Die Henkersbraut
Jens Pfeiffer
Die Henkersbraut
Nur noch 2 Stunden bis Sonnenaufgang, nur noch 2 Stunden bis sie ihren Bräutigam sehen würde.
Sie erinnert sich an ihre Kindheit, als sie in der ärmlichen Hütte ihrer Eltern aufwuchs.
Ihr Vater war Stallbursche und ihre Mutter Küchenhilfe im Gasthof des Dorfes, und sie, sie war das einzigste Kind der beiden. Damals wurde sie von ihren Eltern verwöhnt so gut es eben möglich war, es gab immer genug zu essen und ihr Bett hatte sogar eine Decke aus Schafswolle.
Nicht so wie jetzt, wo es nur trockenes Brot und Wasser gibt und ihre Bettstatt aus schimmligen Stroh besteht...
Sophie nannten sie ihre Eltern, Sophie, wie die Prinzessin im fernen Erzmühlstadt. Sie wurde geliebt und vor allem Unheil beschützt. Es war ein schönes, sorgloses Leben damals. Als sie dann älter wurde half sie ihrer Mutter gern im Haushalt und war der einzige Lichtblick im faden, tristen Leben ihrer Eltern.
Aber als sie ihre kindliche Figur verlor und zur Frau heranreifte begann das Unheil.
Ein schönes Mädchen war sie damals, mit langem, schwarzen Haar und schneeweisser Haut. Irgendwann begann sie der erste Mann seltsam anzusehen und diese Blicke empfing sie dann immer öfter. Anfangs dachte sie sich noch nichts dabei, schliesslich sagten ihre Eltern ja immer zu ihr sie wäre noch ein Kind. In der ärmlichen Hütte wo sie damals wohnte, am Dorfrand bei den Weizenfeldern, da verbrachte sie ihre letzte schöne Zeit.
Bei den Dorffesten, kicherte sie dann mit ihren Freundinnen, wenn ein junger Bursche eine von ihnen zum Tanz aufforderte, und mit roten Backen nahm sie Komplimente entgegen daß sie doch die Schönste von allen wäre....
"Nicht so wie heute", dachte sie bei sich, "nicht wie heute, wo ich abgemagert bin und mein ganzer Körper vor Blutergüssen und Wunden strotzt."
Damals dachte sie sich nichts dabei als der Gastwirt, der nicht nur der Arbeitgeber ihrer Eltern, sondern auch Bürgermeister war, seinen Sohn anschubste, auf sie deutete und hämisch grinste.
Und sein Sohn, Nikodemus mit Namen, sah sie gierig an und ging zu seinen Freunden um mit ihnen zu tuscheln. Ahnungslos schüttelte sie ihre langen Haare und wand sich wieder dem Tanz zu.
"Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiss" denkt sie zum tausendsten Male "wäre ich gelaufen soweit mich meine Füsse tragen."
Aber damals genoss sie die Blicke, die Gewissheit daß alle Männer sie anstarrten und ihre Freundinnen kaum beachteten. Sonnte sich im Mittelpunt der allgemeinen Aufmerksamkeit.
"Oh süsse Unschuld der Jugend! Wie grausam kann doch das Schicksal sein!"
Am einem schönem Sommertag, als ihre Eltern im Gasthof arbeiteten, rupfte sie Unkraut im Gemüsegarten. Es war ein heiss, deshalb hatte sie ihr Kleid hochgerafft und die Bluse weit aufgeknöpft. Die Arbeit war zwar eine unangenehm, aber wenn ihre Mutter heimkam und das Ergebniss der Mühen sah, würde sie sich bestimmt freuen. Auf einmal hörte sie Pfiffe vom Dorf her. Nikodemus und 2 seiner Freunde kamen langsamen Schrittes auf die Hütte zu, wobei sie sich ständig umdrehten. Sie dachte sich nichts dabei und rupfte weiter, bis auf einmal ein Schatten über sie fiel. Erschrocken sah sie auf und wich einen Schritt vor Nikodemus zurück, der vor ihr stand. "Du Mätze, du elendes Flittchen, jetzt zeigen wir dir mal was Sache ist!" schrie er und zerrte sie in Richtung Weizenfeld, begleitet vom Gelächter seiner zwei Freunde. "Was soll das? Hilfe! Vater, Mutter, helft mir!"rief sie noch verzweifelt, als sie ein Faustschlag von Nikodemus fast in die Besinnungslosigkeit trieb. Benommen versuchte sie sich zwar noch zu wehren als man sie im Feld zu Boden warf, aber ihr wurde langsam schwarz vor Augen. Als sich der erste der drei Freunde auf sie warf und ihr die Kleider vom Leibe riss, dachte sie noch an einen Alptraum. Aber dann kam der Schmerz und ihre Gedanken verloren sich in Dunkelheit.
