonne in ihr zierliches Gesicht schien. Yrrys wischte sich mit dem Handrücken die schweißbedeckte Stirn ab. Obwohl er seinen Plattenpanzer vor zwei Tagen ablegt hatte, schwitzte er unaufhörlich.
Gestern hatte Yrry sich noch die Sonne gewünscht. Mit einem schnellen Blick nach hinten vergewisserte er sich, dass die Verfolger sie nicht eingeholt hatten. Nicht lange und sie hätten es endlich geschafft.
Gestern regnete es in Strömen und Meralias Pferd hatte sich auf der matschigen Straße den Knöchel gebrochen. Yrry hatte lauthals geflucht und sich beim Mädchen für seine Wortwahl sofort wieder entschuldigt. Er gab Meralia zwei wertvolle Minuten mit ihrem langjährigen Reittier, bevor er das nunmehr nutzlose Tier mit einem schnellen Schwerthieb ins Jenseits beförderte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
Mittlerweile verfluchte er die Sonne, als sei sie einer der Verräter. Der Reiter wechselte leicht seine Position und griff mit seiner blutverkrusteten Hand nach dem Trinkschlauch. Fast leer. Müde kniff er die Augen zusammen. Zwei Tagen waren sie nun unterwegs. Zwei Tage ohne eine Pause. Zwei Tagen von scheinbar unermüdllichen Feinden gejagt. Aethur wieherte.
Instinktiv drehte Yrry seinen Kopf nach hinten und entdeckte zwei undeutliche Gestalten an der zuletzt passierten Baumgruppe, welche den Staub der Straße aufwirbelten. „Danke dir.“, raunte er Aethur zu. Der sanfte Trott ging in einen rasanten Galopp über. Der Wind pfiff eine Melodie, die Yrry nur zu gut kannte. Die Melodie der Hetzjagd und der Flucht, die sich mit Aethurs erschöpften Schnauben vermischte. Das Getreidefeld raste immer schneller an ihnen vorbei. Erst jetzt, als die geschundenen Hufen des Pferdes sich in rasanter Abfolge in die staubige Straße wühlten, spürte Yrry seinen Körper vor Schmerzen schreien. Meralia öffnete ruckartig ihre Augen und versuchte einen Blick nach hinten zu erhaschen, während ihre Hände krampfhaft den Sattelknauf umfassten. „Vielleicht reitet Vater zu uns!“, rief sie mit neu gewonnener Energie, als sie die beiden Gestalten heran preschen sah. Yrry schüttelte den Kopf. „Nein P-“
„Wir sollten stehen bleiben und auf ihn warten!“, unterbrach sie ihn und zog vorsichtig an Aethurs Zügeln.
„Wenn es Eurer Vater ist, dann wird er uns einholen.“, meinte Yrry daraufhin knapp und löste ihre Hand vorsichtig von den Zügeln. Meralia murrte kurz, umklammerte jedoch wieder krampfhaft den Sattelknauf und blieb still. Nach einer Weile änderte Yrry seine Taktik und ritt mit Aethur ins Getreidefeld. Die Verfolger taten es ihm gleich und hielten Schritt. Minuten vergingen in dieser Hetzjagd, während es schien, als könnten die beiden Jäger nicht mehr als ein Patt erringen. Dann wurde Aethur langsamer. Als hätte man ihm urplötzlich seine ganze Energie abgesaugt, verfiel er in einen Trott und blieb endgültig stehen. Wild blähte er Luft aus seinen Nüstern. Meralia blickte verwundert zu Yrry hoch. „Was ist mit Ae-“, setzte sie an, kam jedoch nicht weiter, als das Pferd langsam anfing zu schwanken. Der Reiter hievte das Mädchen geschickt aus dem Sattel und warf sich selber rechtzeitig auf den trockenen Boden, bevor Aethur`s Körper sein Bein zertrümmern konnte. Beim Aufprall öffnete sich seine Bauchwunde und lies dunkles Blut herausquellen. Er ignorierte den Schmerz, ignorierte das heranrollende Hufengeprassel und taumelte zu Meralia.
„Geht es Euch gut?“
„Ja.“
„Könnt ihr noch Laufen?“
„Ja.“
„Dann lauft den Weg weiter im Schutz des Feldes geradeaus. An der nächsten Brücke trefft ihr Helfer.“
„Was ist mit ihnen, Sir Yrry?“
„Ich werde mich mit den Männer unterhalten.“,erwiderte er und zeigte in die Richtung ihres Fluchtweges. „Lauft.“
Sie nickte kurz und lief los.
Yrry stolperte zu seinem toten Reittier und nahm den Langbogen. Im Köcher waren noch drei Pfeile. Er spannte die Sehe. Atmete ein. Hielt die Luft. Hielt die Position.
Die Reiter preschten, scheinbar ohne jegliche Furcht vor Yrrys Bogen, auf ihn zu und griffen nebenbei gekonnt nach ihren funkelnden Säbeln.
Bevor der erste Reiter den Ritter passieren konnte, steckte ihm ein Pfeil in der Brust. Der zweite säbelschwingende Verfolger verfehlte Yrry um eine Haaresbreite, als dieser sich zu Boden warf. Unter Aufbietung seiner ganzen Willensstärke kämpfte Yrry gegen die gewaltigen Schmerzen an. Während der tote Verfolger auf dem Pferd durch das verdorrte Getreidefeld ritt, galoppierte der Verbliebene konsequent geradeaus. „Das Mädchen!“, schoss es Yrry durch den Kopf, als er sich aufrappelte und den zweiten Pfeil anlegte. „Ritterspflicht“, flüsterte der Ritter zwischen zusammengepressten Zähnen. Der Reiter war noch nicht allzu weit entfernt, Yrry hätte mit Sicherheit getroffen, als plötzlich ein heftiger Krampf seinen linken Arm packte und den zweiten Pfeil im Getreidefeld landen ließ. Der Reiter wurde immer kleiner. Kam immer näher an Melaria heran. Sein Säbel glänzte in der Sonne. Yrry schrie. Ob vor Wut oder Schmerzen konnte er in seinem Zustand nicht deuten. Zitternd griff er nach dem letzten Pfeil. Spannte die Sehne. Atmete ein. Hielt die Luft. Hielt die Position. Er kämpfte gegen seinen zitternden Arm und visierte den Reiter bestmöglich an, obwohl die Konturen immer mehr verschwommene Muster annahmen.
Als er losließ war es, als würde die Last mit dem davon schwirrenden Pfeil von ihm weichen. Yrry ließ sich auf den blutüberströmten Boden neben Aethur fallen. Der Ritter versuchte zu erkennen, ob er den Verfolger getroffen hatte, aber Aethurs Kopf versperrte die Sicht. „Wir haben getan, was wir konnten.“, murmelte er zu dem toten Tier, während sein Blick auf der von ihnen zuletzt passierten Baumgruppe hängen blieb, von wo ein Dutzend weiterer Reiter eine bedrohlich aussehende Staubwolke erzeugten.