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Die hautfarbenen Handschuhe
Die hautfarbenen Handschuhe
Es war einmal ein böser Mann, der unbestritten an der Spitze bleiben wollte. Dummerweise waren ihm dabei andere, für die Spitze besser geeignete im Weg, deshalb entwickelte er das seltsame Hobby, diese anderen, diese Konkurrenten spurlos zu beseitigen. Es machte das nie mit seinen bloßen Händen, er zog dabei Handschuhe an. Eines Tages kam ihm wieder einer in die Quere. Todesurteil.
Flink die Handschuhe angezogen, Konkurrent in den Hinterhalt gelockt, erstochen. Tot. Die blutigen Handschuhe sammelte er zuhause im Keller, wo andere ihre Leichen stapeln.
Und auch diesesmal hatten seine Handschuhe Blutflecken. Aber dieses mal ließen sie sich nicht abziehen, so ein Mist. Zauberei? Beängstigend? Nein, Mörder haben keine Angst, wovor denn? Selber Gefahr.
Na gut, dann müssen halt alle Leute ab heute blutige Handschuhe tragen.
Aber niemand hätte das gewollt, niemand. Deshalb wartete der böse Mann auf die Nacht. Des nachts zog er los: in einem Sack trug er die vielen blutigen Handschuhe, die sich so in seinem Leben angesammelt hatten.
Und als alle vor dem Fernseher einschliefen, schlich er sich von Tür zu Tür.
Am nächsten Tag erwachten sie alle, außer die, die zu alt dafür waren. Ruhet in Frieden. Also am nächsten Tag erwachten fast alle wieder, und man kann sich den Schock der Leute vorstellen, die an ihren Händen die blutigen Handschuhe des Mörders fanden, angenäht. Geschickt eingefädelt sozusagen. Sie ließen sich nicht abnehmen. Klar.
Protestversammlungen wurden einberufen, Interessengemeinschaften gegründet. Die wichtigsten Tagesordnungspunkte waren die operative Beseitigung der Handschuhe einschließlich des Einverständnisses der Krankenkassen, dies unentgeltlich zu tun, denn auch AOK-Tippsen haben Hände, comprehändé?
Vor allen Krankenhäusern bildeten sich Schlangen. Verkehr stand still, die Arbeit ruhte. Man stelle sich einen wimmelnden Ameisenhaufen vor, der kein solcher mehr ist. Ja? So, und jetzt nur noch Menschen statt Ameisen vorstellen, dann ist die Illusion perfekt, und das ganz ohne beißende Tiger in Las Vegas.
Aber zurück zum Kern: Stromausfall im ganzen Land. Nicht ganz, in Stadt X am Fluß Y gab es ein Notaggregat, und genau da gingen jetzt alle hin. Professor Brinkmann war der Glückliche, denn es war sein OP, und niemand sonst sollte das Orchester aus Klemmen, Tupfern und Skalpellen dirigieren dürfen. Also bildete sich neben der nun letzten verbliebenen Schlange noch eine Nebenschlange: Fernsehen, Reporter und jemand vom Guiness-Buch der Rekorde, denn es sollte ein langer Arbeitstag werden. Prof. Brinkmann war geschickt und flink dazu. Schnell machte er das alles, einen nach dem anderen, zack zack zack. Schneller als der Counter von „ww.sex.com" (der machte sowieso grade Pause – hing schlaff herunter sozusagen). Jeder bestaunte die schmerzfreie OP und grinste in die Kamera, denn live wurde das alles übertragen. Das Aggregat reichte aus, draußen vor der Krankenhaustür einen Riesenbildschirm zu betreiben (unlogisch? egal!), und jeder Enthandschuhte stellte sich draußen auf den großen Platz und glotzte, Chips in die orale Öffnung einschiebend. Brinkmann! Brinkmann! – Rufe hie und da. Zack! Zack! Zack! Brinkmann arbeitete wie ein Motor. Bizarr: manche bildeten La Ola (die Welle) mit ihren neugeschlüpften Händen. Das spornte Brinkmann an: zackzackzack! Zackzackzack-tschök! Oh, Verzeihung, ich bin im Streß, den nähen wir wieder an - zackzackzack...
Der böse Mann hatte sich ganz hinten angestellt und kam also auch als letzter dran, denn ein Drängler war er noch nie gewesen, das muß man ihm lassen.
Vor dem Krankenhaus hatte sich die ganze Menschheit versammelt und schaute gebannt zu; ein Meer von Menschen, hunderttausende Wellen (La Olas) machend. Ab und zu ein Wal, da blies er!
Jetzt kam also die große Stunde: siegessicher begrüßte der böse Mann den Herrn Professor, dessen letztes Zack! geschlagen hatte. Man hielt inne, eine kleine Weile. Fernsehteam, Professor und Guinessbuchderrekordejournalistin schauten sich feierlich an, Sascha Hehn grinste dämlich, wie immer und baggerte die Anästhesistin an, wie immer. Der Professor unterbrach die Zeremonie und begann mit seinem ersten Schnitt.
Oh...
Äh...
Hm...
Aber so sehr er sich auch bemühte, Herr Brinkmann konnte den blutigen Handschuh nicht ablösen, denn – er war angewachsen! Mein Herr, das ist ja gar kein Handschuh! Das ist ja ihre eigene Hand!
Sie ... Sie ... Sie sind doch nicht etwa ... der ...
Aber da war es schon zu spät. Grauenhaftes Prozedere nahm seinen Lauf, Skalpelle lagen ja genug da. Niemand entkam, grausam. Er tötete alle, bis er alleine war, einsam. Einzig die Kamera vermochte das Schauspiel zu sehen, folgsam. Der Böse Mann dachte, was für eine Genugtuung – zwar bin ich enttarnt, aber wenigstens gehe ich mit einem Knall zugrunde, vor den Augen der Welt, die gebannt auf den großen Bildschirm schaut. Ich entfalte meine Macht, harharhar. Ich zeige denen meine behaarte Brust, haarhaarhaar. Zeig denen, was ne Harke ist, harharhar. Und jetzt trete ich vor die Menge da draußen, daß sie mich verurteilend bewundert wie jeden großen Serienkiller! Stolzieren werde ich, wie Napoleon, wie Stalin, wie Hitler!
Vorher ging er noch mal schnell pinkeln, trat aber dann direkt nach draußen und ging auch nicht über LOS und zog auch keine 4000 DM ein. Und siehe da...!
Die Menge draußen hatte das getan, was sie immer vor dem Fernseher getan hatte: sie war eingeschlafen! Man schaue sich das einmal an! dachte dieses Schwein und überlegte nicht lange. Er ging frisch ans Werk, denn es war inzwischen Nacht und Nadeln waren ja noch genug da.
© Borna Cesljarevic 10/2003