Die erste Empfindung als sie langsam wieder zu sich kam war Schmerz, Schmerz und danach Scham.
Lange konnte sie sich nicht bewegen, bis ihr die Rufe der Eltern bewusst wurden. Da versuchte sie erst aufzustehen und sackte sofort wieder in sich zusammen. Ihr ganzer Unterkörper war ein einziges Feuer, und mehr als langsam in Richtung Haus zu kriechen konnte sie nicht. Als ihre Eltern dann endlich ihr Kind erblickten, schrien sie laut auf. Beide rannten dann sofort zu ihr, und sie wurde sorgsam mit den Fetzen ihrer Kleidung bedeckt und in die Hütte getragen. Ihre Mutter weinte, als sie Sophie wusch, während ihr Vater, mühsam seine Wut unterdrückend, sie fragte: "Wer war das? Welches Schwein hat dir das angetan?" Sie nahm all ihre Kraft, all ihren Mut zusammen und sagte ihrem Vater die Wahrheit. Der wurde aschfahl und stützte sich am Türbalken ab. "Bei allen Göttern und Dämonen, diese Hunde müssen bestraft werden, ich werde nicht eher ruhen als bis ich sie hängen sehe!"
Daraufhin überliess er Sophie der Fürsorge ihrer Mutter und ging schnellen Schrittes ins Dorf hinunter.
Es war schon dunkel als ihr Vater endlich wiederkehrte, sein Gesicht voller Blutergüsse und sich die Rippen haltend. "Oh ihr Götter, gibt es denn keine Gerechtigkeit mehr auf dieser Welt?" schluchzte er, als er in die Hütte kam, mehr torkelnd als gehend. "Diese Schweine, diese elenden Hunde! Sie sagen du hättest es gewollt, du hättest sie verführt, du hättest sie angebettelt dich zu besteigen! Oh Herr, das kann nicht sein, nicht mein Augenschein, nicht meine kleine Sophie! Der Bürgermeister will gnadenvoll davon absehen dich zu bestrafen und warf mir 2 Goldstücke für deine guten Dienste an seinem Sohn vor die Füsse. Als ich auf ihn einsprang, um ihn für diese unglaublichen Worte zur Rechenschaft zu ziehen kamen die anderen Knechte und verprügelten mich. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Warum wird im Tempel immer von Gerechtigkeit geredet wenn so etwas passieren kann? Steht mir bei, ihr 9 Götter, damit wir diese Zeit der Prüfung überstehen!" rief Sophies Vater und versuchte dann trotz seiner schmerzenden Rippen Frau und Tochter zu umarmen. "Wenn wir uns jetzt nicht zufriedengeben wird er uns alle ins Gefängniss sperren, das waren seine Worte als er mich aus dem Haus werfen liess. Was sollen wir jetzt machen? Wenn wir weiter über diese Untat reden will er deine Mutter und mich entlassen und dafür sorgen daß wir keine Arbeit mehr in dieser Gegend bekommen. Wie sollen wir weiter leben? Was können wir machen? Es gibt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt!" Dann wandte er sich von seiner Tochter ab und schaute aus dem Fenster. "Liebe, kleine Sophie, wir können nichts gegen diese Hunde tun, sind ihnen hilflos ausgeliefert. Oder möchtest du daß deine Eltern ins Armenhaus kommen? Die werden schon noch ihre gerechte Strafe bekommen. Die Götter können nicht über solches Unrecht hinwegsehen! Geh ihnen allen aus dem Weg! Schau ihnen nicht in die Augen und zieh dich züchtig an!" Mit diesen Worten liess er Sophie auf ihrem Bett liegen und zog seine Frau, die ihn ungläubig ansah, aus dem Zimmer. Noch spät nachts konnte Sophie ihre Eltern streiten hören, als sie sich langsam in den Schlaf weinte.
