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Die Hasen

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16.11.2015
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Die Hasen

DIE HASEN

1

Eine dichte Wolkenfront verdeckte jetzt die Sonne, die mir eben noch warm und hell ins Gesicht gescheint hatte. Trotz Mittagszeit ähnelten die Lichtverhältnisse denen der Dämmerung. Mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter. Der Wind, der die vielen Blumen auf der Wiese zum Tanzen brachte, war kühler geworden, doch bevor ich wirklich zu frieren beginnen konnte, zogen die Wolken weiter und ließen die erlösenden Sonnenstrahlen auf mich herabstürzen.
Mein Körper wurde von einer seltsamen Energie durchdrungen, ich fühlte mich leicht & beweglich, als könne ich ohne jede Anstrengung einen ganzen Marathon laufen. Mein Verstand war völlig klar und weitgehend gedankenlos. Ich nahm alle möglichen Eindrücke war, doch besonders genoss ich die vielen Gerüche von den unzähligen Pflanzen.
Ich hörte es rascheln und drehte mich um. Aus dem Gebüsch hoppelte eine erstaunlich große Häsin mit ihren zwei Hasenkindern.
Sie alle trugen schwarz glänzende Schuhe an den Hinterpfoten, die wegen ihrer Länge an Clowsschuhe erinnerten. Die Kinder trugen außerdem graue Anzüge mit roten Fliegen (gelb gepunktet) und die Haare zwischen ihren hängenden Löffel (Ohren) waren zu Mittelscheiteln frisiert. Die Mutter trug einen dunkelblauen Hosenanzug, der mit glitzernden Steinchen besetzt war. Im Strohhut, der ihren Kopf bedeckte, waren zwei Löcher, aus denen ihre Ohren gegen den Himmel standen.
Sie hoppelte gegen mein Bein.
"Rüpel", sagte sie verärgert, "sehen sie nicht, dass ich vorbei will?"
"Ich bin mir keiner Schuld bewusst", antwortete ich mit ruhiger Stimme.
"Nehmen sie Rücksicht, schließlich haben die Kleinen ihren Vater verloren"
"Wie das?"
"Der Jäger hat ihn gestern erschossen ... Wahrscheinlich verspeist er ihn heute zum Abendmahl"
Die Kinder brachen in Tränen aus.
"Wie reden sie vor den Kindern?"
"Erzählen sie mir nichts von Erziehung; und außerdem: hätte der Vater besser aufgepasst, dann wäre sowas nie passiert"
"Kommen sie von der Beerdigung?"
"Hören sie doch zu, ich hab ihnen gesagt, dass der Jäger seine Leiche hat, wie sollten wir ihn beerdigen?"
"Ich könnte ihn holen?"
"Dann wird der Jäger sie erschießen"
Ich sagte den Hasen meine Hilfe zu, forderte sie zum Warten auf und ging zum Haus des Jägers. Vor mir war ein großer Zaun, den ich nicht überschauen konnte. Ich muss gestehen, dass ich in diesem Moment nervös war, mein Bauch kribbelte und mein Puls war eindeutig erhöht. Ich legte mein gutes Ohr an das rauhe Holz des Zaunes und versuchte etwas zu erlauschen - keine Geräusche. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen (jetzt reichten meine Arme gerade so ans obere Zaunende), zog mich hoch und kletterte in den Garten. Des Jägers Hütte stand genau in der Mitte, aus dem Schornstein rauchte es heftig. Ich legte mich auf den Boden und robbte wie ein Soldat zum Haus hin. Ich schlich, dicht an die Wand gedrückt umher und entdeckte eine Luke am Boden, die anscheinend in einen Keller führte. Sie war mit einer dicken Kette versperrt. Ich entschied mich dazu, mit dem Jäger zu reden, deshalb ging ich zur Türe und klopfte an. Ich wartete eine Minute und klopfte nochmal, diesmal stärker. Ein alter Mann mit grünem Gewande öffnete und starrte mich an, er kaute Tabak und spuckte mir vor die Füße. Dann sagte er:
"Was wollen sie hier?"
"Sie haben gestern einen Hasen erschossen."
"Und?"
"Die Familie würde ihn gerne Beerdigen?"
"Was? Den Hasen?"
"Bitte geben sie mir die Leiche"
"Ich geb dir 30 Sekunden"
"Haben sie ein Herz!"
"25 .. 24 ..23 ....", sagte er sehr ernst und zog ein Gewehr hinter der Tür vor.
Mein Herz pochte wie verrückt, ich drehte mich um und raste im zickzack zum Zaun hin. Der Jäger feuerte laut lachend los, einige Kugeln schossen nur knapp an mir vorbei und löcherten den Zaun. Ich versuchte mich hochzuziehen, als plötzlich ein stechender Schmerz in meinem linken Fuß zu spüren war. Der Schäfer des Jägers hatte sich darin verbissen, ich versuchte ihn wegzutreten aber er zog mich hinunter. Ich fiel mit dem Kopf direkt auf den harten Boden und verlor das Bewusstsein.


2
In einem dunklen Raum wachte ich an einen Sessel gebunden auf. Die Luft war kalt und feucht und roch nach Keller. Ich versuchte mich zu befreien, doch meine hektischen Bewegungen schnürten die ohnehin schon engen Fesseln nur noch enger zusammen - sie scheuerten mir meine Handgelenke wund.
Das Licht ging an. Eine einzelne, von der rissigen Wand hängende Glühbirne erleuchtete jetzt den ganzen Raum. Außer dem Sessel, mir und einigen Kakerlaken am Erdboden war der Raum leer. Ich hörte langsame Schritte auf knarrenden Holzstufen. Der Jäger kam auf mich zu, stützte sich an den Armlehnen des Sessels ab und lehnte sich vor. Er kam mir gefährlich nahe, fast hätten sich unsere Gesichter berührt. Seines war hässlich und schmutzig, im ungepflegten Bart hängten irgendwelche Essensreste. Der Mann starrte mir direkt in die Augen.
"Hast du´s bequem?", fragte er mich grinsend mit seinem stinkenden Mund.
"Das waren keine 30 Sekunden, sie haben mich angelogen"
"Och, das tut mir leid .... du Armer", sagte er und umkreiste mich dabei langsam.
"Hausfriedensbruch also...", fuhr er fort, ".. weißt du, was ich mit Einbrechern mache?"
"Sie laufen lassen?", sagte ich und hoffte, dass er diesen Humor zu schätzen weiß.
"Ein Witzbold! Willst du schon gehen?"
"Ja, bitte"
Er schlug mir den Griff des Gewehres ins Gesicht, meine Unterlippe platze auf und das Blut spritzte in alle Richtungen. Ich schmeckte es im Mund. Meine Handgelenke brachten mich fast um, denn das Seil rieb in den offenen Wunden hin und her. Der nächste Schlag traf mein rechtes Auge, es schwoll sofort an. Ich wollte gerade zu betteln beginnen, doch der Jäger packte mich mit seiner rauhen Hand am Hald und drückte zu. Ich konnte kaum noch atmen und blickte auf seinen vernarbten und haarigen Arm.
Ich hatte schon aufgegeben, da lockerte sich plötzlich der Griff. Der Mann hielt sich die Brust, rang nach Luft und setzte sich auf den Boden.
"Heh, was los?", fragte ich ihn
Er versuchte vergeblich zu atmen und kämpfte gegen den Tod an, dann legte er sich winselnd hin und verstummte einige Minuten später. Ich war erleichtert. Jetzt musste ich nur noch irgendwie die Fesseln lösen.

 

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