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Die Hausdurchsuchung
Als Timo es sich mit Paprikachips und Dosenbier gerade vor dem Fernseher gemütlich machen wollte, um die Terrorschau zu sehen, hielt er abrupt inne, denn durch das Fenster pulsierte blaues Licht. Timo hatte sogleich eine vage Ahnung, wer an der Tür stand, die Klingel betätigte, dreimal kräftig gegen das Holz pochte und in respektablem Bariton rief:
»Aufmachen, hier ist die Polizei!«
Aufgeregt stellte Timo Chips und Bier irgendwo ab und eilte zur Tür.
»G... -«
»Abmd, heißen Sie Kraty und sind Besitzer dieses Hauses?«
»J-ja, so heiße ich, was ...«
»Hausdurchsuchungsbefehl. Lassen Sie uns rein. Alles, was sie jetzt sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden.«
Damit stürmten der Kommissar und zwölf weitere Beamte Kratys traute fünfunddreißig Quadratmeter Lebensraum. Das heißt, nicht ganz fünfunddreißig --
»Schließen Sie diese Tür auf!« Der Beamte zeigte auf die Kellertür.
»Ähm, nein«, sagte Timo zögernd.
»Nein?!«
»Ich möchte, ich, ich möchte erst wissen, warum.«
Der Beamte schaute ihn ungläubig an, sah dann bedächtig seufzend zur Decke und begann langsam und betont deutlich: »Sie stehen unter dem Verdacht, regelmäßig tatsächliche, mutmaßliche und potenzielle Terroristen, Kinderschänder, Rechtsextreme, organisierte Kriminelle, Raubkopierer, Gewalttäter, Stalker, Sozialbetrüger, Anarchisten, Nichtchristen; insbesondere Kleptomanen und Taschendiebe, sowie Personen, die ihren Stinkefinger in Überwachungskameras zeigen, Personen, die öffentlich den Bundesinnenminister diffamieren, öffentliche Plätze verunreinigen, Behinderte beleidigen, Werbeflächen beschmieren; Individuen, die den ungeheuren Fortschritt der dummokratischen Gesellschaft in puncto öffentlicher Sicherheit verachten; und aber ganz an erster Stelle«, der Atem des Kommissars beschleunigte sich, seine Augen waren plötzlich nur noch Schlitze dicht vor Timos erschrockenen: »unerzogene Rotzlöffel, die Beamtenkindern ihr Lieblingsförmchen stehlen ... allen Genannten Unterschlupf zu bieten, und sogar die Rechtschaffenheit von Politikern auszunutzen und diese vor dem Parlament peinlich zu entblößen, indem Sie Ihren Namen lächerlich verschleiert in deren Reden schmuggeln.« In seiner Verbitterung hatte er Timo beim Kragen gepackt, den er nun angeekelt von sich stieß.
»Oh«, sagte Timo und überreichte ihm den Kellerschlüssel, während er sich fragte, ob sein Keller nicht doch etwas zu klein für so viele Verbrecher war.
»Los Kollegen, schauen wir dem Fisch ins Maul.«
Timo hinterdrein. Unten angekommen, standen die Polizisten bereits um eine Menge größerer Fässer herum.
»Herr Kraty, nun sagen sie uns doch mal, was wir hier vorfinden.« Wieder langsam und deutlich, die Mühe der Selbstkontrolle quoll offensichtlich zwischen den Wörtern hervor, sagte dies der Kommissar und deutete auf die Behältnisse.
Etwas verwirrt zuckte Timo mit den Schultern. »Meine Herren, d-d-das steht doch groß drauf: "Redefreiheit", "Datenschutz", "Unverletzlichkeit der Wohnung", "Würde" ...«
Der Kommissar wischte sich, kreidebleich geworden, die Schweißperlen von der Stirn und zückte hektisch sein Mobiltelefon.
»Tach, SEK-81-L hier. Schickt uns bitte schnellstens Spezialisten der Bombenentschärfung. Wir haben hier circa zwanzig Fässer Demokrat, ja, ihr habt richtig gehört. Unverzüglich Evakuierung einleiten!«
»Hören Sie, ich wusste echt nicht, dass die hier alle noch rumstehen. Die hab ich längst vergessen, wirklich, glauben Sie mir doch!«
»So, wir überwältigen Sie eben kurz ... und - schmerzlos - und ... machen Ihnen Handschellen, sehen Sie hier diese Metalldinger, um die Handgelenke, ist gar nicht schlimm, aber bitte machen Sie mir jetzt keine Probleme. So alles klar? Alles nur zu Ihrer eigenen Sicherheit, bitte kommen Sie.« Über den gutväterlichen Ton vergisst Timo zu protestieren -- er weiß selbstverständlich, was Handschellen sind.
Timo befand sich zwölf Tage und circa fünfzig Monate in Haft. Zwei Wochen vor seiner Entlassung fiel ihm plötzlich auf, dass die Wärter alle in weiß gekleidet und sehr freundlich waren. Er genoss diese Zeit und ließ die eine und andere Träne vom Kinn tropfen, als sich das große Stahltor von innen schloss. Allein wegen der Anwesenheit gleich mehrerer Bodyguards nahm Timo Abschied von seinem Plan, in der ihm zugeteilten psychologischen Betreuerin eine Nordosterweiterung vorzunehmen, und damit auch von seinen lässigen Kumpeln jenseits der Mauer. »Entleerte Fässer hinter Glas«, »dummokratisches Desinformationszentrum«, »Umbauten an Ihrem Haus«, ach, wie entzückend süß die Blauäugige palavern kann!