"Diese Schande, dieser Schmerz, und niemand wollte mir helfen" denkt sie bei sich, und versucht eine bequeme Lage im Stroh zu finden.
Als dann ihre Periode ausblieb und der Bauch immer dicker wurde , wandte sie sich erst gar nicht an ihre Eltern sondern ging gleich zur Kräuterfrau, die in einer einsamen Hütte im Wald lebte. Sie rief die alte Frau um Hilfe an, aber diese gab ihr nur mitleidlos Ratschläge und ein Werkzeug. In einer dunklen Nacht ging sie dann zum nahen Wald und brachte ihr kleines Kind um. Benutzte das alte, rostige Ding der Kräuterfrau um ihr schlafendes, wehrloses Kind zu beseitigen. Die daraufhinhin folgende Entzündung ihres Unterleibes überstand sie sogar problemlos.
"Oh mein Kind, es tut mir leid daß ich dir kein Leben geben, keine gute Mutter sein konnte. Aber wie sollte ich das sein, wer war damals schon gut zu mir?"
Die folgenden Jahre waren geprägt von der Furcht vor ihren Peinigern, vor dem Spott der anderen Dorfbewohnern, von der Missachtung ihrer ehemaligen Freundinnen, die nur noch auf eine gute Partie auswaren. Die Männer höhnten über sie wenn sie zu mehreren zusammen standen und riefen ihr Schimpfworte hinterher. Aber wenn ihr einer allein begegnete wurde sie nicht mehr Hure genannt! Nein, ihr wurden gleich eindeutige Angebote gemacht. Irgendwann überwand sie ihre Scham und gab sich einem der Bauern hin. Der Ekel, den sie bei dem Akt empfand war fast überwältigend, der Kerl stank und grunzte wie ein Tier. Aber das Geld das er ihr danach gab nahm sie an. Und so langsam gewöhnte sie sich an ihre neue Situation. Es war zwar nicht das Beste, aber sie kam zurecht. Der einzige Mann im Dorf der sie nicht wie eine Hure behandelte war der Lehrling des Hufschmieds, aber selbst er wollte kaum mit ihr reden, sondern schaute sie meist mitleidig an. Und irgendwann bekam sie Besuch einer Abordnung der Frauengemeinschaft, die ihr riet möglichst bald das Dorf zu verlassen. Einer Konfontation mit den Frauen wollte sie lieber aus dem Weg gehen, deshalb verliess sie das Dorf um ihr Glück in der nächsten Stadt zu suchen. Nach Eichenberg wollte sie, der Stadt die sie vor Jahren mal mit ihren Eltern besucht hatte. Wie strahlend erschien ihr damals die Stadt, mit ihrem Schloss und dem grossen Markt. Aber auch dort war ihr das Glück nicht hold. Das zusammengehurte Geld war schnell ausgegeben und in dem Gasthof, wo sie dann als Schankmädchen arbeitete, wurde sie auch ständig von Männern begafft und betatscht. Eines Abends wurde sie daraufhin handgreiflich und schüttete den Gästen das Bier ins Gesicht, Daraufhin war kurzzeitig Ruhe. Aber auf Dauer war dies wohl auch nicht gut für das Geschäft, weshalb sie der Wirt einfach vor die Tür setzte. Und in der Gosse gab es nur einen Weg für ein schönes Mädchen das nötige Geld zum Überleben zu verdienen. So wurde sie zur Strassenhure und verkaufte ihren Körper an Freier die das nötige Kleingeld für sie hatten. Das winzige Zimmer, welches sie sich leisten konnte, war zwar leidlich sauber, aber für Essen war nie genug Geld da, weshalb Sophie immer weiter abmagerte. Bis sie eines Tages einen schweren Fehler beging. Ein Adliger lief ihr über den Weg und sie liess ihn sogleich erkennen welchem Gewerbe sie nachging. Auch wenn sie selbst es als lächerlich empfand, tief in ihr war noch Hoffnung. Hoffnung, der Mann könne ihr ein wenig mehr Geld geben, oder er könne sich gar in sie verlieben und dann von ihrem Elend befreien. Aus diesem Grund machte sie ihm schöne Augen. Aber der Adlige sah sie nur abschätzend an und nahm sie dann mit in ein Zimmer in einem schmuddeligen Gasthof. Dort warf er sie sofort aufs Bett und zog sich aus. Als er ihren dürren Körper sah, lachte er nur und legte sich zu ihr. "Du bist aber eine ganz dürre Katze! Ich mag es wenn die Frauen dabei schreien und weinen", lachte er und gab ihr eine Ohrfeige. "Los, heule nach deiner Mutter, das gefällt mir!" Aber Sophie, die schon weit Schlimmeres erlebt hatte, konnte nur über ihn lachen. "Ja, grosser Herr, ich zittere und fürchte mich! Brauchst du mein Geschrei um noch ein wenig Spass zu haben?" verhöhnte sie ihn. Daraufhin schlug ihr Freier nur noch fester zu "Du machst dich über mich lustig? Du elende, nichtswürdige Hure! Wenn ich sage Schrei!, dann schrei auch! Man gehorcht meinen Befehlen!" Aber Sophie lachte nur noch lauter, bis der Mann vor Zorn fast ausser sich war. "Warte, du wirst es bereuen, mich zu verhöhnt zu haben!" Er zog sich schnell an, öffnete das Fenster zur Strasse und rief die Stadtwache. Diese stürzte natürlich sofort herbei und kam in das Zimmer, wo der Adlige sofort brüllte:"Diese elende Hure hat versucht mich zu bestehlen! Verhaftet sie!"
"Ja, so bin ich hier gelandet" denkt sie sich "und morgen werde ich befreit."
Die Gerichtsverhandlung dauerte keine halbe Stunde. Es stand ihre Aussage, die Aussage einer Strassenhure, gegen die eines Adligen, der in der Armee gedient hatte und ein entfernter Verwandter des Barons war. Das Gericht entschied sich natürlich sehr schnell und so wurde sie denn verurteilt.
"Oh, der erste Sonnenstrahl am Horizont. Gleich kommen sie um mich zu holen" freut sie sich, und erhebt sich langsam und unter Schmerzen von ihrem Lager. Die Gefangnisswärter haben sie zum letzten Mal geschlagen und missbraucht, jetzt wird sie ihren Bräutigam treffen. Die Zellentür wird aufgestossen, Wärter lösen ihre Ketten und zerren sie hinaus ins Freie. Laut tobt die Menge als sie Sophie sieht, die ganze Hochzeitsgesellschaft ist in Lumpen gekleidet und johlt, bewirft sie mit faulem Obst und Dreck. Und in der Ferne sieht sie ihren Bräutigam stehen, schwarz gekleidet, die Kapuze übergezogen und einer Axt in der Hand steht er nebem dem Henkersklotz. Langsam geht sie auf ihn sie zu, sieht in ihm die Erlösung von all ihrem Elend.
"Das war also mein Leben, wie gut daß es vorbei ist! Die Götter müssen mich wirklich lieben!" denkt sie noch als sie dem Henker in die kalten Augen blickt. Dann richtet sie ihren Blick zum Himmel "Ein letztes Mal will ich noch den Himmel und die aufgehende Sonne sehen und dann, dann bin ich endlich frei" Ihr Bräutigam drückt sie auf den Richtklotz und hebt langsam die schwere Axt.
"Frei, endlich frei"
Nach dem Lied: Henkersbraut von Subway to Sally
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